Börne und die Juden

Ein Wort der Erwiderung auf die Flugschrift des Herrn Dr. Eduard Meyer gegen Börne
Autor: Riesser, Gabriel Dr. (1806-1863) Rechtsanwalt, Notar, Journalist, Politiker und Obergerichtsrat der erste jüdische Richter in Deutschland, Erscheinungsjahr: 1832
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Börne, Riesser, Flugschrift, Judenhass, Judenverfolgung, Glaubensgenossen,
„Antworte dem Toren nach seiner Torheit,
damit er sich nicht weise dünke.“


Die kürzlich erschienenen Briefe von Börne haben Herrn Dr. Eduard Meyer Veranlassung zu einem 13 Seiten langen Schrei des Unwillens und, weil er in Erfahrung gebracht, dass Börne einmal ein Jude gewesen, beiläufig zu einer rohen Schmähung gegen die Juden veranlasst. Ich habe es nur mit dieser letzteren zu tun, gegen die ich als Jude, wie gegen eine mich so gut wie jeden anderen meiner Glaubensgenossen treffende Beleidigung auftrete; die Sache Börnes mag und kann ich, wenigstens durchweg, nicht vertreten. So sehr ich ihn seiner früheren Schriften wegen geliebt und geachtet, so wenig liebe ich den Geist, der in jenen Briefen herrscht — nicht etwa, weil, wie Viele sagen, die Liebe zur Freiheit darin übertrieben ist: denn ich glaube nicht, dass man die Freiheit zu sehr lieben kann, und bin überzeugt, dass das Gute zwischen Freiheit und Knechtschaft so wenig in der Mitte liegt, wie zwischen Tugend und Laster, Wahrheit und Lüge; aber ich liebe jene Briefe nicht, weil der grämliche Enthusiasmus, der darin herrscht, mehr Hass als Liebe, mehr lustige Verzweiflung an der Zukunft Deutschlands und der Deutschen, als warme Theilnahme an ihrem Schicksale atmet; ich liebe sie nicht, weil sie die Schwäche mehr brandmarken, als die Schlechtigkeit, weil sie die physische Gewalt als das einzige Element der Wirksamkeit des liberalen Prinzips betrachten, und gern jedes Bestreben verhöhnen, das ihm auf anderen Wegen den Sieg verschaffen will: denn ich halte jene physische Gewalt, die ihm zu Gebote steht, gerade für die schwächere Seite des Liberalismus, ja für die einzige, die hier und da auch edlere Seelen auf die entgegengesetzte Seite zu ziehen vermocht hat: eine Ansicht, die freilich Börne sehr abgeschmackt und sehr Deutsch finden wird. Den Egoismus, die Liebe zum Gelde und zum Wohlleben, die an manchen Stellen jener Briefe mit der Begeisterung einen hässlichen Kontrast bilden, würde ein besoldeter Schreiber der absoluten Gewalt wahrscheinlich besser verborgen haben; doch sind sie darum nicht weniger widrig. Überhaupt scheint es mir eine üble Art und Weise, in die auch Borne nun verfallen ist, wenn jetzt so manche Schriftsteller, auf den erworbenen Ruf vertrauend, Unbedeutendes mit Bedeutendem untermischt, die Erzeugnisse ihrer bösen, wie ihrer guten Stunden, ihrer hypochondrischen Launen, wie ihres schassenden Genius dem Publikum auftischen. Jeder Schriftsteller sollte jedes Buch, wie sein erstes, betrachten. Die jungfräuliche Scheu, mit welcher er dann alles Unwürdige und alles Bedeutungslose, das in der Literatur auch ein Unwürdiges ist, zu vermeiden suchen wird, ist in der Tat naturgemäßer, als die sorglose Frechheit, die Alles drucken lässt, was ihr je aus der Feder gekommen. Es darf hier freilich nicht übersehen werden, dass auch hochgefeierte Namen zu einer solchen Buchhändler, Spekulation missbraucht werden, und als Trophäen jener bändereichen Literatur im Schlafrock zu betrachten sind: Namen freilich, deren glänzendsten Börne am wenigsten zur Entschuldigung für sich anführen dürfte.

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Inhaltsverzeichnis
Wenn Hr. Dr. M. demnach gegen Börne zum Teil eine gute Sache vertritt, so ist es eben dieser guten Sache wegen sehr zu bedauern, dass er nicht etwas mehr Verstand auf ihre Führung zu verwenden hatte, oder auch verwenden wollte. Im Leben freilich, in der Sphäre des Handelns, wo unsere sittlichen Grundsatze mit unseren Interessen in Kollision kommen können, da ist sittliches Wollen und Streben die Hauptsache, der Verstand ist Nebensache. In der Sphäre des Wortes aber, in der Literatur, wo wir Alle ohne große, Mühe und Selbstverleugnung als sittliche Heroen auftreten können, da wird mit Recht nach einem geistigen Berufe gefragt; da ist es in der Tat unanständig, so wenig Verstand zu haben; ja es zeugt von Geringschätzung gegen die eigne Sache, wenn man keine einzige andere Waffe, als Grobheit, zu ihrer Verteidigung zu verwenden hat. Hr. Dr. M. hätte lieber sollen in die Zeitungen setzen lassen:

,,Börne ist ein Halunke: Hep! Hep! Dr. Eduard Meyer.” Darin wäre gerade so viel Verstand und viel mehr Energie, als in seiner Broschüre gewesen. Es ist kläglich anzusehen, wie die geistreich höhnende Bescheidenheit jenes gewaltigen Züchtigers menschlicher Laster, der das wohl aussprechen durfte, weil ihm die Natur außer dem edlen Zorne der Tugend noch alle anderen Waffen der Kunst und des Geistes in reichem Maße verliehen hatte, von so manchen Dummköpfen buchstäblich genommen wird, die ihr Unwille keine zehn Worte einer vernünftigen Prosa schreiben lehrt, und hier die Literatur für ihre gedruckten Ohrfeigen, für die stammelnden Ausbrüche ihres knabenhaften Zornes nicht für zu schlecht halten. Vollends possierlich ist der Ton der Autorität, den Hr. Dr. M. gegen Börne annimmt. Ich bin gewiss nicht der Meinung, dass man Männern von überlegenem Geist und Ruf im Gefühl intellektueller und literarischer Schwäche Schlechtigkeiten soll hingehen lassen; ich habe es selbst in gleichem Falle nicht getan; aber man soll in solchen Fällen die Sache reden lassen; man soll offen und ehrlich sein gutes Recht zu der eignen Schwäche in die Schale legen, nicht aber, wie ein Prahler, ein persönliches Gewicht affektieren, so dass der Leser versucht wird, den Namen auf dem Titelblatte für Pseudonym zu halten, und. irgend einen hochansehnlichen Mann dahinter zu vermuten.

Wenn es schon lächerlich ist, gegen einen Mann von dem ausgezeichnetsten Geiste — und dass Börne das ist, kann ihm nur ein Dummkopf absprechen — mit dem bloßen ohnmächtigen Geifer eines stylübenden Knaben zu Felde zu ziehen, so macht man sich ganz und gar zum Narren, wenn man gegen einen Mann, dem seine früheren Schriften einen sehr ehrenvollen Platz in der Literatur anwiesen, wie ein Schulmeister auftritt, der seine Jungen zurechtweist, gewiss die einzigen Individuen unter der Sonne, in welche „etwas Furcht hineinfährt,“ wenn Hr. Dr. M. ihnen „auf die Finger klopft,“ weil sie die Einzigen sind, die ihn nicht wieder klopfen können.

Doch an dem Allen wäre am Ende wenig gelegen: die Sache ließe selbst eine ziemlich günstige Auslegung für Hrn. Dr. M. zu. Wenn es edel ist, für eine gute Sache zu leiden, warum soll es nicht auch etwas sein, sich für sie zum Narren zu machen? Und vielleicht ist die Blindheit, mit welcher Hr. Or. M. in diese fatale Position rennt, nicht die Blindheit des Dünkels, wofür sie freilich die Meisten nehmen werden, sondern die Blindheit des Mutes, der die Gefahr nicht achtet. Siegen kann freilich auch die gerechteste Sache auf dem Kampfplatze des Geistes weder durch Zorn, noch durch Grobheit, sondern nur durch die Waffen des Geistes: aber ist denn der literarische Heldentod des Lächerlichen nicht auch ein Verdienst? und hat Hr. Dr. M. sein Leben nicht teuer genug verkauft? Freilich hat mich Vieles in jenen Briefen zu sehr geärgert, als dass ich dem Verfasser den kleinen Trost gönnen sollte, zu seinen frühesten Gegnern einen Menschen zu zählen, dessen Lob gewiss eher als sein Tadel ihn nach der bekannten Erzählung zur Zurücknahme seines Buches bewogen haben würde: doch der Spaß wird ihm hoffentlich verdorben werden; auch in Hamburg hat sich schon ein nicht minder strenger, aber verständigerer Beurteiler in den kritischen Blättern der Börsenhalle gegen ihn erhoben, und es wird ihm gewiss ferner nicht an tüchtigen Gegnern fehlen.

Wer sollte es aber glauben, dass ein Mensch, den sein empörtes Gefühl treibt, den höchsten Unwillen auszusprechen und wo möglich abzuschütteln, es sich angelegen sein lässt, die Gefühle Hunderttausender durch die schändlichsten Lästerungen zu empören? Weil Börne, der seit langer Zeit dem Christentum angehört, zufällig von Jüdischen Eltern geboren ist, bricht Hr. Dr. M. am Ende der Broschüre über die Juden in Masse den Stab, wirst ihnen ein Register von allen möglichen Lastern vor, macht sie heimatlos u. s. w. Gerade darum, weil der Ton gutmütiger Beschränktheit, der bis gegen das Ende vorherrscht. Alles, nur keine Teufeleien, erwarten lässt, weil jene Larve ganz dazu geeignet ist, Schmähungen einzuschwärzen, die sonst jeden Mann von Ehre oder sittlichem Gefühl anekeln würden, halte ich es für Pflicht, dieses Mal von dem Recht Gebrauch zu machen, für eine öffentliche Beleidigung öffentliche Genugtuung zu nehmen, obgleich ich schon manchmal beinahe wörtlich identische, freilich anonyme Rohheiten, an denen ja die Literatur der Bierkeller ziemlich reich ist, unberücksichtigt gelassen. Für diejenigen, die über diesen Punkt strenger denken, und meinen, es dürfe auf solche elende Beschimpfungen durchaus kein ordentlicher Mensch antworten, bemerke ich zu meiner weiteren Rechtfertigung, dass Hr. Dr. M. nach dem Titelblatte seiner Schrift den gebildeten Ständen angehört, dass er zudem Lehrer an einer öffentlichen Schule ist: Gründe genug, nicht um einer Meinung, aber um einer Beleidigung einiges Gewicht zu geben, wenigstens soviel, dass nicht Jeder, vielleicht nicht einmal unser Verfasser selbst, Stillschweigen für den Ausdruck von Verachtung nehmen würde. Wüsste ich nicht, dass es von den Lesern der Broschüre für eine höfliche Heuchelei gehalten werden müsste, so würde ich gern noch manches Gute von der Persönlichkeit des Hrn. Dr. M. sagen: es kommt mir in, der Tat eher darauf an, ihn etwas zu heben, als ihn herabzusetzen: denn in einem solchen Streite muss man sich schon über einen einigermaßen honneten Gegner freuen, an dem man sich nicht schon besudelt, wenn man ihn anfasst. Übrigens rechtfertigt die Art des Angriffs jede entsprechende Art der Verteidigung. Welchem Ehrenmann waren nicht z. B. Gassenhandel zuwider? Aber auch der Ehrenhafteste wird sich wehren, wo und wie er angefallen wird.

Hr. Dr. M. leitet die betreffende Stelle damit ein, dass er seine Worte, die sonst vielleicht besser unterdrückt worden waren, mit einer „gerechten Aufwallung“ entschuldigt. Wenn etwas dazu geeignet ist, eine dumme Sache noch dümmer, eine schlechte noch schlechter zu machen, so ist es eine solche Bevorwortung. Der gerechte Zorn des Mannes vergisst sich selbst, und sieht nur die Schandtat, die er zu strafen hat; wallt es dann auch über, so wird das Jeder, der gleicher Gefühle fähig ist, seiner Selbstvergessenheit zu Gute halten. Aber dieser Unwille, der einen Anlauf nimmt, dieser Zorn, der sich räuspert, dieser Grimm, der jedes Mal die Krisis vorhersagt, wo ihm der Kamm schwellen wird, wie ein Schauspieler, der seine Mienen im Spiegel probiert hat — ich weiß nicht, ob ich die ganze Art und Weise schonend mit dem komischen Zorn eines geneckten Affen vergleichen, oder ob ich die ungeschickte Gleißnerei eines zweifachen Heuchlers darin sehen soll, der einen erlogenen Zorn mit einer erlogenen Milde überzuckert.

Wir kommen zur Sache selbst. Das Grundthema des Hrn. Dr. M. ist: „Börne ist ein Jude, wie Heine, wie Saphir.“ Aus der Zusammenstellung des Letzteren mit den beiden Ersten sieht man, dass er die Schriftsteller nicht nach ihrem Geiste, sondern lediglich nach ihrer Abkunft klassefiziert: (woher denn auch sein Dünkel leicht zu erklären ist, indem er sich wahrscheinlich auf gleiche Weise in eine Classe mit Schiller und Goethe zu setzen gewöhnt ist;) denn dass es ihm und ähnlichen Skribenten gegen die Juden nicht um die Religion dabei zu tun ist, das glauben wir ihm von ganzem Herzen, ja, wir freuen uns darüber der Religion wegen, und sind gar nicht gesonnen, irgend Jemandem „zu unserer Entschuldigung das Gegenteil glauben zu machen,“ wie Hr. Dr. M. meint. Wir wollen nun einmal Alles, das Schlimmste, was von den Dreien irgend angenommen werden kann, zugeben, um die Auffassung des Hrn. Dr. M. von seinem eigenen Standpunkte aus zu beurteilen. Die Frage ist, ob Hr. Dr. M. berechtigt ist, für die Vergehen jener Schriftsteller die Juden solidarisch verantwortlich zu machen, oder doch jene Vergehen gerade dem Umstände zuzuschreiben, dass sie Juden sind. Indem ich gegen Beides im Namen meiner Glaubensgenossen feierlichst protestiere, könnte ich es billig geltend machen, dass alle Drei keine Juden sind, sondern Christen, während man anderen Schriftstellern, die wirklich Juden sind, wie z. B. Michel Beer, der Verf. des Paria und des Struensee, weder Frivolität, noch undeutsche Gesinnung vorwerfen kann; doch Hr. Dr. M. lässt das nicht gelten, es kommt ihm ja bloß auf die Rasse, auf das unvermischte Germanische Blut an, und es scheint mir nicht der Mühe wert, darüber mit ihm zu streiten. Wenn nun aber Börne und Heine Jüdischer Abkunft sind, besteht auch das Publikum, das sie gefeiert, das ihre Schriften gelesen und gekauft, das sie auf die Höhe gehoben, von welcher Hr. Dr. M. sie herunterreißen will, aus Juden? Sind die Rezensenten Juden, die sie gepriesen, wie Menzel, wie Immermann und viele Andere? Sind die vielen Nachahmer Heines, die Menge untergeordneter Skribenten in den Tagesblättern, die seine Richtung verfolgen, ohne seinen Geist zu haben, auch Juden? Ist der Mann mit dem seltsamen Namen und dem seltsamen Enthusiasmus, der Heine und Borne neben Weitzel als die Verkünder eines neuen Völkerfrühlings begrüßt hat, ein Jude? Ist der gemäßigte Verfasser der Briefe über den Adel, der sein Buch von einer Vorrede von Heine begleiten ließ, ein Jude? Ist der Geschmack, der an ihren Schriften Befriedigung, ist der Charakter der Zeit, der an ihrer Art und Weise Gefallen findet, ein Jüdischer? Hr. Dr. M. bringt die deutsche und ultrarevolutionäre Richtung Börnes mit seiner Abkunft in Verbindung. Sind aber die vielen Hunderte von Deutschen, die in Wort und Tat ähnliche Gesinnungen geäußert, und unter denen Börne nur durch seinen Geist hervorragt, auch Juden? Sind es Juden, jene Göttingischen Flüchtlinge, die jenseits des Rheines den Boden der Freiheit küssen, und himmlisch jauchzen, dass sie aus dem Lande der Sklaverei erlöst sind, so dass selbst der undeutsche Börne über die Unwürdigkeit ihres Betragens entrüstet ist? Sind sie Juden, die Herausgeber des in Straßburg erscheinenden konstitutionellen Deutschlands, die sich Französischer Pressfreiheit bedienen, um mit schonungsloser Härte vor den Augen des höhnenden Auslandes die Blößen des Vaterlandes aufzudecken? Sind sie Juden, die Verfasser jener Blatter, die, wie es heißt, in der Gegend von Frankfurt den Aufruhr predigen, denen die Frankfurter Behörde die indirekte Veranlassung eines Meuchelmordes zur Last zu legen wagen durfte? Die vielen Deutschen, die es offen und freudig bekennen, dass all das Gute, das der Boden Deutschlands seit anderthalb Jahren keimen sah, durch die Sonne, die jenseits des Rheines aufgegangen, hervorgerufen worden, die ständischen Kammern, die seit der Juli-Revolution die Sprache wieder bekommen haben, die Wahlkollegien, denen erst durch die Juli-Revolution der Mut wieder belebt worden, um Männer des Volkes und der Freiheit in die Kammern zu schicken, bestehen sie aus Juden? Mit Recht missbilligt man die übertriebene Französische Richtung, die der Augenblick hervorgerufen, und die sich bereits verloren hat und verlieren musste, weil sie auf einer Begriffsverwirrung beruhte; mit Recht hält es Mancher für eine der beklagenswertesten Folgen des Pressezwanges, dass freisinnige Deutsche genötigt sind, den Nahrungssaft für ihre Gesinnung aus Französischen und Englischen Blättern zu saugen; aber es gehört ein unglaublicher Grad von Beschränktheit und Unwissenheit dazu, um Börne für den einzigen Mann einer falschen Richtung zu nehmen, weil er gerade ihr witzigstes Organ ist. Oder sind jene revolutionären Zeitungsschreiber, deren es im südlichen Deutschland, obgleich die Presse dort erst Luft schöpft zu ihrem bevorstehenden ersten freien Atemzuge, schon genug gibt, etwa darum achtungswerter, als Börne, weil sie erst seit der Juli-Revolution aus ihren Eiern oder aus ihren Schlupfwinkeln hervorgekrochen sind, während Börne die Sache einer gesetzmäßigen Freiheit — denn diese war es immer, die er in seinen früheren Schriften vertrat — zu einer Zeit verteidigt hat, wo sie eine sehr geringe Zahl von Streitern zählte, wo sie ihren Verfechtern keinen irdischen Lohn verhieß, der den Schriftstellern der Gewalt in reichem Maße zu Teil ward. Wohl ist es zu beklagen, dass ihn das Glück — nicht das eigne, sondern das Glück seiner Sache — berauscht und übermütig gemacht hat; aber vergessen wir es ihm nicht, dass er in den Zeiten des Unglücks die allgemeine Nüchternheit und die allgemeine Demut nicht geteilt hat. Auch mögen seine Freunde unbesorgt sein: er ist wohl schon wieder besonnen geworden!

Gehen wir vom Gebiete der politischen auf das der schönen Literatur über, und fangen wir vom Geringsten, von Saphir, an! Welchen ernsten Menschen ekelt nicht das ganze Geschlecht von ewigen Spaßmachern an, denen die ganze Geister, und Körperwelt wie eine tote Masse gleichgültiger Atome gilt, aus denen sie ihre Witze zusammenwürfeln! Aber, ums Himmels willen, ist Saphir darum schlechter als die Anderen, weil er ein wenig mehr Geist hat? Jenes Dutzend Berliner Poeten, Alle, so viel ich weiß, von achtem, Deutsch«christlichem Blut, die ihren gesamten Geist in eine gemeinschaftliche Sparkasse zusammengelegt haben, um daraus die Kosten einer Koalition gegen Saphir zu bestreiten, sind sie besser als er, weil die Natur ihnen das Bisschen Witz versagt hat, das sie ihm verliehen hat? Oder ist all das geistlose Gesindel besser, das die Klatschstuben so mancher belletristischer Journale füllt, das sich tagtäglich zur Belustigung des Publikums, Römischen Sklaven gleich, aufs Kläglichste miteinander herumbalgt? Ereifert euch, so viel ihr wollt, über Heines Leichtfertigkeit und Frivolität; aber, ins Teufels Namen lasst den Juden dabei aus dem Spiel, wenn ihr Anspruch auf den Gebrauch eurer fünf Sinne, und auf den allerkleinsten Rest von Schamgefühl macht. Denkt an Clauren, denkt an den Übersetzer des Casanova, der mehrere Jahre seines Lebens darauf verwandt hat, um seinem Vaterlande die Ehre zuzuwenden, dass eine ganze Welt von Schmutz, in allen kotigen Winkeln Europas zusammengehäuft, auf Deutschem Boden und in Deutscher Sprache zuerst das Licht des Tages erblicke! Ich könnte diesen Namen fünfzig ähnliche beifügen; aber ich mag es nicht: denn jede Zusammenstellung mit solchen Namen ist gegen Heines Geist wie gegen seinen Charakter ein unverzeihliches Unrecht. Aber ich kann auch noch höher hinauf sehr wohl meine Rechnung finden. Habt Ihr Kotzebues und Müllners schon vergessen, die ihren Witz dazu missbrauchten, um die Kritik zu einem Gewebe schmutziger Buchhändler-Intrigen herabzuwürdigen, so dass die belletristische Kritik in Deutschland lange Zeit einem Pfuhle glich, in dem sich elende Leidenschaften wälzten, bis sie durch einige edlere Geister, wie Börne — den gewiss, ehe er jene Briefe geschrieben, die meisten Deutschen zu den edleren Geistern zählten — wie Menzel und einige Andere, wieder gehoben worden? Wem könnte es je einfallen, Deutschland und die Deutschen in Masse die Schuld an allen diesen Jämmerlichkeiten und an tausend ähnlichen tragen zu lassen? Wem — als etwa eben unserem Pariser Briefsteller, dessen tolle Art und Weise, die Deutschen zu beurteilen, sich Hr. Dr. M. bei seiner Beurteilung der Juden zum Muster genommen zu haben scheint, wobei er denn freilich, wie Nachahmer pflegen, sehr übertrieben hat?

Da ich Menzel genannt habe, so kann ich nicht umhin, eine Ungerechtigkeit zu rügen, die sich derselbe bei Gelegenheit einer Rezension der Heineschen Nachträge zu den Reisebildern im Tübinger Literatur-Blatte hat zu Schulden kommen lassen. Freilich rate ich Jedem, jene Menzelsche Rezension mit der Meyerschen Schmähschrift zu vergleichen, um zu sehen, wie sich der Zorn eines Mannes von dem Grimm eines Wichtes unterscheidet. Wie Hrn. Dr. M.s nationales Gefühl durch Börne, so ist Menzels religiöses Gefühl durch Heine beleidigt worden, und er straft ihn dafür mit aller Schärfe seines Urteils und aller Wärme seines Ausdrucks. Er hat es aber nicht nötig, wie Hr. Dr. M., seinen Gegner herabzuwürdigen, um sich ihm ebenbürtig zu machen; er braucht ihm nicht, wie Jener, die schönen angebornen Adelswappen seines Geistes zu zerbrechen, damit die unedle Büttelhand ihn nur berühren dürfe; er windet ihm selbst den Siegeskranz des Dichters um die Schläfe, ehe er mit dem scharfen Schwerte seiner Worte die beleidigte Sitte an dem Übertreter rächt. Aber welch ein verhärteter Hass, welch ein verblendendes Vorurteil gehört dazu, um, wie Menzel tut, die frivolen Scherze Heines über die Mysterien des Christentums seinem präsumierten Jüdischen Glauben und „dem angebornen Hass der Juden gegen das Christentum“ zuzuschreiben! Sind denn Voltaire und Parny, sind Grimm und Holbach, sind die frechen Spötter der Enzyklopädie Juden gewesen? Ich weiß, man wendet ein, die Richtung jener Zeit sei vorübergegangen. Was heißt das aber, als dass sie aufgehört hat, die herrschende zu sein? Kann es denn aber keine andere Richtung geben, als die herrschende? Und sind die frechsten Spaße Heines über die katholische Mutter Gottes nicht noch jungfräulich gegen den keuschesten Scherz der pucelle oder des guerre des dieux gehalten? Und gibt es denn in der neueren Literatur nur ein einziges Beispiel, dass ein Jüdischer Schriftsteller, der wirklich als Jude und als Vertreter des Judentums aufgetreten, sich selbst in der größten Hitze des Streites zu einer frivolen Äußerung über den christlichen Glauben hat hinreißen lassen, während jeder Messkatalog Schmähschriften anzeigt, die keine andere Tendenz haben, als das, was den Juden heilig ist, mit der empörendsten Frechheit mit Kot zu bewerfen? Wenn aber Heine und ähnliche Geister, die da wähnen, die Vergangenheit hassen hieße die Zukunft lieben, das Christentum schmähen und es vernichten möchten, weil sie es veraltet wähnen, wie jene Wilden ihre altersschwachen Väter mit der Keule totschlagen, damit sie ihnen nicht mehr zur Last fallen, treffen denn nicht ihr Hass und ihre Schmähungen doppelt und dreifach das in ihren Augen doppelt und dreifach veraltete Judentum? Menzel hat die Bitterleiten gegen das Letztere in den Heineschen Schriften gewiss übersehen, weil er an dergleichen gar so sehr gewöhnt ist, und meint, so etwas verstände sich von selbst, während sein empfindliches Gefühl durch die ungewohnten, unsanften Berührungen christlicher Mysterien schwer verletzt worden; sonst hätte ein Kritiker von seinem Scharfblick sich unmöglich einen solchen Missgriff zu Schulden kommen lassen können.

Wir kehren zu unserem Autor zurück. Um einen Verwand zu seinen Schmähungen gegen die Juden im Masse zu haben, macht er sie zu einer eignen Nation, und sagt, man beurteile sie, wie man die Franzosen und Spanier beurteilt. Keine persönliche Beleidigung der Welt würde mich so empört haben, wie dieser ruchlose Hohn. Ich bin zur Ehre des Hrn. Dr. M. und aller Anderen, die das wahnsinnige Gerede von der Fremdheit der Juden in Deutschland zu Markte gebracht, anzunehmen geneigt, dass ihr Herz oder ihre Begriffe zu eng sind, um es zu empfinden und zu denken, was es in seinem ganzen Umfange heißt: ein Vaterland haben und keines haben; denn ich traue keiner menschlichen Brust die ungeheure Schlechtigkeit zu, im vollen Bewusstsein und im vollen Gefühle dessen, was jene Worte bedeuten, einer halben Million Deutschen den angebornen Anspruch auf das Deutsche Vaterland abzusprechen, die ein anderes weder haben, noch haben können und haben wollen. „Sie haben kein Vaterland!“ möchte ich, wie Macduff, über jene Buben ausrufen: „sie hätten sonst die teuflische Grausamkeit nicht, uns des unsrigen zu berauben!“ Dem Römer, dem das Vaterland Alles war, galt die Entziehung des Vaterlandes der Todesstrafe gleich; dem Briten und dem Franzosen, denen Nationalität so viel ist, gilt jeder Eingeborne als Landsmann, wenn er nicht durch bleischwersten Verbrechen diesen Anspruch verwirkt hat; eben so dem wahren Deutschen, der Deutschland wahrhaft und wirklich und nicht bloß dem Worte nach wie sein Vaterland betrachtet; nur dem beschränktesten Spießbürger eines Vaterländchens, über dessen Grenzen den Mann so leicht sein Wirken und sein Streben, den Philister seine Sonntagsspaziergänge hin, ausführen, kann den Schauder erregenden Urteilsspruch der Heimatlosigkeit mit kalter Gleichgültigkeit aussprechen, kann sich zur Kurzweil eine Klasse legaler und moralischer Vagabunden erschaffen, deren Existenz weder das Recht, noch die Geschichte anerkennt. In rechtlicher Beziehung ist es der Ort, wo Einer geboren ist, der ihm sein Vaterland anweist, so wie es das menschliche Antlitz ist, das Einen zum Menschen macht: in sittlicher Beziehung ist es freilich die Gesinnung und die Liebe zum Vaterlande, die aber nur an dem Einzelnen, nicht an den Massen, ermessen werden kann; die Abkunft der Urahnen aber ist es in keiner Beziehung, und es ist eine wahrhaft bestialische Ansicht, die die Nationalität in der Rasse sucht, und nicht in der Gemeinsamkeit des Vaterlandes. Oder sind etwa Männer, wie Savigny, Thibaut, Fouque und viele Andere keine Deutsche, weil sie erweislich von Nicht-Deutschen Voreltern abstammen? Kann etwa Hr. Dr. M. urkundlich beweisen, dass seine eignen Voreltern von zwei Jahrtausenden her — so lange leben schon Juden in Europa und in Deutschland — auch wirklich Germanischen Stammes waren? Wären die Deutschen keine Europäer im Sinn der Zivilisation, sondern Asiaten, wie Hr. Dr. M. die Juden nennt, wenn es mit der verbreiteten Vermutung der Asiatischen Abkunft der Deutschen seine Richtigkeit hätte? Hr. Dr. M. könnte dann wenigstens die Verwandtschaft nicht zurückweisen. Doch genug des Spottes: der furchtbare Ernst der Sache erträgt ihn nicht! Der Mensch bedarf zu seinem Kreise des Wirkens und des Schaffens des Vaterlandes, wie die Pflanze des Bodens, wie das tierische Leben der Atmosphäre bedarf. Wie es kein Leben, keine Tat, keine Schönheit gibt ohne Begrenzung, so gibt es keine menschliche Würde, lein menschliches Wirken ohne Vaterland. Nicht durch irgend ein einzelnes Moment, das er entbehren könnte, ist der Mensch an sein Vaterland gekettet, sondern durch alle Bande des Lebens, durch seine Sprache, seine Gefühle, seine Erinnerungen und seine Hoffnungen, sein Streben und sein Wirken, durch die Form seiner Vorstellungen selbst, die durch die Sprache erst Leben und Dasein erhalten; die Seele kann diese Bande nicht lösen, ohne zu verbluten. Wer mir den Anspruch auf mein Deutsches Vaterland bestreitet, der bestreitet mir das Recht auf meine Gedanken, meine Gefühle, auf die Sprache, die ich rede, auf die Luft, die ich atme; darum muss ich mich gegen ihn wehren, wie gegen einen Mörder. Wohl mir, dass ich es in freier Deutscher Rede kann, dass mindestens die Muttersprache, liebreicher als ihre Jünger, sich mütterlich meiner annimmt, und mir ihre mächtigen Waffen zu dem Kampfe nicht versagt! — vielleicht wird mein Gegner an dem derben Ernste ihrer Streiche den Deutschen erkennen. Schmäht, so viel Ihr wollt, auf Franzosen, Spanier, Italiener u. s. w.! Eure Pfeile treffen nicht; sie lesen Euch nicht; sie verstehen Euch nicht; und, wenn es einem Dolmetscher gelänge, ihnen Eure Grobheiten zu übersetzen, so würden sie darüber lachen in dem frohen Gefühle der eignen Heimat, der eignen Volkstümlichkeit. Wir aber, wir verstehen Euch, wir lesen Euch; Eure Sprache, Eure Literatur sind die unseren; wir haben Euren Hass — ich rede hier nur die Geistesverwandten des Hrn. Ur. M. an — ohne Dolmetscher aus der ersten Hand; der Hass, in dem Ihr Euch gefällt — nicht weil Ihr Deutsche, nicht weil Ihr Christen, sondern weil Ihr böse Menschen seid, die sich am Hasse laben, und die gar zu gern die Quellen der Menschenliebe verstopfen möchten, die aus dem warmen Boden unserer Zeit hervorbrechen — dieser Hass trifft nicht ein Nationalgefühl, das ihn zurückgeben könnte; wir haben keines und können und wollen keines haben ohne Boden, ohne Gesetze, ohne Sprache; wir haben nichts Gemeinsames, als den Glauben und die Unterdrückung; er trifft nur das menschliche Gefühl, das so leicht zu verletzen und so schwer zu heilen ist, und das sich nicht durch Vergeltung zu rächen vermag. Wenn eine Nation die andere tödlich beleidigt hat, so kann der Krieg, der gewaltige Zweikampf der Völker, der verletzten Ehre Genugtuung geben; der Deutsche Jude aber, der die Waffen gegen sein Vaterland führte, würde der Strafe des Hochverrats, wie der Deutsche Christ, unterliegen, und es würde der Theorie des Hrn. Dr. M. schwerlich gelingen, ihn davon zu befreien. Vieles habe ich über diesen Punkt schon bei anderen Veranlassungen gesagt, Manches ließe sich noch hinzusetzen: aber wozu? Es gibt keinen Menschen, der jenen Unterschied im Ernste nicht einsähe; so weit reicht leine menschliche Beschränktheit; das ist es aber eben, was die Sanftmut eines Lammes zur Wut reizen könnte, dass eine teuflische Bosheit selbst die Larve der Dummheit nicht scheut, um ungestörter ihrem verruchten Hasse zu stöhnen.

Wer in aller Welt hat aber Hrn. Dr. M. gelehrt, dass man eine fremde Nation — vorausgesetzt, dass die Juden eine solche wären — ohne Scheu hassen und schmähen dürfe? Aus welcher Haidenlehre hat er die saubere Moral geschöpft? Die christliche Religion, wie die Jüdische, gebieten bekanntlich, auch die Fremden zu lieben, und die Menschlichkeit gebietet es mit eben so lauter Stimme, wie beide. Wer einen einzigen Menschen aus einem anderen Grunde hasst, als weil er schlecht ist, ist ein Bösewicht; wer eine ganze Masse von Menschen hasst, und sich damit brüstet, ist ein Auswurf von Schlechtigkeit. Wenn das zu der Nationalität des Hrn. Dr. M. notwendig gehört, dass er die Fremden hasst, so sind wir ihm sehr dankbar dafür, dass er uns von dem Anteil an dieser Nationalität ausschließt; er würde mit seiner Gesinnung am besten unter die Wilden passen, wo man die Fremden ohne viele Umstände totschlägt; der Patriotismus zivilisierter Nationen weiß nichts von einem solchen Hass.

Um seinen Hass zu rechtfertigen, wirft Hr. Dr. M. den Juden „viele hässliche Eigentümlichkeiten,“ insbesondere „die unter ihnen so häufige Unverschämtheit und Anmaßung, die Unsittlichkeit und Leichtfertigkeit, ihr vorlautes Wesen und ihre oft so gemeine Grundgesinnung“ vor. Ich will mich an einem langsamen Feuer lebendig braten lassen, ich will verdammt sein, Hrn. Dr. M. und Alle, die ihm gleichen, als edle und weise Menschen zu verehren, ich will auf alle Liebe und Achtung der Menschen in diesem und auf die Gnade Gottes in einem anderen Leben, verzichten, wenn ich nicht jeden dieser Fehler nach der sorgfältigsten Prüfung im Verhältnis eben so oft bei Individuen christlicher Religion, oder, wie Hr. Dr. M. will, Europäischer Abkunft, wie bei Juden, vorgefunden. Es wird mir nun freilich nicht gelingen,

Hrn. Nr. M. davon zu überzeugen; ich kann es nicht hindern, dass er mich für so parteiisch in der Liebe, wie ich ihn für parteiisch im Hasse halte; ich kann und will ihn nicht hindern, wen er will, zu lieben und zu hassen, zu achten und nicht zu achten, wenn anders von Liebe und von Achtung bei einem Menschen die Rede sein kann, der die Menschen hauptsächlich nach ihrer Abkunft schätzt. Aber, woran ich ihn und Andere seines Gelichters zu hindern gedenke, das ist die unerhörte Frechheit, die da meint, sie könne ungestraft beleidigen, wenn ihre Beleidigungen nur Tausende auf einmal träfen. Würde sich Hr. Dr. M. nicht lange besinnen, ehe er von einem einzelnen Menschen, der ihm zu keiner Beleidigung Anlass gegeben, drucken ließe, er sei unverschämt, unsittlich, von gemeiner Gesinnung u. s. w.? Würde er sich nicht fragen, ob er diese Schmähungen auch vor den Augen des Gesetzes, das Beleidigungen straft, vor dem Angesicht der verletzten Ehre, die Genugtuung fordert, vertreten könne? Meint der Mensch aber, weil die Schmähung so allgemein ist, dass das Gesetz sie nicht treffen, weil die Beleidigung so ungeheuer ist, dass all sein Blut nicht den kleinsten Teil davon abwaschen kann, deshalb müsse sie ihm auch vor dem Richterstuhle der Ehre ungestraft hingehen? Unter die Menge zu schimpfen, Tausenden unbestimmt zu sagen, was man einem Einzelnen geradezu zu sagen nicht den Mut haben würde, damit man sich dahinter verkriechen könne, man habe Niemanden genannt, und zähle Diesen und Jenen zu den Ausnahmen; damit man sich das Vergnügen machen könne, Tausende zu kränken, ohne von einem Einzigen zur Rechenschaft gezogen werden zu können — das ist eine Ehrlosigkeit, die man öffentlich brandmarken muss zur Warnung für Gleichgesinnte, damit sie schweigen, oder, wie es üblich ist, den Anspruch auf Ehre gleich an der Schwelle ihrer Schrift durch Bewahrung der Anonymität bescheidentlich ablegen.

Hr. Dr. M. erkennt auch edlere Individualitäten unter den Juden an, und wird sich sogar „stets freuen, wenn ihm dergleichen begegnen.“ Hr. Dr. M. ist wirklich über die Gebühr herablassend. Schade nur, dass solche edlere Individualitäten, wenn sie seinen Kopf nach seiner ganzen Flugschrift, sein Herz nach ihrem Schlusse beurteilen, sich gar nicht freuen werden, ihm und Seinesgleichen zu begegnen, obgleich sie die besseren unter seinen gewiss nicht minder als die besseren unter ihren eignen Glaubensgenossen lieben. Doch der erwachsene Mann weiß schon, wie er solchen Burschen zu begegnen hat; auch wittert er leicht ihre Gesinnung und geht ihnen gern aus dem Wege, wenn sie ihn ungeschoren lassen. Wie innig wären aber Jüdische Knaben zu bemitleiden, die in einer öffentlichen Schule einem Menschen als Lehrer preisgegeben wären, der sich nicht entblödet hat, sich mit seinem Hass gegen eine Religions-Partei, der sie angehören, öffentlich zu brüsten! Ich halte es für meine Pflicht, die Eltern solcher Kinder darauf aufmerksam zu machen, dass keine menschlich gesinnte Schulbehörde ihnen das Gesuch abschlagen kann, ihre Kinder von dem Unterricht eines solchen Menschen zu dispensieren, und dass es ihre Pflicht ist, eine solche Dispensation nachzusuchen, weil kindlichen Gemütern nichts gefährlicher ist, als das Gefühl unverschuldeten Hasses, weil es auch unverträglich mit der Achtung ist, die Schüler ihren Lehrern zollen sollen, dass sie einen Menschen zu ihren Lehrern zählen, den sie verachten müssen, wenn sie sich selbst, wenn sie ihre Eltern und Angehörigen nicht frühzeitig zu achten verlernen sollen.

Ist es der Mühe wert, noch ein Wort über die elende Verdrehung zu verlieren, durch welche Hr. Dr. M. die rohen Späße Börnes über die Könige, und seine Ansichten über den Adel auf die Juden anwendet? Nicht ihre Persönlichkeit, nicht ihre Abkunft wirft Börne den Königen und dem Adel vor, sondern die Gewalt der Ersteren und die Vorrechte der Letzteren will er verbannt wissen; die Juden haben aber keine Gewalt und keine Vorrechte, sie sind vielmehr in Deutschland für den Augenblick noch an den meisten Orten aufs Schmählichste zurückgesetzt; die Analogie konnte daher nur in einem verwirrten Gehirn erzeugt werden. So ein kapitaler Narr, dass er gegen irgend Jemanden wegen seiner Geburt eine Idiosynkrasie empfände, ist Börne in seinen tollsten Stunden nicht gewesen; nicht seine vornehme Geburt, sondern seinen Dünkel wegen derselben macht er dem Verfasser der Briefe eines Verstorbenen zum Vorwurf. Hr. Dr. M. scheint zwischen beiden Dingen keinen Unterschied zu statuieren, zu dessen Auffindung doch eben kein Scharfsinn gehört: hat er damit vielleicht eine versteckte Satire auf die Adligen machen wollen?

Zum Schlusse sei mir noch ein Wort über Hrn. Nr. M.s und meinen Ausgangspunkt über die Persönlichkeiten von Börne und Heine vergönnt. Beide sind in der Literatur nicht als Juden aufgetreten; bei Beiden scheint es mir daher eine der Literatur unwürdige Klatscherei zu sein, dass man Lebensverhältnisse, die man gegen sie benutzen zu können meint, in die Beurteilung ihrer Schriften hineinzieht; Beide werden es mir nicht Dank wissen, wenn ich, von diesem Standpunkt aus ihre Verteidigung übernehme. Wären sie aber Juden, und wollte ich ihre Mängel, wollte ich die Bitterkeit, die sich bei Heine allen Gefühlen beimischt, wollte ich Börnes Schroffheit, wollte ich seinen kalten Hohn gegen die Wiege seiner Kindheit, den Tummelplatz seiner Jugend, den Kampfplatz seiner männlichen Jahre, gegen Deutschland, aus diesem Umstande entschuldigen: ich glaube, es sollte mir nicht schwer werden. Setzt die trefflichsten Naturen, mit gewaltigem Verstände und von regsamen Gefühlen begabt, in eine Umgebung voll Lieblosigkeit und Missgunst, wie sie der Jude so oft bei seinem Eintritt in die Welt findet; lasst sie fühlen, wie man ihnen ihre Vorzüge beneidet, und ihre Fehler belauert, um Verwände des Hasses zu finden; lasst sie gequält werden von jener dummen Gemeinheit des Gewohnheitshasses, dessen Pfeile nicht töten, dessen Waffen keine scharfen Wunden schlagen, wo dass strömende Blut den Schmerz erleichtert, die aber täglich an dem wunden Herzen nagt mit den stumpfen Zähnen, wie der Geier des Prometheus: ihre Seele wird lange und langsam bluten an diesen Schmerzen, und, ist das Gefühl bei ihnen überwiegend, so wird sie nie zu bluten aufhören; ist aber der Verstand mächtiger, und finden sie sich allein in einer Welt voll Hass mit dem herrschenden Verstände und dem leidenden Herzen, so wird ihre Stärke sie aufrecht halten; aber sie werden sich dann starr und stolz in das Bewusstsein ihrer Kraft hüllen, und werden kalt und bitter und lieblos werden, wie die Welt, die sie verachten. Der gütige Vater der Menschen und der Liebe möge solche Seelen mit einer wärmenden Umhüllung liebender Herzen umgeben, die die raue Luft des Hasses von ihnen abhalte! sonst werden sie auf die eine oder auf die andere Weise der Notwendigkeit ihren Tribut zollen müssen.
Hamburg, im November 1831

Riesser, Gabriel Dr. (1806-1863) Rechtsanwalt, Notar, Politiker, Journalist, Publizist, ab 1859 erster jüdischer Richter in Deutschland

Riesser, Gabriel Dr. (1806-1863) Rechtsanwalt, Notar, Politiker, Journalist, Publizist, ab 1859 erster jüdischer Richter in Deutschland

Ludwig Börne 1827

Ludwig Börne 1827

Friedrich de la Motte-Fouqué

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Goethe, Johann Wolfgang von (1749-1832) Dichter, Schriftsteller und Staatsmann

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Heinrich Heine

Heinrich Heine

Savigny Friedrich Karl von

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Thibaut Anton Friedrich Justus 1772-1840

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Voltair (1694-1778) französischer Schriftsteller und Philosoph

Voltair (1694-1778) französischer Schriftsteller und Philosoph