Bilder aus der französischen Revolution. I. Die Massen-Ertränkungen in der Loire.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1871
Autor: F. C. Sch., Erscheinungsjahr: 1871

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Frankreich, Französische Revolution, Hinrichtungen, Bluthund, Scheusal, Carrier, Kadaver, Henker, Convent zu Paris, Blutdurst
Keine Empfindung vermag so tief in den menschlichen Charakter einzugreifen, als der Schrecken, welcher die gewaltsame Umänderung der Regierungsform begleitet. Der Boden wankt unter den Schritten der harmlosen Bürger, man weiß nicht, was der nächste Tag bringen wird, die allgemeine Angst vergrößert jedes Gerücht, alle Leidenschaften wachsen, der Hass, der Neid, die Bosheit treten schamlos ans Licht des Tages und ringen mit losgelassener Wut nach der Herrschaft. Bisher unbekannte Menschen tauchen plötzlich auf ans dem Volke, greifen keck nach der Gewalt, verkündigen Rache und bedrohen jeden Widerspruch mit grauenvollem Tode. Die Weltordnung scheint zu wanken, die Grundgesetze der Sittlichkeit und Moral werden als Wahnwitz verhöhnt und zitternd gehorchen überraschte Gemeinden und Städte, ja weite Länder, den Bösewichtern, die es verstanden durch Furcht und Schrecken die gesunde Vernunft zu betäuben und jeden Widerstand zu ersticken.

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In solchen Zeiten sehen wir mit Staunen, wie manche bisher sanft scheinende Natur sich plötzlich in das Gegenteil verkehrt, wie ruhige Geister jedes Maß, jeden Halt verlieren. Wir sehen den schwächlichen, stillen Robespierre sich in ein wildes Tier verwandeln, dessen Launen unberechenbar sind, vor dessen gigantischer Leidenschaftlichkeit und Tücke Millionen erzittern; wir sehen alle die furchtbaren Schreckensmänner der ersten französischen Revolution an uns vorüberschreiten; aus ihrem rohen Blutdurst, ihrer wahnsinnigen Eitelkeit, ihren: fieberhaften Toben tritt uns die verzerrte Fratze der Unmenschlichkeit entgegen, dass wir uns schaudernd und mit Eckel abwenden von dieser Nachtseite des Menschengeistes. Aber dennoch ist es lehrreich, die schweren Verirrungen zu untersuchen, welche ein so dunkles, trauriges Blatt der Geschichte bilden. In der Reihe jener Ungeheuer in Menschengestalt, welche mit teuflischer Frechheit allen: was gut und göttlich ist Hohn sprachen, nimmt eine der hervorragendsten Stellen der Bösewicht Jean Baptist Carrier ein, der Erfinder der republikanischen Hochzeiten, wie er die Hinrichtung seiner Opfer durch den Tod des Ertrinkens nannte. Wir geben in dem Bilde auf Seite 12 unseren Lesern eine der vielen Szenen dieses fürchterlichen Dramas. Von Robespierre 1793 nach Nantes geschickt, um als Richter die gefangenen Vendeer und alle dem Convent Verdächtigen abzuurteilen, wusste Carrier durch sein Auftreten die Stadtbehörden so einzuschüchtern, dass Niemand eine Einsprache gegen ihn zu erheben wagte, als er sein furchtbares Werk damit begann, dass er die Gefangenen ohne Untersuchung und Urteil guillotinieren ließ. Er organisierte eine Häscherbande, welche in der Stadt und Umgebung die zahlreichen Opfer seines Blutdurstes aufgriff und nach den empörendsten Martern in die Gefängnisse ablieferte, wo der sichere Tod sie erwartete. Die Zahl der Unglücklichen stieg von Tag zu Tag und Carrier sann auf eine schnellere Todesart; das Begraben der Leichen war ihm zu umständlich; sein erfinderischer Mordsinn ließ ihn auf den Gedanken kommen, die dem Tode Geweihten dem nassen Grabe der Loire zu übergeben. Ein erster Versuch, 94 Priester auf ein Fahrzeug zu bringen, dessen Boden sich öffnen ließ, so dass auf ein Signal die Schlachtopfer in die Tiefe sanken, gelang zu Carriers Zufriedenheit und er befahl sofort die Anfertigung von einer größeren Anzahl so eingerichteter Boote. Nach Sonnenuntergang wurden nun die Gefangenen: Greise, Männer, Weiber und Kinder, entkleidet auf die Boote geschleppt, und in der Mitte des Stromes sprangen die Falltüren auf oder Zimmerleute schlugen mit Äxten die Schiffswandungen ein, bis die Flut ihre Beute hinabriss; mit Spieß und Säbel wurden die gegen den Tod Ringenden in das Wasser hinabgestoßen. Um den Anblick der Todesqualen pikanter zu machen, ließ Carrier die Verurteilten Paarweise zusammenbinden und sie so ertränken. Mit der Zeit wurde er aber hierfür abgestumpft und ordnete Massenertränkungen an, bei welchen gleichzeitig aus allen Booten die Unglücklichen versenkt wurden. Bald war das Wasser der Loire verpestet; die Fische, welche sich mit den verwesten Leichnamen nährten, wurden krank, so dass der Stadtmagistrat ein Verbot erlassen musste, zu fischen. Scharen von Geiern und Raubvögeln zogen herbei und ließen sich krächzend auf den Kadavern nieder, welche die Wellen der Loire an den Strand geworfen. Oft wenn die Schiffe die Anker lichteten, wurden Leichen oder die versunkenen und teilweise mit Ertrunkenen gefüllten Boote mit heraufgezogen. Ansteckende Krankheiten brachen in Nantes aus, aber Carrier wütete fort; die Hinrichtungen gingen ihm noch zu langsam vor sich; er ließ nunmehr in den Steinbrüchen in der Nähe von Nantes täglich 500 Gefangene auf einmal erschießen. Man schätzt die Zahl der von diesem Scheusal Gemordeten, die durch Krankheit umgekommenen Gefangenen mitgerechnet, auf 16.000, und da mit der steigenden Zahl der Rausch des Blutdurstes in der Seele des Wüterichs nur zunahm, so hätte er vielleicht die halbe Stadt gemordet, wäre er nicht, nachdem er gerade einen Monat sein Henkeramt verwaltet, von Robespierre, der zufällig damals Anwandlungen von Menschlichkeit fühlte, abberufen worden, um seine furchtbaren Maßregeln im Convent zu Paris zu verteidigen. Es gelang ihm, sich vollkommen zu rechtfertigen, welcher Umstand ein grelles Streiflicht auf die Männer wirft, welche damals Frankreich, das an der Spitze der Zivilisation zu marschieren auch in jenen Tagen vorgab, beherrschten. Aber auch Carriers Stunde schlug; das französische Volk verlangte seinen Kopf; aber erst nachdem der Convent die Beweise in Händen hatte, dass der Bluthund von Nantes wirklich ohne jedes Urteil, ohne Prozess, französische Bürger hatte hinrichten lassen, musste er am 16. Dezember 1794 die Guillotine besteigen. Er schloss sein Leben mit der tragisch-komischen Versicherung, dass er stets nach Pflicht gehandelt habe und unschuldig sterbe. F. C. Sch.

Bilder aus der französischen Revolution - Die Massenertränkungen in der Lorie

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