Berlin , den 22. März 1825.

Ich setze mich mit recht eigentlicher Freude hin, Ihnen zu schreiben, liebe Charlotte, und wünsche von ganzem Herzen, daß Sie dies Blatt körperlich recht wohl und heiter gestimmt finden möge. Bei dieser wunderbaren Witterung, wo der Winter es sich recht aufgespart hat, zum Frühjahr zu kommen, kann es selbst festen Gesundheiten leicht anders ergehen. Die meinige hat Gottlob! bis jetzt keinen Anstoß erlitten, und ich denke, wenn nicht zum Osterfest, doch gleich nachher, nach Tegel zu gehen. Wenn man auch dies Jahr lange auf das Grünwerden der Bäume wird warten müssen, so ist es eine süße Erwartung, wie die alles Guten, das unfehlbar ist, weil es aus einer sich immer gleichbleibenden Güte quillt. Alle Freuden an dem Wechsel der Naturerscheinungen haben das, daß sie zugleich moralische sind für das sie dankbar empfindende Herz. Diese Zuverlässigkeit, die in der Natur liegt und sich schon in ihrer Regelmäßigkeit ausspricht, durch die die gewöhnlichsten Begebenheiten, ja selbst der tägliche Sonnen-Auf- und -Niedergang etwas Großes und Wunderbares erhalten, diese Zuverlässigkeit, sage ich, verbunden mit der Wohltätigkeit alles dessen, was aus der Natur auf den Menschen herabfließt, erteilt allen Empfindungen, die sich auf sie beziehen, eine erhebend beruhigende Fülle der Sanftheit. In unserm rauhen Norden müssen wir freilich den Übergang zum Frühjahr mit bittern Winterempfindungen erkaufen und das Bessere langsam erwarten. Aber dieser große Wechsel hat doch auch seine Vorzüge. Er schafft mehr und etwas Tieferes in dem Menschen, wenn er nach der Düsterheit, die doch immer den Winter begleitet, in die Milde heiterer Frühlingssonne übergeht. Man empfindet das recht, wenn man einige Jahre in südlichen Ländern zubringt. Der Winter ist da eigentlich Frühjahr, und man kann fast nur drei Jahreszeiten unterscheiden, die der großen Hitze, den Sommer, die der Früchte, den Herbst, und die übrigen Monate des Jahres, wo man auch nicht Kälte oder unangenehme Witterung leidet, das Gras auf Angern und Wiesen frisch und schön, und bei vielen immer grünen Bäumen selbst wenige laublos dastehen. So kommt man in den Winter und Frühling, ohne eigentlich eine Veränderung zu bemerken, aber man entbehrt auch des ganzen, bei uns wahrhaft himmlischen Eindrucks, den diese Veränderung auf das Gemüt immer unfehlbar hervorbringt. Die Natur ist es aber auch allein, an der mir der Wechsel der Jahreszeiten bemerkbar wird. Die Menschen pflegen ihn sonst auch noch in ihrer veränderten Lebensweise zu spüren. Das ist nun bei mir nicht der Fall. Ich lebe, einigen Wechsel des Aufenthalts abgerechnet, ziemlich jeden Monat im Jahr auf die gleiche Weise. Es ist dies eine natürliche Folge meines wenigen Ausgehens im Winter und meines ununterbrochenen Arbeitens. Denn wenn Sie die Stunden von 3 bis 5 und von 8 bis 10 des Tages und die Nacht ausnehmen, können Sie sich mich, liebe Charlotte, immer in meiner Stube, und da immer an meinem Schreibtische sitzend, denken. Da die wenigen Gesellschaften, die ich besuche, auch noch meistenteils in die eben bezeichneten Stunden fallen, so gibt es kaum Ausnahmen. Je tiefer man in höhere Jahre tritt, je mehr reizt, wenn man dessen einmal fähig ist, der Ernst der Gedanken. Man kann sogar ohne Übertreibung sagen, daß das das Einzige ist, was uns dann noch reizt. Und dieser Reiz steigt mit der Beschäftigung selbst. Es entspringt eines aus dem andern, es entspinnt sich neu zu Denkendes aus bisher Halbgedachtem, oder nur Geahntem. Man wird dadurch, von dieser Seite will ich zwar diese Art des einsamen Denkens nicht unbedingt loben, man wird dadurch nicht anziehender für andere, man grenzt sich vielmehr mehr ab, man weist gewisse Dinge zurück, man hat überhaupt eine Neigung und ein Bedürfnis, sich und seine Ansicht herrschend zu machen, und zieht sich leicht, wenn es auch nicht zu billigen wäre, zurück, wo man sieht, daß sie keinen Eingang findet, man fühlt gewissermaßen, daß man nur noch in einem gewissen Gleise fortgehen kann, und verlangt daher, daß die, welche einen noch begleiten wollen, sich demselben fügen. Alles das mag seine Unbequemlichkeiten haben, allein alles Menschliche ist damit verbunden, und jenes beschauliche Leben in sich selbst, das sich seinen Kreis schließt und diesen Kreis nie wieder verläßt, hat und gewählt einen solchen Ersatz, daß man sich doch darum nicht davon trennen würde. Ja, wenn es recht die Weise erreicht, mit der sich ein sonst gut geartetes und tieferes Gemüt wahrhaft beruhigt, so darf man sich sogar aus Pflicht nicht davon trennen. Denn aus diesem nach eigenen Entschlüssen und eigener Wahl begonnenen Verfolgen von Ideen entsteht immer etwas, das weiter und wichtig wirkt, und ohne die Selbständigkeit des Mannes ist eine freie Anwendung seiner Tätigkeit nicht zu denken.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin