Tegel , den 17. Oktober 1825.

Gewiß haben Sie in den letzten September- und ersten Oktobertagen auch die Schönheit des östlichen Sternenhimmels bemerkt. Drei Planeten und ein Stern erster Größe standen nahe beisammen, Mars und Jupiter im Löwen, die Venus später als Morgenstern nahe dem Sirius. Ich bemerke es nur, damit, im Fall Sie den herrlichen Anblick versäumt hätten, Sie ihn noch nachholen können. Am schönsten war es zwischen drei und vier Uhr morgens zu sehen. Ich bin mit meiner Frau fast alle Morgen aufgestanden, und wir haben lange am Fenster verweilt, und haben uns jedesmal nur mit Mühe von dem schönen Anblick losreißen können. Ich habe von meiner Jugend an sehr viel auf die Sterne und das Beschauen des gestirnten Himmels gehalten. Meine Frau teilte, wie die meisten, so auch diese meine Neigung mit mir, und so habe ich mein ganzes Leben hindurch, zu Zeiten mehr, zu Zeiten weniger, in sternhellen Nächten zugebracht. Selten ist aber ein Jahr und eine Jahreszeit so günstig dazu gewesen, als dieser wunderbar schöne, helle und reine Herbst. Ich kann nicht sagen, daß an den Sternen mich so die Betrachtung ihrer Unendlichkeit und des unermeßlichen Raumes, den sie einnehmen, in Entzücken setzt, dies verwirrt vielmehr nur den Sinn, und in dieser Ansicht der Zahllosigkeit und der Unendlichkeit des Raumes liegt sogar sehr vieles, was gewiß nur auf menschlicher, nicht ewig zu dauern bestimmter Ansicht beruht. Noch weniger betrachte ich sie mit Hinsicht auf das Leben jenseits. Aber der bloße Gedanke, daß sie so außer und über allem Irdischen sind, das Gefühl, daß alles Irdische davor so verschwindet, daß der einzelne Mensch gegen diese in den Luftraum verstreuten Welten so unendlich unbedeutend ist, daß seine Schicksale, sein Genießen und Entbehren, worauf er einen so kleinlichen Wert setzt, wie nichts gegen diese Größe verschwinden; dann daß die Gestirne alle Menschen und alle Zeiten des Erdbodens verknüpfen, daß sie alles gesehen haben vom Anbeginn an, und alles sehen werden, darin verliere ich mich immer in stillem Vergnügen beim Anblick des gestirnten Himmels. Gewiß ist es aber auch ein wahrhaft erhabenes Schauspiel, wenn in der Stille der Nacht, bei ganz reinem Himmel, die Gestirne, gleichsam wie ein Weltenchor, herauf- und herabsteigen, und gewissermaßen das Dasein in zwei Teile zerfällt. Der eine Teil, wie dem Irdischen angehörend, in völliger Stille der Nacht verstummt, und nur der andere heraufkommend in aller Erhabenheit, Pracht und Herrlichkeit. Dann wird der gestirnte Himmel, aus diesem Gesichtspunkte angesehen, gewiß auch von moralischem Einfluß. Wer, der sich gewöhnt hat, in dergleichen Empfindungen und Ideen zu leben und oft darin zu verweilen, könnte sich leicht auf unmoralischen Wegen verirren. Wie entzückt nicht schon der einfache Glanz dieses wundervollen Schauspiels der Natur? Ich habe schon oft daran gedacht, daß Ihnen gerade, liebe Charlotte, ein kleines Studium der Astronomie besonders zusagen müsse; wenn Sie es wünschen, will ich Ihnen gern einige Anleitung geben und Ihnen Bücher nennen, die Ihnen behilflich sein können.

Sie fragen mich, ob ich allein oder mit den Meinigen in Burgörner gewesen bin? Wir waren noch in diesem Sommer mit allen unsern Kindern und noch andern Verwandten in Burgörner, so daß im ziemlich großen Hause kein Zimmer zu viel war. Es ist nie meine Art gewesen, in Briefen davon gern zu sprechen, und daher hatte ich auch vergessen, Ihnen zu sagen, ob ich allein gereist sei oder nicht. Ich halte einmal nichts vom Erzählen, Ereignisse und Begebenheiten scheinen mir nur der Gefühle und Gedanken wegen, die sie hervorbringen, interessant. Auch im Gespräch erzähle ich nie, wo ich nicht muß, und trage nichts in meiner Familie, was mich und andere betrifft, herum, um es mitzuteilen. Es hat mir immer eine gewisse Ideenarmut geschienen, wenn man schriftlich oder mündlich aufs Erzählen kommt, wiewohl ich's in andern nicht tadle. Ich bin auch nie der Meinung gewesen, daß es zur Freundschaft gehört, sich mitzuteilen, was einem Frohes oder Schmerzliches begegnet. Es mag dies wohl auch Freundschaft heißen und sogar sein, aber es gibt wenigstens Gottlob! eine höhere, auf Reinerem und Höherem beruhende Freundschaft, die dessen nicht bedarf und, weil sie mit etwas Edlerem beschäftigt ist, darauf nicht kommt.


Ich gehe noch einmal Ihren letzten Brief durch und verweile bei einer Stelle, die mir viel Vergnügen gemacht hat, und die ich mehr als einmal gelesen habe. An das zarte Verhältnis unserer dauerhaften Freundschaft knüpfen sich so manche schöne und, wenn man sie weiter verfolgt, höhere und selbst erhebende Ideen. Ich gehe zuerst davon aus, daß Sie mir diese Empfindungen von früher Jugend her gewidmet und zart gesondert erhalten haben bis ins Alter, ohne irgend eine Absicht, Wunsch oder Forderung daran zu knüpfen. Es gibt also schon hier, unter allem irdischen Wechsel, den Beweis von Dauer, Unvergänglichkeit, und man möchte sogar sagen Unendlichkeit; auf der andern Seite, von Festhalten des Unveränderlichen, von Würdigung des wahrhaft Wertvollen in würdiger Erfassung eines höhern Guts, in Wegweisung kleinlicher, engherziger Beschränkung. Denn gerade diese Engherzigkeit, der man so oft begegnet, und worin sich der, der sie nährt, meist gefällt, beweist die sinnliche Unlauterkeit der Gefühle derer, die dergleichen Schranken bedürfen, um sich dahinter zu verstecken. Die wahre Liebe, die ihrer höheren Abstammung treu bleibt und gewiß ist, erwärmt gleich der Sonne, so weit ihre Strahlen reichen, und erhellt verklärend alles in ihrem lautern Glanz. Endlich erhebt eine solche Erscheinung die Seele in Hoffnung und Glauben. Begleiten uns schon hierin unserer Endlichkeit und Unvollkommenheit dauernde Treue und Liebe, besitzen wir schon hier unentreißbare Güter, die mit uns hinübergehen, die wir nicht zurücklassen werden, wie sollte uns nicht die Hoffnung beseelen und erheben, daß wir im Überirdischen in höherer Klarheit wiederfinden, was uns schon hier beseligen konnte als freie Himmelsgabe. Zählen und rechnen Sie, teure Charlotte, aber auch fest auf die gleiche und unwandelbare Gesinnung, womit ich Ihnen
angehöre. Ihr H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin