Blick über die Westgrenze 1937

Aus: Jüdisches Gemeindeblatt. Köln, 7. Mai 1937 Nummer 19 - 7. Jahrgang
Autor: Redaktion: Jüdisches Gemeindeblatt, F. N., Erscheinungsjahr: 1937

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, jüdische Geschichte, Auswanderung, Holland, Antisemitismus, Progrome, Judenhass, Judenverfolgung, Portugal, Vertreibung
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Angemeldet beim Sonderbeauftragten des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda betreffs Überwachung der geistlich und kulturell tätigen Juden im deutschen Reichsgebiet.

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Als vor nunmehr vier Jahren Hunderte und Aberhunderte aus unseren Reihen, besonders aus Rheinland und Westfalen, sich nach Holland wandten, um dort eine neue Existenz zu finden, zeigte sich die altberühmte Gastlichkeit des kleinen Staates wieder einmal in hellem Lichte. Bis 1934 gehörte das kleine Holland zu den wenigen Ländern des europäischen Kontinents, die Ausländern gestatteten, Arbeit ohne besondere Erlaubnis anzunehmen. Die holländischen Juden leisteten dazu durch Gründung von Hilfskomitees bzw. Kreditgewährung und individuelle Beratung Vorbildliches in der jüdischen Auswandererfürsorge. Unser Dank bleibt ihnen für alle Zeit gesichert. Die folgenden Jahre brachten naturgemäß auch hier Einschränkungen für die jüdische Einwanderung aus Deutschland, nachdem bereits eine erhebliche Weiterwanderung aus Holland nach Übersee und Palästina eingesetzt hatte. Demnächst finden in Holland Parlamentswahlen statt, bei denen zum ersten Male in diesem klassischen Lande der Toleranz und Glaubensfreiheit, wo es ein „Judenproblem“ niemals gegeben hat, sich antisemitische Parolen in den Chorus der Parteistimmen mischen.

In der Geschichte der Niederlande lässt sich geradezu eine projüdische Toleranz konstatieren. Im Jahre 1593 traf die erste Gruppe portugiesischer Marrannen mit Jakob Tirado in Amsterdam ein, und schon das folgende 17. Jahrhundert gilt in der Geschichte der Amsterdamer sefardischen Gemeinde als goldenes Zeitalter. Aus der Lebensgeschichte Uriel da Costas notieren wir folgenden einzigartigen Sachverhalt: Bei den marrannischen Juden Amsterdams war damals nicht nur die Führung zweier Namen, eines portugiesischen und eines hebräischen, gebräuchlich, sondern oft auch die Führung dies Decknamens, weil sich die portugiesische Inquisition immer noch bemühte, die in Amsterdam angesiedelten Flüchtlinge festzustellen, um wenigstens an den in Portugal verbliebenen Familien ihre blutige Rache nehmen zu können. Die holländische Regierung billigte daher ausdrücklich die Führung von Decknamen und konzedierte den sefardischen Juden, dass sie nicht verpflichtet seien, ,,auf Fragen betreffend die jüdische Religion der Wahrheit entsprechende Erklärungen oder Aussagen abzugeben", Adam Romez war z. B. ein solcher Deckname da Costas, der im freien Holland der bekannten Tragödie seiner Gesinnung entgegenging.

1937, dreihundert Jahre später, sieht sich das holländische Judentum einer antisemitischen Propaganda, man kann sagen: jüdischem Gesamtschicksal, gegenüber. Unter den Parteien, die sich um einen Sitz in der Kammer bemühen, befindet sich auch die „Nationalsozialistische Bewegung Hollands“ (NSB.), deren Propaganda eine antisemitische Note trägt. Die NSB. ist eine faschistische Partei, die laut Programm und dazu veröffentlichten Kommentaren in der Judenfrage dem Vorbilde Italiens folgen will. Rassen-Antisemitismus wird abgelehnt, die offizielle Parteileitung behauptet auch immer wieder, nicht judenfeindlich zu sein, und formell können sogar Juden Mitglieder der Partei werden (früher gab es eine Anzahl jüdischer Mitglieder). Tatsächlich wird aber seit etwa anderthalb Jahren judenfeindliche Propaganda auf allen Gebieten getrieben, die sich vor allem gegen die Einwanderung von Juden aus Deutschland richtet. In den Presseorganen der Partei: „Volk en Vaderland“ und „Het Nationale Dagblad“ erscheinen dauernd Artikel, die offen und versteckt antisemitische Parolen enthalten, und kürzlich erklärte der Leiter der Bewegung, Ingenieur A. A. Mussert, dass die Partei zwar nicht antisemitisch sei, mit der übermäßigen Beherrschung der Juden auf allen Gebieten aber ein Ende machen werde, sobald sie an die Regierung käme. Dies ist die Situation, ohne pessimistische Übertreibung dargestellt. Es erübrigt sich, die radikalen Strömungen zu verfolgen, die der aufgezeigten Entwicklung zur Ausbreitung doktrinärer Vorurteile günstig sind. Soviel kann noch gesagt werden: bei rückgängiger Arbeitslosigkeit. Besserung der Wirtschaftslage, wird eine eigentliche Gefahr für die Juden Hollands kaum akut werden. Nach den letzten wirtschaftlichen Berichten ist bereits ein erheblicher Rückgang der holländischen Arbeitslosigkeit zu konstatieren. F. N.

Holland 001

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Holland 003 Windmühle

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Holland 009

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Holland 022 Leyden

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