Norderney , den 2. August 1832.

Ich bin wieder hier, liebe Charlotte, bewohne wieder die nämlichen Zimmer und führe wieder dasselbe, nicht sehr erfreuliche Badeleben. Ein solcher von Jahr zu Jahr wiederkehrende Aufenthalt hat immer etwas Sonderbares für mich. Er ruft die Frage hervor, ob man im künftigen Jahr wiederkehren wird, und wenn nicht, aus welchem Grunde? Denn das Bad dann entbehren zu können, bin ich nicht so töricht zu erwarten. Ich bin nicht krank, eher gesund. Das, wogegen das Bad wirken kann, ist Altersschwäche, die durch Umstände früher zum Durchbruch gekommen ist. Diese kann eine Kur nicht aufheben, nur mindern. Ich sage dies mit Fleiß, damit sich Ihr freundschaftlicher Anteil an mir nicht Hoffnungen macht, in denen Sie sich notwendig getäuscht finden müßten. Den Erfolg aber, den man mit Recht und Billigkeit sich versprechen kann, glaube ich auch diesmal erwarten zu können. Meine Tochter ist allerdings wieder mit mir hier. Das Bad hat ihr voriges Jahr so wohl getan, daß sie Unrecht getan haben würde, die Kur nicht zu wiederholen. In den Einrichtungen hier ist vieles besser geworden. Daß die Zeitungen gesagt haben, ich sei nach den Rheinprovinzen gegangen, war ein grundloses Gerücht. Sie hätten sich die Mühe, von mir zu reden, ganz ersparen können. Ich bin auf dem gewöhnlichen Wege hergegangen und hasse alle kleinen Reisen und Umwege so gründlich, daß ich mich nicht darauf einlassen würde. Sollte ich einmal eine längere Abwesenheit von Hause nicht scheuen, so würde ich nach Italien oder England gehen, und hiervon möchte ich die Möglichkeit nicht bestreiten, vorzüglich, wenn mein Gesicht schwächer würde und mich am eigenen Arbeiten hinderte. Es freut mich sehr, daß Ihnen mein Briefwechsel mit Schiller Freude gemacht hat. Mir ist es mit dem Buche sonderbar gegangen. Ich hatte den Schillerschen Erben die Herausgabe versprochen. Als sie mich, da darüber mehrere Jahre verflossen waren, dazu aufforderten, war es mir höchst lästig, mich damit zu befassen. Ich mußte den ganzen Briefwechsel durchgehen, um alles auszuschalten, was sich für den Druck nicht geeignet hätte. Dessen war so viel, daß das Ganze gut und gern zur Hälfte zusammenschmolz, und die Arbeit kostete mich einige Wintermonate; dann schrieb ich die Vorerinnerung. Ich erwartete keinen großen Anteil für das Buch, höchstens für einen Teil der Briefe Schillers und für einige wenige von mir. Der Erfolg hat aber meine Erwartungen übertroffen, und es ist viel mehr gelesen worden, als ich dachte, und besonders von Frauen. Viele haben mir davon gesprochen, einige ausführlich geschrieben, und so, daß sie ganz in die Ideen eingegangen waren und einige davon weiter ausspannen. Ich glaube auch nicht, daß, wie Sie meinen, die Briefe gewonnen hätten, wenn sie früher erschienen wären, eher umgekehrt. Ich bin überhaupt gegen alles Drucken von Briefen. Die Herausgabe dieser rechtfertigt nur der Name eines wahrhaft großen Mannes, an den sich der andere mit immer gleich sichtbarer Unterordnung anschließt, so daß man doch immer auch in ihm nur jenen sieht. Briefe haben immer einen Anflug des wirklichen Lebens. Je mehr sie also aus der Ferne erscheinen, desto mehr überraschen sie. Gleich nach dem Tode sind sie eine schwache Fortsetzung der noch in dem Gedächtnis lebenden Wirklichkeit. Nach langer Zeit erscheinend, führen sie Personen zurück, die man nicht mehr gewohnt war, sich mit den Umgebungen zu denken, wie sie das Leben begleiten. Ich dächte auch nicht, daß es störend auffallen könnte, wenn in den Briefen gewissermaßen kunstmäßig beurteilt wird, was man in der Zeit mit Begeisterung aufgenommen hat. In der Dichtung ist wenig oder gar keine Kunst, die erlernt oder studiert werden müßte. Eine solche ist aber auch nicht in den Räsonnements dieses Briefwechsels entwickelt, wenn man einige leicht zu überschlagende Stellen über das Silbenmaß ausnimmt. Beide, Schiller und ich, haben nur gesucht, die Gründe darzulegen, aus welchen das Gefühl entspringt, die Bedingungen, unter denen es entsteht. Wer nun die Gründe wahr findet, in dem müssen sie das Gefühl erhöhen, da sie es mit anderen und gleich großen Ideen in Verbindung bringen. Wem sie nicht zusagen, der wird sich dadurch noch mehr in seinem Gefühle bestimmt finden und sich nun vielleicht durch die Widerlegung leichter die Gründe selbst entwickeln.

Der Stelle in der Delphine erinnere ich mich nicht. Wenn Frau von Staël damit meinte, daß eine in der Jugend geschlossene und bis ins Alter fortgesetzte Ehe das Wünschenswürdigste ist, so bin ich vollkommen derselben Meinung. Ich fürchte aber sehr, sie meinte es anders, und dann ist es eine aus oberflächlicher französischer Ansicht geschöpfte Behauptung. Sie müssen darum nicht glauben, daß ich den Wert der Staël verkenne. Sie war meiner tiefsten Überzeugung nach eine wahrhaft große Frau, und nicht bloß von Geist, sondern durch wahres und tiefes Gefühl und eine sich nie verleugnende, unendliche Güte, und auch von Herz und Charakter. Sie hatte die feinste Empfindung der edelsten Weiblichkeit. Sie war in ihrem Innersten dem eigentlichen französischen Wesen fremd, aber es begegnete ihr doch zu Zeiten, banale französische Anrichten ihren Äußerungen beizumischen, und das ist nicht zu verwundern, da sie immer in Frankreich lebte. Sie hat sogar erst spät Deutsch gelernt, und ich habe sie selbst noch in Paris unterrichtet.


Allein die Ehe mehr ein Bedürfnis des Alters als der Jugend zu nennen, ist ein Einfall, der ebenso der Natur und der Wahrheit, als jeder schöneren Empfindung widerspricht. Die Frische der Jugend ist die wahre Grundlage der Ehe. Ich sage damit gewiß nicht, daß das Glück der Ehe mit der Jugend aufhört oder auch nur im mindesten dadurch verliert. Aber die Erinnerung der zusammen genossenen Jugend muß in die höheren Jahre mit hinübergehen, wenn das Glück vollkommen sein und nicht gerade die Eigentümlichkeit des ehelichen verlieren soll. Diese Ansicht ist nicht als eine sinnliche zu betrachten. Die tiefsten und heiligsten Empfindungen hängen damit ganz enge zusammen, und man müßte aller Liebe den Stab brechen, wenn man dies nicht anerkennen wollte. Ein junges, sich gegenseitig gleich herzlich liebendes Ehepaar ist allemal ein im Tiefsten erfreulicher Anblick, auch in niedrigen Ständen, insofern das Gefühl nur irgend die Feinheit hat, die ihm die Natur in gutartigen Gemütern gibt. Von den in höheren Jahren, über vierzig oder fünfundvierzig, geschlossenen Ehen, zweiten oder ersten, läßt sich das nicht sagen. Man wird sie gewiß nicht tadeln, man läßt gern jedem seine Empfindung, solche Verbindungen können sehr vernünftig, sie können auch für Leute, die einmal keine hohen Forderungen an ihr Gefühl machen, beglückend sein. Wer aber tiefer empfindet, sagt sich, daß er sie nicht eingehen würde. Mann oder Frau wird in solcher Verbindung fühlen, daß, wenn ihm der Gegenstand jugendlicher Liebe entrissen ist, öder er nie einen gefunden hat, er auf ein Glück Verzicht leisten muß, dessen wahre Blüte ihm nicht mehr werden kann. Es wird ihm innerlich unmöglich sein, nach dem so Geringen zu greifen. Ich kann auch nicht in das einstimmen, was man über das Alter sagt. Es kann ein unglückliches und freudenloses geben, wie eine solche Jugend. Aber die Schicksale gleichgestellt, finde ich das Alter, selbst mit allen Schwächen, die es mir bringt, nicht arm an Freuden; die Farben und die Quellen dieser Freuden sind nur anders. Sie entspringen für mich immer ausschließlicher aus der Einsamkeit und der Beschäftigung mit meinen Ideen und Gefühlen. Das nimmt mit jedem Tage in mir zu. Ich fühle mich darin, und nur darin glücklich, und das ist so sichtbar, daß die wahrhaft diskreten unter meinen ältesten Bekannten diese Stimmung stillschweigend, aber durch die Tat ehren. Mir ist sie darum doppelt lieb, da sie mit meinen Jahren und mit meiner Lage übereinstimmt. Verzeihen Sie, daß ich wieder auf mich zurückkomme, aber diese Dinge sind von der Art, daß man nur nach seinem individuellen Gefühl davon reden kann. Wer möchte sich anmaßen, über Fremdes darin abzusprechen?

Über meine Abreise kann ich noch nicht fest bestimmen, bitte Sie aber, mir nach Berlin zu schreiben und so, daß der Brief zwischen dem 26. und 30. August dort anlangt. Mit der aufrichtigsten, unveränderlichsten Teilnahme Ihr H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin