Tegel , den 10. September 1826.

Ich habe, liebe Charlotte, Ihre Briefe, nebst dem mit Ungeduld erwarteten neuen Heft Ihrer Lebensgeschichte empfangen und danke Ihnen recht herzlich dafür. Es sind allerdings wenige Blätter, sie umfassen einen kurzen, aber inhaltreichen Zeitraum, aber ich habe sie nicht nur mit großem Interesse, sondern mit inniger Teilnahme gelesen.

Sie hatten mir schon einmal gesagt, daß, als ich Sie in Pyrmont kennen lernte, Sie eigentlich schon versprochen waren, nur noch nicht öffentlich. Es fiel mir damals sehr auf. Ich hatte, wie wir uns sahen, keine Ahnung davon. Die Art, wie diese Verbindung sich anknüpfte, hat etwas ganz Eigenes und Sonderbares. – Allein, was man in solchen Fällen auch denken und sagen mag, es scheint allerdings, wie Sie sehr richtig bemerken, ein ewiges Verhängnis im Zusammenhang zu walten, worin niemand dem Schicksal entgehen kann, was ihn für seine höhere Bestimmung entwickeln soll, worauf es doch eigentlich ankommt. Ich teile ganz Ihre Meinung, daß es nicht denkbar ist, daß die Vorsehung das, was wir Glück und Unglück nennen, einer Berücksichtigung würdige. So trostlos das auf den ersten Blick scheint, so erhebend ist es zugleich, einer höheren Ausbildung wert gehalten zu werden. Es ist in solchen Schicksalen, wie das Ihrige war und sehr früh begann, ein wunderbarer Zusammenhang. Auch wenn man nicht von andern gestoßen und getrieben wird, wenn man nicht einmal sich selbst recht deutlich machen kann, was einen innerlich stößt und treibt, nähert man sich doch einem Ziele, oder zieht eine Fügung über sich heran, von der man beinahe das Gefühl hat, es sei besser, man stieße sie zurück. Wirklich haben Sie auch weniger getan, sich in das Schicksal, das sich für Sie bereitete, zu verwickeln, als Sie nur sich haben aus Liebe zu Ihrer Freundin gehen lassen, und nicht entgegen gearbeitet. Es ist ungemein häufig der Fall, daß Verbindungen ohne alle Neigung, ja selbst gegen die Neigung, aus allerhand Gründen, mit Empfindungen eingegangen werden; die man oft garnicht in sich tadeln kann, die aber doch bei einem solchen Schritt nicht leitende sein sollten. In mir und nach meiner Weise kann ich mir das zwar wenig begreiflich machen. Mir wäre es durchaus unmöglich gewesen, auch nur den Gedanken einer solchen Verbindung zu fassen, wenn ich nicht wirklich die tiefe Überzeugung der Empfindung gehabt hätte, daß die, mit der ich mich verbände, die einzige sei, mit der ich ein solches Band eingehen könnte. Der Gedanke der Ehe, selbst auf eine recht gute und verträgliche Weise mit gegenseitiger Achtung und Freundschaft geschlossen, aber ohne das tiefe und das ganze Wesen ergreifende Gefühl, das man gewöhnlich Liebe nennt, war mir immer zuwider, und es wäre meiner ganzen Natur entgegen gewesen, sie auf eine solche Weise zu schließen. Es ist zwar wahr, daß die so, wie ich es da von mir sage, geschlossenen Ehen die einzigen sind, in welchen die Empfindungen bis zum Grabe im gleichen Grade, nur in den Modifikationen, welche Jahre und Umstände herbeiführen, dieselben bleiben. Es ist indes doch recht gut, daß diese Art, die Sache anzusehen, nicht die allgemeine ist, da sonst wenig Ehen zustande kommen würden. Auch gelingen so viele Ehen, die anfangs recht gleichgültig geschlossen werden, so daß sich dagegen nicht viel sagen läßt. In Ihrem Fall war es offenbar das Gefühl für Ihre Freundin, das Sie leitete, und das war allerdings ein edles und aus dem Besten und Reinsten im menschlichen Herzen sprießendes. Gerade das aber zeigt sich recht oft, daß die besten, edelsten, aufopferndsten Gefühle gerade die sind, die in unglückliche Schicksale führen. Es ist, als würden durch eine höhere und weise Führung die äußeren Geschicke absichtlich in Zwiespalt mit den inneren Empfindungen gebracht, damit gerade die letzteren einen höheren Wert erlangen, in höherer Reinheit glänzen, und dem, der sie hegt, eben durch Entbehrung und Leiden teurer werden sollten. So wohltätig die Vorsehung waltet, so kommt es ihr nicht immer und durchaus auf das Glück der Menschen an. Sie hat immer höhere Zwecke und wirkt gewiß vorzugsweise auf die innere Empfindung und Gesinnung.


Die Geschichte der geisterartigen Warnung ist sehr sonderbar – sie wurde Ihnen in dem Moment, wie Sie zuerst bestimmt Ihre Zustimmung zu einer Verbindung niederschrieben, die Sie in unendliche Leiden verwickelte. Noch sonderbarer, da sie zugleich eine Todesanzeige Ihrer Mutter war.

Daß Sie wirklich sich haben so rufen hören, ist nicht abzuleugnen. Es ist auch eben so sicher, daß kein sterblicher Mensch Sie gerufen hat in der totalen, abgeschiedenen Einsamkeit, worin Sie die warnende Stimme vernahmen. In sich haben Sie die Stimme gehört, wenn sie gleich Ihr äußeres Gehör zu vernehmen schien, und in Ihnen ist die Stimme erschallt. Es gibt gewiß viele, die das nur als eine Selbsttäuschung erklären würden, die denken, daß der Mensch auf natürlichen Wegen, ohne alle Verknüpfung des Irdischen mit dem Geisterreich, bloß durch die innere Bewegung, die in seinem Gemüt, seiner Einbildung, seinem Blut selbst waltet, so etwas äußerlich zu vernehmen glaubt. Daß es so sein kann, bisweilen so ist, möchte ich nicht leugnen, wohl aber, daß es nicht auch anders sein kann, und bei gewissen Menschen unter gewissen Umständen anders gewesen ist. Sie sagen: Ihrer Seele habe sich in späterer Zeit und nach und nach die Meinung bemächtigt, die Jung-Stilling in seiner Theorie der Geisterkunde (ich habe sie nicht gelesen) aufstelle, daß die uns Vorangegangenen, heller Sehenden, mit Liebe uns Umgebenden, uns oft gern Schützenden, warnend uns erkennbar zu werden suchten, und dies gern, um tiefere Eindrücke zu bewirken, an bedeutende und wichtige Ereignisse knüpften, wo es nur darauf allein ankomme, daß sie sich mit uns in Rapport zu bringen vermöchten, was allein davon abhänge, in welcher Entbundenheit der geistige Zustand von den äußeren Sinnen sich befinde. In diesem entbundenen Zustand, worin sich gewiß niemand eigenwillig bringen kann, glauben Sie vielleicht in jener Stimmung gewesen zu sein, wo Sie über alle gewöhnlichen Rücksichten hinaus Ihre Entschließungen niedergeschrieben haben. Diese Ihre Bemerkungen sind tief gedacht und empfunden. Es gibt unleugbar ein stilles, geheimnisvolles, mit irdischen Sinnen nicht zu fassendes Gebiet, das uns, ohne daß wir es ahnen, umgibt, und warum sollte da nicht auf Augenblicke der Schleier reißen und das vernommen werden können, wozu in diesem Leben keine vernehmbare Spur führt? Sie wurden hier in dem Augenblicke gewarnt, wie Sie einen bis dahin nur Ihnen bekannten Gedanken niederschreiben wollten, einen Federzug tun, der Ihr Leben, in vielfache und unglückselige Verwickelung ziehen sollte, Sie wurden mit der Stimme derer gewarnt, die bald nicht mehr sein sollte, und es wurde, wie Sie bemerken, um sicherer Sie zum Nachdenken zu führen, der Moment bedeutend bezeichnet, da Ihre Mutter gerade in demselben Moment acht Tage nachher starb. Das war offenbar nicht von dieser Welt. Es war eines der Zeichen, die selten, aber doch bisweilen kund werden von dem, was eine im Leben unübersteigbare Kluft von uns trennt. Ich danke Ihnen sehr, daß Sie dies nicht übergangen haben.

Für heute Adieu, liebste Charlotte. Mit unwandelbarem Anteil und Anhänglichkeit der Ihrige. H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin