Tegel , im März 1835.

Ich erfahre immer nur durch Sie, liebe Charlotte, was man in den Zeitungen von mir sagt. Diesmal enthält es bloß Wahrheit, insofern es von meiner Gesundheit handelt. Bis jetzt hat mir der sonderbare Winter keinerlei Unbequemlichkeit zugefügt, doch hält man ihn für ungesund.

Wie aber die Leute dazu kommen, so oft und ohne alle äußere Veranlassung in den Zeitungen von mir zu reden! Es beweist recht, wie das Privatgeklatsche zur öffentlichen Sache geworden ist, da man nicht die Naivität haben muß zu glauben, daß es aus wahrem Anteil geschehe. Es ist die Sucht, Neuigkeiten mitzuteilen, welcher Art sie auch sein mögen. Ich erinnere mich oft bei solchen öffentlichen Erwähnungen, wie auffallend mir der erste Gedanke daran war. Als ich noch in Göttingen studierte, schrieb mir eine Frau, mit der ich im Briefwechsel stand: jetzt schreibe ich ihr oft, es werde aber eine Zeit kommen, wo sie nur in Zeitungen von mir lesen würde. Es kam mir damals ganz fabelhaft und abenteuerlich vor, daß mein Name in den Zeitungen sollte genannt werden. Man mischte damals noch nicht so häufig wie jetzt Privatverhältnisse den allgemeinen, die Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Ereignissen bei.


Wenn Sie von Goethes nachgelassenen Werken nur vier Bände gelesen haben, so fehlen Ihnen noch elf. Es sind fünfzehn neue Bände seit seinem Tode der damals schon vollendeten Ausgabe der vierzig Bände hinzugekommen. Die Fortsetzung seiner Lebensgeschichte rate ich Ihnen aber sehr zu lesen, sie ist an sich hübsch und anziehend und umfaßt gerade die Zeit, wo Ewald mit Goethe oft in Offenbach zusammentraf, so daß Sie an dieser Epoche ein doppeltes Interesse finden werden, da Sie Ewald oft von dieser Zeit sprechen hörten und Ihre Erinnerungen jener Gespräche mit den Goetheschen Erzählungen vergleichen können. Da er seine Lebenserzählungen selbst Wahrheit und Dichtung nennt, so mag er sich große Freiheit dabei erlaubt haben. Ich glaube nicht, daß diese nachgelassenen Schriften sonst viel enthalten, das Ihnen nützlich oder angenehm zu lesen sein könnte. Zu den optischen und naturhistorischen kann ich Ihnen nicht raten, Sie werden von dieser Lektüre weder augenblickliche Befriedigung, noch irgend ernsthaften Gewinn ziehen.

Sie werden vielleicht in den Zeitungen ein Buch angekündigt gefunden haben, das den Titel führt: Goethes Briefwechsel mit einem Kinde. Wenn Ihnen dies in die Hände fällt, so rate ich Ihnen, es nicht ungelesen zu lassen. Sie werden darin große Unterhaltung finden, und es wird Ihnen nicht entgehen, daß die Verfasserin sehr ausgezeichnet ist durch Geist und Talent. Sie ist Witwe des als Dichter berühmten Achim von Arnim und Enkelin der als Schriftstellerin so bekannten Frau von Laroche; ihre Mutter war die Brentano, deren auch in Goethes Leben so oft erwähnt ist, und die mehrere Kinder hinterlassen hat. Frau von Arnim lebt in Berlin, da ihr Mann in der Nähe Güter besaß. In ihrer ersten Jugend ging sie in Frankfurt am Main viel mit Goethes Mutter um, die sie sehr lieb gewonnen zu haben scheint. Dadurch entstand die Bekanntschaft mit Goethe selbst, anfangs nur durch Briefe, nachher persönlich. Sie hat nun zwei Bände Briefwechsel, teils mit Goethe, teils mit seiner Mutter, und einen Band Tagebuch drucken lassen. Das Hauptthema ist ihre leidenschaftliche Liebe zu Goethe. Nebenher kommen aber andere Erzählungen eigener und fremder Lebensereignisse, Betrachtungen und Räsonnements darin vor. Von Goethe geben uns diese Bände nur etwa dreißig Briefe, von welchen dazu einige nur wenig Zeilen enthalten. Große Anerkennung von Bettinas auch wirklich seltenem Geiste und ihrer wunderbaren Originalität geht allerdings aus diesen Briefen hervor. Der Briefwechsel fällt in das Jahr 1807 und in die zunächst darauf folgenden, wo die Verfasserin zwar gar kein Kind, sondern ganz herangewachsen, aber allerdings sehr jung war. Im ganzen macht das Buch viel Aufsehen und findet viel Beifall, obgleich auch das wirklich Schöne und Geniale immer wieder mit Stellen vermischt ist, die gewiß allgemein mißfallen. Überhaupt ist zu bedauern, daß sich mit der wahren und schönen Originalität so manche Züge wunderlicher Launen vermischen. Über Goethes Mutter enthält das Buch viele und überaus hübsche Details. Diese war, wie es scheint, nicht gerade sehr bedeutend von Geist und Charakter; aber ihre Lebendigkeit, ihre Lust an Menschen und selbst an Vergnügungen, besonders eine gewisse originelle Stimmung mögen doch auf den Sohn eingewirkt haben. Das Arnimsche Buch liefert recht lebensfrische Briefe von ihr. Eine durch Tiefe des Gefühls höchst interessante Erzählung in den Briefen der Frau von Arnim ist die Erzählung des Todes eines Fräuleins von Günderrode, von der Sie gewiß schon gehört haben. Sie brachte sich selbst ums Leben. Eine unglückliche Liebe führte sie zu diesem gewaltsamen Entschluß.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin