Berlin , den 8. November 1826.

Ihr lieber Brief hat mir große Freude gemacht, weil er in den Inhalt meines letzten eingeht und demselben Gründe und Behauptungen entgegenstellt. Es ist sehr natürlich und begreiflich, daß unsere Ansichten bisweilen auseinander gehen müssen; es liegt das zuerst im Geschlecht, dann in der Lebensweise und den einmal angenommenen Gewohnheiten. Ein Mann, und noch mehr einer, der oft in Verhältnissen war, in denen er gegen Gefahr und Ungemach nur bei sich Schutz und Rat suchen konnte, muß mehr von der Selbständigkeit erwarten und mehr auf sie dringen. Er muß sich zutrauen, mehr ertragen, Schmerz und Unglück (von denen kein Mensch frei ist, und zu denen Geschäfte und für andere übernommene Verantwortlichkeit auch empfindlichere Gelegenheiten darbieten, als in einfacheren Lagen vorkommen können) mit mehr Gleichgültigkeit ansehen, um sie mehr durch sich selbst bezwingen zu können. Indes müssen Sie nie denken, daß dies die Teilnahme an fremdem Unglück schwächt, oder daß es hindert zu begreifen, daß jeder die verschiedenartigen Ereignisse des Lebens nach seiner Weise und seiner Eigentümlichkeit aufnimmt. Sind Sie aber auch in vielem von dem, was mein voriger Brief enthielt, anderer Meinung mit mir, so stimmen wir ganz in dem Wunsche überein, eine Anzeige des bevorstehenden Todes zu haben. Bis jetzt denke ich mir den Tod als eine freundliche Erscheinung, eine, die mir in jedem Augenblick willkommen wäre, weil, wie zufrieden und glücklich ich lebe, dies Leben doch immer beschränkt und rätselhaft ist, und das Zerreißen des irdischen Schleiers darin auf einmal Erweiterung und Lösung mit sich führen muß. Ich könnte darum stundenlang mich nachts in den gestirnten Himmel vertiefen, weil mir diese Unendlichkeit fernher flammender Welten wie ein Band zwischen diesem und dem künftigen Dasein erscheint. Ich hoffe, diese Freudigkeit der Todeserwartung soll mir bleiben, ich würde mich dessen, da sie tief in meiner Natur (die nie am Materiellen, immer nur an Gedanken, Ideen und reiner Anschauung gehangen hat) gegründet ist, sogar gewiß halten, wenn nicht der Mensch, wie stark er sich wähne, sehr vom augenblicklichen Zustande seiner körperlichen Gesundheit und selbst seiner Einbildungskraft abhinge. Ich wähne mich aber nicht einmal stark, sondern fordere nur unbedingt von mir, es zu sein. Ich würde daher, bliebe ich wie jetzt gestimmt, den Tod ohne Schrecken herannahen sehen, und mein Bemühen würde nur sein, mit Besonnenheit den Übergang in einen anderen Zustand, so lange es möglich ist, schrittweise zu verfolgen. Darum würde ich auch für mich einen langsameren Tod nicht für ein Unglück erachten, obgleich ein schneller sowohl für den Sterbenden selbst, als für die Zurückbleibenden Vorzüge hat. Ich trage mich auch seit einer Reihe von Jahren, und nach einer Begebenheit, die mich, als ich in Rom war, traf und sehr ergriff, mit dem Glauben, oder, wenn dies zu viel gesagt ist, mit der Ahnung, daß ich nicht anders sterben werde, als bis eine bestimmte Erscheinung es mir vorher verkündet. Wie das nun sein wird, will ich erwarten, aber erwünscht wäre mir, wie Ihnen, die Vorandeutung.

Die biblischen Stellen, die Sie anführen, waren mir, als ich sie nachschlug, wohl bekannt. Sie sind allerdings tröstend, weil sie Hoffnung gewähren, Vertrauen hervorrufen und auf Liebe, die sich erbarmt, zählen lassen. Ich muß aber doch, wenn ich meine innere Empfindung erschließe, sagen, daß gerade die von Ihnen angeführten Stellen nicht diejenigen sein würden, bei denen ich Trost suchen würde. Sie gehören in die Reihe der Verheißungen, Hoffnungen, und in dieser Art in der Zukunft zu leben, ist nie mein Sinnen und Trachten gewesen. Ich habe immer mehr gesucht, mich gleich selbst in der Gegenwart zu bearbeiten, daß daraus soviel mögliche innere Besiegung des Unglücks hervorgeht. Gerade in dieser Hinsicht aber ist das Lesen der Bibel eine unendliche und wohl die sicherste Quelle des Trostes. Ich wüßte sonst nichts mit ihr zu vergleichen. Der biblische Trost fließt, wenn auch ganz verschieden, doch gleich stark, auf eine doppelte Weise im Alten und Neuen Testament. In beiden ist die Führung Gottes, das Allwalten der Vorsehung, die vorherrschende Idee, und daraus entspringt in religiös gestimmter Gesinnung auch gleich die tiefe innere, durch nichts auszurottende Überzeugung, daß auch die Schicksale, durch welche man selbst leidet, doch die am weisesten herbeigeführten, die wohltätigsten für das Ganze und den dadurch Leidenden selbst sind. In dem Neuen Testament hernach ist ein solches überschwängliches Vorwalten des Geistigen und des Moralischen, es wird alles so einzig auf die Reinheit der Gesinnung zurückgeführt, daß was den Menschen sonst innerlich und äußerlich betrifft, wenn er jenem mit Ernst und Eifer nachstrebt, vollkommen in Schatten zurücktritt. Dadurch verliert auch das Unglück und jedes Leiden einen Teil seiner drückenden Einwirkung, und es schwindet auf jeden Fall alle Bitterkeit davon. Die unendliche Milde der ganzen neutestamentlichen Lehre, die Gott fast nur von der erbarmenden Seite darstellt, und in der überall die aufopfernde Liebe Christi für das Menschengeschlecht vortritt, lindert, wie ein wohltätiger Balsam, verbunden mit Christi Beispiel selbst, jeden Körper- und Seelenschmerz. Im Alten Testament kann sich dies allerdings nicht finden. Aber da erscheint wieder, und doch auch immer mehr tröstend als schreckend, die Allmacht und Allweisheit des Schöpfers und Erhalters der Dinge, die durch die Größe und Erhabenheit der Vorstellung über das einzelne Unglück hinaushebt. Leben Sie herzlich wohl. Mit den Gesinnungen, die, wie ich weiß, Sie lieben und die nie in mir ändern werden, Ihr H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin