Tegel , April 1832.

Daß Sie im Gemüte sich wieder gestärkt fühlen, ist mir eine große Freude, und noch mehr, daß Sie mir einigen Anteil daran zuschreiben. Ich habe bei unserem Briefwechsel nie eine Absicht für mich gehabt und habe daher alles, was unter uns zur Sprache kam, immer mit völligster Unparteilichkeit in Betrachtung ziehen können. Dann glaube ich aber auch viel mehr als die meisten anderen mir an Talent sonst überlegenen Männer, das, was sich auf den Zusammenhang der Gesinnungen und Empfindungen im Menschen bezieht, studiert und erforscht zu haben. Ich habe von jeher viel an mir selbst gearbeitet und weiß also, was im Herzen vorgeht und vorgehen kann. Ich habe es von jeher an mir selbst nicht leiden können, in meinem inneren Dasein etwas anderes als mich selbst zu brauchen. Darum kenne ich, was Kraft und Haltung zu geben vermag. So begreife ich, was Sie, liebe Charlotte, obgleich Sie es viel zu hoch stellen, von meinen Briefen sagen und rühmen. Es kommt nur von den zwei Umständen her, daß es auf der einen Seite klar und bestimmt gedacht und auf der anderen durch die innere Erfahrung bewährt ist...

Die Unterdrückung des Stolzes ist allerdings lobenswert, und es freut mich, wenn es Ihnen damit so ganz gelungen ist. Der Stolz, den man wirklich nicht aufgeben soll, bleibt jedem Rechtgesinnten dennoch. Diesen sollte man aber nicht Stolz, sondern richtig abgewägtes Selbstgefühl nennen. Es ist eigentlich dies die Erhebung des Gemüts, welche daraus entsteht, daß es fühlt, daß eine würdige Idee sich mit ihm vereinigt, sich seiner bemächtigt hat. Der Mensch ist da eigentlich stolz auf die Idee, auf sich nur insofern, als die Idee eins mit ihm geworden ist.


Man vermeidet die Abwege, wohin der Stolz führt, am leichtesten und sichersten, wenn man sich in allem Tun und Lassen recht natürlich gehen läßt, jede Äußerung des Stolzes streng wegweist, aber darauf nicht weiter Wert legt, sondern es als etwas ansieht, das sich von selbst versteht, wo man Recht haben würde, sich Vorwürfe zu machen, wenn man anders gehandelt hätte.

Es freut mich, daß Sie des Saturns erwähnen. Ich sehe ihn auch in diesen Wochen immer mit Vergnügen. Das Wiederkehren der Planeten nach einer Reihe von Jahren bei denselben Sternbildern hat etwas sehr Bewegendes im Leben. Für den Saturn hat man übrigens, noch von den Astrologen her, eine geringere Zuneigung. Aber den Jupiter erinnere ich mich mehrmals im Löwen gesehen zu haben, das erstemal in einer sehr glücklichen Zeit meines Lebens...

Sie werden, wie es schon hätte früher geschehen sollen, nächstens meinen Briefwechsel mit Schiller empfangen. Vor meinem Briefwechsel werden Sie eine Einleitung über Schiller und seine Geistesentwicklung finden, die Ihnen, wenn Sie seine Schriften dabei haben, zum Leitfaden dienen kann. Ich gehe darin seine Werke von den frühesten bis zu den spätesten durch und zeige, wie er von dem einen zu dem anderen übergegangen und gekommen ist. Auch die Briefe handeln fast ganz von Schillers Arbeiten, die er gerade in jenen Jahren machte und mir nach und nach, wenn ich abwesend war, mitteilte. Schwerlich hat je jemand Schiller so genau gekannt als ich. Es haben ihn sehr wenige so lange und so nahe gesehen. Bei einem Manne wie er, der nicht zum Handeln, sondern zum Schaffen durch Denken und Dichten geboren war, heißt sehen – sprechen, und ganze Tage und Nächte haben wir eigentlich miteinander sprechend zugebracht. Wenn daher auch der Jahre, die wir miteinander verlebten, so viele nicht waren, so war des Zusammenlebens doch sehr viel.

Die Lieblichkeit des Wetters dauert fort, auch fängt alles an zu knospen und zu keimen.

Leben Sie recht wohl. Mit unveränderlicher Teilnahme und Freundschaft der Ihrige. H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin