Tegel , Dezember 1832.

Der Ton der ruhigen Zufriedenheit und selbst einer frohen Heiterkeit, in welchem Ihr letzter Brief geschrieben ist, liebe Charlotte, hat mir eine lebhafte Freude gemacht. Ich hege nun auch die gewisse Hoffnung, daß diese Stimmung bleibend in Ihnen sein wird. Was mich in dieser beruhigenden Ansicht bestärkt, ist, daß Sie sich auch körperlich wohler fühlen, seit Sie sich befreit fühlen von einem sorglichen Kummer, der seit längerer Zeit schwer auf Ihnen lastete, und wodurch Sie nun der Ruhe und Heiterkeit wiedergegeben sind, die ein Gemüt, wie das Ihrige, das mit sich und der Vorsehung eins ist, immer genießen müßte....

Daß eine schon in sich ernste Seele in Zeiten, wo außerordentliche Erscheinungen diesen Ernst vermehren, noch ernster gestimmt wird, ist ganz natürlich. An den Wunsch und das Verlangen, nichts unberichtigt zu lassen, knüpft sich ein moralisches Gefühl, und zwar eins der wesentlichsten und achtungswürdigsten....


Der Mensch fühlt ein Bedürfnis, die großen Ideen, die in ihn gelegt sind, und die er in der Natur ausgeprägt findet, in dem kleinen Kreise seines Daseins nachzubilden, und oft, selbst wenn er ganz anderen, aus dem gewöhnlichen Leben geschöpften Bewegungsgründen zu folgen glaubt, folgt er in der Tat diesem geheimen Zuge, überhaupt ist die menschliche Natur in ihrem tiefen Grunde viel edler, als sie auf der Oberfläche erscheint. Ja selbst in anderen Stücken. Eitle Menschen sind oft in einigen mehr wert, als sie sich selbst glauben.

Sie gebrauchen in Ihrem Briefe den Ausdruck: sein Haus bestellen. Dies ist mir immer eine so passende und gehaltvolle Rede geschienen. Es ist ein altertümlicher, echt biblischer Ausdruck, der, wie mehrere dieses Gepräges, tief aus dem Leben geschöpft ist und tief in die Seele eingreift. Auch längst, ehe ich in die Jahre kam, wo das Bestellen des Hauses wahrhaft dringend wird, habe ich mir dadurch Abschnitte im Leben zu machen gesucht und habe dies immer sehr wohltätig gefunden. Es gibt aber im Innern ein Bestellen seiner Seele, wie im Äußern seines Hauses. Man zieht dann das Gemüt auf einen kleinen Kreis von Empfindungen zurück, übergibt die anderen der Vergessenheit und freut sich der Ruhe in der selbstgewählten Beschränkung. Wenn man dies recht tut, tut man dies nur einmal. Man verläßt dann nicht wieder den Raum, wie man ihn eng umgrenzt und umzogen hat.

Sie rühmen meine Geduld. Sie hat nichts Verdienstliches und hat mir nie Mühe gekostet. Ich möchte sie mir angeboren nennen. Die Zeit, die ich über eine Sache sitzen muß, um sie zu Ende zu bringen, wird mir nie lang.

Sie gedenken bei einem Ereignisse der Vergangenheit Holzmindens im Braunschweigischen. Das hat mir lebhaft eine Erinnerung zurückgerufen. Von diesem kleinen Orte reiste ich 1789 mit Campe nach Paris. Campe kam von Braunschweig, ich von Göttingen aus dahin. Die Reise, die Sie gelesen haben können, da Campe sie herausgegeben hat, war kurz, aber meine erste außer Deutschland. Campe war, wie ich Ihnen schon früher glaube gesagt zu haben, Hauslehrer im Hause meines Vaters, und es gibt noch eine Reihe großer Bäume hier, die er gepflanzt hat. Er hat nicht gerade ein unglückliches, aber ein bedauernswürdiges Ende gehabt. Er war die letzten Jahre seines Lebens ganz blödsinnig. Ich habe bei ihm schreiben und lesen gelernt und etwas Geschichte und Geographie nach damaliger Art, die Hauptstädte, die sogenannten sieben Wunderwerke der Welt usw. Er hatte schon damals eine sehr glückliche, natürliche Gabe, den Kinderverstand lebendig anzuregen....

Ich bin vollkommen wohl, und mir ist in meiner in mir vergrabenen Stimmung sehr wohl. Ich bitte Sie, Ihren Brief an mich wie gewöhnlich abgehen zu lassen, und wünsche von inniger Seele, daß Sie das Jahr gesund und heiter beschließen und ebenso das neue beginnen mögen. Begleiten Sie mich bei dem Wechsel der Jahre mit dem Wunsch, daß mich nichts im Genuß meiner Einsamkeit, die mein wahres Glück ist, stören möge, und machen Sie, daß ich mir Ihr Leben ruhig und zufrieden denken kann. Mit der herzlichsten Freundschaft und unveränderlicheren Teilnahme der Ihrige. H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin