Blüchers Bericht an König Friedrich Wilhelm III.

Blüchers Bericht an König Friedrich Wilhelm III.


Mit niedergeschlagenem Herzen muß ich Eurer Königlichen Majestät die allmähliche Vernichtung und Gefangenschaft des Korps Truppen melden, welche ich das Unglück hatte, in einer Lage zu kommandieren, die kein anderes Schicksal zuließ.


Daß ein von dem Herzen des Staats und allen anderen Truppen und Festungen abgeschnittenes Korps, nachdem es seine Munition in vier Gefechten verschossen hatte, durch eine sechsfach überlegene Macht nach 14 Tagen vernichtet wird, bedarf keiner Rechtfertigung; aber über alles beruhigend würde es mir sein, wenn Eure Königliche Majestät meinem untertänigsten Bericht Schritt vor Schritt folgten und meine getroffenen Maßregeln beurteilten.

Zur Übersicht finde ich nötig, hier vorläufig anzuführen, daß die Operationen meines Korps bis zum 28., das ist bis zur Kapitulation der Hohenloheschen Armee auf die Vereinigung beider und die Gewinnung der Oder abzweckten; daß nachher mein ganzes Bestreben dahin ging, durch die Bewegungen meines Korps die französische Macht von der Oder abzuziehen und sie von dem Herzen der preußischen Monarchie zu entfernen, um für die Verproviantierung unserer Festungen und für die Annäherung der noch übrigen preußischen Truppen und der russischen Armee Zeit zu gewinnen.

Daß ich hierin nicht ganz unglücklich gewesen bin, hat der Erfolg bewiesen, da drei französische Hauptkorps, das Muratsche, Bernadottesche und Soultsche, mich umgaben, als ich, von aller Munition entblößt, mit 9400 Mann zwischen Kiel und Lübeck zu Ratkau kapitulierte.

Ich gehe jetzt zu der umständlicheren Erzählung über, die ich jedoch soviel als möglich abkürzen werde.

Den 24. Oktober trug mir der Fürst von Hohenlohe das Kommando des Korps auf, welches der Herzog Eugen von Württemberg bis dahin kommandiert hatte. Es war durch eine bei Halle verlorene Schlacht sehr geschwächt und hatte außer einer halben zwölfpfündigen Batterie nur noch anderthalb sechspfündige und eine reitende Batterie und weder Furage noch Brot. Die Artillerie war größtenteils von dem Korps, welches am 14. bei Auerstedt gefochten hatte, und durch formierte Märsche erschöpft.

Ich marschierte mit diesem Korps am 26. in die Gegend von Ruppin. Der Fürst von Hohenlohe war an diesem Tage in der Gegend von Lychen.

Meine Absicht, auf Zehdenick, den geraden Weg nach Prenzlau, zu gehen, wurde vereitelt; der Feind hatte jenen Ort und Gransee besetzt. Ich marschierte daher am 27. mit der ersten Division des Korps auf Fürstenberg und mit der zweiten auf Lychen. Gegen Abend wurde meine Arrieregarde bei Menz angegriffen; sie warf den Feind; ich zog sie aber dennoch bis nahe an Fürstenberg, an die erste Division.

Den 28. vereinigte ich mich mit Tagesanbruch mit der Division meines Korps, welche bei Lychen gestanden hatte, und richtete nun meinen Marsch auf Boitzenburg. Der Fürst von Hohenlohe war über Schönermark auf Prenzlau marschiert; ich durfte diese Deroute nicht nehmen und mußte mich entschließen, den Feind aus Boitzenburg zu vertreiben, wenn ich nicht alle Hoffnung der Vereinigung mit dem Fürsten aufgeben wollte. Der Feind griff auf diesem Marsch die Arrieregarde nicht weit von Lychen an, wurde aber von meinem Regiment zurückgeschlagen, welches einige und 30 Gefangene machte und über 50 Mann niederhieb.

Der Feind verließ bei meiner Annäherung Boitzenburg; die Patrouillen trafen aber in den umliegenden Örtern überall Feinde, und aus den wenigen Örtern, welche ich zu besetzen gezwungen wurde, wenn Menschen und Pferde nicht vor Hunger umkommen sollten, mußte er noch in der Nacht herausgeworfen werden.

Als ich den 29. früh 4 Uhr nach Prenzlau abmarschieren wollte, erfuhr ich von einigen versprengten Leuten der Hohenloheschen Armee, daß der Fürst zu Prenzlau kapituliert habe. Mein Korps war 10 500 Mann stark; vor mir stand auf zwei Stunden die Muratsche Armee, zur Seite oder hinter mir das Bernadottesche Korps; jedes dieser Korps war wenigstens doppelt so stark als das meinige, das übrigens weder Brot noch Furage hatte und durch die vielen formierten Märsche äußerst abgemattet war.

Mein Entschluß war bald gefaßt. Statt rechts auf Prenzlau zu marschieren, marschierte ich in demselben Augenblick links nach Strelitz ab. Ich hoffte mich dort mit dem Weimarschen Korps zu vereinigen, mich dann Magdeburg zu nähern oder nach Umständen über die Elbe zu gehen, um Magdeburg und Hameln auf längere Zeit mit Lebensmitteln zu versehen und dem Feinde im Rücken zu operieren.

Durch mehrere ausgeschickte Offiziere und Jäger erhielt ich indessen keine Nachricht von dem Weimarischen Korps. Ich marschierte den 30. vor Strelitz vorbei bis Dambeck und traf hier unerwartet auf dasselbe. Jetzt erfuhr ich zum erstenmal, daß das Korps des Marschalls Soult von der Elbe mir entgegenkam. Meine Arrieregarde wurde, noch ehe sie einrückte, vom Feinde harseliert (beunruhigt).

Den 31. schickte ich zwei Offiziere nach der Elbe, um die nötigen Schiffe und Fähren zum Übergange bei Boitzenburg und Lauenburg zusammenbringen zu lassen. Ich marschierte nach Waren und den darauffolgenden Tag nach Alt- Schwerin und Glave.

Nach der Ankunft des Soultschen Korps war meine Lage noch kritischer geworden, als sie vorher war. Ich hatte mich zwar mit dem Weimarischen Korps vereinigt, aber die äußerst fatiguierten (ermüdeten) und ausgehungerten Truppen mußten, wenn nicht allein einigen Tagen Hungers sterben sollten, des Nachts in Dörfer gelegt werden, um hier den notdürftigsten Unterhalt zu finden. Bei dieser Auseinanderlegung riskierte mein Korps aber immer, beim Angriff des Feindes ganz zerstreut zu werden. Meine Anordnung war folgende. Beim Finsterwerden ging das Korps auseinander; eine Stunde vor Tagesanbruch marschierten die Regimenter aus und einzeln nach dem Rendezvous, das so gelegt war, daß ich 1 ½ bis 2 Meilen vorkam. Durch diese Disposition wurde aber die große Gefahr, in der ich mich befand, nur um etwas vermindert.

Den 1. November wurde meine Arrieregarde bei Waren angegriffen. Der Feind drang bis vor Alt-Schwerin, wo mein Hauptquartier war. Das Korps war zwischen Kuppentin und Serrahn in die Quartiere gelegt. Da der Feind aus den Landkarten wußte, daß er bei Alt-Schwerin nicht durchdringen konnte, so hielt ich dieses Vorgehen für einen falschen Angriff und erwartete den wahren zwischen dem Krakower und Schweriner See. Ein großer Teil meiner Truppen kam hier auf dem ihm schon vorher bestimmten Rendezvous zusammen. Der Feind wandte sich indes weiter nach der Elbe, und ich marschierte einige Stunden vor Tagesanbruch ab, um mich in die Gegend von Prestin und Kladrum zu begeben. Mein Korps lag hier in einem Bezirk von fünf Stunden auseinander; ich mußte viele Dörfer haben, um Lebensunterhalt zu finden. Viele Soldaten fielen vor Hunger nieder und waren tot.

Den 3. (November) marschierte ich in die Gegend von Schwerin. Ich hoffte hier auf beiden Flügeln durch den Lowitzer Bruch und den Schweriner See gedeckt zu sein und meine Leute aus der Stadt mit etwas Brot und Branntwein versehen zu können. Hierauf wollte ich das Korps am folgenden Morgen nach Lauenburg marschieren lassen oder aber über das Bernadottesche oder Soultsche Korps herfallen.

Während dieses Marsches engagierte sich bei Triwitz ein hitziges Arrieregardengefecht, das sich den Abend bei dem Dorfe Fähre endigte. Das Detachement des Obersten von der Osten zu Wittenburg war von dort ohne Befehl abmarschiert, ich wußte daher nicht, was auf meinem rechten Flügel vorging. Griff der Feind mich auf diesem an, während ich mich mit ihm zwischen dem Dorfe Fähre und Plate engagierte, so wurde ich an den Schweriner See gedrängt; ich mußte ein Projekt derart bei dem Feinde um so mehr voraussetzen, da, wenn er mir von hinten schaden wollte, sein Marsch und ein Angriff auf Plate weit angemessener als auf Fähre gewesen wäre. Ein Angriff bei Fähre schien bloß eine Demonstration zu sein, um die Aufmerksamkeit auf meinen linken Flügel zu ziehen, während man den rechten umging.

Das blutige Arrieregardengefecht bei dem Dorfe Fähre endigte sich, nachdem es eine Stunde finster war. Beide Hauptquartiere waren nicht eine halbe Stunde voneinander entfernt, das meinige in Osdorf. Der Marschall Bernadotte forderte mich zum zweitenmal auf zu kapitulieren. Ich verbat mir ein für allemal die Aufforderung.

Um meinen Plan, die feindlichen Korps soweit als möglich von der Oder zu entfernen und erst dann, wenn ich nicht mehr ausweichen könnte, mich zu schlagen, weiter auszuführen, marschierte ich aus der Gegend von Schwerin nach Gadebusch und Roggendorf. Meine Truppen wurden in der Nacht bei Groß-Salitz, also auf meinem rechten Flügel, beunruhigt. Nach der Elbe in der Gegend von Lauenburg konnte ich mich zwar immer noch wenden, aber die Zeit zum übersetzen hatte ich nicht. Mir blieb also nur der Weg nach Hamburg oder Lübeck, offen oder ich mußte mich den andern Tag schlagen. Meine Truppen ? Menschen und Pferde ? waren so abgemattet, daß ich von einer Schlacht bei der sechs- oder siebenfachen Überlegenheit des Feindes keinen guten Ausgang erwarten konnte. Der Großherzog von Berg war auf meiner linken Flanke, Marschall Bernadotte in meiner Fronte, Marschall Soult auf dem rechten Flügel. In dieser kritischen Lage entschloß ich mich, auf Lübeck zu marschieren und die Truppen vor der Fronte zu behalten. Hätten die Truppen sich nur gegen Hungersnot gesichert und in etwas erquickt, so konnten sie sich schlagen, wenn auch wegen der Übermacht sehr wenig Wahrscheinlichkeit eines glücklichen Erfolges vorhanden war.

Der Marsch wurde den 5. November glücklich ausgeführt. Die Tore von Lübeck und die Trave von Travemünde bis da, wo sie die dänische Grenze berührt, wurden besetzt. Die Armee war in dieser Position auf ein paar Tage imstande, der größten Übermacht zu widerstehen, wenn ein jeder seine Schuldigkeit tat; die war aber leider nicht der Fall. Der Feind drang den 6. mittags durch das Burgtor von Lübeck, auf welches 16 Kanonen gerichtet waren und das von drei Bataillonen verteidigt wurde, und es gelang ihm dieses Eindringen nur deshalb, weil jene Kanonen wider den Befehl zum Teil zurückgezogen wurden und daher gerade im entscheidenden Augenblicke dem Feinde keinen Schaden mehr zufügten.

Ich führte, als ich dies mir ganz unerwartete Ereignis gewahr wurde, die Truppen, deren ich habhaft werden konnte, dem Feinde in den Straßen entgegen. Der Kampf dauerte einige Zeit lang und war blutig; die Stadt wurde am Ende mit Feinden angefüllt, und es war nun nicht mehr möglich, der Übermacht zu widerstehen. Die Regimenter Tschammer, Owstien, der größte Teil des Regiments Braunschweig-Öls, die Magdeburger Füselierbrigade, ein Teil der Jäger und das Füselierbataillon Ivernois wurden meistens aufgerieben oder gefangen. Mein Generalquartiermeisterleutnant Oberst v. Scharnhorst und mein Generaladjutant Rittmeister Graf von der Golz wurden ebenfalls gefangen.

Die übrigen Truppen, welche sich noch auf 9000 und einige hundert Mann beliefen, befanden sich in der Nacht nicht zusammen; der größte Mangel war der der Munition. Ich mußte mich jetzt entschließen, einen verzweifelten Angriff zu wagen, und mich in den wenigstens achtmal (richtiger: sechsmal) stärkeren Feind stürzen oder das dänische Territorium verletzen. Das letztere hielt ich wider die Klugheit, da ein dänisches Korps es verteidigte und die Verletzung seiner Neutralität unseren politischen Verhältnissen nicht angemessen sein dürfte. Das erstere hätte die gänzliche Zerstreuung des Korps und eine partielle Gefangenschaff nach sich gezogen, die weit trauriger als die unter gewissen Bedingungen gewesen wäre.

Ich entschloß mich daher den 7. November morgens, in dem Augenblick, da drei französische Armeen mich anzugreifen im Begriff waren, zu kapitulieren. ...

Die Schwäche meines Armeekorps entstand teils durch den Verlust, den ich in den kleineren Gefechten nach und nach, und insbesondere in der Schlacht von Lübeck, erlitt, teils aber auch durch die fatiguierenden (ermüdenden) Märsche, auf denen die Bataillone bei dem Mangel an Lebensmitteln täglich 40 bis 50 Mann zurücklassen mußten. Endlich war der General v. Pelet mit 4 Eskadrons von Bayern-Dragonern und der General v. Usedom mit 10 Eskadrons Husaren schon einige Tage vom Korps getrennt. Dazu kam, daß die Truppen des ehemaligen Herzoglich württembergischen Korps schon bei Halle sehr gelitten hatten.

In dem Augenblicke der Kapitulation hat der älteste Offizier vom Generalstabe den Fehler begangen, die Regimenter, die er nur im Durchschnitt angab, weit stärker anzusetzen, als sie waren, und auch die Truppen noch dazuzuzählen, welche teils vorher schon detachiert waren und teils den Tag zuvor in Lübeck vernichtet oder gefangen wurden. Die französischen Generale werden sich bei der Übernahme der kapitulierenden Truppen selbst überzeugt haben, daß ihre Zahl nicht die oben von mir angegebene überstieg.

(*Noch muß ich Eurer Königlichen Majestät anführen, daß einige Artikel in der Kapitulation nicht ganz nach meiner Intention ausgedrückt sind. Dies kommt daher, daß ich der französischen Sprache nicht genug mächtig bin und in dem Augenblick des Abschlusses niemand bei mir hatte, der dergleichen Verhandlungen ausrichten konnte.

Der Oberst v. Scharnhorst wird übrigens Eurer Königlichen Majestät von allem Auskunft geben können, was auf diesen Bericht einen Bezug hat.

Ich behalte mir noch vor, über das Verhalten der Truppen und Offiziere meinen pflichtmäßigen Bericht untertänigst abzustatten. In Hinsicht der letzteren erlaube ich mir nur dies hier zu sagen, daß die Generale und Kommandeure der Regimenter nicht durchgehend durch Tätigkeit und zweckmäßige Anstalten sich Eurer Königlichen Majestät Gnade verdient gemacht haben. Die Anzahl derer, welche hierauf einen gerechten Anspruch haben, ist ? es tut mir leid, es sagen zu groß.*)1) Die Truppen im allgemeinen haben eine Beharrlichkeit, Treue und Bravour gezeigt, die meine Erwartungen übertroffen und die sie unter anderen Umständen unsterblich gemacht haben würden.

Obgleich die Regimenter des Korps, welches der Herzog von Württemberg vorher kommandierte, bei Halle eine unglückliche Bataille geliefert und viel gelitten hatten, obgleich mein ganzes Korps über drei Wochen in ununterbrochenem Rückzuge war, täglich formierte Märsche von 5 bis 7 Meilen machte und, von allen Bedürfnissen entblößt, keine angemessene Kleidung, zum Teil keine Schuhe mehr hatte und, was noch mehr ist, seit drei Wochen überall kein Brot und seit 14 Tagen keine Besoldung erhielt: so hat dennoch ein jedes Regiment, ein jedes Detachement immer willig dasjenige getan, was von ihm gefordert wurde.

Der gute Wille, die ausdauernde Beharrlichkeit, die Bereitwilligkeit zu jeder Aufopferung zeigte sich auch noch im letzten Augenblicke, selbst nach dem Verlust von Lübeck. Ich schließe diesen Bericht mit der inneren Ruhe, welche das Gefühl, seine Pflicht erfüllt zu haben, einflößt, und ersterbe …

von Blücher.