London , den 20. Mai 1828.

Wir sind gestern nachmittag hier angekommen, liebe Charlotte, und sind alle vollkommen wohl. Ich hoffe, Sie haben meinen Brief vom 23. April aus Paris richtig empfangen; ich habe seitdem den Ihrigen, am 8. geschlossenen erhalten und danke Ihnen herzlich dafür.

Seit ich Ihnen aus Paris schrieb, ist es uns recht gut ergangen. Wir haben Paris den 15. d. M. verlassen und sind am 19. von Calais gerade nach London übergeschifft. Man macht die Überfahrt jetzt in Dampfbooten, es gibt selbst für Reisende keine anderen mehr. Es ist auch eine sehr bequeme Manier. Die Schiffe sind groß, haben außer der Anstalt für den Dampf auch Segel, die sie, wenn der Wind günstig ist, auch gebrauchen, und man kommt meistenteils, wie es unser Fall war, in weniger als zwölf Stunden von Calais bis London über. Es war das schönste Wetter, was man denken kann. Die ersten Stunden war die See, da der Wind lebhaft ging, ziemlich hoch, und das Schiff schwankte sehr. Die meisten Personen wurden krank, und viele legten sich zu Bett. Ich habe nie eine unangenehme Empfindung auf dem Wasser, sondern bin immer auf dem Verdeck geblieben und habe mich des wundervoll schönen Anblicks des Meeres erfreut. Vorzüglich groß und schön war der Sonnenaufgang, der mich umsomehr anzog, als ich ihn wirklich noch nie auf dem Meere gesehen hatte. Wir segelten nämlich schon um drei Uhr morgens ab. Hier wohnen wir bei meinem Schwiegersohn und sind also sehr angenehm im Schoße unserer Familie. London überrascht immer aufs neue durch seine Größe, seine Volkszahl und die daraus entstehende merkwürdige Bewegung. Es hat weniger schöne freie Ansichten als Paris, das durch die großen öffentlichen und vielen Privatgärten hier und da ein ordentlich ländliches Ansehen hat. Aber es erregt als Stadt, als an einem Orte zusammengeflossene und sich in beständiger Mannigfaltigkeit und doch im höchsten Wohlsein regende Volksmasse, eine größere Bewunderung.


Wir werden nahe an zwei Monate hier bleiben und dann unsere Rückreise antreten. Allerdings war es und ist es eine große, und unter den Umständen, wie wir sie machten, anstrengende Reise. Aber den Hauptzweck haben wir erfüllt, meine Tochter mit den Kindern an den Ort ihrer Bestimmung gebracht. Das übrige wird ja auch gut gehen.

Es tut mir leid, daß Sie diesen Brief mit einiger Verspätung erhalten werden. Ich kann ihn nicht anders als über Berlin gehen lassen, es ist zu weitläufig, Ihnen das zu erklären, es ist aber so. Schreiben Sie mir auf die gewöhnliche Weise. Ihr H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin