Tegel , den 23. Mai 1827.

Sie haben mir, liebe Charlotte, mit Ihrem Brief vom 12., 13. und 14. d. M. eine große Freude gemacht, für welche ich Ihnen herzlich danke. Ich habe mit großem Vergnügen daraus ersehen, daß Sie wohl und heiter sind und das schöne und wirklich ungewöhnlich schöne Frühjahr genießen. Sie wundern sich nicht mit Unrecht, daß ich dieses Jahr später, als es die Jahreszeit zu erlauben schien, hierher gegangen bin. Indes pflege ich gewöhnlich erst im Juni die Stadt zu verlassen. Es ist jetzt sehr schön hier, und eigentlich war es vor acht Tagen noch schöner. Es blühte da der lila oder spanische Flieder, der gerade hier in großer Menge und Schönheit ist; er gibt für Auge und Geruch dem Garten immer einen großen Reiz. Ich entbehre das indes wenig, denn ich kann nicht sagen, daß ich gerade auf einzelne Blumen sehr viel hielte. Die ganze Gartenkunst läßt mich ziemlich gleichgültig. Ich suche die großen Bäume, und ziehe noch mehr die eines freien Waldes den gepflanzten vor, und mein Vergnügen am Landleben ist mehr das freie und weite Herumgehen in einer angenehmen Gegend, als das Bekümmern um Pflanzungen und Blumenanlagen. Dies weite Herumgehen und die Freude an Bäumen habe ich nun hier sehr. Um mein Haus unmittelbar herum sind schöne, alte und doch noch in voller Kraft stehende Bäume in bedeutender Menge, und will ich weiter gehen, so habe ich dicht hinter meinem Park einen großen, dem König gehörenden Wald. Die Bäume haben darin etwas so Schönes und Anziehendes, auch für die Phantasie, daß, da sie ihren Ort nicht verändern können, sie Zeugen aller Veränderungen sind, die in einer Gegend vorgehen, und da einige ein überaus hohes Alter erreichen, so gleichen sie darin geschichtlichen Monumenten und haben doch ein Leben, sind doch wie wir, entstehend und vergehend, nicht starr und leblos wie Fluren und Flüsse, von denen sonst das im vorigen Gesagte in gleichem Maße gilt. Daß man sie jünger und älter und endlich nach und nach dem Tode zugehend Geht, zieht immer näher und näher an sie an. Gewiß aber ist es, um diesen Eindrücken offen zu bleiben, notwendig, von Kindheit an oft und anhaltend auf dem Lande gewesen zu sein. Nur auf diese Weise verschwistern sich Gedanken und Empfindungen mit den uns in der Natur umgebenden Gegenständen. Sonderbar aber ist es, daß meine Liebhaberei nur auf die Bäume geht, die, da sie keine eßbare Frucht tragen, gewissermaßen wilde heißen können. Obstbäume haben höchstens in der Blüte einen Reiz für mich. Es gibt zwar sehr große, und deren Wuchs in der Tat malerisch ist. Aber sie sagen mir nichts, ohne daß ich mir weiter einen Grund davon angeben könnte. Es liegt indes vermutlich darin, daß man die Obstbäume gewöhnlich nahe an Gebäuden findet, oder daß sie doch immer die Kunst und Sorgfalt des Menschen verraten, da die Seele und die Einbildungskraft die freie Natur fordert, an welcher der Mensch nichts gemodelt und nichts geändert hat. Es ist schon schlimm genug, daß so oft Bäume, die wirklich auf große Schönheit Anspruch machen können, durch Menschenhände und ewiges Behauen ganz um ihren freien und großartigen Wuchs gebracht werden. So ergeht es z. B. den Weiden. Sie werden, wenn man sie frei und ungehindert wachsen läßt, zu starken, hohen und malerisch schönen Bäumen. Noch in meiner Kindheit gab es in Berlin selbst drei solche wirklich wundervolle Bäume, die aber auch jetzt nicht mehr vorhanden sind. Aber ich sehe, daß ich zwei volle Seiten über meine Liebhaberei an Bäumen geschrieben habe. Wüßte ich nicht, wie gut Sie sind, liebe Charlotte, so müßte ich fürchten, Sie zu ermüden, so aber rechne ich darauf, daß Sie gern lesen, was ich schreibe, meist meinen Ideen gern folgen und sie in sich fortspinnen. Mir ist es ein sehr angenehmes Gefühl, mich so vor Ihnen ganz zwanglos gehen zu lassen, und zu Ihnen zu reden wie zu mir selbst. Aber ich habe Ihnen noch das eine und andere heute zu sagen, so werden Sie diesmal noch einen längeren Brief als gewöhnlich erhalten.

Ihr letzter Brief hat mir darin besonders Freude gemacht, daß Sie meine Meinung teilen in dem, was ich über den Wert einer schriftlichen Mitteilung, wie wir sie in unserm Briefwechsel aufgenommen, sagte. Auch haben Sie darin vollkommen recht, daß ein solcher brieflicher Umgang, der nie unterbrochen wird, zu einer gegenseitigen tieferen Kenntnis des Charakters führt. Wenn es gewiß nur wenige sind, die an einem Briefwechsel, wie der unsrige ist, Gefallen finden würden, so möchten ihn auch vielleicht wenig Frauen führen können. Es sind dazu doch Individualitäten erforderlich, die nicht jedermanns Sache sind, vor allen auch eine Innerlichkeit des Lebens. Ich kenne Frauen, denen niemand Geist absprechen kann, noch absprechen wird, sie besitzen viele und selbst gelehrte Kenntnisse. Im Gebiete der Wissenschaften ist ihnen wenig fremd; sie haben alles gelesen, was in die neuere und frühere Zeit fällt, und selbst die Schriften und Schriftsteller der Vorzeit sind ihnen bekannt, und ihre Unterhaltung ermüdet, und ihre Briefe sind kaum zu lesen. Man fragt wohl, woran das liegt, und die Antwort ist nicht leicht. Gewiß aber ist die Sprache ein Haupterfordernis, und sie ist nicht allen verliehen und in der Tat mehr angeboren als angebildet. Sie haben die Sprache wohl das Kleid der Seele genannt. Es ist das eine ungemein richtige Bezeichnung, die mir sehr gefallen hat. Ihnen, liebe Charlotte, ist die Sprache vor vielen anderen geworden, und wenn auch, wie Sie wohl gesagt haben, Sie mit der neuen, modernen Lektüre unbekannt geblieben sind, zu der Ihnen keine Zeit übrig blieb, indem Sie auch nicht durch Ihre Neigungen dahin gezogen wurden, so hat Ihnen das garnicht geschadet, vielleicht ist das Eigentümliche Ihnen dadurch gerade mehr erhalten. Ich selbst bin auch ganz unbekannt mit diesen Büchern. Es ist aber unverkennbar, daß Sie bei früherer, größerer Muße nur unsere besten Schriften gelesen, ja mit ihnen gelebt haben, so hat sich Charakter und Denkweise zugleich mit Sprache und Stil gebildet. Leben, Wärme und Feuer ist in Ihrer Sprache, die dabei immer einfach und natürlich und nie gesucht oder schwülstig ist. Ich habe Ihnen schon oft Ähnliches gesagt, ohne mich einer Schmeichelei schuldig zu machen. Die Tatsache hegt in jedem Ihrer Briefe und in jedem Heft Ihrer Biographie. Es hat mich garnicht überrascht, daß Sie mir sagen, wie Sie schon sehr früh die Neigung gehabt, in »ernsthafte« Korrespondenz zu treten, die nicht Erzählung von erlebten Begebenheiten, sondern Betrachtungen, Gedanken und dergleichen enthalte. Jede Gelegenheit dazu haben Sie schon als Kind mit einer Art Leidenschaft ergriffen, und Ihre empfangenen Briefchen, wohl geordnet, mit Wichtigkeit bewahrt. Früh schon, wohl mit zwölf Jahren, wären Ihnen manche Briefe übertragen, z. B. in der Familie, auch die Krankenberichte an den verwandten Hausarzt. Überhaupt bemerken Sie, wären Ihnen unter allen Beschäftigungen die mit Crayon und Feder die liebsten gewesen, ob Ihnen doch auch eine vielleicht seltene Kunstfertigkeit in weiblicher Arbeit angeboren sei; gewiß angeboren meinen Sie, da Sie nie in irgend etwas Unterricht bekommen oder auch bedurft haben, da der scharf unterscheidende Blick Ihres Auges hinreichend gewesen, Sie zu belehren. (Diese Fähigkeit, bemerken Sie, wäre in dem letzten Teil Ihres Lebens von der größten Wichtigkeit für Sie geworden.) Ob nun dies Talent oder Kunstfertigkeit Sie auch erfreut habe und Ihnen viel Lob gewonnen, hätten Sie sich doch noch lieber Ihrem kleinen Schreibtisch zugewendet und Auszüge aus allen Büchern gemacht, mit denen Sie nach und nach bekannt geworden.


Ich rufe Ihnen, liebe Charlotte, diese Selbstschilderungen aus einem Heft Ihrer Biographie nicht ohne Absicht zurück. Die frühe Übung im Schreiben mag beigetragen haben, Ihnen eine ungewöhnliche Leichtigkeit, Fertigkeit, Gewandtheit, Richtigkeit und Gefälligkeit des Ausdrucks zu geben, nicht weniger aber sind auch die intellektuellen Kräfte erforderlich, die als Grundlage jenen den Wert geben.

Durch alle diese, sich stets erneuernden Bemerkungen ist schon mehr als einmal der Gedanke in mir erregt, den ich Ihnen heute aussprechen will, über den Sie lachen werden, der aber mein Ernst ist. Hören Sie mich denn aufmerksam an, liebe Charlotte. Ich weiß, wie Sie in jener, nun schon lange vergangenen Zeit, nach den Ihnen leider unersetzt gebliebenen Vermögensverlusten, ganz niedergebeugt waren. Ich habe es nicht vergessen, wie Sie damals mit sich, Verhängnis und Entschlüssen kämpften und endlich, da Sie etwas ergreifen mußten, die Kunstarbeit wählten, mit der Sie Ihre Neigung in einige Harmonie zu bringen dachten. Ich habe nicht vergessen, wie Sie nun unermüdet allen Fleiß und Nachdenken anwendeten und sich so eine seltene Geschicklichkeit gewannen, so daß Ihre Fabrikate den ausländischen gleichgestellt, sehr gesucht und versendet wurden. So gelang es Ihrer Anstrengung und Ausdauer, sich eine unabhängige Selbständigkeit zu schaffen, die Ihnen noch die Freiheit gab, nach Ihrer Neigung ein halb ländliches Leben zu führen. Es macht Ihnen viel Ehre und erregt meine volle und wahre Achtung. Nicht allein das Talent weiß ich zu würdigen, mehr noch die Charakterseiten, die dazu erfordert werden.

Gern möchte ich Sie indes in einer freieren Lage und in Beschäftigungen wissen, worin Sie bei zunehmenden Jahren weniger angestrengt, mehr sich selbst lebten: das müßte, denke ich, zu erreichen sein. Ja, teure Charlotte, ich möchte Sie so gern aus Ihrer sehr angestrengten Lebensweise herausgehoben wissen und weiß zugleich, daß, was für viele andere paßt, doch nicht für Sie ist.

Sie haben sehr oft in Ihren Briefen des schönen Verhältnisses gedacht, worin Sie von Kindheit an, durch alle wechselnden Schicksale Ihres Lebens, bis an sein Grab, zu Ewald gestanden; Sie denken mit gerührter Dankbarkeit des Einflusses, den er auf Sie gehabt, und der unendlichen Teilnahme, die er Ihnen in Rat und Tat durch ein langes Leben trostvoll bewiesen. Hat er nie die Idee in Ihnen geweckt, Vorteil aus Ihrer Feder zu ziehen? Wie viele Frauen taten und tun das, die vielleicht weniger dazu berechtigt sind als Sie. Denken Sie nur an Therese Huber, deren Sie schon mehrmals mit Liebe erwähnt haben, die Ihnen durch gemeinschaftliche Freunde näher bekannt war. Es war wirklich Notwendigkeit, was sie bestimmte zum Schreiben. Anfangs war sie gewiß weniger dazu befähigt als Sie. Sie wenden mir hier vielleicht ein, Therese Huber arbeitete an der Seite ihres Mannes, unter seinem Schutz, Forthilfe und Korrektur. Wenn Sie einen solchen Entschluß fassen auf meinen Rat, so ist es billig, daß ich Ihnen hilfreich bin. Schreiben Sie Ihre Ansichten, Gedanken, Betrachtungen über freigewählte Gegenstände. Ihre eigenen Schicksale und mancher, die Ihnen näher standen, bieten Ihnen gewiß Stoff genug, mehr noch Ihr reiches, inneres Leben, das auch in der sehr einfachen und angestrengten Lebensweise sich nie erschöpfte. Die Schilderungen innerer Seelenzustände gelingen Ihnen ganz vorzüglich.

Denken Sie meinem Vorschlage nach, prüfen Sie Ihre inneren Kräfte, seien Sie nicht zu bescheiden und sagen mir, mit dem Vertrauen, das Sie mir ja immer und unwandelbar so gütig zeigen, und worauf meine Teilnahme an allem, was Sie angeht, auch gerechten Anspruch hat, Ihre Meinung.

Und nun leben Sie herzlich wohl, liebe Charlotte, ich erschrecke selbst über die Länge meines Briefes, aber Sie finden darin einen Beweis der innigen Teilnahme, womit ich Ihnen angehöre und unwandelbar angehören werde. Ihr H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin