Tegel , den 6. November 1830.
Ich habe, liebe Charlotte, Ihren am 26. v. Mts. abgegangenen Brief vor einigen Tagen empfangen und danke Ihnen herzlich dafür. Er ist in einer so ruhigen Stimmung geschrieben, daß er mir dadurch doppelt erfreulich geworden ist. Denn ich bin überzeugt, daß gerade diese Stimmung auch für Sie die beglückendste ist. Der schöne Herbst ist aber auch recht gemacht, der Seele und dem Gemüt so viel Heiterkeit und eine so lebendige Farbe zu geben, als ein jeder nach seinem inneren Zustande in sich aufzunehmen fähig ist. Ich denke, ich erinnerte mich nie eines so schönen und beständigen Oktobers und beginnenden Novembers. Im vorigen Jahre lag um diese Zeit schon Schnee, der dann auch den ganzen Winter liegen blieb. Jetzt ist die Luft milde wie im Sommer, und kaum daß hier und da ein Regentag das wolkenlose Blau des klaren Himmels unterbricht. Gestern leuchteten schon die Steine sehr hell, als ich vom Spaziergange zurückkam, und auch heute war es noch lange nach Sonnenuntergang sehr schön. Die Monatsrosen sind in der reichsten, üppigsten Blüte. Es ist wirklich etwas Ungewöhnliches in dieser Witterung, als wollte der Himmel der Erde eine Entschädigung für den letzten langen Winter angedeihen lassen. Wie sehr ich mich aber auch freue über das schöne Wetter, so liebe ich doch eigentlich den Herbst nicht. Die Entblätterung der Bäume hat etwas so Trauriges und gibt der Natur, die erst überall Fülle, Reichtum und Üppigkeit ist, den entgegengesetzten Charakter der Dürftigkeit. Die herbstlichen Bäume haben auch für mein Gefühl etwas noch mehr Widerwärtiges als im Winter. Dann ist die Zerstörung wenigstens vorüber, im Herbst aber stellt sie sich noch im Werden selbst dem Auge dar. Die armen Bäume sehen so vom Winde gezaust und mißhandelt aus, daß man Mitleid, wie mit Menschen, mit ihnen haben möchte. Im früheren Herbst lieben viele Leute die mannigfaltigen Farben, welche dann das Laub annimmt. Ich habe das oft rühmen hören. Ich selbst aber habe nie Gefallen daran finden können und hätte diese Farbenpracht gern der Natur geschenkt. Wie viel schöner ist das allgemeine Grün des Sommers, und man hätte sehr unrecht, dieses einförmig zu nennen. Es hat vom Zarten und Hellen an bis zum tiefsten Dunkel so mannigfaltige Nüancen, daß auch der Wechsel und die Schattierungen das Auge erfreuen. Diese Farbennüancen sind aber milde und fein und nicht so grell als die herbstlichen Farben.
Die Versicherungen, die Sie mir geben, daß Sie nicht unruhig, nicht bekümmert sind, haben mich sehr gefreut, und ich glaube Ihnen gern. In dem Sinne, in welchem Unruhe und Unzufriedenheit zu tadeln sind, schreibe ich sie Ihnen auch nicht zu. Daß Sie bewegt und leicht gerührt sind, ist natürlich und schön. Auch Müdigkeit am Leben begreife ich sehr, obgleich ich dies Gefühl nie gehabt habe. Allein selbst ohne unglücklich zu sein, kann das Leben leicht Müdigkeit einflößen, ich möchte sagen, es muß es sogar, sobald es dem Menschen aufhört als ein Fortschreiten in irgendeiner Art zu erscheinen und ihm zu einem Rundgange wird, auf dem nun nichts Neues mehr erscheint. Auf diese Weise fühlt man das Nichtige, was das Leben sogleich hat, als man es mit dem höchsten Geistigen vergleicht, was aber verschwindet, solange man es als eine Stufe zu höherem Fortschreiten ansehen kann.
Ich weiß nicht, liebe Charlotte, ob zu einer geistigen Beschäftigung, wie ich Ihnen riet, es so vieler und so absichtlicher Zurüstungen bedürfe. Wie ich Ihnen zuerst davon schrieb, war wenigstens das mein Gedanke nicht. Zu dieser Beschäftigung gehört gerade Freiheit, und die wird durch so planmäßig angelegte Lektüre gehemmt. Mir scheint eine ganz entgegengesetzte Methode viel einfacher. Wozu soll man gerade wissen und lernen? Es ist viel besser und viel wohltätiger, zu lesen und zu denken. Das Lesen soll nämlich bloß den Stoff zum Denken hergeben, weil man doch einen Gegenstand haben muß, einen Faden nämlich, an dem man die Gedanken aneinander reiht. Hierzu braucht man aber beinahe nur zufällig ein Buch, wie es sich findet, in die Hand zu nehmen, kann es auch wieder weglegen und mit einem anderen vertauschen. Hat man das einige Wochen getan, so müßte es einem an aller geistigen Lebendigkeit und Regsamkeit fehlen, wenn man dann nicht von selbst auf Ideen geriete, die man Lust hätte weiter zu verfolgen, Dinge, über die man mehr zu wissen verlangte; so entsteht dann ein eigen gewähltes Studium, nicht ein durch fremden Rat gegebenes. So, dächte ich, hätte ich es alle Frauen machen sehen, die gern in ihrem Innern ein reges geistiges Leben führten. Sehen Sie nun zu, da wir die Sache jetzt besprochen und von manchen Seiten überlegt haben, welchem Vorschlage Sie folgen wollen. Schon das bloße Nachdenken über die Wahl einer Beschäftigung ist selbst eine Beschäftigung, und die Vorbereitungen gewähren schon einen Teil des Nutzens der Sache selbst. Ich werde Ihnen gern bei allem, soviel ich kann, behilflich sein.
Ich bitte Sie, Ihren nächsten Brief am 23. d. M. auf die Post zu geben. Ich wünsche von Herzen, daß Sie gesund bleiben mögen, und wenigstens nichts Äußeres Ihre Ruhe störe. Erhalten Sie sich dann auch die innere, und seien Sie von meiner unveränderlichen Teilnahme und Freundschaft überzeugt. Ihr H.
Die Versicherungen, die Sie mir geben, daß Sie nicht unruhig, nicht bekümmert sind, haben mich sehr gefreut, und ich glaube Ihnen gern. In dem Sinne, in welchem Unruhe und Unzufriedenheit zu tadeln sind, schreibe ich sie Ihnen auch nicht zu. Daß Sie bewegt und leicht gerührt sind, ist natürlich und schön. Auch Müdigkeit am Leben begreife ich sehr, obgleich ich dies Gefühl nie gehabt habe. Allein selbst ohne unglücklich zu sein, kann das Leben leicht Müdigkeit einflößen, ich möchte sagen, es muß es sogar, sobald es dem Menschen aufhört als ein Fortschreiten in irgendeiner Art zu erscheinen und ihm zu einem Rundgange wird, auf dem nun nichts Neues mehr erscheint. Auf diese Weise fühlt man das Nichtige, was das Leben sogleich hat, als man es mit dem höchsten Geistigen vergleicht, was aber verschwindet, solange man es als eine Stufe zu höherem Fortschreiten ansehen kann.
Ich weiß nicht, liebe Charlotte, ob zu einer geistigen Beschäftigung, wie ich Ihnen riet, es so vieler und so absichtlicher Zurüstungen bedürfe. Wie ich Ihnen zuerst davon schrieb, war wenigstens das mein Gedanke nicht. Zu dieser Beschäftigung gehört gerade Freiheit, und die wird durch so planmäßig angelegte Lektüre gehemmt. Mir scheint eine ganz entgegengesetzte Methode viel einfacher. Wozu soll man gerade wissen und lernen? Es ist viel besser und viel wohltätiger, zu lesen und zu denken. Das Lesen soll nämlich bloß den Stoff zum Denken hergeben, weil man doch einen Gegenstand haben muß, einen Faden nämlich, an dem man die Gedanken aneinander reiht. Hierzu braucht man aber beinahe nur zufällig ein Buch, wie es sich findet, in die Hand zu nehmen, kann es auch wieder weglegen und mit einem anderen vertauschen. Hat man das einige Wochen getan, so müßte es einem an aller geistigen Lebendigkeit und Regsamkeit fehlen, wenn man dann nicht von selbst auf Ideen geriete, die man Lust hätte weiter zu verfolgen, Dinge, über die man mehr zu wissen verlangte; so entsteht dann ein eigen gewähltes Studium, nicht ein durch fremden Rat gegebenes. So, dächte ich, hätte ich es alle Frauen machen sehen, die gern in ihrem Innern ein reges geistiges Leben führten. Sehen Sie nun zu, da wir die Sache jetzt besprochen und von manchen Seiten überlegt haben, welchem Vorschlage Sie folgen wollen. Schon das bloße Nachdenken über die Wahl einer Beschäftigung ist selbst eine Beschäftigung, und die Vorbereitungen gewähren schon einen Teil des Nutzens der Sache selbst. Ich werde Ihnen gern bei allem, soviel ich kann, behilflich sein.
Ich bitte Sie, Ihren nächsten Brief am 23. d. M. auf die Post zu geben. Ich wünsche von Herzen, daß Sie gesund bleiben mögen, und wenigstens nichts Äußeres Ihre Ruhe störe. Erhalten Sie sich dann auch die innere, und seien Sie von meiner unveränderlichen Teilnahme und Freundschaft überzeugt. Ihr H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin