Innsbruck

Charakter der Landschaftlichen. — Neustadt. — Hofkirche. — Das Hoferstandbild. — Grabmal des Kaisers Maximilian — Christine. — Das goldene Dacherl. — Johanntsfeier.

Welch schöne Erinnerungen knüpfen sich nicht für Jeden an den Namen der anmutigen Innstadt, welcher einmal Gelegenheit hatte, ihre großartige und doch liebliche, idyllische Umgebung zu bewundern und durch die Laubengänge ihrer Straßen mit den halbsüddeutschen, halb italienischen Häusern, den stattlichen Kirchen, den Statuen, den Springbrunnen und dem Triumphbogen zu wandeln. Wie mutet uns diese Stadt so traulich an, wie ist sie bei ihrem eigentlichen Charakter doch so sauber, so zierlich, ja fast elegant. Obgleich im weiten Tale gelegen, umgibt sie überall hohe Alpennatur, und von welcher Seite auch der Blick auf die schöne Hauptstadt Tirols fällt, immer ist es ein prachtvoller Landschaftsrahmen, der dieselbe umschließt. Kommt man das Innthal herab, so liegt die weißglänzende Stadt mit ihren Türmen so recht inmitten des Bildes mit dem grünen Fluss und der Brücke, überall um dieselbe leuchten freundliche Dörfer aus dem üppigen Laubgrün und schauen Schlösser und Wallfahrtskirchlein von den Höhen, welche sich links jäh, rechts sanfter erheben, bis sie zu beiden Seiten durch riesige Gebirgspfeiler das Bild abschließen. Im Hintergrunde verjüngen sich die Berge im Unterinntal, bis sie in der bläulichen Ferne verdämmern. Wahrhaft reiche Vegetation in der Tiefe des Tales und ein immer lebhaftes Menschentreiben in der Nähe der Stadt geben eine höchst passende Staffage.


Befinden wir uns auf dem linken Ufer des Flusses, der Stadt gegenüber, deren nette weiße Häuser mit den grünen Jalousien zwischen massigen Baumgruppen herüberschauen, wird die Umrahmung womöglich noch gehaltreicher. Über die durch Türme unterbrochene Masse der grauen flachen Dächer blicken die Mauern der stattlichen Prämonstratenser-Abtei Wiltau, über welcher der Patscherkofel mit dem runden Scheitel ansteigt, und die kleine Wallfahrtskirche Heiligenwasser von bedeutender Höhe des Berges herableuchtet. Links zieht sich, hinter Wiltau beginnend und vom Glungeser Spitz überragt, eine Reihe anmutiger Dörfer über das Schloss Ambras hinaus, welches das Bild zur Linken schließt und in seiner schönen Lage so recht als Wohnsitz der Liebe geschaffen scheint, uns in die Tage zurückversetzend, welche der Erzherzog Ferdinand hier in den Armen seiner reizenden Gattin Philippine Welser genoss. Rechts von der Stadt baut sich das Mittelgebirge mit dem denkwürdigen Iselsberge auf und von der hohen Sailesspitz zur Rechten zeigen sich nach der Mitte zu die Dolomithörner des Rockspitz und der Waldrasterspitze, deren von der Sonne gefärbtes Schneeweiß scharf von dem tiefblauen Himmelsgrunde sich losscheidet.

Das großartigste Gebirgsbild geben aber die gigantischen Felswände des linken Innufers, welche sich im Norden der Stadt erheben, wenn man am Rande der Schießstätte hinter Wiltau stehend, über dieses weitläufige Kloster mit der italienischen Kirche und über die ausgebreitet uns zu Füßen liegende Stadt hinweg blickt. Über dem hellblickenden Strom, dessen Spiegel oft durch Baumpartien und Häusermassen unterbrochen wird, lagern sich die üppigen Fluren, aus denen Köttingen, Mühlan und andere Dörfer emportauchen, dann steigt die Bergmasse ziemlich jäh zu den Höhen, wo die saftigen Almen mit den grauen Sennhütten sich zeigen, und auf diesen Unterbergen türmen sich nun die Felskolosse, welche unter dem Namen Solstein, Höttinger Alp und Frau Hütt bekannt sind. Mit ihren schneebedeckten Scheiteln kaum anderthalb Stunden vom Inn zurücktretend, erheben sich diese Wände 7.000 bis 8.000 Fuß über die Talsohle und die Ungeheuern Massen müssten in dieser Landschaft die tief untenliegende Stadt gleichsam erdrücken, wenn nicht jener reizende Duft der Luftperspektive der Alpen die oberen Massen sanft zurücktreten und die verschiedenen Farben des Gebirges so harmonisch zusammen gehen ließe. Wo rechts die hohe Wand mit der Zunderspitz sich senkt und das Salztal sich öffnet, erblicken wir über Ambras und die etwas undeutlichen Gebäudemassen der alten Salinenstadt Hall den sogenannten Gnadenwald, jenen herrlichen, parkähnlichen Wald, der sowohl oben auf ziemlicher Berghöhe, wie unten längs des Flusses durch viele idyllische Dörfer eingefasst, sich mehr als zwei Stunden weit über eine sanft gestreckte Höhe entlang zieht und aus seiner grünen Waldesnacht oft reizende Durchblicke in das helle Tal darunter erlaubt. Voll romantischer Punkte und Erscheinungen ist er immer das Ziel der Naturfreunde und Romantiker. Immer wieder aber kehrt der Blick zur großen Innstadt zurück, welche mit den vielen Türmen ihrer elf Kirchen und drei Klöster und den dichten Dächergruppen weit sich unter uns ausbreitet und ihre Größe bedeutender erscheinen läßt. Überall, und dies gibt dieser Stadt das Freundliche, sind die Gebäudemassen mit Baumgruppen untermischt, und, damit sie nicht zu aristokratisch von der Bauart der Umgebung abstechen, schaut hier und da ein ächtes Gebirgshaus mit dem breit vortretenden Giebeldache aus den zierlichen, geputzten Nachbarn heraus.

Haben wir auf dem Schießstande, von wo wir diese Aussicht genossen, eine Zeitlang dem ausgezeichneten Schießen der Jäger zugeschaut und uns die beiden Steinpyramiden angesehen, welche zur Erinnerung an den Befreiungskrieg mit dem österreichischen und tiroler Adler und bezüglichen lateinischen Inschriften versehen sind, so gehen wir, immer das große Naturbild vor Augen, wieder der Stadt zu und verweilen nur etwas bei Wiltau, um die innen und außen reich, aber zopfig-italienisch verzierte Kirche und die großen Standbilder der Riesen Haimon und Thyrsus vor derselben zu betrachten.

Durch einen Triumphbogen, den die Bürger Innsbrucks zum Andenken der im Jahre 1765 stattgefundenen Vermählungsfeier Leopolds II. und des Einzugs der Kaiserin Maria Theresia errichten ließen, und der auf beiden Seiten mit Portraitmedaillons geziert ist, welche wohlgetroffen die damaligen Glieder des Hauses Österreich und Lothringen darstellen, betreten wir die Straße der Neustadt. Hier zögern wir gern, das Auge hat so viele Beschäftigung. In prächtiger Perspektive führen die stattlichen Häuserreihen der innern Stadt zu, über deren hohe Gebäude noch die schneebedeckten Alpenwände hereinschauen. Um die schöne schlanke Marmorsäule der heiligen Anna und den Brunnen zu beiden Seiten derselben, welch reges Volksgewühl. Hier sind es ländliche Händler, um deren Karren und Körbe sich Gruppen bilden, dort kommen aus der Kirche zur Linken, da eben der Gottesdienst beendet ist, Landleute in allerlei Tracht, Soldaten und Bürger. Italienische Vetturinis, in verschossenen Samtjacken, treiben in ihrem Kauderwelsch die mageren Pferde an, ihren Wagen mit den Reisenden vorwärts zu bringen, indessen stattliche Karossen, oft mit den Wappen hohen österreichischen Adels auf den Schlägen, langsam auf und nieder fahren, denn diese geräumige lange Straße ist zugleich der Corso der Gebirgshauptstadt.

Man erwarte nicht, in die Museen und zu allen andern Sehenswürdigkeiten der Stadt geführt zu werden, darüber geben Reisehandbücher besser Aufschluss. Nur zwei der bemerkenswertesten Denkmäler der Stadt wollen wir uns anschauen, das unvergleichliche Kaisergrab und das goldene Dacherl.

Es war am Morgen eines Festtages, als wir die Hof- oder Franziskanerkirche betraten. Eben hatte das Hochamt begonnen und die hehre Musik flutete durch die weiten hohen Räume, welche durch die vielerlei Schnörkel, durch Engelchen, Wolken, Strahlen, Attribute und alle die andern Dekorationen des vorigen Jahrhunderts mit Ornamentik überladen und nach Kräften verunziert sind. Da die andächtige Menge dicht gedrängt bis an die Eingangstüre stand, so wurden wir genötigt, ebenfalls hier stehen zu bleiben, und hatten somit Muße, während unser Ohr den Klängen der Orgel lauschte und dem Gange der trefflich ausgeführten Kirchenmusik folgte, das gleich links am Eingange befindliche weiße Marmorstandbild des Andreas Hofer, von Professor Schaller in Wien gearbeitet, zu betrachten, obgleich ich selbst es schon bei mehrmaligen früheren Besuchen der Kirche gesehen hatte. Da steht sie, die kräftige männliche Figur des Tiroler Helden, mit dem offenen, gutmütigen Gesichte, in ihrer malerischen Nationaltracht, edel und frei, die halbentrollte Fahne haltend; und wenn es sich auch nicht leugnen lässt, dass der weiße glänzende Stein der Darstellung, namentlich der Tracht, ungünstig ist, und der Held wohl einen günstigeren Standpunkt als so unmittelbar an der Türe verdient hätte, so freut es uns doch, dies äußere Erinnerungsmonument eines schlichten, aber großen und festen Menschen zu sehen, der in den Herzen und in den Erzählungen seiner Landsleute bereits ein schönes Denkmal besitzt. Auf einem gut ausgeführten Relief von gleichem Material schwören sechs Turoler, die sechs verschiedenen Kreise des Landes vorstellend, zur niedergesenkten Fahne.

Das Hochamt war beendet, die Kirchgänger verließen das Gotteshaus, und das großartige Monument, dessen bronzene knieende Kaiserstatue wir bereits über die Köpfe der Versammlung erblickt hatten, lag in seiner Pracht inmitten der Kirche vor uns. Auf drei weiß und rot besprenkelten Marmorstufen ruht der länglich viereckige Mittelwürfel, der durch sechzehn schwarze Marmorsäulen abgeteilt, jene bekannten und durch ihre außerordentlich feine und echt künstlerische Ausführung berühmten vierundzwanzig Relieftafeln Collins und des Kölner Abels enthält, welche Szenen aus dem Leben des großen Fürsten, seine denkwürdigsten Taten und Schicksale darstellen. Über dem Trophäengesimse von Metall erheben sich abermals drei verjüngende Stufen aus buntem Marmor, auf welchen Kaiser Maximilian I., umgeben von schön gearbeiteten Attributen, auf einem Kissen in betender Stellung kniet. Für gewöhnlich sind die weißen Reliefs verhangen, um sie zu schützen und das ganze Mauerwerk noch mit einem Eisengitter unten umgeben. Fast mehr jedoch als dieses Hauptdenkmal ziehen die kolossalen Bronzestatuen den Blick auf sich, welche rings das Grabmal umstehen und Anverwandte des Kaisers, hervorragende Persönlichkeiten aus den Häusern Habsburg und Burgund und fürstliche Helden des Mittelalters repräsentieren. Alle diese achtundzwanzig großen Statuen wurden in den Jahren 1513 bis 1535 von den berühmten Erzgießern Gregor Löffler mit seinen Söhnen und den drei Gebrüdern Godl verfertigt. Ihre gute Auffassung und höchst gelungene Ausführung sind der größten Beachtung Wert, vorzüglich die des Königs Arthur von England und des Königs Theodorich der Ostgoten in derselben rechten Reihe.

Rechts zur Seite des Hauptmonuments befindet sich das Doppelgrabmal des Erzherzogs Ferdinand und seiner Gemahlin Philippine Welser, von den Wappen der österreichischen Lande, die in bunten Steinen ausgeführt sind, und vier gcschichtlichen Reliefs eingefasst. Die Marmorbildnisse, von einem Sohne und einem Schüler Collins herrührend, fesseln uns nicht besonders, so wenig wie die getriebenen Arbeiten der Silberkapelle und die darin ausgestellten dreiundzwanzig kleinen metallenen Heiligenstatuen, welche früher dem Hauptportale gegenüber hoch an der Wand angebracht waren. Alle diese verschiedenen Arbeiten sind zwar nicht ohne Kunstwert, werden aber durch die größern Kunstdenkmale in der Nähe in Schatten gestellt.

In dieser Hofkirche war es, Angesichts dieser erhabenen Erinnerungszeichen eines teuern Fürsten und einer schrankenlosen hohen Gattenliebe, dass im Jahre 1651 die ihrem Vaterlande und den Erwartungen ihres Vaters ungetreue Tochter des edlen Gustav Adolph von Schweden unter großen Feierlichkeiten zum Katholizismus übertrat. Männer mit Halskrausen und mächtigen Allongenperrücken und überladen aber steif gekleidete Damen drängten sich um das Monument und zwischen den Kolossalstatuen, um nichts von der Feierlichkeit zu verlieren und dünkten sich sicher erhabener und wichtiger als die portraitirten Fürstengrößen neben ihnen.

Das „goldene Dacherl“ am Stadtplatze ist weniger durch das wirklich vergoldete Dach bemerkenswert, als durch die historischen Beziehungen, die seine Gründung veranlassten, und durch die schöne architektonische Skulptur seines Äußern. Es ist eigentlich ein breiter, vorspringender, unten auf Säulen ruhender Erker, unter welchem sich der Eingang zu dem Hauptgebäude befindet, das Erzherzog Friedrich IV. im Jahre 1425 als Fürstenschloss erbauen ließ. Der Erker mit seinem Dache soll der Sage nach dem Fürsten 30.000 Ducaten gekostet haben, um den ihm gegebenen Spottnamen „Friedrich mit der leeren Tasche“ zu widerlegen. Das Gebäude ward von seinem Sohne Siegmund, dem Münzreichen, erweitert und vom Kaiser Maximilian I. teils erneuert, vorzüglich aber der schöne Erker im Geschmacke der Zeit verziert. Besonders beachtenswert ist die reiche, schön erfundene gotische Architektur dieses Erkers, namentlich in den zierlich gewundenen Säulchen und reichgegliederten Bogen der unteren Halle, über welcher sich die Wappen Maximilians befinden, während das erste Stockwerk um das eigentümliche Fenster die großen gemalten Bilder zweier ritterlichen Fahnenschwenker zeigt. Auf schönverzierten Trägern tritt das offene zweite Stockwerk vor, mit reichen Reliefdarstellungen als Ballustrade, auf welchem feine gothische Pfeiler mit zierlichen Säulchen aufstehen, die den breiten Dachsims tragen und darin als prächtiges, Bal» dachin bildendes Maßwerk endigen. An der innern Wand dieses offenen Stockwerkes befinden sich die gemalten Portraits des Kaisers und seiner zwei Gemahlinnen.

Bei meinem ersten Aufenthalte in Innsbruck ward mir noch am Abende vor meiner Abreise, es war nämlich der Johannisabend, ein eigenes prachtvolles Schauspiel. Durch die in tiefe Dunkelheit gehüllten Straßen der Stadt wandelnd, in welcher hier und da die Laternen angezündet wurden, bemerkte ich, dass die Leute in den Straßen nach einer Richtung fluteten und gelangte, dem Srrom der Menge folgend, auf die Innbrücke, welche nebst ihrer Umgebung bereits dicht mit Menschen bedeckt war. Da sah ich denn, wie an den hohen Wänden der Höttinger Alp und der benachbarten Felsen als eine Feier dieses Abends zahlreiche Feuer brannten, die, je höher sie angebracht waren, mehr nur als glühende Punkte erschienen. Eine eigenthümlich schöne Illumination des Gebirgsstockes, diese fast unzählbaren bald hellflammenden, bald rotsprühenden Lichter an den hohen dunklen Felsenmassen und darüber der hellgestirnte Himmel. Man begreift nicht, wie es möglich ist, das Material zu diesen Feuern so hoch hinauf an den steilen zerklüfteten Wänden zu schaffen. Es gilt aber, wie ich hörte, als Ehrenpunkt und als Zeichen der Unerschrockenheit, das höchste Feuer zuhaben, und die Hirtenbuben und die Jäger überbieten sich deshalb in Wagnissen.

„Diese Johannisfeuer sind eine wundervolle Erscheinung“, äußerte ein schlanker junger Mann gegen mich, der aus Sprache und Anzug sich sogleich als Fremder erkennen ließ. „Da ich eben erst angekommen bin, verspricht mir dieser Empfang viel Inteessantes und Erfreuliches auf der Reise.“

Nachdem wir noch ziemlich das Erlöschen der Feuer abgewartet, gingen wir im Gespräch in die Stadt zurück, und ich erfuhr von meinem Begleiter, dass er ebenfalls, wie ich, im Begriff sei, nach dem Süden zu reisen, aber noch einen oder zwei Tage in Innsbruck zu verweilen gedenke. Ich ahnte an diesem Abende nicht, welch sonderbares Zusammentreffen wir etwa eine Woche später haben sollten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Bilder aus den Alpen