An seinen Sohn Wilhelm (5. Nov. 1806)

a) Mein lieber Wilhelm. 1)


In einem Wirbel von unaussprechlichen Arbeiten, Unruhen und Fatiguen habe ich seit 21 Tagen auch nicht einen Augenblick Zeit gehabt, an Dich, mein innigst geliebter Sohn, zu schreiben. Eine unglückliche Schlacht am 14. und eine Menge Arrieregardengefechte und 21 Märsche, jeden von 5 bis 7 Meilen, zum Teil in der Nacht, habe ich glücklich überstanden. In der Schlacht habe ich einen Schuß in die Seite bekommen, der in acht Tagen geheilt sein wird; eine andere Kugel ging durch die Chenille (Schnur) an der Schulter, wo sie wattiert war, und streifte mich nur. Ein Pferd verlor ich auf der Stelle, das andere wurde mir verwundet und trug in der Not den Prinzen Heinrich aus der Schlacht, nachdem sein Pferd erschossen war und er nicht gehen konnte; ich schlug mich, mit einer Muskete in der Hand, mit den letzten Musketieren durch. Ich hatte viel Glück. Der linke Flügel, den ich dirigierte, siegte, und nur erst, als der rechte geschlagen und der Feind dem linken in (den) Rücken kam, wurde der linke gezwungen, sich zurückzuziehen. Das schlechte Betragen mehrerer Kavallerieregimenter, die Konfusion im Kommando, das Zurückhalten des Reservekorps, zwei Drittel der Armee unter Kalckreuth 2), entzog uns den Sieg. Ich war rasend, klagte bei dem König, als ich aus der Schlacht kam, alle die an, welche es verdienten.


Seit dieser Zeit hielt ich mich an den Mann, mit dem ich glaubte, etwas ausrichten zu können, den General von Blücher. Wir haben die Arrieregarde 21 Tage gemacht, Eine Menge Gefechte geliefert, und die meisten glücklich, sind aber nicht über die Oder gekommen, weil wir drei Tagemärsche zurück waren.

Diesen Brief endige ich in Lübeck, ich fing ihn an in Gadebusch. Adieu, mein innigst geliebter Wilhelm, umarme Tante, Onkel, alle in meinem Namen. Adieu, mein bester Sohn.


Den 5. November 1806.

v. Scharnhorst.




1) Klippel, Das Leben des Generals von Scharnhorst
(Leipzig, F. A. Brockhaus) 3. Teil (1871) S. 176 f.
2) Friedrich Adolf Graf v. Kalckreuth, geb. 22. Februar 1737,
gest. 10. Juni 1808, führte 1806 die zweite Reservedivison.