Tegel , den 21. September 1827.

Ihre beiden Briefe vom 4. und 15. d. M. sind mir, liebe Charlotte, richtig zugekommen und ich danke Ihnen recht herzlich dafür. Sie haben mir beide besondere Freude gemacht, da sich die Gesinnungen, die Sie mir schenken, darin gerade auf die angenehmste und mir gefälligste Art aussprechen. Es war mir auch eine erfreuliche Überraschung, daß mir der erste dieser Briefe unerwartet kam, also eine liebe Zugabe außer der Regel, weshalb Sie gewiß nicht um Verzeihung bitten dürfen. Ich erbitte mir nur Ihre Briefe auf einen bestimmten Tag, weil Sie das gern haben. Wenn ich neulich äußerte, daß es mir lieber sei, auf den Tag, nicht früher und nicht später, den Brief zu erhalten, so sagt das nicht, daß mir nicht immer einer mehr, welchen Tag er eintreffen möge, angenehm sei.

Was mir am erfreulichsten in Ihrem Briefe ist, ist vor allem das, was Sie mir über Ihre immer zunehmende Heiterkeit und Zufriedenheit sagen. Es ist das ein sicheres Zeichen, daß Ihre Seele jetzt in einer Stimmung ist, die aus einer Ihnen ziemlich zusagenden äußeren Lage und Schicksalen hervorgeht. Erhalten Sie sich so viel als möglich darin, liebe Charlotte. Der Mensch kann immer sehr viel für sein inneres Glück tun, und was er äußeren Ursachen sonst abbetteln müßte, sich selbst geben. Es kommt nur auf die Kraft des Entschlusses und auf einige Gewöhnung zur Selbstüberwindung an. Diese aber ist die Grundlage aller Tugend sowie aller inneren, größeren Gesinnung. Sie sagen in Ihrem Briefe vom 15. September: »Ich weiß, daß alles, was mich eigentlich jetzt beglückt, so bleibt, wie es ist.« Gewiß, liebe Charlotte, dürfen Sie nicht fürchten, daß ich je anders gegen Sie werden würde, als ich jetzt bin. Sie befolgten es einmal, und obgleich auch damals Ihre Besorgnis unbegründet war, konnte sie dennoch damals eher entstehen. Es sind seitdem über zwei Jahre verflossen, und Sie haben gesehen, wie unnötig Ihre Besorgnisse waren, und nicht die leiseste Umänderung eingetreten ist, und das Verhältnis unter uns dadurch zu dem geworden ist, was Ihnen das liebste ist, und die Gestalt angenommen hat, die Ihnen am meisten zusagt. In mir ist eine Änderung wahrhaft unmöglich. Ich nehme den herzlichsten Teil an Ihnen und Ihrem Schicksal, wünsche Ihr Glück, trage gern zu Ihrer Freude bei, gebe gern Ihren Wünschen nach, wo es sich so tun läßt und so geschehen kann, daß ich nicht aus meinem inneren Kreise herausgehe. Für mich erwarte ich nichts, Sie können Ihrem Charakter und Ihren Gesinnungen nach mich nie täuschen, aber ich kann auch von niemandem getäuscht werden, da ich von keinem auf etwas Anspruch mache, mich keinem mit Erwartungen nähere, sondern mein inneres Bedürfnis so mit meinem eigenen inneren Vermögen in Gleichgewicht gesetzt habe, daß sich das erstere nie nach außen zu wenden braucht. Ich kann mit Wahrheit sagen, daß ich nie auf Dank rechne, sondern das, was ich für andere tue, wenn es mir nicht gewissermaßen gleichgültig erscheint, aus Ideen und Grundsätzen fließt, die für mich einen von der Wirkung auf den andern ganz unabhängigen Wert haben. Ich werde auch nie durch etwas gereizt. Was mein Wesen ausmacht, ist abgeschlossen in sich und unabhängig von allen solchen das Leben so vieler kleinlich bewegenden Zufälligkeiten. Ich tadle diese darum nicht; sie haben ihre Weise und ich die meinige. Aber die meinige ist die sicherere und beglückendere. Dabei ist mir jede Anerkennung, jede mir erwiesene Teilnahme, jede mir geäußerte Gesinnung erfreulich, und ich bin gern dankbar. Ich schätze sie besonders als ein Zeichen dessen, was in der Seele derer ist, die sie hegen. Wird nun eine solche anhängliche, treue, verehrende Gesinnung seit langer und sehr langer Zeit, wie in Ihnen, liebe Charlotte, fortgetragen, so steigt natürlich der Wert derselben. Es freut mich daher immer, zu sehen, wie Sie erkennen, daß der nie sich verleugnende Ernst und die in sich geschlossene Festigkeit meiner Ideen, meine Unabhängigkeit von äußeren Dingen, meine Gewohnheit, mein Glück mir nur selbst aus meinem Innern zu schöpfen, über Ihnen schweben, wie Sie gern daran herauf blicken und Ihre Ideen dadurch berichtigt sehen, wo sie einer Berichtigung bedürfen. So wird es auch gewiß ferner und immer bleiben. Mein inniger Anteil, meine Bereitwilligkeit, meine Freude, Ihnen nützlich und erfreulich zu sein, werden Ihnen stets unwandelbar bleiben. Ich bitte Sie, mir den 2. Oktober und nicht später zu schreiben. Der Herbst ist wunderschön; ob er gleich immer unsere sicherste und beste Jahreszeit ist, scheint es mir doch, daß er in diesem Jahr sich selbst übertrifft. Leben Sie recht wohl. Mit der herzlichsten Teilnahme Ihr H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin