Bericht eines Stabsoffiziers des Blücherschen Korps über das Gefecht in und bei Lübeck am 6. November

Bericht eines Stabsoffiziers des Blücherschen Korps über das Gefecht in und bei Lübeck am 6. November

Scharnhorst veröffentlichte diesen von ihm herrührenden Bericht in der „Hamburgischen Neuen Zeitung“ vom 14. November 1806, abgedruckt bei Klippel a.a.O., Bd. III, S. 280 ff.


Das Korps des Generalleutnants von Blücher passierte den 5. November des Abends durch Lübeck, eine starke Arrieregarde blieb auf den Dörfern zwischen Herrnburg und Selmsdorf, sie stand unter dem Generalmajor von Oswald; der Generalmajor v. Pletz stand mit ungefähr 500 Husaren vor dem Mühlentore in den nächsten Dörfern. In der Stadt lagen 11 Bataillone, die aber zum Teil nur sehr schwach waren, einige bestanden nur aus 100 Gemeinen.

Den 6. des Morgens wurden die Tore nach dem Lauenburgischen und Mecklenburgischen mit Geschütz besetzt. Da der Wall bei den Toren abgetragen ist, so konnten diese nur als besetzte Defileen angesehen werden. Das Burgtor wurde von dem Regiment Herzog von Braunschweig-Öls, dem Bataillon Ivernois und der Batterie Thadden und einer halben Batterie Kühnemann besetzt. Der Herzog von Braunschweig- Öls kommandierte diesen Posten. Das Höxtertor wurde von dem Regiment Owstien unter dem Obersten v. Görzke verteidigt. An dem Mühlentor stand das Regiment Tschammer, ein Bataillon Natzmer und die Batterie Lange. Dieser Posten stand unter dem Generalmajor v. Bellow. In der Stadt befand sich die Magdeburgische Füselierbrigade, die aber nur einige hundert Mann stark war, ein Bataillon vom Regiment Natzmer, ein Bataillon vom Regiment Jung Larisch, ein Detachement vom Kürassierregiment Beer, die Jäger, die aber auch nur ungefähr 150 Mann stark waren.

Alle diese Truppen standen unter dem Generalmajor v. Natzmer, den der Generalleutnant v. Blücher, nachdem er die obigen Anordnungen des Morgens früh getroffen hatte, zum Kommandanten der Stadt ernannte.

Die übrigen Truppen des Blücherschen Korps standen zwischen Hansfeld und Travemünde in den Dörfern und hatten die Übergänge der Trave bei Moislingen, Herren-Fähre usw. besetzt.

Schon um 8 Uhr wurden die leichten Truppen vor den Toren angegriffen, sie zogen sich bald darauf zurück durch die Stadt. Der Feind griff nun alle drei Tore, insbesondere das Burg- und Mühlentor, an. Das letztere beschoß er am stärksten mit schwerem Geschütz, überall wurden nach den Toren Granaten geworfen, die auch in die Stadt fielen.

Das vor dem Burgtor aufgestellte Bataillon Ivernois zog sich, als es stark gedrängt wurde, ins Tor; der Befehlshaber der einen Batterie, der brave Leutnant Thadden, war geblieben, der der anderen ließ jetzt aufprotzen und zog sich zurück. Diesem Beispiel folgten einige Kanonen der anderen Batterie, und nun war das Tor offen. Das Regiment von Braunschweig-Öls, an dessen Spitze sich der Herzog selbst befand, stellte sich den Eindringenden entgegen, es war aber schon zu spät, den gemachten Fehler des Batteriekommandeurs zu redressieren. Der Feind verbreitete sich in der Stadt, und obgleich die Kanonen noch auf den Straßen gegen ihn mit Kartätschen feuerten, so vermehrte sich doch immer die Zahl der Eingedrungenen. Als der Generalleutnant v. Blücher dieses ihm unerwartete Eindringen erfuhr, stellte er sich an die Spitze der Truppen, die er zuerst fand, drang auf der Breiten Straße bis an den offenen Platz Kaufberg vor und warf alles über den Haufen, was er vor sich fand. Der Oberst von Yorck, der sich durch Tapferkeit und Tätigkeit immer auszeichnete, obgleich er schon länger verwundet war, und mehrere einzelne Befehlshaber avancierten in den Straßen gegen den Feind und trieben ihn anfangs wieder zurück. Seine Überlegenheit wurde aber so groß, daß die Fechtenden, in die Flanke und den Rücken genommen, keinen Widerstand mehr leisten konnten. Die Truppen vor dem Höxter- und Mühlentor mußten sich von hinten verteidigen, während sie von vorne beschossen wurden. Der Feind focht mit großer Aufopferung; unsere Truppen zeigten auch in der mißlichsten Lage noch immer die größte Bravour; da sie aber an den Toren verteilt nicht zueinander kommen konnten, da die Überlegenheit des Feindes immer zunahm, so unterlagen sie am Ende der Übermacht.

Das Blüchersche Korps hatte seit 12 Tagen täglich 5 bis 7 Meilen marschiert, und vier hitzige Gefechte waren in den letzten 6 Tagen dem bei Lübeck vorhergegangen; das erste war bei Menz, unweit Fürstenberg, den 27. Oktober, das zweite bei Lychen den 28., das dritte bei Waren und Alt-Schwerin den 1. November, das vierte bei Criwitz und dem Dorfe Fähre den 3. November.

Die beiden letzten Aktionen waren sehr hitzig, und hier fochten alle Waffen, in keiner erhielt der Feind einen bedeutenden Vorteil. Wir bekamen unter anderen den Oberst Gérard, den Adjutanten des Fürsten von Ponte-Corvo, Vilatte, und den Ingenieurkapitän Larcher-Chaumont und mehrere Offiziere gefangen, viele blieben auf dem Platze. Es können weder die Anzahl der Gefangenen noch Blessierten hier bestimmt werden, indem wir die ersten in den großen Örtern lassen mußten und uns um die letzteren in der Lage, in der wir stündlich waren, wenig bekümmern konnten.

Mit der blutigen Aktion in und bei Lübeck endigte sich endlich die merkwürdige, mehr als 40 Meilen lange Retraite des Blücherschen Korps, deren Hauptzweck nach der Kapitulation des Hohenloheschen Korps bei Prenzlau, drei große feindliche Korps von dem Herzen der preußischen Staaten weit zu entfernen, erreicht wurde, und welche unter fast täglichen Gefechten, verfolgt und umgeben von einer ganz unverhältnismäßigen Übermacht, bis auf den Punkt ausgeführt ward, wo ein längerer Widerstand wegen der Lokalverhältnisse, in welchen sich das Korps zuletzt befand, wegen der durch Anstrengungen aller Art so außerordentlich abgenommenen Truppen-Anzahl desselben, wegen Mangels an Brot und allen Lebensbedürfnissen, vorzüglich aber wegen der nach der letzten Aktion so durchaus fehlenden Munition *), daß kein Gefecht mehr hätte engagiert werden können, unmöglich wurde.




*) Blücher unterschrieb die Kapitulation mit seinem Namen und darunter als Rechtfertigung: „Ich kapithullire, weil ich kein Brot und keine Muhnitsion nicht mehr habe.“