Briefe aus Berlin 1822

Autor: Heinrich Heine (1797-1856), Erscheinungsjahr: 1827
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Ihr sehr lieber Brief vom 5. d. M. hat mich mit der größten Freude erfüllt, da sich darin Ihr Wohlwollen gegen mich am unverkennbarsten aussprach. Es erquickt mir die Seele, wenn ich erfahre, dass so viele gute und wackere Menschen mit Interesse und Liebe meiner gedenken.

Glauben Sie nur nicht, dass ich unseres Westfalens so bald vergessen hätte. Der September 1821 schwebt mir noch zu sehr im Gedächtnis. Die schönen Täler um Hagen, der freundliche Overweg in Unna, die angenehmen Tage in Hamm, der herrliche Fritz v. B., Sie, W., die Altertümer in Soest, selbst die Paderborner Heide, alles steht noch lebendig vor mir. Ich höre noch immer, wie die alten Eichenwälder mich umrauschen, wie jedes Blatt mir zuflüstert: „Hier wohnten die alten Sachsen, die am spätesten Glauben und Germanentum einbüßten.“ Ich höre noch immer, wie ein uralter Stein mir zuruft: „Wandrer, steh, hier hat Armin den Varus geschlagen!“ – Man muss zu Fuß, und zwar, wie ich, in österreichischen Landwehrtagemärschen Westfalen durchwandern, wenn man den kräftigen Ernst, die biedere Ehrlichkeit und anspruchslose Tüchtigkeit seiner Bewohner kennenlernen will. – Es wird mir gewiss recht viel Vergnügen machen, wenn ich, wie Sie mir schreiben, durch Mitteilungen aus der Residenz mir so viele liebe Menschen verpflichte. Ich habe mir gleich bei Empfang Ihres Briefes Papier und Feder zurechtgelegt und bin schon jetzt – am Schreiben.