Tegel , den 3. Juni 1831.

Ihr Brief vom 22. bis 25. vor. Monats ist mir allerdings so spät zugekommen, daß mich sein Ausbleiben wunderte. Ich wußte diesmal garnicht, welcher Ursache ich Ihr Stillschweigen zuschreiben sollte. Doch hatte ich keine Besorgnis vor Krankheit, weil ich mich darauf verlasse, daß Sie mir, liebe Charlotte, in einem solchen Fall immer, wenn auch noch so wenige Worte sagen werden. Desto mehr habe ich mich jetzt gefreut, einen ausführlichen Brief zu erhalten. Wenn ich dies sage, meine ich nur, daß ich die Blätter von Ihrer Hand immer gern lese, und immer, was Sie betrifft, es sei erfreulich, oder es sei das Gegenteil, mit wahrer und aufrichtiger Teilnahme mitgeteilt erhalte. Denn sonst konnte mich das, was Sie mir darin über den neuen Verlust, der Sie betroffen, und die Stimmung, in welche Sie dieser Trauerfall versetzt hat, nur schmerzlich berühren. Auch ganz ohne die Familie zu kennen, hat der Todesfall dieser jungen Person etwas ungemein Rührendes. Er ist sichtbar eine Folge des Todes der Schwester und der, aus Liebe für die Dahingegangene, zu beschwerlich in der Besorgung der Kinder und des Hauswesens übernommenen Anstrengung. Beides vereinigt hier alles, was das Bedauernswürdige des Falles vermehren kann. Sie sagen, daß ein so früher Tod beneidenswert sei, der eine schöne, reine, frische Blüte bricht, ehe der rauhe Nord sie erstarrt, und Sie kommen auch in einer andern Stelle Ihres Briefes hierauf zurück. Ich erinnere mich sehr wohl, das gleiche Gefühl vor vielen Jahren bei dem Tode meines ältesten Sohnes, eines damals zehnjährigen Knaben, gehabt zu haben. Er starb in Rom, wo er auch an einem schönen Orte unter nun großen schattigen Bäumen begraben liegt. Er war ein wunderschönes, verständiges, gutes Kind und ging aus einer plötzlichen und schnell endenden Krankheit in vollem Frohsein und voller Heiterkeit hinüber. Ich erkenne daher sehr die Wahrheit jenes Gefühls, allein das Leben hat doch auch seinen Wert, selbst wenn es der Freuden weniger gibt oder gegeben hat. Es stärkt die Kraft, es reift das Gemüt, und ich kann mir wenigstens die Überzeugung nicht nehmen, daß das Wichtigste für den Menschen der Grad der inneren Vollkommenheit ist, zu dem er gedeiht. Dazu aber trägt das Leben selbst in seinen Stürmen, und seinen rauhen Stürmen, mächtig bei. Alle diese Betrachtungen sind aber nur bis auf einen gewissen Punkt trostreich und beruhigend. Der Verlust geliebter Personen bleibt in sich unersetzlich, und der Kummer und Gram darum lindert sich, wie ich sehr gut weiß und empfinde, durch keine Betrachtungen, eher noch in manchen Fällen und bei manchen Gemütern durch den ruhigen Verlauf der Zeit. Da Sie schon sehr einsam leben, so begreife ich noch mehr und fühle noch lebhafter, wie dieser unerwartete Verlust Sie auf einmal noch viel schmerzlicher trifft. Wenn die Aufrichtigkeit und die Wärme meiner Teilnahme dazu beitragen kann, Ihrem Kummer Linderung zu gewähren, so zählen Sie mit Sicherheit auf beide. Sie kennen meine Gesinnungen für Sie, Sie wissen, daß dieselben vom ersten Augenblicke an, wo Sie sich nach einer bedeutenden Reihe von Jahren an mich wandten anteilvoll und wohlwollend gewesen sind, ob gleich ich in der ganzen Zwischenzeit nichts von Ihnen wußte, und unsere Jugendbekanntschaft nur das Werk weniger Tage war. Dieser Ihnen aus dem reinen Wunsche, wohltätig und erheiternd auf Sie, Ihre Stimmung und Ihr Leben einzuwirken, gewidmete Anteil wird Ihnen bleiben, und Sie können sich versichert halten, daß er sich bei jedem kleineren und größeren Vorfall Ihres Lebens aufs neue beweisen wird. Je mehr ich in mir selbst lebe, je mehr ich in dem Zustand bin, nichts von außen empfangen zu wollen, je freier ich mich in die Lage versetzt habe, ohne alle Rücksicht jede Gemeinschaft, außer der mit meinen Kindern, zurückzuweisen, desto freier, reiner und forderungsloser ist auch mein Anteil an denen, von welchen ich weiß, daß sie ihn gütig aufnehmen und daß er ihnen Freude macht. Ich sehe und empfinde die Ereignisse des Lebens jetzt mehr in anderen als in mir selbst, ich bin ruhig und in Erinnerungen und Betrachtungen, wenn auch oft wehmütig, dennoch heiter. Meine Freunde und Bekannten, die das wissen, lassen mich gewähren und stören mich in diesem abgeschlossenen Kreise nicht; aber mein Anteil an Ihnen und Ihrem Schicksal ist gleich groß.

Über meine Gesundheit kann ich Ihnen nur Gutes sagen. Ich kann über keine Kränklichkeit, nur über die Schwächlichkeiten klagen, die Sie längst kennen. Sie rühmen, liebe Charlotte, meine feste Hand und freuen sich darüber. Ihr Urteil hierin ist auch mir darum um so wichtiger, als Sie die erste waren, die mich auf die Schwäche und das Zitterhafte meiner Hand aufmerksam machte. Ich wunderte mich damals darüber, wie einer, der etwas von sich erfährt, was er selbst nicht gewußt hat, ich bemerkte aber, daß Ihre Bemerkung ganz richtig war. Ich habe seit dem Winter etwas gebraucht, was das Zittern der Glieder und die Schwäche der Hand heben soll. Gegen das erste hat es sichtbar geholfen, vielleicht auch gegen das letzte, doch glaube ich das eigentlich nicht. Was Ihnen den Eindruck gemacht, schreibe ich mehr der Methode zu, die ich angenommen habe, wie die Kinder auf Linien zu schreiben, dies hält die Züge und die Hand mehr in Ordnung. Mein Arzt schließt aus der Wirkung der verordneten Mittel, daß die Ursache der Schwäche im Rückgrat liegt, und rät zum Gebrauch eines kräftigen Seebades. Ich werde also in diesem Sommer nicht Gastein, sondern Norderney gebrauchen. Sie wissen wohl, daß dies eine Insel ist, welche der Stadt Aurich in Ost-Friesland gegenüber liegt. Meine älteste Tochter wird mich begleiten, und ich werde eine Reise auf eines meiner Güter damit verbinden.


Leben Sie herzlich wohl; mit dem innigsten Anteil der Ihrige. H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin