Dritter Brief -1-

Berlin, den 7. Juni 1822


Ich habe eben meinen Galarock, schwarzseidene Hosen und dito Strümpfe angezogen und melde Ihnen allerfeierlichst:


die hohe Vermählung Ihrer königl. Hoheit der Prinzessin Alexandrine mit Sr. königl. Hoheit dem Erbgroßherzoge von Mecklenburg-Schwerin.

Die ausführliche Beschreibung der Hochzeitfeierlichkeiten selbst lasen Sie gewiß schon in der „Vossischen“ oder „Haude- und Spenerschen Zeitung“, und was ich darüber zu sagen habe, wird also sehr wenig sein. Es hat aber auch noch einen andern wichtigen Grund, warum ich sehr wenig darüber sage, und das ist: weil ich wirklich wenig davon gesehen. Da ich oft mehr den Geist als die Notiz referiere, so hat das so sehr viel nicht zu bedeuten. Ich hatte mich auch nicht genug vorbereitet, sehr viele Notizen einzusammeln. Es war freilich schon sehr lange vorher bestimmt, daß am 25. die Vermählung jener hohen Personen stattfinden sollte. Aber man trug sich damit herum, daß solche noch etwas länger aufgeschoben werde, und wahrhaftig, Freitag (den 24.) wollte ich es noch nicht recht glauben, daß schon am andern Tage die Trauung stattfände. Es ging manchem so. Sonnabendmorgen war es nicht sehr lebhaft auf der Straße. Aber auf den Gesichtern lag Eilfertigkeit und geheimnisvolle Erwartung. Herumlaufende Bedienten, Friseure, Schachteln, Putzmacherinnen usw. Ein schöner Tag, nicht sehr schwül; aber die Menschen schwitzten. Gegen sechs Uhr begann das Wagengerassel.

Ich bin kein Adeliger, kein hoher Staatsbeamte und kein Offizier – folglich bin ich nicht courfähig und konnte den Vermählungsfeierlichkeiten auf dem Schlosse selbst nicht beiwohnen. Dennoch ging ich nach dem Schloßhof, um mir wenigstens das ganze courfähige Personal zu beschauen. Ich habe nie soviel prächtige Equipagen beisammen gesehen. Die Bedienten hatten ihre besten Livreen an, und in ihren schreiend hellfarbigen Röcken und kurzen Hosen mit weißen Strümpfen sahen sie aus wie holländische Tulpen. Mancher von ihnen trug mehr Gold und Silber am Leibe als das ganze Hauspersonal des Bürgermeisters von Nordamerika. Aber dem Kutscher des Herzogs von Cumberland gebührt der Preis. Wahrlich, diese Blume der Kutscher auf ihrem Bocke paradieren zu sehen ist schon allein wert, daß man deshalb nach Berlin reist. Was ist Salomo in seiner Königspracht, was ist Harun al Raschid in seinem Kalifenschmuck, ja was ist der Triumphelefant in der „Olym pia“ gegen die Herrlichkeit dieses Herrlichen! An minder festlichen Tagen imponiert er schon hinlänglich durch seine echt chinesische Porzellanhaftigkeit, durch die pendulartigen Bewegungen seines gepuderten, schwerbezopften, mit einem dreieckigen Wünschelhütchen bedeckten Kopfes und durch die wunderliche Beweglichkeit seiner Arme beim Pferdelenken. Aber heute trug er ein karmoisinrotes Kleid, das halb Frack halb Überrock war, Hosen von derselben Farbe, alles mit breiten goldnen Tressen besetzt. Sein edles Haupt, kreideweiß gepudert und mit einem unmenschlich großen schwarzen Haarbeutel geziert, war von einem schwarzen Samtkäppchen mit langem Schirm bedeckt. Ganz auf gleiche Weise waren die vier Bedienten gekleidet, die hinten auf dem Wagen standen, sich mit brüderlicher Umschlingung einer an dem andern festhielten und dem gaffenden Publikum vier wackelnde Haarbeutel zeigten. Aber Er trug die gewöhnliche Herrscherwürde im Antlitz, Er dirigierte die sechsspännige Staatskarosse, zerrend zog er die Zügel,

      „und rasch hinflogen die Rosse“.

Es war ein furchtbares Menschengewühl auf dem Schloßhofe. Das muß man sagen, die Berlinerinnen sind nicht neugierig. Die zartesten Mägdlein gaben mir Stöße in die Seiten, die ich noch heute fühle. Es war ein Glück, daß ich keine schwangere Frau bin. Ich quetschte mich aber ehrlich durch und gelangte glücklich ins Portal des Schlosses. Der zurückdrängende Polizeibeamte ließ mich durch, weil ich einen schwarzen Rock trug und weil er es mir wohl ansah, daß die Fenster meines Logis mit rotseidenen Gardinen behangen sind. Ich konnte jetzt ganz gut die hohen Herren und Damen aussteigen sehen, und mich amüsierten recht sehr die vornehmen Hofkleider und Hofgesichter. Erstere kann ich nicht beschreiben, weil ich zuwenig Schneidergenie bin, und letztere will ich nicht beschreiben, aus stadtvogteilichen Gründen. Zwei hübsche Berlinerinnen, die neben mir standen, bewunderten mit Enthusiasmus die schönen Diamanten und Goldstickereien und Blumen und Gaze und Atlasse und lange Schleppen und Frisuren. Ich hingegen bewunderte noch mehr die schönen Augen dieser schönen Bewunderinnen und wurde etwas ärgerlich, als mir von hinten jemand freundschaftlich auf die Achsel schlug und mir das rotbäckige Gesichtlein des Kammermusici entgegenleuchtete. Er war in ganz besonderer Bewegung und hüpfte wie ein Laubfrosch. „Carissime“, quäkte er, „sehen Sie dort die schöne Komtesse? Zypressenwuchs, Hyazinthenlocken, der Mund ist Ros’ und Nachtigall zu gleicher Zeit, die ganze Frau ist eine Blume, und wie eine arme Blume, die zwischen zwei Blättern Löschpapier gepreßt wird, steht sie da zwischen ihren grauen Tanten. Der Herr Gemahl, der solche Blumen statt Disteln verzehrt, um uns glauben zu machen, er sei kein Esel, mußte heute zu Hause bleiben, hat den Schnupfen, liegt auf dem Sofa, ich habe ihn unterhalten müssen, wir schwatzten zwei Stunden lang von der neuen Liturgie, und die Zunge ist mir ordentlich dünner geworden durch das viele Schwatzen, und die Lippen tun mir weh vor lauter Lächeln.“ – Bei diesen Worten zog sich um die Mundwinkel des Kammermusici ein sauerhöfliches Lächeln, das er mit dem feinen Zünglein wieder fortleckte, und plötzlich rief er: „Die Liturgie! die Liturgie! sie wird auf den Flügeln des roten Adlers dritter Klasse von Kirchturm zu Kirchturm fliegen, jusqu’à la tour de Notre-Dame! Doch laßt uns etwas Vernünftiges sprechen – betrachten Sie die beiden geputzten Herren, die eben vorgefahren – ein zerquotschtes, eingemachtes Gesichtchen, ein feines Köpfchen mit weichen, baumwollenen Gedanken, buntgesticke Weste, Galanteriedegen, weißseidene, lächelnde Beinchen, und er parliert Französisch, und wenn man es ins Deutsche übersetzt, ist es eine Dummheit. – Dagegen der andre, der große mit dem Schnurrbart, der Titane, der alle Betthimmel stürmen will! ich wette, er hat soviel Verstand wie der Apoll von Belvedere –“ Um den Räsoneur auf andre Gedanken zu bringen, zeigte ich ihm meinen Barbier, der uns gegenüberstand und seinen neuen altdeutschen Rock angezogen hatte. Kirschbraun wurde jetzt das Gesicht des Kammermusici, und er fletschte mit den Zähnen: „O Sankt Marat! so ein Lump will den Freiheitshelden spielen! O Danton, Callot d’Herbois, Robespierre –“ Vergebens trällerte ich das Liedchen:

      „Eine feste Burg, o lieber Gott,
      Ist Spandau“ usw.

Vergebens, ich hatte das Ding noch verschlimmert, der Mensch geriet jetzt in seine alten Revolutionsgeschichten und schwatzte von nichts als Guillotinen, Laternen, Septembrisieren, bis mir, zu meinem Glück, seine lächerliche Pulverfurcht in den Sinn kam, und ich sagte ihm: „Wissen Sie auch, daß gleich im Lustgarten zwölf Kanonen losgeschossen werden?“ Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, und verschwunden war der Kammermusikus.

Ich wischte mir den Angstschweiß aus dem Gesicht, als ich den Kerl vom Halse hatte, sah noch die letzten Aussteigenden, machte meinen schönen Nachbarinnen eine mit einem holden Lächeln akkompagnierte Verbeugung und begab mich nach dem Lustgarten. Da standen wirklich zwölf Kanonen aufgepflanzt, die dreimal losgeschossen werden sollten, in dem Augenblick, wo das fürstliche Brautpaar die Ringe wechseln würde. An einem Fenster des Schlosses stand ein Offizier, der den Kanonieren im Lustgarten das Zeichen zum Abfeuern geben sollte. Hier hatte sich eine Menge Menschen versammelt. Auf ihren Gesichtern waren ganz eigne, fast sich widersprechende Gedanken zu lesen.

Es ist einer der schönsten Züge im Charakter der Berliner, daß sie den König und das königliche Haus ganz unbeschreiblich lieben. Die Prinzen und Prinzessinnen sind hier ein Hauptgegenstand der Unterhaltung in den geringsten Bürgerhäusern. Ein echter Berliner wird auch nie anders sprechen als „unsre“ Charlotte, „unsre“ Alexandrine, „unser“ Prinz Karl usw. Der Berliner lebt gleichsam in die königl. Familie hinein, alle Glieder derselben kommen ihm wie gute Bekannte vor, er kennt den besondern Charakter eines jeden und ist immer entzückt, neue schöne Seiten desselben zu bemerken. So wissen die Berliner zum Beispiel, daß der Kronprinz sehr witzig ist, und deshalb kursiert jeder gute Einfall gleich unter dem Namen des Kronprinzen, und einem Herkules mit der schlagenden Witzkeule werden die Witze aller übrigen Herkulesse zugeschrieben. Sie können sich also vorstellen, wie sehr hier die schöne, leuchtende Alexandrine vom Volke geliebt sein muß; und aus dieser Liebe können Sie sich auch den Widerspruch erklä ren, der auf den Gesichtern der Berliner lag, als sie erwartungsvoll nach den hohen Schloßfenstern sahen, wo unsre Alexandrine vermählt wurde. Verdruß durften sie nicht zeigen; denn es war der Ehrentag der geliebten Prinzessin. Recht freuen konnten sie sich auch nicht; denn sie verloren dieselbe. Neben mir stand ein Mütterchen, auf dessen Gesicht zu lesen war: „Jetzt habe ich sie zwar verheuratet, aber sie verläßt mich jetzt.“ Auf dem Gesichte meines jugendlichen Nachbars stand: „Als Herzogin von Mecklenburg ist sie doch nicht soviel, wie sie als Königin aller Herzen war.“ Auf den roten Lippen einer hübschen Brünette las ich: „Ach, wär ich schon soweit!“ – Da donnerten plötzlich die Kanonen, die Damen zuckten zusammen, die Glocken läuteten, Staub- und Dampfwolken erhoben sich, die Jungen schrien, die Leute trabten nach Hause, und die Sonne ging blutrot unter hinter Monbijou.

Besonders lärmig waren die Vermählungsfeierlichkeiten nicht. Den Morgen nach der Trauung wohnten die hohen Neuvermählten dem Gottesdienste in der Domkirche bei. Sie fuhren in der achtspännigen goldnen Kutsche mit großen Glasfenstern und wurden von einer gewaltigen Menschenmenge bestaunt. Wenn ich nicht irre, trugen die obigen Bedienten an diesem Tage keine Haarbeutel. Des Abends war Gratulationscour und hierauf Polonäsenball im Weißen Saale. Den 27. war Mittagstafel im Rittersaale, und des Abends verfügten sich die hohen und höchsten Personen nach dem Opernhause, wo die von Spontini zu diesem Feste eigens komponierte Oper „Nurmahal oder das Rosenfest in Kaschemir“ gegeben wurde. Es kostete den meisten Leuten viele Mühe, Billetts zu dieser Oper zu erlangen. Ich bekam eins geschenkt; aber ich ging doch nicht hin. Ich hätte es zwar tun sollen, um Ihnen darüber zu referieren. Aber glauben Sie, daß ich mich für meine Korrespondenz aufopfern soll? Mit Grausen denke ich noch an die „Olympia“, der ich kürzlich, aus einem besondern Grunde, nochmals beiwohnen mußte und die mich mit fast zerschlagenen Gliedern entließ. Ich bin aber zum Kammermusikus gegangen und fragte ihn, was an der Oper sei. Der antwortete: „Das Beste dran ist, daß kein Schuß drin vorkömmt.“ Doch kann ich mich hierin auf den Kammermusikus nicht verlassen; denn erstens komponiert er auch, und nach seiner Meinung besser als Spontini, und zweitens hat man ihm weisgemacht, daß letzterer eine Oper mit obligaten Kanonen schreiben wolle. Man spricht aber überhaupt nicht viel Gutes von der „Nurmahal“. Ein Meisterstück kann sie nicht sein. Spontini hat viele Musikstücke seiner ältern Oper hineingeflickt. Dadurch enthält diese Oper freilich sehr gute Stellen, aber das Ganze hat ein zusammengestoppeltes Ansehn und entbehrt jene Konsequenz und Einheit, die das Hauptverdienst der übrigen Spontinischen Opern ist. – Die hohen Neuvermählten wurden mit allgemeinem Aufjauchzen empfangen. Die Pracht, die in diesem Stücke eingewebt ist, soll unvergleichlich sein. Der Dekorationsmaler und der Theaterschneider haben sich selbst übertroffen. Der Theaterdichter hat die Verse gemacht, folglich müssen sie gut sein. Elefanten sind keine zum Vorschein gekommen. Die „Staatszeitung“ vom 4. Juni rügt einen Artikel der „Magdeburger Zeitung“, worin stand, daß zwei Elefanten in der neuen Oper erscheinen sollten, und bemerkt mit shakespeareschem Witze: „Diese Elefanten sollen sich vorgeblich noch in Magdeburg verhalten.“ Hat die „Magdeburger Zeitung“ diese Notiz aus meinem zweiten Briefe geschöpft, so bedauere ich mit tiefem Seelenschmerz, daß ich Unglücklicher ihr diesen Witzblitz zugezogen. Ich widerrufe, und zwar mit so de- und wehmütiger Gebärde, daß die „Staatszeitung“ Tränen der Rührung weinen soll. Überhaupt erkläre ich ein für allemal, daß ich bereit bin, alles zu widerrufen, was man von mir verlangt; nur darf es mir nicht viele Mühe kosten. Daß zwei Elefanten im „Rosenfest“ vorkommen würden, hatte ich wirklich selbst gehört. Nachher sagte man mir, es wären nur zwei Kamele, später hieß es, zwei Studenten kämen drin vor, und endlich sollten es Unschuldsengel sein. – Den 28. war Freiredoute. Schon um halb neun fuhren Masken nach dem Opernhause. – Ich habe im vorigen Briefe eine hiesige Redoute beschrieben. Sie unterschied sich diesmal nur dadurch, daß keine schwarze Dominos zugelassen wurden, daß alle Anwesende in Schuhen waren, daß man sich um ein Uhr im Saale demaskieren konnte und daß die Einlaßbillette und Erfrischungen gratis gegeben wurden. Letzteres war wohl die Hauptsache. Wenn ich nicht den festen Glauben in der Brust trüge, daß die Berliner Muster von Bildung und feinem Betragen sind und mit Recht auf die Ungeschliffenheit meiner Landsleute verächtlich herabschauen; wenn ich mich nicht bei vielen Gelegenheiten überzeugt hätte, daß der powerste Berliner es im anständigen Hungerleiden sehr weit gebracht hat und meisterhaft darauf eingeübt ist, den schreienden Magen in die Formen vornehmer Konvenienz einzuzwängen: so hätte ich von den Leuten hier sehr leicht eine ungünstige Meinung fassen können, als ich bei dieser Freiredoute sah, wie sie das Büfett sechs Mann hoch umdrängten, sich Glas nach Glas in den Schlund gossen, sich den Magen mit Kuchen anstopften, und das alles mit einer ungraziösen Gefräßigkeit und heroischen Beharrlichkeit, daß es einem ordentlichen Menschenkinde fast unmöglich war, jene Büfettphalanx zu durchbrechen, um, bei der Schwüle, die im Saale herrschte, mit einem Glase Limonade die Zunge zu kühlen. Der König und der ganze Hof waren auf dieser Redoute. Der Anblick der Neuvermählten entzückte alle Anwesende. Sie glänzte mehr durch ihre Liebenswürdigkeit als durch ihren reichen Diamantenschmuck. Unser König trug ein bläulich dunkles Domino. Die Prinzen trugen meistens altspanische und ritterliche Tracht.

Ich habe längst bemerkt, daß über die Rangordnung, womit ich Ihnen die hiesigen Begebnisse melde, bloß meine Laune entscheidet und nicht die Anciennität. Wollte ich letzterer folgen, so hätte ich meinen Brief mit Geheimrat Heims Jubiläum anfangen müssen. Aus den Zeitungen werden Sie hinlänglich erfahren haben, wie man hier diesen verdienten Arzt gefeiert. Zwei ganze Tage sprach man davon in Berlin; das will viel sagen. Überall hörte man Anekdoten aus Heims Leben erzählen, von denen einige höchst ergötzlich sind. Die drolligste derselben schien mir die Art, wie er seinen Kutscher mystifiziert, als ihm derselbe einstmals erklärte, er habe ihn jetzt so lange Zeit schon herumgefahren, er wünsche jetzt auch Arzt zu werden und das Kurieren zu lernen. Mehrere andre Dienstjubiläen fanden ebenfalls statt, und bei Jagor sprangen die Stöpsel der Champagnerflaschen. Überhaupt, ehe man sich dessen versieht, haben die Leute hier fünfzig Jahre abgedient. Das tut das Klima. – Auch eine Dienstmagd hat ihr Jubiläum gehalten, und in der „Eleganten“ ist zu lesen, wie die Jubelmagd gefeiert und besungen wurde. Sogar eine Matrone aus der Unschuldsgasse hat, wie ich gestern höre, ihr Jubiläum gefeiert. Sie wurde mit Rosen und Lilien bekränzt; ein gefühlvoller Portepeejüngling überreichte ihr ein Kraftsonett, ganz im Geist der gewöhnlichen Jubelpoesie, worin Liebe, Triebe, riebe, schiebe sich reimten, und zwölf Jungfrauen sangen:

       „Du Schwert an meiner Linken,
      Was soll dein heitres Blinken?“ usw. usw.

Sie sehen, Theodor Körners Gedichte werden noch immer gesungen. Freilich nicht in den Kreisen des guten Geschmacks, wo man es sich schon laut gestanden, daß es ein besonderes Glück war, daß Anno 1814 die Franzosen kein Deutsch verstanden und nicht lesen konnten jene faden, schalen, flachen, poesielosen Verse, die uns gute Deutsche so sehr enthusiasmierten. Aber diese Befreiungsverse werden noch oft deklamiert und gesungen in jenen gemütlichen Kränzchen, wo man sich des Winters wärmt an dem unschuldigen Strohfeuer, das in diesen patriotischen Liedern knistert, und wie der greise Schimmel des großen Friedrichs wieder jugendlich sich bäumte und das ganze Manöver machte, wenn er eine Trompete hörte, so steigt das Hochgefühl mancher Berlinerin, wenn sie ein Körnersches Lied hört; sie legt die Hand graziöse auf den Busen, quietscht einen bodenlosen Wonneseufzer, erhebt sich mutig wie Johanna von Montfaucon und spricht: „Ich bin eine deutsche Jungfrau.“

Ich merke, mein Lieber, Sie sehen mich etwas sauer an wegen des bittern, spottenden Tones, womit ich zuweilen von Dingen spreche, die andern Leuten teuer sind und teuer sein sollen. Ich kann aber nicht anders. Meine Seele glüht zu sehr für die wahre Freiheit, als daß mich nicht der Unmut ergreifen sollte, wenn ich unsere winzigen, breitschwatzenden Freiheitshelden in ihrer aschgrauen Armseligkeit betrachte; in meiner Seele lebt zu sehr Liebe für Deutschland und Verehrung deutscher Herrlichkeit, als daß ich einstimmen könnte in das unsinnige Gewäsche jener Pfenningsmenschen, die mit dem Deutschtume kokettieren; und zu mancher Zeit regt sich in mir fast krampfhaft das Gelüste, mit kühner Hand der alten Lüge den Heiligenschein vom Kopfe zu reißen und den Löwen selbst an der Haut zu zerren – weil ich einen Esel darunter vermute.

Vom Schauspiel will ich Ihnen auch diesmal wenig schreiben. Der Komiker Walter hat hier einigen Beifall gehabt; was mich betrifft, so kann ich seinen Humor nicht goutieren. Dagegen hat mich Lebrun aus Hamburg, der hier vor kurzem einige Gastrollen gab, wahrhaft entzückt. Er ist einer unserer besten deutschen Komiker, unübertrefflich in jovialen Rollen, und verdient ganz jenen Beifall, den ihm hier alle Kenner zollten. Karl August Lebrun ist ganz wie zum Schauspieler geboren, die Natur hat ihn mit allen Talenten, die zu diesem Stande gehören, in vollem Maße ausgerüstet, und die Kunst hat dieselben ausgebildet. Aber was soll ich von der Neumann sagen, die alle Berliner bezaubert und sogar die Rezensenten? Was nicht alles ein schönes Gesicht tut! Es ist ein Glück, daß ich kurzsichtig bin, sonst hätte diese Circe mich ebenso in ein graues Tierlein verwandelt wie einen meiner Freunde. Dieser Unglückliche hat jetzt so lange Ohren, daß das eine in der „Vossischen Zeitung“ und das andre in der „Haude- und Spenerschen“ zum Vorschein kömmt. Einige Jünglinge hat diese Dame schon toll gemacht; einer derselben ist schon wasserscheu und macht keine Verse mehr. Jeder fühlt sich glücklich, wenn er der schönen Frau näherkommen kann. Ein Gymnasiast hat sich in dieselbe platonisch verliebt und hat ihr eine kalligraphische Probe seiner Handschrift zugeschickt. Ihr Mann ist auch Schauspieler und glänzte wie Glanzleinen in „Kabiljau und Hiebe“. Die gute Frau muß gewiß vom vielen Zuspruch ihrer Bewunderer belästigt werden. Man erzählt, ein kranker Mann, der neben ihr wohnt, habe keine Ruhe gehabt vor all den Menschen, die jeden Augenblick sein Zimmer aufrissen und fragten: „Wohnt hier Madame Neumann?“, und er habe endlich auf seine Türe schreiben lassen: „Hier wohnt Madame Neumann nicht.“

Man hat sogar die schöne Frau in Eisen gegossen und verkauft kleine eiserne Medaillen, worauf ihr Bildnis geprägt ist. Ich sage Ihnen, der Enthusiasmus für die Neumann grassiert hier wie eine Viehseuche. Während ich diese Zeilen schreibe, fühle ich selbst seine Einflüsse. Mir klingen noch die begeisterten Worte in die Ohren, womit gestern ein Graukopf von ihr sprach. Konnte doch Homer uns die Schönheit Helenas nicht stärker schildern, als indem er zeigt, wie Greise bei ihrem Anblick in Entzücken gerieten. Sehr viele Mediziner machen ebenfalls der schönen Frau den Hof, und man nennt sie hier scherzweise die „Medizinische Venus“. Aber was brauche ich soviel zu erzählen, Sie haben ja gewiß unsere Theaterkritiken genau gelesen und bemerkt, wie sich ordentlich ein Metrum darin bewegt, und zwar das der Sapphischen Ode an die Venus. Ja, sie ist eine Venus oder, wie ein Altonaer Kaufmann sagte, eine Venussin. Nur der vermaledeite Setzer wirft zuweilen einen Wespenstachel in die Schale hymettischen Honigs, die der fromme Rezensent unserer Göttin opfert. Das nachhelfende „Intelligenzblatt“ (der Titel dieses Blattes ist Ironie) berichtigt folgenden Druckfehler: In der Rezensi on über das Gastspiel der Mad. Neumann Nr. 63 der „Spenerschen Zeitung“ vom 25. Mai muß Zeile 26 statt „von leichtbewegten Minnespiel“ „von leichtbewegten Mienenspiel“ gelesen werden. – Gestern spielte die schöne Frau in Claurens neuem Lustspiele „Der Bräutigam aus Mexiko“. In diesem Stücke gaukelt auf eine höchst anmutige Weise eine leichte, originelle, fast märchenhafte Heiterkeit, die jeden Freund froher Laune ansprechen muß. Dieses Stück hat auch vielen gefallen, so wie überhaupt alles, was aus der Feder dieses Schriftstellers kömmt, hier erstaunlichen Beifall findet. Seine Schriften haben viele Gegner, aber sie erleben eine Auflage nach der andern.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe aus Berlin 1822