Zweiter Brief -1-

Berlin, den 16. März 1822


Ihr sehr wertes Schreiben vom 2. Februar habe ich richtig erhalten und ersah daraus mit Vergnügen, daß mein erster Brief Ihren Beifall hat. Ihr leise angedeuteter Wunsch, bestimmte Persönlichkeiten nicht zu sehr hervortreten zu lassen, soll in etwa erfüllt werden. Es ist wahr, man kann mich leicht mißverstehen. Die Leute betrachten nicht das Gemälde, das ich leicht hinskizziere, sondern die Figürchen, die ich hineingezeichnet, um es zu beleben, und glauben vielleicht gar, daß es mir um diese Figürchen besonders zu tun war. Aber man kann auch Gemälde ohne Figuren malen, so wie man Suppe ohne Salz essen kann. Man kann verblümt sprechen, wie unsere Zeitungsschreiber. Wenn sie von einer großen norddeutschen Macht reden, so weiß jeder, daß sie Preußen meinen. Das finde ich lächerlich. Es kommt mir vor, als wenn die Masken im Redoutensaale ohne Gesichtslarven herumgingen. Wenn ich von einem großen norddeutschen Juristen spreche, der das schwarze Haar so lang als möglich von der Schulter herabwallen läßt, mit frommen Liebesaugen gen Himmel schaut, einem Christusbilde ähnlich sehen möchte, übrigens einen französischen Namen trägt, von französischer Ab stammung ist und doch gar gewaltig deutsch tut, so wissen die Leute, wen ich meine. Ich werde alles bei seinem Namen nennen; ich denke darüber wie Boileau. Ich werde auch manche Persönlichkeit schildern; ich kümmre mich wenig um den Tadel jener Leutchen, die sich im Lehnstuhl der Konvenienzkorrespondenz behaglich schaukeln und jederzeit liebreich ermahnen: „Lobt uns, aber sagt nicht, wie wir aussehn.“


Ich habe es längst gewußt, daß eine Stadt wie ein junges Mädchen ist und ihr holdes Angesicht gern wiedersieht im Spiegel fremder Korrespondenz. Aber nie hätte ich gedacht, daß Berlin bei einem solchen Bespiegeln sich wie ein altes Weib, wie eine echte Klatschliese, gebärden würde. Ich machte bei dieser Gelegenheit die Bemerkung: „Berlin ist ein großes Krähwinkel.“

Ich bin heute sehr verdrießlich, mürrisch, ärgerlich, reizbar; der Mißmut hat der Phantasie den Hemmschuh angelegt, und sämtliche Witze tragen schwarze Trauerflöre. Glauben Sie nicht, daß etwa eine Weiberuntreue die Ursache sei. Ich liebe die Weiber noch immer; als ich in Göttingen von allem weiblichen Umgange abgeschlossen war, schaffte ich mir wenigstens eine Katze an; aber weibliche Untreue könnte nur noch auf meine Lachmuskeln wirken. Glauben Sie nicht, daß etwa meine Eitelkeit schmerzlich beleidigt worden sei; die Zeit ist vorbei, wo ich des Abends meine Haare mühsam in Papilloten zu drehen pflegte, einen Spiegel beständig in der Tasche trug und mich fünfundzwanzig Stunden des Tages mit dem Knüpfen der Halsbinde beschäftigte. Denken Sie auch nicht, daß vielleicht Glaubensskrupel mein zartes Gemüt quälend beunruhigten; ich glaube jetzt nur noch an den pythagoreischen Lehrsatz und ans königl. preuß. Landrecht. Nein, eine weit vernünftigere Ursache bewirkt meine Betrübnis: mein köstlichster Freund, der Liebenswürdigste der Sterblichen, Eugen v. B., ist vorgestern abgereist! Das war der einzigste Mensch, in dessen Gesellschaft ich mich nicht langweilte, der einzige, dessen originelle Witze mich zur Lebenslustigkeit aufzuheitern vermochten und in dessen süßen, edeln Gesichtszügen ich deutlich sehen konnte, wie einst meine Seele aussah, als ich noch ein schönes reines Blumenleben führte und mich noch nicht befleckt hatte mit dem Haß und mit der Lüge.

Doch Schmerz beiseite; ich muß jetzt davon sprechen, was die Leute singen und sagen bei uns an der Spree. Was sie klingeln und was sie züngeln, was sie kichern und was sie klatschen, alles sollen Sie hören, mein Lieber.

Boucher, der längst sein aller-, aller-, allerletztes Konzert gegeben und jetzt vielleicht Warschau oder Petersburg mit seinen Kunststücken auf der Violine entzückt, hat wirklich recht, wenn er Berlin la capitale de la musique nennt. Es ist hier den ganzen Winter hindurch ein Singen und Klingen gewesen, daß einem fast Hören und Sehen vergeht. Ein Konzert trat dem andern auf die Ferse.

      Wer nennt die Fiedler, nennt die Namen,
      Die gastlich hier zusammenkamen?

      – – – – – – – – – – – – – – – – –

      Selbst von Hispanien kamen sie
      Und spielten auf dem Schaugerüste
      Gar manche schlechte Melodie.

Der Spanier war Escudero, ein Schüler Baillots, ein wackerer Violinspieler, jung, blühend, hübsch und dennoch kein Protegé der Damen. Ein ominöses Gerücht ging ihm voran, als habe das italienische Messer ihn unfähig gemacht, dem schönen Geschlechte gefährlich zu sein. Ich will Sie nicht ermüden mit dem Aufzählen aller jener musikalischen Abendunterhaltungen, die uns diesen Winter entzückten und langweilten. Ich will nur erwähnen, daß das Konzert der Seidler drückend voll war und daß wir jetzt auf Drouets Konzert gespannt sind, weil der junge Mendelssohn darin zum ersten Male öffentlich spielen wird. –

Haben Sie noch nicht Maria von Webers „Freischütz“ gehört? Nein? Unglücklicher Mann! Aber haben Sie nicht wenigstens aus dieser Oper das „Lied der Brautjungfern“ oder den „Jungfernkranz“ gehört? Nein? Glücklicher Mann!

Wenn Sie vom Hallischen nach dem Oranienburger Tore und vom Brandenburger nach dem Königstore, ja selbst wenn Sie vom Unterbaum nach dem Köpnicker Tore gehen, hören Sie jetzt immer und ewig dieselbe Melodie, das Lied aller Lieder: den „Jungfernkranz“.

Wie man in den Goethischen Elegien den armen Briten von dem „Marlborough s’en va-t-en guerre“ durch alle Länder verfolgt sieht, so werde auch ich von morgens früh bis spät in die Nacht verfolgt durch das Lied:

      Wir winden dir den Jungfernkranz
      Mit veilchenblauer Seide;
      Wir führen dich zu Spiel und Tanz,
      Zu Lust und Hochzeitfreude.

      Chor:

      Schöner, schöner, schöner grüner Jungfernkranz,
      Mit veilchenblauer Seide, mit veilchenblauer Seide!

      Lavendel, Myrt’ und Thymian,
      Das wächst in meinem Garten.
      Wie lange bleibt der Freiersmann,
      Ich kann ihn kaum erwarten!

      Chor:

      Schöner, schöner, schöner usw.

Bin ich mit noch so guter Laune des Morgens aufgestanden, so wird doch gleich alle meine Heiterkeit fortgeärgert, wenn schon früh die Schuljugend, den „Jungfernkranz“ zwitschernd, meinem Fenster vorbeizieht. Es dauert keine Stunde, und die Tochter meiner Wirtin steht auf mit ihrem „Jungfernkranz“. Ich höre meinen Barbier den „Jungfernkranz“ die Treppe heraufsingen. Die kleine Wäscherin kommt „mit Lavendel, Myrt’ und Thymian“. So geht’s fort. Mein Kopf dröhnt. Ich kann’s nicht aushalten, eile aus dem Hause und werfe mich mit meinem Ärger in eine Droschke. Gut, daß ich durch das Rädergerassel nicht singen höre. Bei ***li steig ich ab. „Ist’s Fräulein zu sprechen?“ Der Diener läuft. „Ja.“ Die Türe fliegt auf. Die Holde sitzt am Pianoforte und empfängt mich mit einem süßen:

       „Wo bleibt der schmucke Freiersmann,
      Ich kann ihn kaum erwarten.“ –

„Sie singen wie ein Engel!“ ruf ich mit krampfhafter Freundlichkeit. „Ich will noch einmal von vorne anfangen“, lispelt die Gütige, und sie windet wieder ihren „Jungfernkranz“ und windet und windet, bis ich selbst vor unsäglichen Qualen wie ein Wurm mich winde, bis ich vor Seelenangst ausrufe: „Hilf, Samiel!“

Sie müssen wissen, so heißt der böse Feind im „Freischützen“; der Jäger Kaspar, der sich ihm ergeben hat, ruft in jeder Not: „Hilf, Samiel!“; es wurde hier Mode, in komischer Bedrängnis diesen Ausruf zu gebrauchen, und Boucher hat einst sogar im Konzerte, als ihm eine Violinsaite sprang, laut ausgerufen: „Hilf, Samiel!“

Und Samiel hilft. Die bestürzte Donna hält plötzlich ein mit dem rädernden Gesange und lispelt: „Was fehlt Ihnen?“ – „Es ist pures Entzücken“, ächze ich mit forciertem Lächeln. „Sie sind krank“, lispelte sie, „gehen Sie nach dem Tiergarten, genießen Sie das schene Wetter, und beschauen Sie die schene Welt.“ Ich greife nach Hut und Stock, küsse der Gnädigen die gnädige Hand, werfe ihr noch einen schmachtenden Passionsblick zu, stürze zur Tür hinaus, steige wieder in die erste beste Droschke und rolle nach dem Brandenburger Tore. Ich steige aus und laufe hinein in den Tiergarten.

Ich rate Ihnen, wenn Sie hierherkommen, so ver säumen Sie nicht, an solchen schönen Vorfrühlingstagen, um diese Zeit, um halb eins, in den Tiergarten zu gehen.

Gehen Sie links hinein und eilen Sie nach der Gegend, wo unserer seligen Luise von den Einwohnerinnen des Tiergartens ein kleines, einfaches Monument gesetzt ist. Dort pflegt unser König oft spazierenzugehen. Es ist eine schöne, edle, ehrfurchtgebietende Gestalt, die allen äußeren Prunk verschmäht. Er trägt fast immer einen scheinlos grauen Mantel, und einem Tölpel habe ich weisgemacht, der König müsse sich oft mit dieser Kleidung etwas behelfen, weil sein Garderobemeister außer Landes wohnt und nur selten nach Berlin kömmt. Die schönen Königskinder sieht man ebenfalls zu dieser Zeit im Tiergarten sowie auch den ganzen Hof und die allernobelste Noblesse. Die fremdartigen Gesichter sind Familien auswärtiger Gesandten. Ein oder zwei Livreebediente folgen den edeln Damen in einiger Entfernung. Offiziere auf den schönsten Pferden galoppieren vorbei. Ich habe selten schönere Pferde gesehen als hier in Berlin. Ich weide meine Augen an dem Anblick der herrlichen Reutergestalten. Die Prinzen unseres Hauses sind darunter. Welch ein schönes, kräftiges Fürstengeschlecht! An diesem Stamme ist kein mißgestalteter, verwahrloster Ast. In freudiger Lebensfülle, Mut und Hoheit auf den edeln Gesichtern, reiten dort die zwei ältern Königs söhne vorbei. Jene schöne jugendliche Gestalt, mit frommen Gesichtszügen und liebeklaren Augen, ist der dritte Sohn des Königs, Prinz Karl. Aber jenes leuchtende, majestätische Frauenbild, das, mit einem buntglänzenden Gefolge, auf hohem Rosse vorbeifliegt, das ist unsre – Alexandrine. Im braunen, festanliegenden Reitkleide, ein runder Hut mit Federn auf dem Haupte und eine Gerte in der Hand, gleicht sie jenen ritterlichen Frauengestalten, die uns aus dem Zauberspiegel alter Märchen so lieblich entgegenleuchten und wovon wir nicht entscheiden können, ob sie Heiligenbilder sind oder Amazonen. Ich glaube, der Anblick dieser reinen Züge hat mich besser gemacht; andächtige Gefühle durchschauern mich, ich höre Engelstimmen, unsichtbare Friedenspalmen fächeln, in meine Seele steigt ein großer Hymnus – da erklirren plötzlich schnarrende Harfensaiten, und eine Alteweiberstimme quäkt: „Wir winden dir den Jungfernkranz“ usw.

Und nun den ganzen Tag verläßt mich nicht das vermaledeite Lied. Die schönsten Momente verbittert es mir. Sogar wenn ich bei Tisch sitze, wird es mir vom Sänger Heinsius als Dessert vorgedudelt. Den ganzen Nachmittag werde ich mit „veilchenblauer Seide“ gewürgt. Dort wird der „Jungfernkranz“ von einem Lahmen abgeorgelt, hier wird er von einem Blinden heruntergefiedelt. Am Abend geht der Spuk erst recht los. Das ist ein Flöten und ein Grölen und ein Fistulieren und ein Gurgeln, und immer die alte Melodie. Das Kasparlied und der Jägerchor wird wohl dann und wann von einem illuminierten Studenten oder Fähndrich zur Abwechselung in das Gesumme hineingebrüllt, aber der „Jungfernkranz“ ist permanent; wenn der eine ihn beendigt hat, fängt ihn der andere wieder von vorn an; aus allen Häusern klingt er mir entgegen; jeder pfeift ihn mit eigenen Variationen; ja, ich glaube fast, die Hunde auf der Straße bellen ihn.

Wie ein zu Tode gehetzter Rehbock lege ich abends mein Haupt auf den Schoß der schönsten Borussin; sie streichelt mir zärtlich das borstige Haar, lispelt mir ins Ohr: „Ich liebe dir, und deine Lawise wird dich ooch immer jut sind“, und sie streichelt und hätschelt so lange, bis sie glaubt, daß ich am Einschlummern sei, und sie ergreift leise die „Katharre“ und spielt und singt die „Kravatte“ aus „Tankred“: „Nach soviel Leiden“, und ich ruhe aus nach so vielen Leiden, und liebe Bilder und Töne umgaukeln mich – da weckt’s mich wieder gewaltsam aus meinen Träumen, und die Unglückselige singt: „Wir winden dir den Jungfernkranz –“

In wahnsinniger Verzweiflung reiße ich mich los aus der lieblichsten Umarmung, eile die enge Treppe hinunter, fliege wie ein Sturmwind nach Hause, werfe mich knirschend ins Bett, höre noch die alte Köchin mit ihrem Jungfernkranze herumtrippeln und hülle mich tiefer in die Decke.

Sie begreifen jetzt, mein Lieber, warum ich Sie einen glücklichen Mann nannte, wenn Sie jenes Lied noch nicht gehört haben. Doch glauben Sie nicht, daß die Melodie desselben wirklich schlecht sei. Im Gegenteil, sie hat eben durch ihre Vortrefflichkeit jene Popularität erlangt. Mais toujours perdrix? Sie verstehen mich. Der ganze „Freischütz“ ist vortrefflich und verdient gewiß jenes Interesse, womit er jetzt in ganz Deutschland aufgenommen wird. Hier ist er jetzt vielleicht schon zum dreißigsten Male gegeben, und noch immer wird es erstaunlich schwer, zu einer Vorstellung desselben gute Billette zu bekommen. In Wien, Dresden, Hamburg macht er ebenfalls Furore. Dieses beweiset hinlänglich, daß man unrecht hatte, zu glauben, als ob diese Oper hier nur durch die antispontinische Partei gehoben worden sei. Antispontinische Partei? Ich sehe, der Ausdruck befremdet Sie. Glauben Sie nicht, diese sei eine politische. Der heftige Parteikampf von Liberalen und Ultras, wie wir ihn in andern Hauptstädten sehen, kann bei uns nicht zum Durchbruch kommen, weil die königliche Macht, kräftig und parteilos schlichtend, in der Mitte steht. Aber dafür sehen wir in Berlin oft einen ergötzlichern Parteikampf, den in der Musik. Wären Sie Ende des vorigen Sommers hiergewesen, hätten Sie es sich in der Gegenwart veranschaulichen können, wie einst in Paris der Streit der Gluckisten und Piccinisten ungefähr ausgesehen haben mag. – Aber ich sehe, ich muß hier etwas ausführlicher von der hiesigen Oper sprechen; erstens, weil sie doch in Berlin ein Hauptgegenstand der Unterhaltung ist, und zweitens, weil Sie ohne nachfolgende Bemerkungen den Geist mancher Notizen gar nicht fassen können. Von unsern Sängerinnen und Sängern will ich hier gar nicht sprechen. Ihre Apologien sind stereotyp in allen Berliner Korrespondenzartikeln und Zeitungsrezensionen; täglich liest man: die Milder-Hauptmann ist unübertrefflich, die Schulz ist vortrefflich und die Seidler ist trefflich. Genug, es ist unbestritten, daß man die Oper hier auf eine erstaunliche Kunsthöhe gebracht hat und daß sie keiner andern deutschen Oper nachzustehen braucht. Ob dieses durch die emsige Wirksamkeit des verstorbenen Webers geschehen ist oder ob Ritter Spontini, nach dem Ausspruch seiner Anhänger, wie mit dem Schlag einer Zauberrute alle diese Herrlichkeit ins Leben hervorgerufen habe, wage ich sehr zu bezweifeln. Ich wage sogar zu glauben, daß die Leitung des großen Ritters auf einige Teile der Oper höchst nachteilig gewirkt habe. Aber ich behaupte durchaus, daß seit der völligen Trennung der Oper von dem Schauspiel und Spontinis unumschränkter Beherrschung derselben diese täglich mehr und mehr Schaden erleiden muß, durch die natürliche Vorliebe des großen Ritters für seine eignen großen Produkte und die Produkte verwandter oder befreundeter Genies und durch seine ebenso natürliche Abneigung gegen die Musik solcher Komponisten, deren Geist den seinigen nicht anspricht oder dem seinigen nicht huldigt oder gar – horribile dictu – mit dem seinigen wetteifert.

Ich bin zu sehr Laie im Gebiete der Tonkunst, als daß ich mein eignes Urteil über den Wert der Spontinischen Kompositionen aussprechen dürfte, und alles, was ich hier sage, sind bloß fremde Stimmen, die im Gewoge des Tagesgesprächs besonders hörbar sind.

„Spontini ist der größte aller lebenden Komponisten. Er ist ein musikalischer Michelangelo. Er hat in der Musik neue Bahnen gebrochen. Er hat ausgeführt, was Gluck nur geahnet. Er ist ein großer Mann, er ist ein Genie, er ist ein Gott!“ So spricht die spontinische Partei, und die Wände der Paläste schallen wider von dem unmäßigen Lobe. – Sie müssen nämlich wissen, es ist die Noblesse, die besonders von Spontinis Musik angesprochen wird und demselben ausgezeichnete Zeichen ihrer Gunst angedeihen läßt. An diese edlen Gönner lehnt sich die wirkliche spontinische Partei, die natürlicherweise aus einer Menge Menschen besteht, die dem vornehmen und legitimen Geschmacke blindlings huldigt, aus einer Menge Enthu siasten für das Ausländische, aus einigen Komponisten, die ihre Musik gern auf die Bühne brächten, und endlich aus einer Handvoll wirklicher Verehrer.

Woraus ein Teil der Gegenpartei besteht, ist wohl leicht zu erraten. Viele sind auch dem guten Ritter gram, weil er ein Welscher ist. Andre, weil sie ihn beneiden. Wieder andre, weil seine Musik nicht deutsch ist. Aber endlich der größte Teil sieht in seiner Musik nur Pauken- und Trompetenspektakel, schallenden Bombast und gespreizte Unnatur. Hierzu kam noch der Unwille vieler – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Jetzt, mein Lieber, können Sie sich den Lärm erklären, der diesen Sommer ganz Berlin erfüllte, als Spontinis „Olympia“ auf unsrer Bühne zuerst erschien. Haben Sie die Musik dieser Oper nicht in Hamm hören können? An Pauken und Posaunen war kein Mangel, so daß ein Witzling den Vorschlag machte, im Neuen Schauspielhause die Haltbarkeit der Mauern durch die Musik dieser Oper zu probieren. Ein anderer Witzling kam eben aus der brausenden „Olympia“, hörte auf der Straße den Zapfenstreich trommeln und rief, Atem schöpfend: „Endlich hört man doch sanfte Musik!“ Ganz Berlin witzelte über die vielen Posaunen und über den großen Elefanten in den Prachtaufzügen dieser Oper. Die Tauben aber waren ganz entzückt von so vieler Herrlichkeit und versicherten, daß sie diese schöne dicke Musik mit den Händen fühlen konnten. Die Enthusiasten aber riefen: „Hosianna! Spontini ist selbst ein musikalischer Elefant! Er ist ein Posaunenengel!“

Kurz darauf kam Karl Maria v. Weber nach Berlin, sein „Freischütz“ wurde im Neuen Theater aufgeführt und entzückte das Publikum. Jetzt hatte die antispontinische Partei einen festen Punkt, und am Abend der ersten Vorstellung seiner Oper wurde Weber aufs herrlichste gefeiert. In einem recht schönen Gedichte, das den Doktor Förster zum Verfasser hatte, hieß es vom „Freischützen“, „er jage nach edlerm Wilde als nach Elefanten“. Weber ließ sich über diesen Ausdruck den andern Tag im „Intelligenzblatte“ sehr kläglich vernehmen und kajolierte Spontini und blamierte den armen Förster, der es doch so gut gemeint hatte. Weber hegte damals die Hoffnung, hier bei der Oper angestellt zu werden, und würde sich nicht so unmäßig bescheiden gebärdet haben, wenn ihm schon damals alle Hoffnung des Hierbleibens abgeschnitten gewesen wäre. Weber verließ uns nach der dritten Vorstellung seiner Oper, reiste nach Dresden zurück, erhielt dort einen glänzenden Ruf nach Kassel, wies ihn zurück, dirigierte wieder vor wie nach die Dresdner Oper, wird dort einem guten General ohne Soldaten verglichen und ist jetzt nach Wien gereist, wo eine neue komische Oper von ihm gegeben werden soll. – Über den Wert des Textes und der Musik des „Frei schützen“ verweise ich Sie auf die große Rezension desselben vom Professor Gubitz im „Gesellschafter“. Dieser geistreiche und scharfsinnige Kritiker hat das Verdienst, daß er der erste war, der die romantischen Schönheiten dieser Oper ausführlich entwickelte und ihre großen Triumphe am bestimmtesten voraussagte.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe aus Berlin 1822