Fortsetzung (3)

Was ich am meisten befürchtete, war, dass die Ausschweifungen, welche sich die Rheinische Zeitung erlaubte, indem sie die christliche Religion, wie den bestehenden monarchischen Staat mit ihrem Hohne überschüttete der gesamten Presse zum Verbrechen angerechnet werden würden; und dass diese werde entgelten müssen, was ein Verein zum Teil geistreicher, aber unerfahrener junger Männer in einem einzelnen Blatte verschuldete. Nur zu bald sollte meine Besorgnis in Erfüllung gehen. Das erste Zeichen des drohenden Gewitters, das sich in den höheren Regionen zusammenzog, folgte meinen aus treuem Herzen kommenden und mündlich gegen ein Mitglied des Verwaltungsrates der Rheinischen Zeitung mehr als einmal wiederholten Warnungen beinahe auf dem Fuße. Der Lokalzensor in Köln, dem es leider an der philosophischen Bildung fehlte, die zum Verständnis der Rheinischen Zeitung unentbehrlich war, wurde von seinem Amte entfernt. Sein Nachfolger, ein junger Mann, der Assessor Wiethaus, der die ihm auferlegte Last nur widerwillig annahm und bei dem redlichsten Willen die Wichtigkeit einer Stellung nicht begriff, machte das Übel ärger. Von ihm hieß es im wörtlichsten Sinne:

            Dat veniam corvis, vexat censura columbas.
[sprichwörtlich gewordener Vers aus Juvenals „Satiren“ (II, 63):
Raben gewährt Nachsicht die Kritik, doch schilt sie die Tauben.]


Meine Aufsätze, die, wie ich später vernahm, zu Berlin in den höchsten Kreisen der Verwaltung „goutiert“ wurden, erfuhren durch den Rotstift eine Verstümmelung, die mich in die schönsten Zeiten der Braunschweiger Zensur zurückversetzten. „Dergleichen Dinge, wie ich sie mir herausnähme”, – nämlich der Tadel einzelner bestimmter Verwaltungsmaßregeln, – äußerte Herr Wiethaus gegen den Verleger und verantwortlichen Redakteur der Kölnischen Zeitung, „wären eigentlich allein gefährlich, während philosophische Erörterungen, die über den Gesichtskreis des Volkes hinausgingen, nichts schaden könnten.“ Diesem Grundsatze gemäß ließ Wiethaus der Rheinischen Zeitung freies Spiel, nicht zu ihrem Heile und eben so wenig, wie sich zeitig genug offenbarte, zum Heile der Presse im Allgemeinen. Die nächste Folge war, dass Herr Wiethaus nach wenigen Monaten dem Regierungsrat Graßhof Platz machte, bei dem ich für meine Person aus dem Regen unter die Traufe kam; denn ich sah mich jetzt genötigt, meine Tätigkeit völlig einzustellen, bis ein eigens zur Handhabung der Zensur in Köln von Berlin gesandter Beamter, Herr von Saint-Paul, eintraf, mit dem ich mich leicht verständigte. Zu dieser Zeit war das Schicksal der Rheinischen Zeitung bereits entschieden; Herr von Saint-Paul hatte hauptsächlich den Auftrag, das verfemte Blatt in anständiger Weise zu Grabe zu geleiten.

Während der kurzen Frist, die mich zu unfreiwilliger Muße verurteilte, war in der Meinung des Rheinlandes eine Veränderung vor sich gegangen, die, wie ich nicht leugnen kann, als ich dieselbe zuerst wahrnahm, mich nicht wenig überraschte, da ich für dieselbe keine hinreichende Ursachen vorhanden glaubte. Die Ankündigung der bevorstehenden Unterdrückung der Rheinischen Zeitung, die der Ankunft des Herrn von Saint-Paul vorausging, hatte das Rechtsgefühl, welches bei dem Rheinländer, wie bei jedem nicht ganz entarteten Deutschen stärker ist, als jedes andere, auf das Tiefste verletzt. Man konnte sich nicht überzeugen, dass eine solche Maßregel durch irgend eine Notwendigkeit geboten sei, während die Behörde die Macht hatte, durch die Zensur die Veröffentlichung jeder nicht allein nach den Gesetzen strafbaren, sondern ihr selbst nur missfälligen Äußerung zu hindern. Die Ansichten der Rheinischen Zeitung waren nur in sehr beschränkten Kreisen gebilligt worden; aber man betrachtete es als eine willkürliche Eigentumsverletzung, wenn eine Anstalt, auf deren Begründung nicht unbeträchtliche Summen verwandt waren, weil man dieselbe durch die Zensur gegen alle weitere Einschreitungen von Seiten des Staates sicher gestellt glaubte, ohne Urteil und Recht durch eine einfache Verwaltungsmaßregel vernichtet werden sollte. Man sah in dem einen Schritte den Ausdruck eines ganzen Systems, welches auf dem Grundsatze der Ausübung einer willkürlichen Gewalt beruhte. Dazu kam, dass die Versammlung der ständischen Ausschüsse zu Berlin die Erwartungen, mit denen man derselben entgegen gesehen, keineswegs befriedigt hatte. Die Absetzung des Professors Hoffmann zu Breslau, das Verbot der Leipziger Zeitung, der Entwurf des neuen Ehescheidungsgesetzes, obwohl derselbe die katholischen Rheinländer nicht unmittelbar berührte, die Zensurinstruktion vom 31. Januar 1843 nährten das einmal erwachte Misstrauen; und als nun die Provinzialstände der übrigen Provinzen zusammentraten und sich die Kunde von einem in geheimnisvoller Stille vorbereiteten allgemeinen Strafgesetzbuche verbreitete, durch welches die am Rhein seit Menschengedenken unbekannte Prügelstrafe eingeführt und die dem Rheinländer teure Einrichtung des Geschworenengerichtes angetastet werden sollte, bildete das Misstrauen sich zu einer entschiedenen Missstimmung aus, die der vorurteilsfreie Blick sich unmöglich länger verbergen konnte. Ich selbst konnte mich durch Erscheinungen, die ich, wie sehr ich sie auch bedauern musste, nur als vereinzelte ansah, in meinem Vertrauen zu der über allen Stürmen des Parteigeistes stehenden Weisheit der Regierung nicht irre machen lassen. Aber meine ganze Wirksamkeit war gelähmt. Auf der einen Seite durfte ich nicht hoffen, bei den Bevölkerungen Gehör zu finden, wenn ich den einmal herrschenden Ansichten da, wo sie mir irrig erschienen, all zu schroff entgegentrat; auch war es mir kaum noch gestattet, selbst in der mildesten Form eine abweichende Meinung darzulegen, da der Eigentümer der Zeitung nicht geneigt war, die Folgen der Ungunst zu tragen, die er für sein Blatt befürchtete. Auf der andern Seite setzte ich mich, wenn ich dem Strome nachgab, so weit dies unvermeidlich war, einer Verkennung meiner Absichten und Gesinnungen bei der Verwaltung aus, die ich, nach keiner Gunst verlangend, wohl über mich hätte ergehen lassen, wenn mir nicht auch hier die Möglichkeit abgeschnitten gewesen wäre, meinen eigenen Weg zu gehen. Während Herr Josef Dumont durch die dringendsten Vorstellungen mich bestimmte, mehr als einen meiner Aufsätze zurückzulegen, durch die ich für andere mir die Nachsicht der Behörden gewonnen hätte, stutzte Herr von St. Paul diese andern mittelst seines amtlichen Rotstiftes auf eine Weise zu, durch die sie wahrlich nicht zu ihrem Vorteile verbessert wurden. Unter solchen Umständen hatte ich keine andere Wahl, als von einem Blatte auszuscheiden, in dem es mir nicht länger vergönnt war, mit Ehren tätig zu sein.

Für mich persönlich betrachtete ich es als keinen allzugroßen Verlust, dass ich auf diese Weise veranlasst wurde, von dem dornenreichen Felde der Tagespolitik abermals zurückzutreten. Für das Erste war ich mit der Vollendung meiner Geschichte der letzten fünf und zwanzig Jahre vollauf beschäftigt; außerdem nahmen noch einige andere literarische Plane meine ganze Kraft in Anspruch, mit denen ich mich zum Teil seit meiner Universitätszeit getragen, die ich nie aus dem Auge verloren hatte, von deren Ausführung ich aber jedesmal, sobald ich mich rüstete, ernstlich daran zu gehen, durch ein ungünstiges Geschick zurückgeschleudert worden war. Auch diesmal sollte es anders kommen, als ich mir die Rechnung gestellt hatte. Es war gegen das Ende des Maimonates im Jahre 1843, als der Regierungspräsident von Köln, Herr von Gerlach, durch einen seiner Sekretäre mich mündlich zu sich einladen ließ, um, wie mir gesagt wurde, mir eine interessante Mitteilung zu machen. Ich besuchte den Herrn Präsidenten noch desselben Tages und wurde nach den herkömmlichen Höflichkeitsbezeugungen von ihm befragt, ob ich wohl nicht abgeneigt wäre, nach Berlin zu reisen? Meine Erwiderung war, dass ich zwar gerade im Augenblicke nicht wüsste, was mich nach Berlin führen sollte; dass es mir aber allerdings nichts weniger, als unangenehm sein würde, nach mehr als zwanzigjähriger Abwesenheit die Hauptstadt meines Vaterlandes wieder zu sehen. Herr von Gerlach eröffnete mir hierauf, dass er, falls ich geneigt wäre, diese Reise anzutreten, beauftragt sei, mir volle Entschädigung für meine aufgewandten Kosten zuzusichern; mehr könne er mir nicht sagen, weil er das, was man von mir wolle, selbst nicht wisse. Ich war einigermaßen überrascht, überlegte jedoch nicht lange, sondern erklärte mich bereit, dem auf so geheimnisvolle Weise mir angedeuteten Wunsche zu entsprechen; worauf Herr von Gerlach sich begnügte, mich zu ersuchen, meine Abreise so sehr als möglich zu beschleunigen, vorher aber, sobald meine Vorbereitungen beendigt wären, ihn noch einmal mit einem Besuche zu beehren. Zwei Tage darauf hatte ich einen Platz in der Schnellpost nach Berlin belegt, und ging der Verabredung gemäß zu dem Herrn Präsidenten, um meinen Abschiedsbesuch zu machen. Herr von Gerlach wiederholte mir, dass er zwar außer Stande sei, mir irgend eine Aufklärung zu geben, mich aber ersuchen müsse, bei meiner Ankunft zu Berlin mich Sr. Exzellenz dem Herrn Minister des Innern vorzustellen. Ich kann nicht leugnen, dass ich eine Weisung dieser Art erwartet hatte. Es war mir nicht entgangen, dass man in Berlin die hohe Bedeutung der periodischen Presse wohl zu würdigen wisse, und ich war mir bewusst, bei meiner vieljährigen Erfahrung auf diesem Gebiete auch Staatsmännern einen guten Rat geben zu können. War doch, wie man aus dieser Sammlung ersehen wird, selbst die Errichtung des Oberzensurgerichtes, die ich in der Kölnischen Zeitung mit Freuden begrüßte, viele Jahre vorher von mir zuerst in Vorschlag gebracht worden*). Ob man dessen sich zufällig erinnerte oder nicht, lasse ich dahin gestellt sein; es ist mir, wenn meine Gedanken nur zur Ausführung kamen, nie viel daran gelegen gewesen, ob gerade mir die Ehre der Erfindung zugeschrieben wurde; auch war ich weder eitel noch anmaßend genug, das Prioritätsrecht für eine Schöpfung anzusprechen, die durch ein allgemein gefühltes Bedürfnis hervorgerufen wurde, nachdem der Zeitungsaufsatz, welcher dies Bedürfnis hervorhob, längst vergessen war.

*) S. den Aufsatz: Vorschlag eines Zensurgerichtes S. 187–191 dieser Sammlung.

Ich traf am 26. Mai des Abends um sechs Uhr zu Berlin ein und suchte am andern Morgen um acht Uhr, da ich dem Herrn Minister zu einer so frühen Stunde nicht meine Aufwartung machen konnte, zuvörderst den geheimen Regierungsrat Bitter auf, von dem ich wusste, dass er mit dem Referat über alle die Presse betreffende Angelegenheiten beauftragt war, und dass er sich mit Teilnahme über meine literarische und politische Wirksamkeit in Köln geäußert hatte. Der Herr Geheimrat war „sehr erfreut, mich persönlich kennen zu lernen”, beschämte mich durch verschiedene schmeichelhafte Äußerungen und sagte mir: er werde Se. Exzellenz den Herrn Grafen von Arnim sogleich von meiner Anwesenheit unterrichten und mich von der Stunde in Kenntnis setzen, in der Se. Exzellenz mich zu empfangen wünsche, was sich aber wegen augenblicklicher dringender Abhaltungen wohl bis zum Montage verziehen könnte *).

*) Da der geheime Regierungsrat Bitter inzwischen verstorben ist, so habe ich mir es zum Gesetze gemacht, aus den Unterredungen mit ihm nur das Unumgängliche anzuführen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Blicke aus der Zeit in die Zeit. Band I