Fortsetzung (4)

Montags, am 29. machte Herr Geheimrat Bitter mir einen kurzen Besuch in meinem Gasthofe und kündigte mir an, dass der Herr Minister mich des Abends um sieben Uhr zu sehen wünsche. Ich begab mich zu der bestimmten Stunde in das Hôtel des Ministers und wurde von Sr. Exzellenz sehr wohlwollend empfangen. Der Herr Graf versicherte mich: er habe mit Vergnügen durch den Geheimrat Bitter vernommen, dass es nicht unmöglich sein werde, „meine Talente für den Dienst der Regierung zu gewinnen”, und forderte nach einer kurzen Unterhaltung über Gegenstände von geringerer Erheblichkeit mich auf, ihm meine politischen Ansichten zu entwickeln. Ich sprach meine Meinung offen und ohne Rückhalt aus, indem ich sagte, dass mir im gegenwärtigen Augenblicke der Kardinalpunkt der inneren Politik Preußens die Konstitutionsfrage zu sein scheine. Diese sei zwar in der Hauptsache durch Se. Majestät den König erledigt, doch gingen immer noch so viele Wünsche auf eine allgemeine Landes- und Volksvertretung, dass es mir unerlässlich erscheine, in dieser Beziehung die öffentliche Meinung aufzuklären und den Beweis zu führen, dass eine Konstitution in dem gewöhnlichen französischen Sinne weder dem deutschen Volkscharakter entspreche, wie derselbe sich geschichtlich gebildet habe, noch irgend einen der Vorteile gewähre, welche die freilich beinahe allgemein verbreitete Meinung voraussetze*).

*) Diese Ansicht kann irrig sein, da über politische Gestaltungen, die sich erst durch die Zukunft bewähren sollen, Niemand ein unfehlbares Urteil hat; lächerlich ist es aber, mir die Äußerung derselben, wie erst neuerlich im „Herold“ geschehen ist, als ein Verbrechen, als ein Zeichen des Abfalls vom Liberalismus anzurechnen, da ich dieselbe Ansicht, wie man aus der vorliegenden Sammlung sehen wird, bereits in meinen früheren Wirkungskreisen zu Braunschweig und zu Köln ausgesprochen hatte, in denen ich denn doch noch zu den „Liberalen“ gezählt wurde. Vergl. aber auch S. 194–197, wo man sehen wird, dass ich eine „Verfassung“ im deutschen Sinne, wo die Umstände sie zulassen, keineswegs verwerfe, sondern als eine der wesentlichsten Bedingungen des Fortschrittes in der politischen Entwicklung unserer Zeit anerkenne.


Dagegen scheine mir die ständische Verfassung Preußens nach Allem, was in den letzten Jahren bereits geschehen sei, noch einer kräftigeren Entwicklung zu bedürfen, die sie zum wahren Eigentume des Volkes mache, und deren Gipfel dann die vereinigten Ausschüsse sein würden. Mit den Forderungen, die in Bezug auf Zusammensetzung der Stände, auf Erweiterung ihrer Befugnisse und Ähnliches von verschiedenen Seiten erhoben würden, habe es keine große Eile, da die gegenwärtigen Einrichtungen für den Augenblick allen wirklich vorhandenen Bedürfnissen genügten und die gegebenen Formen erst von einem lebensfrischen Hauche durchdrungen sein müssten, ehe man an eine weitere Fortbildung denken dürfe; nur scheine mir eine größere Öffentlichkeit, wenn auch nicht durch Zulassung von Zuhörern, was weniger wesentlich sei, doch durch möglichst treuen und vollständigen Abdruck der Verhandlungen wünschenswert, da ich ohne diese eine wahre Teilnahme des Volkes an dem Ständewesen mir nicht zu denken vermöge. Hier unterbrach mich Herr Graf von Arnim, indem er mir sagte: „Das ist Alles recht gut, und was den letzten Punkt betrifft, so kann ich Ihnen sagen, dass wir Ihren Wunsche zuvorgekommen sind; den Rheinischen Ständen ist die Öffentlichkeit, wie Sie dieselbe meinen, bereits bewilligt: die Verfügung wird, wenn Sie nach dem Rheine zurückkehren, Ihnen vorausgegangen sein.“ Ich war angenehm überrascht und zugleich, wie ich nicht leugnen darf, durch das Vertrauen, das mir von einem so hochgestellten Staatsmann bei der ersten Begegnung bewiesen wurde, geschmeichelt. Ich fuhr mit freieren Mut in meiner begonnenen Auseinandersetzung fort und sprach mich in wenigen Worten für die kräftigste Belebung eines freien Städtewesens aus; für Annäherung in den Formen der Rechtspflege an die rheinischen, da die Herstellung einer Übereinstimmung für die Einheit des Staates notwendig sei, während die Rheinländer auf den Kern ihrer Einrichtungen aus freiem Willen niemals verzichten würden; für möglichste Befreiung der Presse von allen Beschränkungen, die doch nur ihren Zweck verfehlten, wenn ich gleich mir selbst nicht verhehlte, dass für den Augenblick eine völlige Aufhebung der Zensur noch nicht möglich sei. Der Graf von Arnim hörte mich ruhig aus, indem er mir mit einem klaren blauen Auge unverwandt in das Gesicht sah, und fragte mich nur bei der Erwähnung der Zensur, was denn meiner Meinung nach an deren Stelle gesetzt werden solle? Ich antwortete, dass die Zwecke, die der Staat bei der Handhabung der Zensur im Auge habe, zum größeren Teile bereits erreicht würden, wenn der Verfasser jedes in einer Zeitschrift erscheinenden Aufsatzes nur gehalten wäre, seinen Namen zu unterzeichnen; auch habe der Staat ohne Zweifel das Recht die Herausgeber und Mitarbeiter der Journale einem Examen zu unterwerfen, wie dasselbe ja nicht allein von Privatlehrern, Advokaten und Ärzten, sondern selbst von den Apothekern gefordert werde, die zu dem Staate doch keineswegs in so unmittelbarer Beziehung ständen, wie die Zeitungsschreiber. Die Nennung der Namen würde die Verbreitung lügenhafter Berichte und Entstellungen wirksamer hemmen, als jede Zensur; und das Examen würde die große Masse kenntnisloser Schwätzer zurückhalten, die gerade am meisten geneigt wären, ihre Unwissenheit und Gedankenarmut hinter aufregenden Übertreibungen zu verbergen ). „Solche Maßregeln”, versetzte Herr von Arnim, „möchten freilich die Zensur entbehrlich machen; aber das Geschrei darüber würde ärger werden, als über die strengste Zensur.“ Ich hielt es nicht für angemessen, den ganzen Vorrat meiner Gründe auszupacken, und fügte daher zum Schlusse der begonnenen oratio pro domo ["Rede für das (eigene) Haus." Cicero] nur hinzu: dass ich durch meine Mitwirkung an der Kölnischen Zeitung meine Übereinstimmung mit allen wesentlicheren Grundsätzen der Regierung betätigt zu haben glaube; nur sei ein Umstand vorhanden, der mich bedenklich mache, und dieser sei die Begünstigung, welche der allgemeinen Behauptung nach der sogenannte Pietismus *) in Berlin erfahre; ich für meine Person sei nichts weniger als irreligiös, aber zur Kopfhängerei fühle ich mich auf keine Weise hingezogen.

*) Ich bediente mich dieses aus dem vulgären Sprachgebrauche entlehnten Ausdruckes, obwohl ich sehr gut wusste, wie wenig derselbe die Sache trifft.

Der Herr Minister des Innern beruhigte mich, indem er mir sagte, dass es damit nicht so arg sei, und fragte mich, nach einer Pause, in welcher Weise ich, sofern wir uns verständigten, für die Regierung tätig zu sein wünschen würde; ob ich es vorzöge, durch besondere Abhandlungen und Flugschriften zu wirken, oder ob ich mich entschließen könne, an der Leitung der Staatszeitung Teil zu nehmen. Ich entgegnete, dass ich die Wirksamkeit in einem täglich erscheinenden Blatte für ungleich bedeutender halte, als die mehr abgerissene in Flugschriften, die selten eine große Verbreitung erlangten; dass aber auf der andern Seite die preußische Staatszeitung als ein amtliches Blatt der freien Besprechung nur einen sehr beschränkten Spielraum gewähren könne. Herr von Arnim versetzte: „Das hat auch das Gouvernement längst erkannt, und es ist deshalb im Werke, die Staatszeitung völlig umzugestalten und sie in ein Blatt zu verwandeln, das von allem direkten Einfluss der Regierung frei sein und nur im Allgemeinen ihr System und ihre Prinzipien vertreten soll.“ – „In diesem Falle”, erwiderte ich, „würde ich allerdings gern meine Dienste für die neue Zeitung anbieten.“ – „Nun, das ist mir lieb“, bemerkte der Herr Minister; „ich hoffe, dass sich Alles gut machen wird.“ Herr Graf von Arnim sagte mir darauf, dass er allein einen entscheidenden Beschluss nicht fassen könne, sondern erst mit seinen Kollegen Rücksprache nehmen müsse, mich jedoch in den nächsten Tagen wiedersehen und dann mir definitiven Bescheid erteilen werde. Ehe ich mich empfahl, fragte Herr von Arnim mich noch, welche äußere Ansprüche ich bei der Übernahme der mir zugedachten Stellung machen würde. Ich erwiderte, dass ich sehr mäßige Bedürfnisse habe, und nur die Mittel erwarte, diese auf anständige Weise zu befriedigen. Ich nannte die Summe von 1.200 Thlr., die ich als Jahrgehalt anspräche, und verschwieg nicht, dass mein bisheriges Einkommen in Köln, obwohl aus verschiedenen Quellen fließend, ein gleiches gewesen sei.

Des Donnerstages, am 2. Juni, in einer späten Abendstunde, wurde ich wieder zu einer Exzellenz dem Herrn Minister des Innern beschieden. Graf Arnim kam mir mit der Äußerung entgegen, dass Alles arrangiert sei. „Ihr Gehalt ist bewilligt, und wir wünschen jetzt nur, dass Sie sobald als möglich einen Anfang machen. Sie sollen durch das Mechanische nicht belästigt werden, und werden dafür Gehilfen erhalten, damit Sie sich um so ungestörter und freier bewegen können.“ Im Verlaufe der Unterhaltung, der eine Tasse Tee leichtere Bewegung lieh, äußerte der Herr Minister, dass die Umgestaltung der preußischen Staatszeitung jedenfalls mit dem ersten Juli in das Leben treten müsse; es würde daher gut sein, wenn ich bereits in den nächsten Tagen meine Tätigkeit begönne. Ich versprach zu tun, was irgend möglich sei, verhehlte jedoch die Schwierigkeiten nicht, die meinem Eintreten in die neue Wirksamkeit für den Augenblick entgegenstände, da ich notwendig vorher nach Köln zurückreisen müsse, um meine persönlichen Angelegenheiten zu ordnen. Das Äußerste, was ich zusagen könne, sei, um die Mitte des Monates wieder in Berlin zu sein. Damit war der Herr Minister denn auch zufrieden, und Se. Exzellenz waren so freundlich, mich darauf aufmerksam zu machen, dass ich auch dem Herrn Staats- und Kabinettsminister Generalleutnant von Thile mich vorzustellen habe, der den Wunsch ausgesprochen, mich kennen zu lernen. „Thile“, bemerkte Herr Graf von Arnim mir beiläufig, „hat über das Pekuniäre eine entscheidende Stimme.“ Nach einigen sehr wohlwollenden Äußerungen, deren Wiederholung hier nicht am Orte sein würde, entließ mich Herr von Arnim und gab mir die freundlichsten Wünsche auf den Weg. Ich benutzte den letzten Tag meines achttägigen Aufenthaltes in Berlin, um dem Kabinettsminister von Thile und dem Minister des Auswärtigen, Herrn von Bülow, meine Aufwartung zu machen, bei denen ich mich des schmeichelhaftesten Empfanges zu erfreuen hatte, musste aber bedauern, bei Sr. Exzellenz dem Herrn Minister des Kultus Eichhorn nicht vorgelassen zu werden, indem ich beschieden wurde, dass es dazu eines schriftlichen Gesuches um eine Audienz bedürfe, dessen Erfolg ich bei der Beschränktheit meiner Zeit unmöglich abwarten konnte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Blicke aus der Zeit in die Zeit. Band I