Bad Gastein , den 5. August 1827.

Der Ort hier liegt schon den höchsten Bergen Deutschlands sehr nahe. Man befindet sich selbst hier im Bade 2000 Fuß über der Meeresfläche. Das Tal ist überaus lieblich und schön. Von Salzburg hierher geht eine sehr große, sehr bequem angelegte Straße. Doch ist das Tal sehr enge. Im Grunde dankt man dies Tal nur dem Lauf des Flusses, welcher darin sein Bett hat. Von Salzburg aus ist es den größten Teil des Weges über die Salza, einige Meilen von hier aber die Ache, die in die Salza fließt. Sehr selten aber kann der Weg neben dem Fluß in der Talebene hinlaufen. Meistenteils hängt er hoch an dem Felsen und geht nur da hinunter, wo er sich mittels einer Brücke auf die andere Seite des Flusses schlägt. An den Felsen hinlaufend, ist er mit hohen Mauern, mitunter nur auch mit hölzernen Pfeilern gestützt. Dieser Weg dauert aber nur bis in das Bad. Hier streckt sich eine Bergkette quer vor. Von hier weiter kann man nur mit ganz kleinen Landwagen noch etwa eine Stunde weit fahren, nachher nur mit Lasttieren oder reitend übers Gebirge kommen. Dies macht eben den schönen Anblick des Ortes, da man, wenn man mit dem Gesicht gegen das Ende des Tales steht, mehrere Stufen von Bergen übereinander sieht, deren unterste mit dunkeln Tannen bewachsen und die obersten mit Schnee bedeckt sind. Unmittelbar an diesem Berge liegt das Haus, wo wir mit anderen Badegästen wohnen, und das ein vom letzten Erzbischof von Salzburg gebautes Schloß, aber weder prächtig noch groß ist. Über diese das Tal beschließende Bergreihe fällt nun die Ache, und bildet einen in seiner ganzen Länge sehr hohen, aber eigentlich aus mehreren einzelnen Fällen bestehenden Wasserfall. Die ganze Höhe beträgt 630 Fuß. Von beiden Seiten ist er von steilen Felsen eingeschlossen, über die aber an einigen Stellen der Schaum in der Ferne sichtbar hervorspritzt. Die Lage des Schlosses ist darin wunderbar und für mich sehr angenehm, daß die Hinterseite so nahe an dem Felsen und dem Gebirge liegt, daß man keine volle zwei Schritte Raum hat. Die Vorderseite, die nach dem Orte zu liegt, hat hingegen eine hohe Treppe, die vom Platz in das untere Stockwerk führt. Hinten herum gehen Treppen und kleine mit Geländern versehene Pfade den Berg hinauf, neben dem Wasserfall hin; dieser ist kaum zwanzig Schritte vom Hause entfernt, und macht ein großes, donnerartiges Getöse, das die Badegäste vom Augenblick ihrer Ankunft bis zur Abreise nicht einen Moment verläßt. Vielen, besonders nervenschwachen Personen ist dieser Lärm sehr zuwider, sie machen weite Spaziergänge, um sich auf Augenblicke davon zu befreien, können nicht schlafen und haben ein großes Wesen damit. Mir tut er nichts, vielmehr habe ich ihn gern. Ich bewohne das Zimmer, dem er am nächsten ist, und arbeite und schlafe vortrefflich. Das einzige Unbequeme ist, daß, wenn man Besuch hat, man, um sich vor dem Rauschen zu verstehen, viel lauter, als sonst angenehm ist, reden muß. Die kleinen Felsenwege hinter dem Schloß führen auf eine über den Wasserfall weg an seinen höchsten Punkt gehende Brücke. Man hat dieser sehr unrichtig den Namen der Schreckensbrücke gegeben. Sie ist angenehm und gewährt einen lieblichen und ewig den Blick anziehenden Anblick, hat aber im geringsten nichts Schreckliches. Geht man über diese Brücke, so steigt man noch eine Zeitlang zur Seite der eben ihrem Fall zustürzenden Ache und gelangt dann in ein viel freieres Tal als das hiesige, das von noch höheren Bergen umgeben ist. Es ist meiner Empfindung nach bei weitem nicht so malerisch als das hiesige, aber man kann eine große Strecke lang ohne zu steigen fortgehen, weshalb ich es gern zu Spaziergängen wähle, auf denen ich mich mehr mit mir als mit der Gegend beschäftigen will. In dem Teile des eigentlichen Bades, das der Vorderseite des Schlosses gegenüberliegt, sind sehr schöne Pfade und Gänge aller Art, aber kein Platz, wo man nur 200 Schritte ohne hinauf oder hinab zu steigen gehen könnte. Für Personen, die an den Füßen leiden, ist das schlimm, da es ihnen leicht an Bewegung mangelt. Indes wird auch die Bewegung hier garnicht als notwendig zur Kur angesehen. Man legt sich vielmehr gleich nach dem Bade auf eine oder zwei Stunden ins Bett, und es wird für zuträglich gehalten, wenn man schläft. Die ersten Tage, ehe man die Wallung und Aufregung des Bades gewohnt wird, will das nicht gelingen, jetzt aber schlafe ich immer. Ich bade nämlich schon um vier Uhr morgens. Man bleibt gewöhnlich eine Stunde im Bade. Die Quelle ist sehr heiß, wohl 40 Grad Hitze; man läßt es früh ein, damit es abkühlen kann; 27 bis 28 Grad ist die gewöhnliche Badewärme. Getrunken wird das Wasser auch, doch ist das Baden die Hauptsache. Einigen bekommt auch das Trinken nicht. Ohne den Wasserfall wäre das Tal seiner größten Schönheit beraubt. Ich kann stundenlang dabeistehen und dies Treiben, Kochen und Sprudeln mit ansehen, in dem sich das Wasser bis zu bloßem Schaum verarbeitet. An den weniger jähen Stellen rollt es dann in länglichen, grünen Wölbungen fort, deren Säume nur mit Schaum eingefaßt sind, und überall ist eine Eile, eine Emsigkeit, als gelte es das Leben, das ruhige und stille Tal zu erreichen. Ich habe in der Schweiz und Italien viel größere und eigentlich auch schönere Wasserfälle gesehen, der hiesige gehört doch nur zu den kleineren. Aber seine Länge und die Verschiedenheit, bald senkrecht steiler, bald bloß einer mehr und minder schiefen Fläche ähnlicher Abhänge, gibt ihm wieder eine Mannigfaltigkeit, welche jene nicht haben. Ich bin in meiner Erzählung sehr ausführlich gewesen, weil ich weiß, daß es Ihnen an sich interessant sein wird, noch mehr aber, weil ich gewiß bin, daß Sie mich gern mit Ihren Gedanken begleiten und darum gern ein anschauliches Bild von einem Ort empfangen, der, soviel ich weiß, noch wenig beschrieben ist. Sie sehen zugleich, die Sie meine Neigung, mich an einer schönen Gegend zu erfreuen, kennen, daß mir die Zeit recht angenehm hingeht.

Auf der Herreise besuchte ich auch München und blieb vier Tage dort. Es ist von Kunstschätzen sehr viel und unendlich Schönes da zu sehen. Der König hat sehr viel antike Statuen und Gemälde zusammengekauft und läßt Gebäude mit königlicher Pracht aufführen, um sie darin aufzustellen. Dem Klima nach ist allerdings, wie Sie sagen, München keine angenehme Stadt. Im Sommer kann man das zwar nicht eben merken, allein es liegt auf einer sehr hohen Fläche und hat daher nicht bloß einen sehr strengen Winter, sondern auch sehr scharfe und unangenehme Winde. Vorzüglich klagt man über die Frühjahre und Herbste. Die unmittelbare Gegend rund herum ist auch nicht schön, sondern eher häßlich zu nennen. Bloß der englische Garten gewährt einen angenehmen Spaziergang und ist eine wirklich schöne Anlage.


Leben Sie recht wohl. Mit herzlicher Freundschaft und Teilnahme Ihr H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin