Den 16. Juli.

Ich reise übermorgen von hier ab und gehe wieder über Paris, wo ich mich aber nur acht Tage aufhalten werde. Dann gehe ich nach Gastein und mache vielleicht nur noch einen Aufenthalt in München, wenn der König gerade dort sein sollte, da ich diesen wieder zu sehen wünsche. Ich bin mit meinem Aufenthalte hier sehr zufrieden und nehme wenigstens die Beruhigung mit hinweg, liebe Charlotte, ihn so gut benutzt zu haben, wie es unter den Umständen nur immer möglich war. Ich habe keine Sache ganz versäumt, und diejenigen, welche ein besonderes Interesse für mich hatten, habe ich vollkommen erschöpft. Auch sind wir alle vollkommen wohl. Die Gesundheit meiner Frau hat sich sogar verbessert. Sie ist garnicht in Gesellschaft gegangen, da man hier immer erst um halb acht Uhr und oft später zu Mittag ißt und also die Abend-Gesellschaften nicht vor elf Uhr angehen. Aber sie hat alles gesehen, was Interesse für sie hatte. Das Parlament geht jetzt zu Ende, und die Leute fangen schon an, aufs Land zu gehen, wo sie nun bis zum März künftigen Jahres bleiben. Denn man richtet sich hier nicht nach der Jahreszeit, sondern einzig nach den öffentlichen Geschäften. Auch macht die Jagd, daß jeder gern den ganzen späten Herbst über auf dem Lande bleibt. London wird dann sehr leer, und es gibt dann fast keine Gesellschaften mehr. Die keine Landsitze haben, schämen sich dessen ordentlich und verhängen wohl gar ihre Fenster gegen die Straße, um die Leute glauben zu machen, daß sie auf dem Lande sind. Das Landleben ist aber größtenteils nur ein Verpflanzen der Gesellschaft von der Stadt aufs Land. Dort hat jeder Besitzer eine Menge von Besuchen und macht Einladungen auf mehrere Tage. Auch sind die Engländer auf dem Lande offener und mitteilender als im Getümmel der Geschäfte und den Zerstreuungen der Stadt.

Dem Gottesdienste habe ich hier mit meiner Frau einigemal beigewohnt, er ist mir aber weniger erbaulich erschienen als bei uns. Es werden wohl zwei volle Stunden, ehe die Predigt angeht, mit Ablesen von Stücken aus der Bibel, Hersagen des Glaubens usw. zugebracht. Bei diesem Ablesen wiederholen diejenigen, welche dem Altar am nächsten sind, vorzüglich die Kinder, welche in der Religion unterrichtet werden, die letzten Worte jedes Verses. Dieses hat natürlich etwas sehr Einförmiges und ist auf die Länge wahrhaft ermüdend. Gesang der Gemeinde ist sehr wenig und ebensowenig Orgelspiel, nur kurz und bald wieder abbrechend fallen Gesang und Orgel ein. Die Predigt ist ebenfalls kurz, etwa eine halbe Stunde. Die wir hörten, war äußerst kalt und durchaus nicht, was man erbaulich nennen kann. Wie man mir sagt, ist dies der Ton und die Art der meisten Prediger hier. Dann hat noch das Äußere etwas sehr Störendes. Nur eine Reihe Bänke, etwa der vierte Teil der Kirche, ist für jedermann frei. Die anderen sind verschlossen, gehören aber nicht einzelnen Personen, wie bei uns eigentümlich, wenigstens nicht alle. Nun stehen, wenigstens bis die Predigt angeht, zwei Frauen mitten in der Kirche, mit dem Gesicht gegen die Tür gewandt. Diese weisen jedem, der kommt und es wünscht, einen Platz in verschlossenen Bänken an und empfangen dann, wenn sie die Leute wieder herauslassen, ein kleines Geschenk. Ob sie dies ganz behalten oder etwas davon abgeben, weiß ich nicht. Immer aber ist es widrig, den größten Teil des Gottesdienstes über zwei Personen ohne alle Aufmerksamkeit darauf und mit etwas ganz Weltlichem beschäftigt zu sehen. Freilich ist das Herumgehen mit dem Klingelbeutel bei uns etwas noch mehr Störendes. Indes ist es auch in mehreren Kirchen, wenigstens im Preußischen, abgeschafft.


Etwas ganz Neues für mich waren die Zusammenkünfte der Quäker. Ich hatte, wie ich sonst hier war, sie zu sehen versäumt. Jetzt bin ich in einer gewesen. Der Saal war vor einigen Jahren angebaut, sehr bequem und reinlich, aber ohne alle, auch die geringste Verzierung oder Ausschmückung. Das Licht fiel von oben ein, und weiter hatte der Saal keine Fenster. Die Versammlung war sehr zahlreich, die Männer auf einer Seite, die Frauen auf der anderen. Die Quäker haben, wie Sie gewiß wissen, keine Prediger. Wer Mut und inneren Beruf in sich fühlt zu reden, der steht auf und tut es. Sonst herrscht in der Versammlung eine Totenstille. Wer spricht, tut das entweder von der Stelle aus, wo er ist, oder geht auf einen etwas erhöhten Platz, auf dem aber mehrere zugleich stehen können und der garnicht einer Kanzel gleicht. Als wir darin waren, war es die zwei Stunden, die die Versammlung dauerte, fast ohne alle Unterbrechung still. Indes sprach doch ein Mann und zwei Frauen. Sie sagten nur einzelne, aber selbst, und wie es schien, im Augenblick gemachte Gebete, von ganz kurzen Betrachtungen begleitet. Was sie aber sprachen, war in sich sehr gut, von vielen Sprüchen aus der Bibel begleitet und mit großer Innigkeit und Herzlichkeit vorgetragen. Erst am Ende meines Briefes sage ich Ihnen, liebe Charlotte, meinen herzlichsten Dank für den Ihrigen, den ich zu seiner Zeit richtig empfangen habe, und der wie alle so viel Freundschaftliches, Gutes und Liebes enthält. Sie können unausgesetzt fest überzeugt sein, daß diese Gesinnungen für mich den größten Wert haben und immer behalten werden.

Leben Sie nun herzlich wohl und erhalten mir Ihre liebevollen Gesinnungen, ich verbleibe mit denselben Ihnen wohlbekannten unveränderlich Ihr H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin