Brief I und II

Den ersten Brief schreibt die jungvermählte Erbgroßherzogin (aus Doberan) zwei Monate nach ihrer Hochzeit. Er lautet:

I.


Dobberan, d.24.Juli 1822.

Mein bester Herr Schmidt.


Sie haben mich sehr angenehm überrascht durch Ihren freundlichen Brief. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen dafür danken soll. Ich will Ihnen aber meine Freude dadurch zeigen, daß ich Ihnen so schnell antworte, besonders da ich jetzt recht viel unwohl bin, Ihnen aber gerne diese gesunde Stunde weihe. - Mir geht es im neuen Vaterlande unendlich gut, ich bin aber auch mit so viel Liebe empfangen worden, daß es garnicht anders sein kann. Der Großherzog 2) behandelt mich mit soviel Güte, und meine Schwiegermutter - eine solche Frau giebt es wirklich nicht mehr! Ich hänge auch mit ganzer Seele an ihr, sie besitzt mein ganzes Vertrauen, sie liebt mich aber auch sehr und steht mir immer mit ihrem guten Rath bei. Sie würde Ihnen, liebster Herr Schmidt, sehr gefallen. Sie ist aber von einer ganz anderen Art, als Tante Wilhelm 3), wohl viel strenger in ihren Grundsätzen.

Nun muß ich Ihnen doch ein wenig von meinem jetzigen Aufenthalt erzählen. Dobberan liegt in einer Tiefe, die sehr fruchtbar ist. Der Ort an sich ist natürlich ganz klein, daher so sehr ländlich, was ihm eben das angenehme Ansehen giebt. Das Haus des Großherzogs, in dem ich wohne, liegt sehr freundlich, da es auf dem Camp ist, welches ein großer Platz ist, auf dem viele schattige Alleen angelegt Sind. In der Mitte ist ein schöner grüner Platz, dessen eine Seite mit Bondikon eingefaßt ist, von dem ich Ihnen einige Proben schicke und Sie bitte, dieselben unter Ihrer Familie zu vertheilen. Eine halbe Stunde von dem Orte sind die Badehäuser, dicht an der See selbst. Der Eindruck, welchen die See auf mich gemacht, ist unbeschreiblich. Es ist ein so erhabner Anblick, besonders wenn es stürmisch ist. Seit meinem dritten Lebensjahre hatte ich die See nicht gesehen; man fühlt sich so klein und nichtig, wenn man am Ufer steht; und nun erst, wenn man darauf herumfährt! Zweimal bin ich von ihr schon leicht hinweggetragen worden.

Leben Sie nun wohl, lieber Herr Schmidt, nehmen Sie noch meinen Dank für Ihren Brief! Ich hoffe, daß es Ihnen noch immer recht gut gehen mag. Recht oft bedauere ich es, daß ich Ihren Unterricht missen muß, er war mir soviel werth. Noch bin ich nicht dazu gekommen, mich recht ernsthaft zu beschäftigen. Dies muß man aber einer jungen Frau zu gut halten, die nur glücklich ist, wenn ihr Mann um sie ist, und dieser wohl manche Störung verursacht. Doch seien Sie überzeugt, daß ich Ihrer noch mit recht viel Liebe gedenke! Schreiben Sie mir einmal wieder, wenn Sie Zeit haben.

Ihre dankbare Schülerin
Alexandrine.
Kameke grüßt Sie herzlich.



II.

Ludwigslust, d. 30. Dec. 1822.

Lieber Herr Schmidt!


Ich danke Ihnen sehr für das übersandte Buch und für Ihren Brief, welcher mir viel Freude gemacht hat, und ich daraus gesehen habe, daß Sie noch zuweilen Ihrer Schülerin gedenken. Frl. v. Kameke freut sich gewiß jedesmal, wenn Sie sie besuchen und sie sich mit Ihnen der verflossenen Zeit erinnern kann. Ich begreife es sehr gut, daß Sie sich noch immer nicht in ihre Einsamkeit finden kann. Auch mir wird es zuweilen ganz angst, wenn mein lieber Mann nicht zu Haus ist und um mich her sich auch garnichts bewegt, alles so still ist. Oft sehne ich mich nach einer Stunde von Ihnen, die mir, wie ich gestehen muß, erst die letzten Jahre anziehend wurden, vorzüglich die Geschichtsstunden.

Luise wird wohl jetzt sehr fleißig gewesen sein, um die ruhige Zeit recht zu benutzen! Denn wenn der Papa (König

Friedrich Wilhelm III.) nun zurückkehrt, da werden wohl viele Unterbrechungen sein, da sie ja nun die einzige Tochter (dort) ist. Der liebe Papa kann recht mit Ruhe an seine entfernten Kinder denken, da sie beide so glücklich verheiratet sind; und ich meine immer, das ich die glücklichste bin, erstens weil mein Mann so unendlich gut ist und zweitens, daß ich meiner lieben Familie so nahe bin.

Der armen Friederike 4) ihren Verlust werden Sie, lieber Herr Schmidt, gewiß besonders recht aufrichtig bedauert haben. Sie hatte, glaube ich, wenig Freude in ihrem Häuslichen, und nun wird ihr noch der einzige Gegenstand ihres Glückes geraubt! Sie soll sich aber mit einer Fassung und Ruhe benehmen, die ihr die Herzen ihrer Dessauer noch mehr zuwendet. Welch' trauriges Wiedersehen wird es mit Leopold sein, der das Kind so wohl verlassen hat!

Was machen denn Ihre Kinder? Das Weihnachtsfest wird wohl wieder sehr heiter zugebracht worden sein? Wie sehr habe ich gerade in dieser Zeit an Sie alle gedacht. Gerne hätte ich wieder unsern Berliner Weihnachtsmarkt besucht, wie die anderen Jahre. Nun kommt das Neue Jahr, das ich zum ersten mal entfernt von meiner Familie anfange! Es ist doch ein wehmütiges Gefühl. Leben Sie wohl, lieber Herr Schmidt, möge es Ihnen auch dies neue Jahr recht gut gehen und Sie

Ihrer Schülerin Alexandrine gedenken.



2) Friedrich Franz I.
3) Amalie Marie, die Gattin des Prinzen Wilhelm Karl, des zweiten Bruders des Königs. Nach dem Tode der Königin Luise war sie die erste Frau des Hofes. Beider Sohn ist Adalbert (geb. 1811), der spätere bekannte Admiral.
4) Die ebenfalls von Schmidt unterrichtete Tochter eines Bruders Friedrich Wilhelms III. Ihre Mutter war die Schwester der Könign Luise. - Friederike ist also die Kusine Alexandrines. Sie war inzwischen die Gemahlin des Herzogs Leopold Friedrich von Anhalt geworden und war seitdem in Dessau, Professor Schmidts Heimat, ansässig.