Fortsetzung (1)

Nach mehrmonatlichen Verweilen in Leipzig, während dessen ich, zu meiner nicht sehr freudigen Überraschung, einen wahrscheinlich durch meine kurz vorher im Cotta'schen Verlage erschienene „Geschichte Polens“ veranlassten, jedenfalls auf einem Missverständnisse beruhenden Ruf in das auswärtige Departement der revolutionären Regierung zu Warschau erhielt, ging ich, einer Einladung des Buchhändlers Eduard Vieweg folgend, nach Braunschweig, wo ich die „Deutsche Nationalzeitung“ begründete: ein Tagblatt, dessen vornehmster Zweck war, in dem bisher in politischer Hinsicht durchaus verwahrlosten deutschen Norden die Anfangsgründe einer gesunden politischen Bildung zu verbreiten und vor Allem die durch die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit in nicht wenigen Gemütern erschütterte deutsche Gesinnung von neuem zu befestigen. Inwiefern mir Beides gelungen ist, steht mir nicht zu, zu beurteilen. Dagegen glaube ich die freundliche Unterstützung, die das Unternehmen in einem weiten Kreise fand, nicht verschweigen zu dürfen. Unmittelbar nach der Ausgabe der Probenummern waren die Kosten durch die Abonnenten aus der damals noch wohlhabenden Stadt und aus der Umgegend gedeckt; nach Ablauf des ersten Vierteljahres gehörte das Blatt bereits zu den am meisten verbreiteten im nördlichen Deutschland. Später ging zwar der Absatz beträchtlich zurück, was eine Gründe teils in einer von der königlich hannoverschen Regierung mit Genehmigung der Ständeversammlung ergriffenen fiskalischen Maßregel, teils in einem Drucke der Zensur hatte, der bis zu einer selbst in Deutschland beispiellosen Höhe stieg. Die deutsche Nationalzeitung hatte der braunschweigischen Regierung in den schwierigsten Zeiten nicht unwesentliche Dienste geleistet; selbst von der deutschen Bundesversammlung, die anfangs das Blatt einer derben, kräftigen und, so lange es erlaubt war, kühnen Sprache wegen in ihr schwarzes Buch eingetragen hatte, war nach den Berichten des herzoglichen Bundesgesandten, Freiherrn von Marschall, die vaterländische deutschgesinnte Richtung desselben belobend anerkannt worden; aber wenn eine Zeitlang deutscher Freimut gegenüber den offenen Versuchen zum Vaterlandsverrat noch willkommen war, so trat bald eine Periode ein, in der jede selbständige Gesinnung, wie unzweifelhaft loyal sie auch sein mochte, als revolutionär galt, weil sie es nicht vermeiden konnte und wollte, zuweilen unbequem zu werden. Ohne Zweifel trug auswärtiger Einfluss, dem man sich nicht immer zu entziehen vermochte, einen Teil der Schuld, wenn die unverfänglichsten Äußerungen dem Rotstifte des Zensors verfielen, sobald sie nicht das unbedingte Lob jeder beliebigen Maßregel aller großen und kleinen deutschen Regierungen enthielten; in der Ausübung der Gewalt liegt aber etwas so Verführerisches, dass es schwerlich lange besonderer Aufforderungen von Außen bedurfte, um die möglichste Unterdrückung jeder freien Meinungsäußerung als etwas sich von selbst Verstehendes erscheinen zu lassen. So war zuletzt in der „Deutschen Nationalzeitung aus Braunschweig und Hannover“ nicht einmal der Abdruck wörtlich treuer Auszüge aus den Inhaltsanzeigen der gedruckten und für die Öffentlichkeit bestimmten Protokolle der braunschweigischen Ständesitzungen gestattet. In Bezug auf die hannoverschen Angelegenheiten ging mir während des bekannten Verfassungsstreites die amtliche Weisung zu, überhaupt nichts aufzunehmen, als was aus dem amtlichen Teile der hannoverschen Zeitung entlehnt war. Nach der Anführung solcher Beispiele brauche ich es wohl kaum erst zu sagen, dass von den selbstständigen teils räsonierenden, teils berichtenden, die Ereignisse eines gegebenen Zeitabschnittes in eine gedrängte Übersicht zusammenfassenden und mit geschichtlichen oder geographischen und statistischen Erläuterungen begleitenden Aufsätzen, mit denen ich Tag für Tag jede Nummer der Zeitung eröffnete, kaum ein einziger dem Schicksale entging, durch die Zensur mehr oder weniger verkürzt zu werden.

Aus einem ungeheuren Vorrate glaube ich jetzt, nachdem die Verhältnisse sich denn doch sehr zum Besseren geändert haben, einige Proben, die mir ungesucht in die Hände fallen, zum Belege hervorheben zu dürfen. Von der Politik des Königs der Franzosen war mir nicht gestattet zu sagen, dass dieselbe eine „gewundene“ Bahn beschreibe. Ich durfte sagen, dass Ludwig Philipp die Gewalt, die er zu der Begründung und Befestigung der Ordnung verwenden wollte, erst den Gegnern derselben entwinden musste; dagegen durfte ich nicht hinzufügen: die traurigen Beispiele der ersten Revolution hätten ihn belehrt, „dass dies durch die Lift, die den Schein nachgiebiger Schwäche annehme, oft, durch die verwegenste Kühnheit im offenen Kampfe nie gelinge.“ Von der französischen Pairskammer war es mir nicht erlaubt zu behaupten, dass die Julirevolution, indem sie die letzten Reste ihrer Unabhängigkeit aufhob, „dieselbe in eine Art vornehmer Invalidenanstalt verwandelt“ habe. In einem Aufsatz über den Aprilprozess hatte ich geäußert, dass die französische Pairskammer, indem sie den Angeklagten das Recht der freien Wahl ihrer Verteidiger entzog, „die tumultuarischen Auftritte, die jetzt erfolgten, selbst hervorgerufen habe.“ Ein so revolutionärer Satz wurde natürlich durch die Zensur beseitigt; eben so der Schluss des ganzen Aufsatzes, in dem ich vorhersagte, was freilich durch den Erfolg unmittelbar bestätigt wurde, dass man genötigt sein werde, von den Gesetzwidrigkeiten, die man sich einmal erlaubt habe, zu neuen größeren fortzuschreiten, weil „auf dem Wege der Willkür und der Gewalt der erste Schritt immer unvermeidlich den zweiten nach sich ziehe.“ Bei einer andern Gelegenheit hatte ich mich missbilligend über das Verfahren der französischen Minister ausgesprochen, welche das Mittel, die Bourgeoisie und die Kammern durch Vorspiegelung des Schreckbildes der Revolution einzuschüchtern, um sie zur Annahme ihrer Maßregeln zu bestimmen, doch etwas gar zu sehr verbrauchten. Ich bediente mich, um meine Meinung in möglichster Kürze auszudrücken, eines Bildes, das freilich nicht das kostbarste war, indem ich an die Fabel von dem Hirtenknaben erinnerte, „der so lange seine Nachbarn durch das Geschrei zum Besten hatte, welches er ohne Grund erhob, bis ihm Niemand mehr glaubte, als der Wolf wirklich in seine Herde einbrach.“ Ein so respektwidrige Vergleich konnte vermutlich um so weniger geduldet werden, als schon die Trivialität derselben das Geschmacksurteil des Zensors verletzte. Ich glaube bei dieser Gelegenheit dem französischen Gesandten in Hannover, Martin, einem Bruder des bekannten Ministers Martin du Nord, das Zeugnis nicht vorenthalten zu dürfen, dass ich es besonders seiner diplomatischen Rührigkeit zu verdanken hatte, wenn mir, dem unbedeutenden braunschweigischen Zeitungsschreiber, zu derselben Zeit jedes freie Urteil über Frankreich und französische Zustände, so weit dies in der Macht der Zensur stand, verkümmert wurde, während die französischen Journale sich nach Herzenslust in den boshaftesten Ausfällen gegen alle deutsche Regierungen ergingen.


Nicht viel besser, als bei der Besprechung der französischen, erging es mir bei der Erörterung britischer Angelegenheiten. In einem Aufsatz über den Nationalhass der Franzosen und der Engländer machte ich beiläufig folgende Bemerkungen: „Ein Volk kann nie in eine Lage kommen, in der die Pflicht der Selbsterhaltung aufhörte. Die ihrer Selbstständigkeit beraubte, mit Gewalt unterjochte Nation hat daher, so lange nicht jeder Funke von Lebenskraft in ihr erloschen ist, die heilige Pflicht, ihre Unterdrücker mit dem glühendsten, mit dem tödlichsten Hasse zu verfolgen. Der Deutsche war ein schlechter Bürger, der nicht von Hass gegen die Franzosen durchdrungen war, so lange sein Vaterland unter französischem Joche schmachtete. Es versteht sich von selbst, dass das, was uns Deutschen recht war, jedem andern Volke in gleicher Lage billig ist.“ Diese allgemeinen Bemerkungen konnten möglicherweise als eine Anspielung auf Polen gedeutet werden; sie durften keine Gnade finden. Die Unterdrückung der Orangelogen durch die englische Regierung gab mir Veranlassung, die Verfassung und die Wirksamkeit jener geheimen hochverräterischen Verbindung nach parlamentarischen Aktenstücken darzustellen. Der ganze streng geschichtliche Aufsatz wurde wunderbar verstümmelt. Ich hebe von den gestrichenen Stellen nur zwei heraus, die nichts als aktenmäßig erhärtete Tatsachen enthielten. „Jede Misshandlung, die ein Orangeman sich gegen einen Katholiken erlaubte, blieb ungestraft, und selbst der Mord fand Entschuldigung, wenn derselbe durch religiösen oder politischen Fanatismus veranlasst war.“ Gestrichen! „Der Bund der Orangemen übte nicht allein in der Tat den härtesten Druck; er fügte zum Schaden auch noch den Hohn und die Beschimpfung, indem er keine Gelegenheit vorübergehen ließ, den katholischen Iren auf die gehässigste Weise ihre Erniedrigung zurückzurufen. Die Befreiung von einem solchen Joche ist ein Dienst, den die irische Nation nur durch ihre innigste Liebe und durch die aufrichtigste Dankbarkeit vergelten kann.“ Dreimal gestrichen! Hier war es also nicht einmal erlaubt, eine gerechte Maßregel einer auswärtigen Regierung zu loben. Die Thronrede, in welcher die Königin von England ihre bevorstehende Vermählung mit dem Prinzen Albert von Coburg ankündigte, veranlasste eine Reihe Bemerkungen, die ich hier in extenso wiederhole, weil dieselben mir auch jetzt noch der Beachtung nicht unwert scheinen. „In der allgemeinen Entwicklung der Menschheit vertreten die Frauen vorzugsweise die Gefühlsseite, in deren ganzem Wesen etwas Dunkles, Geheimnisvolles und Unbestimmtes liegt, welches der schärfte Verstand umsonst sich bemüht, aus dem innersten Grunde des Gemütes an das Licht zu ziehen. Hierin und keineswegs bloß in der körperlichen Schwäche des weiblichen Geschlechtes, die dasselbe zwang, neben dem kräftigeren Manne zurückzutreten, liegt der wahre Grund, weshalb das Weib von jeher von der Teilnahme an dem öffentlichen Leben ausgeschloffen war und in demselben immer eine mehr leidende, als tätige Rolle spielte. "Wir haben noch keine Geschichte der Menschheit, weil in allen Versuchen, die man bisher gemacht hat, die geistige Entwicklung der Menschheit darzustellen, immer nur die Verstandesseite hervorgehoben und die Gemütsseite entweder ganz übersehen oder wenigstens nicht in ihrer vollen Bedeutung aufgefasst ist. Das Gemüt hat aber eben so eine fortschreitende Entwicklung, wie der Verstand. Da Gefühl und Verstand nur verschiedene Richtungen einer und derselben geistigen Kraft sind, so kann die eine nicht ausgebildet werden, ohne dass auch die andere einen Fortschritt in ihrer Ausbildung machte. Die moderne Welt steht in ihrer Gemütsbildung eben so hoch über dem Altertume, als in ihrer Verstandesbildung. Deshalb nehmen auch die Frauen in unsern Tagen eine ungleich würdigere Stellung in der Gesellschaft ein, als zu irgend einer früheren Zeit. Nur ist es ein lächerliches Missverständnis, wenn man darauf, dass wir anfangen, dem weiblichen Geschlechte die gebührende Stellung in der Gesellschaft einzuräumen, die sonderbare Forderung der Emanzipation des Weibes gründet. Eine Emanzipation, die dem Weibe gleiche Rechte mit dem Manne zugestände und mit diesem eine gleiche Stellung einräumte, würde dasselbe nicht erheben, sondern erniedrigen, weil sie das Weib nötigte, seiner eigensten Natur untreu zu werden. Eine solche Befreiung wäre keine Erhebung zur Freiheit, sondern eine Erniedrigung zur tiefsten Knechtschaft; denn keine andere Knechtschaft kann so erniedrigend sein, als jene, welche uns die Verleugnung unserer geistigen Eigentümlichkeit auflegt.“ Der Schlusssatz wurde vom Zensor gestrichen, weil die Königin von England, wenn sie denselben gelesen hätte, darin vielleicht eine Beleidigung gefunden haben würde. Damit war der ganzen Beweisführung die Spitze abgebrochen, und dass beinahe jede andere Pointe, die irgend wo die empfindlichste Erregbarkeit verletzen konnte, ein gleiches Schicksal traf, wird man mir ohne weitere Belege auf mein Wort glauben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Blicke aus der Zeit in die Zeit. Band I