Berlin , den 10. April 1827.

Ich habe Ihren Brief, liebe Charlotte, den Sie nach meinem Wunsch am 3. abgeschickt haben, richtig erhalten und danke Ihnen herzlich dafür. Der heitere, zufriedene Ton, der darin von der ersten bis zur letzten Zeile herrscht, hat mir eine ganz besondere Freude gemacht. Es scheint mir aber, als wären Sie schon seit längerer Zeit viel gleichförmiger gestimmt als im Anfang unseres brieflichen Umgangs. Es ist sehr gütig und liebevoll von Ihnen, und gereicht mir zur Freude, daß Sie es dem Einfluß zuschreiben, den Sie mir so willig gestatten. Das Verdienst ist auf Ihrer Seite; Ihre Seele ist so klar und empfänglich wie Ihr Gemüt, und so sind Sie jeder Überzeugung und jeder Wahrheit immer offen. Ich liebe die Heiterkeit ungemein. Es ist nicht gerade die laute, die sich wie genießende Fröhlichkeit ankündigt, sondern die stille, die sich so recht und ganz über die innere Seele ergießt. Ich liebe sie in anderen und mir vorzüglich der größeren Klarheit wegen, die in der Heiterkeit immer die Gedanken haben, und die für mich die erste und unerläßliche Bedingung eines genügenden Daseins im Leben für sich und im Umgange mit anderen ist. Die Wehmut führt auch bisweilen eine und oft noch größere Klarheit mit sich. Man sieht und empfindet die Dinge in ihrer Nacktheit, wenn das Gemüt so tief in sich bewegt ist, daß der Schleier zerreißt, der sie sonst verhüllt. Aber es ist dies, wie ich es nennen möchte, eine schmerzliche Klarheit, die teuer erkauft werden muß, und sie zeigt die Gegenstände auch nur im Augenblicke und vorübergehend, wie man auch augenblicklich in die Tiefe des Himmels schaut, wenn der Blitz die Wolken zerreißt. Davon ist die leichte Klarheit ruhiger Heiterkeit himmelweit verschieden. Diese zeigt die Dinge teils, als gingen sie fremd vor einem vorüber, teils als besitze man Stärke genug, sich nicht von ihnen bewegen zu lassen. Auf beide Weisen geht die Masse der Ereignisse wie ein Schauspiel vorüber, und das ist eigentlich die des Menschen würdigste Art, sie anzusehen, ohne lange bei ihnen zu verweilen oder sich gar in sie zu vertiefen, immer eingedenk, daß es ein ganz anderes und würdigeres geistiges Gebiet gibt, in dem der Mensch wirklich sich heimatlich zu fühlen bestimmt ist. Wenn man das Fremde so nimmt, und dasjenige, was Anteil der Freundschaft und Zuneigung nur in der Tat zur Wirklichkeit macht, die sich auf keine Weise mehr als Schauspiel behandeln läßt, nicht mehr bloß die Phantasie und den Gedanken in Anspruch nimmt, sondern warm und lebendig das Herz ergreift, so behandelt man das Leben vielleicht auf die unter allen zweckmäßigste Art. Es ist mir für die Erhaltung und Fortdauer Ihrer Heiterkeit, liebste Charlotte, sehr lieb, daß Sie sich mit dem Plane Ihrer kleinen Reise beschäftigen. Es würde Ihnen diese Beschäftigung selbst zur Entschädigung dienen, im Fall sich der Ausführung des Projekts etwas entgegenstellte. Ich kann mir aber das nicht denken, da die Sache so ungemein einfach ist. Was Sie mir in Ihrem letzten Briefe über Offenbach sagen, hat mir viel Vergnügen gemacht. Ich wußte nicht, daß der Isenburger Hof das ehemalige Haus der Frau von Laroche war. Es ist sehr hübsch und sehr natürlich von Ihnen, daß Sie alles lebhaft bei Ihrem Dortsein und Wohnen in dem Hause interessierte, so daß Sie bei allen Details verweilten, da die Schriften der Laroche, wie Sie mir sagen, Ihnen in der Jugend nicht nur großes Vergnügen gewährten, sondern bildend auf Sie wirkten. In gut gearteten Gemütern bewahrt und erhält sich dann eine dankbare Anhänglichkeit. Gerade der Garten, von dem Sie reden, ist das einzige, dessen ich mich deutlich erinnere. Ich sah die Frau von Laroche zum letzten Male darin, als ich im Jahre 1801 mit meiner Frau und Familie aus Paris zurückkam. Es war eine Laube im Garten, in der wir saßen. Sie erinnern mich an das, was Goethe in seiner Biographie, Wahrheit und Dichtung, von der Familie Laroche sagt, wo er bei seiner Rückkehr von Wetzlar nach Frankfurt dort mehrere Tage einkehrte und freundschaftlich aufgenommen war. Sie sind, wie es scheint, nicht ganz zufrieden mit Goethe und der Art, wie er die würdige Frau und die übrigen Familienmitglieder darstellt.

Leben Sie für heute herzlich wohl, und schreiben Sie mir doch den 24. d. M. Mit der herzlichsten und immer unveränderlichen Teilnahme Ihr H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin