Berlin , den 12. März 1824.

Ich habe Ihre Blätter vom 21. v. M. erhalten und danke Ihnen auf das herzlichste dafür. Es hat mir aber leid getan, zu sehen, daß Sie sich wieder vergebliche Besorgnis und Unruhe gemacht hatten. Sie müssen das möglichst vermeiden, liebe Charlotte, und darin eine größere Herrschaft über sich gewinnen. Ich sage Ihnen das gewiß nur zu Ihrem Besten und zur Beförderung Ihrer inneren Ruhe. Es ist so vielen Zufälligkeiten unterworfen, ob ein Brief einige Tage früher oder später geschrieben wird, ob er länger oder kürzer geht, daß, wenn eine solche Erwartung gerade einmal nicht zutrifft, Sie darum sich nicht beunruhigen müssen. Ich erkenne gewiß den ganzen Wert der Gesinnungen, die Sie gerade für mich besorgt machen, allein ich bin vollkommen wohl, und Sie brauchen auf keine Weise für mich zu fürchten. Ich lebe den ganzen Tag mit ernsthaften und mir wichtigen Dingen beschäftigt, ich verlasse kaum mein Zimmer als in den späten Abendstunden und bin ruhig, tätig und heiter. Bei solcher Stimmung würde sich selbst eine schwächliche Gesundheit erhalten. Die meinige aber ist bisher sehr gut gewesen. Ich weiß freilich, daß sich das sehr leicht und von einem Jahre, ja Tage zum andern ändern kann, indes für jetzt ist kein Anschein dazu. Wenn es kommen wird, bin ich auch darauf vorbereitet. Auf meine Stimmung wird selbst Kränklichkeit keinen Einfluß haben, ich habe mich von früher Jugend an gewöhnt und geübt, gegen mich selbst hart zu sein und meinen Körper als etwas meinem eigentlichen Selbst Fremdes anzusehen. Meinen Beschäftigungen werde ich schon eine Wendung geben können, daß ich sie nicht aufzugeben brauche, wenn sie auch gestört werden, und so dürften Sie sich wirklich mich auch dann nicht unglücklich denken, wenn einmal der Fall käme, daß ich wirklich leidend würde. Es freut mich sehr, aus Ihrem Briefe zu sehen, daß auch Sie im ganzen leidlich wohl sind, und der sonderbare Winter Ihnen nicht geschadet hat, wie ich zuweilen fürchtete. Ich liebe im Grunde die Abwesenheit von strenger Kälte so, daß ich die andern Unannehmlichkeiten, die ein so gelinder und wechselnder Winter allerdings mit sich führt, leicht übersehe. Die recht eigentliche Kälte hat etwas mehr als bloß physisch Erstarrendes, es kommt einem ordentlich vor, daß Menschen ihr nie ausgesetzt sein sollten, sie gibt der Natur selbst ein so einförmiges Ansehen und hat etwas wahrhaft Unbarmherziges für die Armen. Das niedrige Volk, das nur wenig Mittel herbeischaffen kann, ist schon darum viel glücklicher in südlichen Ländern, weil es wenigstens von dieser Plage befreit ist. – Sie haben mir, liebe Charlotte, sehr lange nichts von Ihrer Lebensschilderung geschickt, vermutlich ist der Winter mit seinen Geschäften und kürzeren Tagen daran schuld. Wenn Sie aber Muße und Stimmung haben, so ist es, wie ich Ihnen oft und immer sagte, mein Wunsch, daß Sie fortfahren, wenigstens bis zu Ihrer Verheiratung. Hernach will ich Sie dann weder bitten noch bereden.

Ich war heute einige Stunden in Tegel, und so wenig günstig das Wetter war, so hat es mir doch Vergnügen gemacht. Die Annäherung des Frühjahrs spürt sich immer und bringt auch in den Menschen eine Art von Erneuerung. Man ist lebendiger, man glaubt einem neuen Lebensabschnitt entgegen zu gehen und vergißt gewissermaßen, daß die schöne Gestalt, die die Natur nun wieder annimmt, nur wenige Monate dauern und dann dasselbe wiederkehren wird, dem man sich jetzt entgangen zu sein freut. Wenn das aber auch eine Art von Selbsttäuschung ist, so bleibt es das ganze Leben hindurch eine immer und immer gleich freudig wiederkehrende. Seit meinen Kinderjahren erinnere ich mich des gleichen oder wenigstens ganz ähnlichen Gefühls. Da Sie in einem Garten wohnen, werden Sie diese Gefühle auch gewiß teilen. Denn in der Stadt gehen freilich die Jahreszeiten in traurigem Einerlei an einem vorüber.


Mit den Ihnen bekannten unveränderlichen Gesinnungen der Ihrige. H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin