Regensburg , den 10. September 1829.

Sie sehen, liebe Charlotte, schon an der Überschrift dieses Briefes, daß ich auf der Rückreise von Gastein begriffen bin und ein bedeutendes Stück des Weges zurückgelegt habe. Ich reise aber sehr langsam und mache sehr kleine Tagereisen, weil es mein Grundsatz ist, daß man unmittelbar nach einer Badekur sich besonders in acht nehmen muß, um nicht mutwillig wieder die gute Wirkung zu zerstören. Man kann sich viel eher anstrengen, wenn man erst in das Bad reist. Das Bad muß dann auch das wiedergutmachen, – ich glaube, daß ich noch im Reste des Jahres eine heilsame Nachwirkung davon erfahren werde.

Im höchsten Grade hat es mich geschmerzt, liebe Charlotte, aus Ihrem Briefe zu ersehen, daß Sie von einer plötzlichen Augenschwäche befallen worden sind, und diese mit Schmerzen verbunden ist. Beinahe möchte ich aber das Letzte tröstlich nennen. Soviel ich weiß, sind Schmerzen immer nur mit vorübergehenden Augenkrankheiten verbunden, niemals mit denen, die zu den beiden gefährlichsten, dem grauen und schwarzen Star führen. Mit meinen Augen steht es schlimmer und besser als mit den Ihrigen. Schmerzen habe ich garnicht, bisher niemals, ich mag sie anstrengen oder nicht. Überhaupt habe ich von dem, was man Anstrengung bei Augen nennt, keinen rechten Begriff. Die meinigen sind nicht um ein Haar besser, wenn ich auch wie in Gastein wochenlang nicht viel lese und schreibe, es namentlich nie bei Licht tue, und sie werden nicht schlimmer, wenn ich viel und auch bei Licht arbeite. Mit der Zeit wird sich das vielleicht ändern, aber bis jetzt ist es so, wie ich Ihnen da sage. Allein auf dem rechten Auge habe ich einen schon sehr ausgebildeten grauen Star. Es leistet mir beim Lesen oder Schreiben gar keine Hilfe mehr, und wenn das andere ebenso wäre, so könnte mir mein Gesicht zu nichts mehr dienen, als ganz nahe Gegenstände allenfalls zu erkennen. Dies Übel ist seit vielen Jahren langsam entstanden, nimmt aber seit einigen schneller zu. Was ich mit dem Gesicht ausrichte, tue ich mit dem linken Auge, aber auch das ist schwach und wird es immer mehr. Ich kann auf die Dauer nichts ohne Brille weder lesen noch schreiben, und die Brille, die mir sonst sehr scharf schien, reicht jetzt kaum mehr hin. Wenn ich, wie ich weder wünsche noch glaube, noch lange, ich meine noch acht oder zehn Jahre, leben sollte, so darf ich mir kaum schmeicheln, daß mich meine Augen bis zum Grabe begleiten werden. Eher ist es möglich, daß ich sie, oder doch eins, durch eine Operation wieder erhalte. Ich habe mich sehr oft mit dem Gedanken beschäftigt, daß ich blind werden und bleiben könnte. Denn die Operation gelingt nicht immer. Ich glaube jetzt in mir so vorbereitet zu sein, daß mich dies Ereignis nicht außer Fassung bringen würde. Ich würde es, glaube ich, mit der Ergebung ertragen, mit der der Mensch alles Menschliche dulden muß. Ich würde so viel von meiner Tätigkeit retten, als ich nicht schlechterdings aufgeben müßte, und wenn der Mensch tätig sein kann, ist um sein Glück schon geringere Sorge. Aber die Vorstellung eines Unglücks ist noch immer etwas ganz anderes als das Unglück selbst, wenn es mit der furchtbaren Gewißheit seiner Gegenwart eintritt, und für das größte Unglück, das mich an meiner Person treffen könnte, halte ich Blindheit allerdings. Es ist aber sehr möglich, daß alle jetzige Fassung und Vorbereitung mächtig erschüttert werden und mich ganz verlassen könnte, wenn es käme, daß einmal der Tag erschiene, der mir kein Licht mehr brächte. Man muß auf nichts so wenig vertrauen, und an nichts so unablässig arbeiten, als an seiner Seelenstärke und seiner Selbstbeherrschung, die beide die einzigen sicheren Grundlagen des irdischen Glücks sind. Der Himmel scheint aber den Blinden zum Ersatz eine eigene Fassung und milde Duldsamkeit in die Seele zu flößen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin