Tegel , den 20. Dez. 1833 bis 7. Jan. 1834.

Es ist sehr gütig von Ihnen, liebe Charlotte, daß Sie lieber meine Briefe entbehren wollen als mir zumuten, sie bei dem Zustand meiner Augen und Hand zu schreiben. Ich erkenne es mit doppelter Dankbarkeit, da ich weiß, was Ihnen meine Briefe sind, und daß Sie weit mehr darin finden als wirklich darin liegt. Ich fühle auch, daß Ihre Einsamkeit sie Ihnen noch wertvoller macht, da es nicht immer leicht ist, im Innern ganz allein zu stehen. Ich begreife daher und fühle vollkommen, daß das Ausbleiben meiner Briefe eine bedeutende Lücke in Ihrem täglichen Leben machen würde. Gewiß weiß ich also die Stelle, die Ihr letzter Brief enthält, nach ihrem vollen Wert zu schätzen. Für den Augenblick sehe ich noch keine Notwendigkeit ein, eine Änderung vorzunehmen. Wenn mich, wofür man freilich menschlicherweise nicht stehen kann, nichts Plötzliches befällt, so wird überhaupt ein gänzliches Abbrechen nicht nötig sein. Die Übel, die mir das Schreiben erschweren, sind von der Art bis jetzt, daß sie nur nach und nach und bis jetzt sogar nicht schnell zunehmen. Die Folge wird daher auch nur die sein können, daß ich weniger ausführliche Briefe schreibe, wobei es mir doch auch ein Trost sein wird zu denken, daß Sie weniger Mühseligkeit haben werden zu lesen. Überlassen Sie es also vertrauensvoll mir, abzumessen, was meinen Kräften noch zusagt und wozu sie nicht mehr ausreichen. Ich bin von Natur und durch eigene frühe Gewöhnung tätig und von nicht leicht zu ermüdender Geduld, lasse schwer ab in Überwindung von Schwierigkeiten und gestatte nicht gern der Natur, meinem Willen etwas abzunötigen. Ganz aus eigenem Triebe habe ich als Kind schon mich geübt zu tun, was mir körperlich sauer wurde, und Schmerz und Beschwerde mir nicht aus Weichlichkeit zu ersparen gesucht. Noch danke ich dem Himmel, daß er mir gerade das in die Brust legte. Denn wenn auch die Selbstverleugnung und Übung der Willenskraft garnicht zu den höchsten und größten Tugenden gehören, so kann man sie doch mit vollem Recht zu den nützlichsten zählen. Sie können nicht ganz von wechselnden Fügungen des Schicksals unabhängig machen. Eine solche wahre Unabhängigkeit kann der Mensch auf Erden niemals erlangen, er muß es schon als einen unendlich großen, ihm von der Vorsehung eingeräumten Vorzug ansehen, daß die Unabhängigkeit, die es ihm gelingen kann sich zu erstreben, in seine Gewalt gegeben ist, ja, daß er allein sie sich zu schaffen imstande ist, da sie eine innerliche ist. Wenn man aber recht frei und kühn auf das Ziel zugeht, den äußeren Einflüssen keine Herrschaft zu gestatten, so gelangt man immer weit und kann nicht allem, aber viel im Leben begegnen. Auch im Alter, kann ich mit Wahrheit sagen, suche ich mir das Leben nicht leicht und bequem zu machen, wenn ich den einzigen Punkt ausnehme, daß ich nicht mehr in Gesellschaft gehe: denn das habe ich ganz aufgegeben, selbst für die wenigen Orte, die ich noch, wenn auch schon selten, im vorigen Winter besuchte.

Den 4. Januar 1834. Es ist das erstemal, daß ich die neue Jahreszahl schreibe. Ich hätte früher nie geglaubt, daß ich noch soviel schreiben würde, und noch jetzt, wo ich das Leben schon seit Jahren für das, was mich eigentlich daran knüpft, als geendet ansehe, habe ich weder ein äußeres körperliches, noch inneres geistiges Vorgefühl, daß ich nicht noch mehrere neue Jahreszahlen schreiben würde. Das sage ich nicht im mindesten darum bestimmter, weil ich weiß, daß Sie es gern hören, so gern ich Ihnen auch Freude mache, sondern weil ich es wirklich so fühle. Ungeachtet des sonderbaren Winters ist mein eigentliches Befinden, wenn ich es von den hindernden Beschwerden trenne, so, daß es mir zu keiner Klage Anlaß gibt.


Der Ideenumtausch, von dem Sie in Ihrem Briefe reden, ist wohl sehr hübsch, aber mir ist der Sinn dafür vergangen. Die persönliche Nähe anderer ist mir immer eine Störung meiner Einsamkeit, das heißt jetzt im engsten Sinne meiner selbst. Sie wird mir leicht beunruhigend und kann mir peinigend werden. Ich vermeide daher, soviel ich kann, die Besuche meiner ältesten Freunde und Bekannten, sollte ich auch dadurch lieblos oder unhöflich erscheinen. Es gibt Opfer, die man unrecht hätte zu bringen. Die meisten aber sind diskret und gütig und gönnen mir die Luft des Alleinseins.

Was Sie mir von Paul Gerhard schreiben, hat mich sehr interessiert, und ich werde die Lieder, die Sie mir bezeichnen, nochmals nachlesen. Seine Schicksale waren mir im allgemeinen bekannt, aber nicht in so genauer Beziehung auf die Lieder, die doch hier gerade das Wichtigste ist. Ich schließe jetzt meinen Brief mit meinen herzlichen Glückwünschen für das neue Jahr. Möge dasselbe Sie frei von störenden Ereignissen, in Gesundheit und der stillen heiteren Stimmung erhalten, die das Erfreuliche, wo es nicht zu ändern ist, still hinüberträgt. Mit der innigsten Teilnahme der Ihrige. H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin