Bad Gastein , den 14. September.

Ein einfach ruhig zufriedenes Stilleben, wie Sie es genießen und sich nach Ihrer Neigung geschaffen haben, ist eigentlich das Höchste, was der Mensch besitzen kann. Es ist meiner innersten Empfindung nach nicht nur dem nach außenhin mannigfach bewegten Leben vorzuziehen, sondern auch wirklicher innerer, aber nur augenblicklich erscheinender Freude wenigstens gleichzusetzen. Die Stille und Ruhe gönnen dem inneren Sein eine tiefere Macht und ein freieres Walten, und es ist immer, meiner aus langer Erfahrung geschöpften Überzeugung nach, besser, wenn das Innere nach außen, als wenn umgekehrt das Äußere nach innen strömt. Es scheint zwar wohl, als könnte sich das Innere nur von außenher bereichern und befruchten; allein dies ist ein trügerischer Schein. Was nicht im Menschen ist, kommt auch nicht von außen in ihn hinein; was von außen in ihn eingeht, ist nichts als ein zufälliger Anhalt, an dem sich das Innere, aber immer aus seiner nur ihm angehörenden eigentümlichen Fülle entwickelt. So wie ein tiefer und reicher Gehalt inwendig vorhanden ist, so kommt es niemals so viel auf den äußeren Anlaß der Entwicklung an. Jeder, auch der kleinste, ist hinreichend, da hingegen bei mangelndem inneren Gehalt auch der reichlichste äußere Zufluß wenig oder nichts hervorbringen würde. Ich habe dies oft in Absicht von wissenschaftlichen Kunstkenntnissen gesehen. Bei Männern ist weniger zu bemerken, da sie diese Kenntnisse sehr oft wieder nur zu äußeren Zwecken anwenden und man weiter nun nichts gewahr wird, oder danach fragt, wie dieselben auf ihr Inneres gewirkt haben. Aber bei Frauen ist das anders, und da sind mir mehrere vorgekommen, die wirklich recht viele und in gewisser Art sogar gelehrte Kenntnisse hatten, aber in ihrem Geist und Gemüte, also in ihrem ganzen Innern darum nicht mehr gebildet, wenigstens nicht mehr bereichert waren, als wenn ihnen das alles gefehlt hätte. So sehr kommt es darauf an, daß das Innere dem äußeren Objekt, welches es in sich aufnimmt, auch selbständig entgegenwirke....

Wir reisen den 17. d. M. von hier, halten uns aber, wenn nichts dazwischen kommt, noch einige Tage in Franken auf. Es ist daher wahrscheinlich, daß wir erst im Anfang Oktober nach Berlin und Tegel zurückkommen. Schreiben Sie mir nach Berlin wie gewöhnlich. So werden alsdann die sechs Monate abgelaufen sein, wo ich einen so wechselnden Aufenthalt gehabt habe. Leben Sie recht wohl und rechnen Sie fortdauernd mit Gewißheit auf meine unveränderliche Teilnahme. Ganz der Ihrige. H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin