Tegel , den 16. Oktober 1828.

Es mag wohl ein Jahr her sein, daß ich Ihnen, liebe Charlotte, nicht von hier aus schrieb. Ich freue mich aber desto mehr, es heute zu tun, und danke Ihnen recht herzlich, daß Sie mich in Ihrem lieben Brief, den ich hier fand, so herzlich beglückwünschen zu der Heimkehr in die schöne, liebliche Heimat. Ja, liebe Charlotte, Sie haben recht, darin eine eigene Freude zu sehen, und es erhöht in der Tat die meinige, daß Sie dieselbe so liebevoll mitempfinden.

Es freut mich sehr, daß fortwährend die Sterne Ihnen eine wohltuende, erheiternde Beschäftigung gewähren, um so mehr, da Sie mir sagen, daß Sie doch oft in einer mehr als wehmütigen Stimmung sich befinden.


Am Himmel werden Sie sich bald orientieren, da Sie einen schönen und weiten Horizont von allen Seiten haben und in Ihren Beobachtungen fortfahren. Außer dem Buche von Bode, das ich Ihnen einmal empfohlen habe, kann ich Ihnen für das Erkennen der Sterne einen Rat geben, der Ihnen gewiß nützlich sein wird. Man muß nämlich den Himmel nach einer gewissen Methode durchgehen und sich große Abteilungen machen. Zuerst müssen Sie suchen, die Sterne recht genau und fest zu erkennen, die bei uns niemals untergehen und nur vor der Helligkeit des Tages verschwinden, sonst aber ihren ganzen täglichen Kreis vor unseren Augen vollenden würden. Sie stehen bekanntlich nur, wie Sie wissen, im Norden und drehen sich um den Polarstern und die beiden Bären herum und sind leicht zu erkennen, da man sie an jedem sternenhellen Abend sieht, und sie zu denselben Stunden in allen Jahreszeiten dieselbe Stelle haben. Zu diesen gehört auch die Capella, deren Sie erwähnen. Zweitens müssen Sie die zwölf Sternbilder des Tierkreises aufsuchen. Man sieht in jeder Jahreszeit immer nur sechs auf einmal am Himmel. Bliebe man eine ganze Nacht auf, so gehen natürlich einige unter und andere kommen herauf. Allein einige werden dann immer vom Tage überholt. Wenn man nur eins recht fest kennt, sind die andern sehr leicht zu finden, da sie wie in einem großen Gürtel um den Himmel herumliegen, man also die Richtung, in der man suchen muß, nicht verfehlen kann, wenn man sich vorher mit der Ordnung und Folgenreihe, vor- und rückwärts, recht bekannt gemacht hat. Die im Winter, im Januar und Dezember, so zwischen sieben und neun Uhr erscheinen, sind schöner als diejenigen, die man zu gleicher Zeit im Sommer sieht. Der Löwe ist ein sehr schönes Gestirn, ist aber jetzt erst in späten Stunden sichtbar. Die Planeten erscheinen immer nur in demselben Gürtel und können diejenigen, die noch nicht recht geübt sind, manchmal sehr irre machen. Allein man lernt sie doch auch bald unterscheiden; kennt man einmal recht fest die nie untergehenden nördlichen Gestirne und die Tierkreiszeichen, so ist es dann leicht, sich für die noch übrigen Gestirne zurechtzufinden. Denn nun macht man sich mit denen bekannt, die zwischen dem Tierkreis und den nie untergehenden Gestirnen, und dann mit denen, die zwischen dem Tierkreis und dem südlichen Horizont auf- und untergehen. Bodes Anleitung zur Kenntnis des gestirnten Himmels hat das Angenehme, daß sie Karten für jeden Monat enthält, auf denen man natürlich die Sterne leichter findet, da jede Karte genau so ist, als der Himmel zu einer dabei angegebenen Stunde an dem Tage, oder wenigstens in dem Monat gerade ist.

Sie sagen sehr richtig, daß das Betrachten des gestirnten Himmels von der Erde abzieht und die Seele mit höheren Ahnungen, Sehnen und Hoffen erfülle, tröste und erhebe. Das tut es im höchsten Grade. Wenn man diese unendliche, unzählige Menge von Gestirnen betrachtet und bedenkt, so scheint es zwar ein ordentlich schaudernder Gedanke, daß eine so ungeheure Menge im Weltall herumschwimmt. Der Mensch fühlt sich darin gleichsam wie erdrückt. Allein die Ordnung und Harmonie, in denen alle Bewegungen vor sich gehen und alle Zeiten hindurch vor sich gegangen sind, ist ein wohltätiges, tröstendes Zeichen einer höheren Macht, einer geistigen Herrschaft, die wieder beruhigt und die Besorgnis tröstend aufhebt. Mit unveränderlicher Teilnahme Ihr H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin