Botzen und Meran

Der Abend auf dem Balkon. — Vertrauliche Mitteilung. — Aussicht von Kühbach. — Friedhof und Dom. — Eigentümliche Bauart. — Der Sarenthein'sche Garten. — Ein heimlicher Brief. — Das obere Etschtal. — Meran und seine Umgebung. — Ein Wiedertreffen. — Durnstein. — Zenoberg. — Rückfahrt. — Mondschein für Liebende. — Der gewöhnliche Schluss eines Romanes.

Der schöne, stille, warme Abend fand unsere Reisegesellschaft auf dem Balkon der Gartenseite des Gasthauses „Zur Kaiserkrone“ versammelt. Die lebhafte Unterhaltung, die beim Abendessen zwischen uns geherrscht, war beim Heraustreten auf diesen Balkon einer freudigen Überraschung und feierlichen Stimmung gewichen, denn vor uns breitete sich in der Beleuchtung verletzten Abendsonne ein Rundgemälde aus, das unvergleichlich in seiner Art ist. Über die bläulichen Berghöhen zur Linken, von denen sich die massigen Gruppen der Kastaniengebüsche dunkel abhoben, zog sich hellerleuchtet in den Himmel starrend, die lange Reihe der kahlen, schneebedeckten, rötlichgrauen Dolomitzacken hin, welche die Westseite des etwa sieben Stunden entfernten Fassatales begrenzen. Mit dem hohen, in der Mitte abgeteilten, freistehenden Schlern beginnend, folgen der Rosengarten, die rote Wand, und das Zangenbirge mit dem Hoch-Aucht schließt die Reihe. Ein wahrhaft rosiger Duft, in welchem sich die Schneelagen sanft abzeichneten, lag über den höchst malerisch gezackten Felsenspitzen. Im Süden, im Unteretschtale, verjüngten sich die Bergmassen im zartesten Blau, uns aber stand am rechten Etschufer die hohe langgedehnte Bergwand, gegenüber, die mit der Mendola beginnend, fast in gleicher Höhe sich westlich in der Sonnenglut verlor, und über welche nur das hohe Haupt des Gantkogels etwas mehr emporragte. Während die obern steilen Massen dieser riesigen Wände in den glühenden Streiflichtern der Sonne glänzten, lagen die anmutigeren niederen Vorhöhen derselben in sanftfarbiger Dämmerung, und die Zinnen, Gebäude und Baumgruppen der zahlreichen Burgen und Dörfer traten in etwas dunkleren Umrissen hervor. Den Mittelgrund des herrlichen Bildes bildete die breite Talebene, welche von hier aus ungesehen die Etsch durchströmt, deren Lauf durch Gebüschabteilungen angedeutet wird; den lieblichsten Vordergrund aber ergab der unmittelbar unter uns ausgebreitete Garten des Gasthauses mit seinen Orangen und Feigenbäumen, den funkelnden Granatäpfeln und Weinlauben. Er spendete so süße Wohlgerüche herauf, die Fontainen desselben plätscherten so flüsternd, dass man sich, völlig berauscht, in den Zaubergarten einer Fee versetzt glaubte.


Nach und nach schwand das Licht, mehr und mehr gerötet, von einem Bergesgipfel nach dem andern, bis die ganze Gegend sich nur noch in Ungewissen dämmernden Abstufungen schönen Violetblaues zeigte, und nur die einzelnen leicht dabin schwebenden Wölkchen am Himmel erleuchtet blieben.

Der Florentiner, welcher bis jetzt stumm über das Geländer des Balkons gelehnt gestanden, wendete sich nun zu uns und äußerte etwas halblaut vom herrlichen Schauspiel, das ihm mehr als alles Andere die Sehnsucht nach seinem reizenden Arnotale erwecke, wo er eine Villa besitze. Im Fortgehen lud er uns ein, ihn dort zu besuchen, wenn uns je unser Weg nach Florenz führe, und eben so schöne Abende bei ihm zu genießen.

Therese, die anfänglich still zwischen ihrem Onkel und mir gestanden, oft die Hand des freundlich blickenden Alten ergriffen und bald auf diesen bald auf jenen Punkt gedeutet, hatte sich dann auf einen der Stühle gesetzt, mit dem Gesichte, in welchem der leidende Zug eine gewisse Verklärung angenommen, nach derAussicht gewendet, die Hände im Schoße gefaltet.

„Onkel“, sprach sie, nachdem der Italiener gegangen, „mir ist so eigen; ich fühle mich so selig, so berauscht; es ist mir als müsste mir etwas recht Gutes begegnen; und doch bin ich so sehr ermüdet und abgespannt von den vielen Genüssen des heutigen Tages, dass ich zur Ruhe geben muss, wenn ich auch vor Aufregung lange nicht werde schlafen können. Ich würde mich vielleicht wohler fühlen, könnte ich mich so recht aussprechen. Wie viel glücklicher sind Sie als Maler, wendete sie sich zu mir, Sie können am besten in ihren Bildern aussprechen, was Sie gesehen und erlebt haben.— Gute Nacht, lieber Onkel,“ flüsterte sie, diesen küssend, „vergib mir, wenn ich nicht immer so heiter bin, wie Du es wünschest. Gute Nacht, geh' auch bald zu Bette.“

Gerührt schaute der gutmütige Doktor der zierlichen Figur nach, wie sie im hellerleuchteten Zimmer verschwand.

„Es ist mir bange um das Kind“, sprach er leise; „sie war sonst immer so fröhlich und heiter, so munter und lebensfrisch, sang und sprang den ganzen Tag; und jetzt seit Kurzem ist sie wie umgewandelt, immer träumerisch, in Gedanken, matt und blass. Wenn sie nur nicht noch krank wird.“

„Ist ihr in letzterer Zeit etwas Besonderes begegnet?“ fragte ich teilnehmend. „Es scheint bei ihr mehr Seelenleiden zu sein.“
„Ja nun freilich,“ erwiederte er. „Es ist eine eigene und doch ganz gewöhnliche Geschichte. Ich will sie Ihnen erzählen. Es ist ja noch so warm im Freien. Nun, mit kurzen Worten: sie ist verliebt, hat ein Verhältnis; angeknüpft, was ich nicht gern sehe und ganz gelöst wissen möchte. Therese ist das einzige Kind meiner verstorbenen Schwester; ist eine Waise, die ich, da ich selbst Wittwer und kinderlos war, erzogen habe. Ich ließ ihr Alles lernen, was nur ein gebildetes und wirtschaftliches Mädchen zu wissen braucht, ohne sie zu einer gelehrten Dame zu erziehen. Nun hatte ich mir, da ich für einen Arzt etwas zu bequem wurde, vor etwa zwei Jahren einen Famulus oder Gehilfen in dem jungen Doktor L. gesucht, der nicht längst erst die Universität verlassen hatte und mir als besonders tüchtig und brauchbar empfohlen wurde. Er ist es auch, ich leugne es nicht; er ist ein guter Arzt, in dessen Händen meine Patienten wohl aufgehoben sind, und wird einmal seine Karriere machen. Ich habe ein großes Haus in M., und da er besonders meine Nachtbesuche zu übernehmen hatte, musste er bei mir wohnen. Und das war nicht gut. Die jungen Leutchen sahen sich stündlich, wurden vertraut mit einander und ich bemerkte bald, dass sie rasend in einander verliebt seien. Das war mir eine böse Entdeckung, denn ich habe ganz andere Pläne mit meiner Nichte. Da ich sehr vermögend bin und Niemand als das Mädchen habe, dem meine sämtliche Habe einmal zufällt, so kann sie mit ihrer Bildung und ihren Aussichten die größten Ansprüche machen.“

„Genügt Ihnen denn Ihr Famulus, der nach Ihrem Ausspruche ein tüchtiger Arzt ist und bald seine Carriere machen wird, nicht als Gemahl Theresens?“

„Nein, aus zwei Gründen nicht: weil er arm ist und weil er Mediziner ist. Sie schütteln den Kopf und doch werden Sie mir bald beistimmen. Er ist ein hübscher, stattlicher Mensch, hat sich schöne Kenntnisse und recht brave Bildung erworben; aber er ist arm, ist ängstlich auf seinen Verdienst angewiesen und braucht lange, um sich ein Bisschen zu heben. Ein Paar misglückende Kuren, die dem besten Arzte vorkommen können, ruinieren vielleicht sein Ansehen und werfen ihn in Dürftigkeit zurück. Soll meine Therese fünf bis zehn Jahr warten, bis er eine so ausgebreitete Praxis hat, um ein anständiges Haus machen zu können? Das taugt nicht. Sie wird alt darüber und ihre Liebe überlebt sich vor der Ehe. Oder soll sie ihn erhalten, soll er vom Vermögen seiner Frau abhängig sein. Das taugt noch viel weniger und lässt ihn vielleicht in seinem Vorwärtsstreben erlahmen. Und was ist seine Kunst? womit erwirbt er sich seinen Unterhalt? mit den Leiden, mit den Schmerzen und dem Unglück seiner Mitmenschen.“

„Gibt es denn einen schönern Beruf, als den Leiden seiner Mitmenschen so viel als möglich abzuhelfen?“

„Ja, ja, das dachte ich auch und denke es noch. Aber ich habe manche Erfahrungen gemacht. Während andere Menschen in einer gewissen Sorglosigkeit glücklich sein können, sieht der Arzt zu sehr hinter die physischen Coulissen der Natur des Menschen, sieht, welche zerbrechliche Kreatur er ist. Und wie oft muss er die Leiden und Schmerzen der Leute noch vermehren, um sie der vermuteten Heilung zuzuführen, und muss sich diese Schmerzen bezahlen lassen und gut bezahlen lassen, wenn er bestehen will; darf es den Leuten nicht oft schenken. Ich bin lange Arzt gewesen und habe mich früher dem Berufe mit wahrer Aufopferung gewidmet, ich kenne das. Kurz und gut; ich nehme die beiden jungen Leute vor, sage ihnen dies Alles und dass ich böse sei, dass sie hinter meinem Rücken diese Liebelei angefangen, sage ihnen, dass sie sich trennen müssen, und entlasse meinen Famulus. Um ihm diese plötzliche Verabschiedung zu versüßen, übergab ich ihm die Patienten und zog mich ganz von der Praxis zurück. Therese weinte im Anfange, wie das natürlich ist, ward aber bald ruhiger und schien sich in ihr Schicksal und meinen Willen zu ergeben. Um sie vollends zu zerstreuen und neue Bilder vor ihre Seele zu bringen, beschloss ich diesen Sommer die langprojektierte Reise durch Tirol, die Lombardei und Schweiz zu unternehmen. Merkwürdigerweise ist sie aber seit unserer Reise pensiver, als sie es das halbe Jahr nach der Trennung gewesen, und wird immer stiller, je weiter wir uns von zn Hause entfernen. Nun, ich hoffe, es wird sich geben, wird auch vorübergehen.“

„Wenn es nun aber nicht vorübergeht; wenn nun diese Liebe eine so feste, so unlösbare ist, dass sie allen Hindernissen widersteht; wird dann der gute Onkel sich nicht erweichen lassen.“

Er lächelte. „Sie sprechen wie ein junger Mann mit all den romantischen Ideen von ewiger Liebesdauer und dergleichen. Wenn Sie einst meine Erfahrungen gewonnen haben, werden Sie wissen, welch zerbrechliches Ding auch die Liebe ist. Und dann soll sich der Mensch keine Regeln für die Zukunft machen, denn es kommt Alles anders und meistens besser, als wir erwarten. Kommt Zeit, kommt Rat. Aber gehen wir jetzt auch zur Ruh, um mit frischen Kräften den morgenden Tag genießen zu können.“

Er erhob sich, trat mit mir noch einmal an das Geländer vor und blickte in die laue sternenhelle Nacht hinaus, durch welche kein Geräusch außer dem Plätschern der Springbrunnen und dem fernen Rauschen der Flüsse sich hören ließ, indes die gewürzigen Düfte aus dem Garten kräftiger an unsere Sinne traten.

„Man sollte oft, wenigstens alljährlich einmal reisen,“ sprach er, „man wird ein ganz anderer Mensch, wenn man aus dem Alltagsleben herausgerissen, jeden Tag neue Erscheinungen in der Natur und dem Menschentreiben genießt, und zwar abwechselnd genießt, ohne sich an sie gewöhnen. Man wird bestimmter und doch weicher; ich glaube, man wird besser.“

Wir gingen nach unsern Zimmern, mit herzlichem Händedruck uns gute Nacht wünschend. An der Türe von Theresens Schlafgemach blieb ich unwillkürlich stehen. Vielleicht träumte das liebende Kind von dem entfernten Geliebten und fand Glück in dem Traume und eine schöne Zukunft. Meine Gedanken segneten sie und wünschten ihr die schönste Erfüllung ihrer Wünsche. Waren es die Erlebnisse des Tages, die berauschenden Düfte aus dem Garten oder des guten Doktors Erzählung, ich fühlte mich ungewöhnlich aufgeregt und musste mich hinsetzen und an die entfernten Lieben schreiben, um mein Inneres zu erleichtern.“

Sehr früh am andern Morgen, noch vor dem ersten Frühstück, schlich ich mich an der Tür meiner Nachbarn vorbei und zum Hause hinaus, um meinen Brief selbst zur Post zu tragen, war aber nicht wmig erstaunt, am Postfenster Theresen zu treffen, die heftig errötet, und ein Briefchen vor mir zu verbergen suchte. Wir gingen auf nnem Umwege zusammen nach Hause und fanden den Onkel in bester Laune beim Frühstück sitzend und schon ziemlich zu einem Morgenausflug gerüstet. Man hatte uns einen Besuch des Schlosses Kühbach in den Morgenstunden empfohlen, weil sich da die prächtige Aussicht von dort am besten ausnehme; bald daher wanderten wir zur Stadt hinaus auf der Trientiner Straße über die Eisackbrücke den östlichen Bergwänden zu. Von der Brücke zeigte sich wieder die Reihe der rötlichen Dolomitzacken in der Ferne. Am Fuße der Berge nahm uns der schöne Schatten mächtiger Kastanienbäume auf, und in dem den Augen so wohltätigen transparenten Grün erreichten wir, an einer hochgelegenen Calvarikapelle mit etwas grell gemaltem Bilde vorbei, nach einer Stunde harten Bergsteigens das alte zum Teil verfallene und ganz mit Riesenepheu umsponnene Schloss Kühbach mit seinen ausgezackten Zinnen und niedrigen Dächern. Aus einer Felsenhöhe, etwas oberhalb der alten Burg bietet sich eine Aussicht in das Etschtal, die wirklich einzig ist. Berauscht schweift das Auge unstät durch das wechselvolle Bild, bis es mehr gesammelt die in dem großen Panorama entfalteten Schönheiten der Reihe nach mustert, um aus den schönsten Punkten genießend zu ruhen. Vom Süden, wo sich die Berge ins Unteretschtal abdachen, steigen die hohen Wände des Rönberges und der Mendola uns gegenüber auf, am Fuße mit Weinbergen, aus denen die Orte Kaltern und Tramin hervorblicken. Diese hohen Gebirgsmassen, von unten heraus mit dunkeln Waldungen bewachsen, ruhen nach dem saftig-grünen Talboden des weiten Kessels vor uns zu, auf Vorbergen, welche oben malerisch gerundet, an einigen Orten steil auf den Boden abfallen, zwischen sich durch kleine Täler und Schluchten getrennt. Diese Vorberge tragen viel weißleuchtende Dörfer mit schlanken Kirchtürmen und graue Burgen auf ihren Scheiteln, von denen Hoheneppan am trotzigsten von hoher Felsspitze herabschaut und die vielgetürmte alte Veste Siegmundskron auf bewaldetem Hügel weit in die Ebene vorspringt. Durch diese Ebene, welche sich westlich weit als Oberetschtal in der Bergumrahmung zurückzieht, leuchtet das geschlängelte Silberband der Etsch aus den Bäumen und Gesträuchen hervor und vereinigt sich unterhalb Siegmundskron mit der Eisack, in deren quer vor uns vorbeiziehendem Spiegel der helle Himmel und die Ferner zurückstrahlen. Je mehr zurück im Tale werden die Vorberge der linken Seite gewaltiger und der Gampen und das Vigilijoch, über welche noch hoch die Schneespitzen der Ötzschtaler und Vintschgaugletscher herüberleuchten, schließen den Hintergrund. Zur Rechten vor uns wird das Tal ebenfalls von hohen, steil abfallenden Gebirzsmassen eingefasst, welche coulissenartig hinter einander vortreten, an deren Fuße, wo über üppige Weinberge die Burgen Maultasch und Greifenstein niederschauen, die weiße mit Maulbeerbäumen bepflanzte Meraner Straße sich hinzieht. Ganz rechts am Rande des Kessels lagert sich breit die Stadt Botzen mit ihrem hohen gotischen Turme, den dichten Baumgruppen, den schlanken schwarzen Zypressen und den freundlichen Wein- und Blumengärten; zur Linken der Stadt die lange Brücke über den reißenden Talserbach, welcher aus dem tiefeingeschnittenen Tale herabschießt, das sich von mächtigen Höhen umschlossen, über Botzen öffnet. An den Abhängen dieses Tales kleben die Burgen Rafenstein und Runkelstein und die höchsten Spitzen desselben sind das Möltener Joch, diePasseyer Ferner und die Scharte. Das freundliche Dorf hoch oben mit der Kirche ist Jenesien, wo nicht nur die hübschesten Mädchen Tirols weilen, sondern auch die Trachten die malerischsten sein sollen.

Durch das angenehme Dunkel der dichten Maronenbäume am Schloss Kühbach und der Calvarikapelle herab zur Straße und in dieStadt gelangt, begaben wir uns nach dem Dome, um das außen reichgotische Werk auch im Innern zu betrachten. Ehe wir ganz an die Kirche gelangten, lud uns ein schönes antikes Portal mit der Inschrift „Resurrectoris“ ein, den neuen Friedhof der Stadt zu betreten. Einfach und großartig macht das große Viereck mit den umgebenden Rundbogenarkaden und den vier Portalen in der Mitte der vier Seiten einen bedeutenden Eindruck. Der zwischen den Bogenhallen liegende große Raum ist durch einen Kreuzweg in vier gleiche Teile geschieden und die Gräber mit ihren Kreuzen, Stein- und Metallplatten sind symmetrisch geordnet. In den Hallen selbst ist aber ein Kunstaufwand zu finden, den man in einer solchen Stadt kaum suchen würde. Sechzehn Frescobilder, von Carvonara aus Trient gemalt, die Leidensgeschichte Christi darstellend, schmücken in gleichen Zwischenräumen die Rückwand der Halle, und andere Wandmalereien, wie viele Bildhauerwerke Anton Reinalters sind zwischen ihnen verteilt. Unter dem rechten Portale innerhalb befinden sich unter dem Motto: „die Herde ihren frommen Hirten“ eine Anzahl schwarzmarmorner Gedenktafeln mit den goldenen Namen verstorbener ausgezeichneter Priester; unter dem Portale links mit dem Motto: „dem Verdienste die dankbare Stadt“ die Namen berühmter Staats- und Ratsmitglieder. Auch die Ärzte haben ihre besonderen Gedächtnistafeln. Innerhalb des südlichen Portals, dem Eingange gegenüber, zeigt sich eine Kreuzigung in schöner Skulpturarbeit und in der südwestlichen Ecke über der Giovanelli'schen Gruft eine Mutter Gottes, von gotischer Architektur umgeben, nach einer Zeichnung des Professor Schnorr. Hohe Pappeln schauen von außen über die Bogenhallen herein. Den schönsten Anblick gewährt das Campo Santo von den südlichen Arkaden aus, weil da gegenüber der Dom mit seinen reichverzierten Fenstern, dem Mosaikziegeldache und dem hohen durchbrochenen Turme sich über den weißen Bogenhallen erhebt und rechts von demselben, über die Dächer der Stadt die hohen Berge des Sarntales mit Burgen und Dörfern und Landhäusern sich aufbauen, so dass, wenn man etwas in der Halle zurücktritt, jede Bogenöffnung ein abgeschlossenes Bild umfasst.

Der Dom oder die Stadtpfarrkirche entspricht im Innern nicht den Erwartungen, die das Äußere erweckt. Im fünfzehnten Jahrhundert erbaut, haben spätere Zeiten mit unpassendem Schmucke alle Teile überladen. Zwölf Pfeiler tragen das Gewölbe, und die schöne Orgel wie die Säulenbündel von Marmor am Hochaltare sind das Bemerkenswerteste. Das Westportal zieren zwei alte Löwen von rotem Marmor.

Auf dem großen Platze ward Wochenmarkt abgehalten, der ein eigentümlich buntes Gemisch bot. Mönche, Soldaten, Vetturinis, ehrsame Bürger und Frauen in halbmodischer Kleidung mischten sich mit den Landleuten in ihrer verschiedenen Tracht, unter welch letzteren sich vorzüglich die Frauen des Oberetschtales mit den hochroten Strümpfen, den kurzen aber weiten schwarzblauen Tuchröcken, den grauen Jacken und niedrigen aber sehr breitkrämpigen grünen Hüten auszeichneten. Wie nahe man Italien sei, zeigten nicht nur die vielfach durchgehörte italienische Sprache und das Erscheinen der vielen Sammtjacken, sondern hauptsächlich die große Auswahl der zum Verkauf ausgebotenen Früchte. Da gab es ganze Haufen von Apfelsinen und Zitronen, große Körbe voll Feigen, Maulbeeren, Pomeranzen, Oliven, Pfirsichen und anderen südlichen Früchten und zwar um höchst mäßige Preise.

Aber auch die Straßen und Häuser der Stadt haben ein südliches Gepräge. Die Wohngebäude besitzen sämmtlich in ihrer inneren Mitte eine durch alle Stockwerke hindurchgehende Halle, um welche die Treppen und breite Gänge herumlaufen, nach welchen sich die Zimmer öffnen. Diese Halle bleibt bei der größten Sommerhitze immer kühl und erhält ihr Licht durch die Fenster einer sogenannten Dachhaube oder Laterne, welche zugleich als Ventilator dient. Das Heraustreten dieser Laterne über die Dächer gibt der Stadt ein sonderbares aber nicht unangenehmes Ansehen. In den Straßen oder auf den Plätzen befinden sich vor den Kaffeehäusern breite Zeltdächer, unter denen die Gäste ungeniert in Hemdärmeln oder den hier gebräuchlichen weißen oder hellgestreiften Röcken sitzen, indes die Menge sich geräuschvoll durch die Straßen drängt und viele der Handwerker, wie Böttcher, Schuhmacher, Wagner, sogar Schmiede und Seifensieder ihre Gewerbe vor den Häusern treiben.

Die Hitze steigerte sich in der Mittagsstunde auf eine belästigende Art. Das Thermometer vor meinem Jalousiefenster zeigte 29 Grad Réaumur im Schatten, und wir waren genötigt, in die innere Halle zu flüchten. Nur in den spätem Nachmittagsstunden machte die Temperatur das Ausgehen erst wieder möglich.

Unser nächster Besuch galt den bedeutenden Gartenanlagen des Grafen Sarenthein. Am Torwege des gräflichen Hauses angelangt, fanden wir daselbst Alles in großem Aufruhr, da die Familie eben zur Sommerfrische abreiste, was jeder irgend vermögende Botzener Bürger tut, um der größten Sommerglut zu entfliehen. Im Norden der Stadt, mehr als tausend Fuß höher gelegen, befindet sich in Oberbotzen und auf dem Ritten eine zweite Stadt, aus hübschen Landhäusern bestehend, wo während des Juni, Juli und August in der frischeren, angenehmeren Luft ein reges Leben herrscht und gegenseitige Besuche, Bälle und allerhand andere Belustigungen die Zeit kürzen.

Vor der Thüre standen sauber gesattelte Maultiere und eine Menge kleiner Bergpferde und Esel, mit Körben zu beiden Seiten, in denen sich allerlei Vorräte und Wirtschaftsutensilien befanden. Der Herr des Hauses, ein starker, jovialblickender Herr in Hemdärmeln, leinenen Beinkleidern und italienischem Hute, hob eben eine schlanke Mädchengestalt, seine Tochter, deren Gesicht durch einen sehr breiten Strohhut beschattet war, auf eines der Maultiere, bestieg selbst ein anderes, und nachdem sich auch die zahlreiche männliche und weibliche Dienerschaff beritten gemacht, setzte sich die Cavalcade in Bewegung und die schwerbepackten Esel und Pferde folgten mit den Treibern zur Seite. Bald nachdem der Zug hinter einer Mauer verschwunden, kam er über derselben wieder zum Vorschein und bot in seiner Gruppierung auf dem in Windungen ansteigenden Wege mit dem gebirgigen Hintergrunde ein allerliebstes Bild. Wir selbst betraten, vom Gärtner geführt, den hinter dem Gebäude sich ausbreitenden Garten und waren überrascht über die bis, dahin nicht gekannte Fülle der hiesigen Pflanzenwelt. Die Beete mit den prachtvollsten bunten Blumen waren nach den Wegen durch Hecken der schönsten Rosen begrenzt, unter denen namentlich die winzig kleinen Bouquet- oder Dijonröschen sich auszeichneten, wobei zugleich die vielen, fast sämtlich blühenden Kaktusarten im Lande auffielen. Den Hintergrund bildeten eine dichte Reihe großer Apfelsinen- und Zitronenbäume, deren Äste reich mit Blüten und Früchten in jedem Stadium der Reife beladen, schwer niederhingen, indes Spaliere derselben Südfrüchte sich längs den Umfangsmauern hinzogen. Wie ganz anders schmeckt doch solch reife Frucht, besonders eine Zitrone, unsern nordischen Gaumen im Vergleich der Halbreifen, wie sie uns der Handel zuführt. Eine besondere und eigentümliche Zierde erhielt der Garten durch die sechs großen Zypressen, die in ihrem dichten schwarzgrünen Gewande gleich Minarets schlank emporsteigen und von denen die größte, gegen hundert Jahr alt, über 50 Fuß maß. Kühlende Springbrunnen machten den Aufenthalt im Garten recht angenehm.

Von hier aus wandelten wir dem öffentlichen Spaziergange der Botzener, der Allee vor dem Meraner Tore zu, wo zahlreiche Besucher aus und ab gingen und sich die feinste Modekleidung mit der Volkstracht mischte. Der breite ebene Sandweg war ganz besonders für das Boccespiel geeignet, womit sich die italienisch sprechenden und heftig gestikulierenden Vetturinis in den grünen und braunen Sametjacken unterhielten. In ihrem Abmessen beim Werfen der Kugeln zeigten sie eine außerordentliche Geschicklichkeit. Unsern dicken Doktor, der sich schon für die neue Pflanzenwelt im Sarentheinschen Garten sehr interessiert hatte, überraschte und gefiel dieser Vorgeschmack Italiens sehr und er blieb lange stehen, dem Schauspiele zuzusehen, während ich mit Theresen auf und nieder promenierte. Wie war doch dieses Mädchen heute wieder so ganz anders; jede Trauer, jeder Nebel aus dem lieblichen Gesichte war verschwunden; heller voller Sonnenschein in den Augen, im Herzen, in den Worten wie im Ton der Stimme. Als ich sie wegen dieser angenehmen Veränderung befragte, lächelte sie und antwortete mit der Gegenfrage, was wir für morgen, übermorgen und die nächsten Tage beschlossen hätten. Ich konnte ihr nur mitteilen, dass für morgen eine Fahrt nach Meran ausgemacht sei und der Onkel ausübermorgen schon die Reise nach dem Süden fortzusetzen beschlossen habe. Ein leichter Unmut überflog die hübschen Züge, doch bald wurde sie wieder heiter und bedauerte nur, dass ich hier zurückbleiben und sie nicht begleiten wollte.

Nachdem wir in unser Gasthaus zurückgekehrt waren und da noch einige Zeit bis zum Abendessen verstreichen konnte, nahm sie Gelegenheit, mir leise zuzuflüstern, ich würde sie sehr verpflichten, wenn ich sie jetzt nach der Post begleiten wolle. Sogleich war ich bereit, ein Vorwand gegen den Onkel bald gefunden, und als wir unterwegs uns befanden, bemerkte ich, dass sie ein schmales Briefchen zwischen den Fingern hielt. „Nach M. ?“ forschte ich lachend. Sie sah mich fragend an, erwiderte aber ebenfalls lachend: „Nein, nein; falsch geraten, der Brief geht nicht weit. Aber bitte, Sie sprechen nicht gegen den Onkel davon, nicht wahr?“ An der Post angelangt, bat sie mich, eine Strecke davon zu warten, um nicht zu hören, was sie mit dem Postschreiber zu verhandeln habe. Bei unserer Rückkunft trafen wir den Doktor schreibend und begaben uns daher auf den Balkon, wo das Abendessen gedeckt war. Lange schauten wir schweigend in das reizende Landschaftbild hinaus, bis ich die Stille unterbrach.

„Was würden Sie, Fräulein Therese, darum geben, wenn anstatt meiner Person eine andere Person aus M. mit Ihnen diesen herrlichen Genuss teilte?“

Sie schwieg, ward aber purpurroth im Gesicht.

„Würden Sie nicht noch glücklicher sein, als Sie es heute bereits scheinen? Denken Sie sich einmal den Fall recht lebhaft.“

„Woher wissen Sie,“ fragte sie stockend, „hat Ihnen der Onkel gesagt....“

„Die Hauptsache, ja, hat mir der Onkel erzählt. Würden Sie nicht so viel Vertrauen zu mir haben, die Erzählung Ihrerseits zu vervollständigen. Ich möchte so gern auch nun Sie hören. Nicht wahr, Sie haben nicht entsagt?“

„Nein, niemals,“ rief sie heftig. Verschämt und halb abgewendet fuhr sie fort: „Der Onkel hat Ihnen gewiss gesagt, wie es gekommen ist. Ach, L. ist so gut, so mild; er hat so viel Gutes ohne des Onkels Wissen getan, was ich erraten habe, hat sein Weniges oft noch mit den Armen geteilt, denen er helfend beistand. Musste ich ihm nicht gut werden, musste ich ihn nicht ins Herz schließen? Und wenn er noch hässlich wäre, aber ich wünschte, Sie könnten ihn sehen, was er für ein hübscher Mann ist, lang, mit schwarzen Haaren und so sanften braunen Augen. Wie es einzeln gekommen ist, weiß ich nicht mehr; ich weiß nur noch, dass wir in Zukunft nicht ohne einander leben können, was auch kommen mag. Und wenn mich auch der Onkel enterbt, ich kann nicht von ihm lassen.“

Sie schwieg und sah in die Landschaft hinaus. Eine Träne rann ihr über die Wange.

„Betrüben Sie sich nicht. Ihr Onkel ist gut, er liebt Sie außerordentlich und wird nicht ewig hart bleiben. Gewiss wird noch Alles gut, nehmen Sie dies als meinen herzlichsten Wunsch.“

Sie gab mir lächelnd die Hand. „Ich glaube es auch. Und damit ich mich für diesen guten Wunsch dankbar beweise, sollen Sie wissen, dass ich immer mit ihm in Verbindung gestanden, dass wir uns oft gesprochen und seit der Reise oft geschrieben haben. Erst heute früh erhielt ich einen Brief, der mich sehr erfreut und doch auch erschreckt hat. Denken Sie sich, der tollkühne Mensch, der sich etwas erspart hat, hat seine Patienten einstweilen der Obhut eines Freundes anvertraut, und folgt seinem letzten Briefe auf dem Fuße, um mich unterwegs zu sehen und zu sprechen, da er, wie er schreibt, es nicht so lange aushalten könne, bis ich zurückkomme. Ich musste ihm deshalb einen Zettel auf die Post legen, worin ich angegeben habe, was wir für die nächsten Tage vorhaben. Wie er es aber anfangen will, mich zu sehen, ohne vom Onkel bemerkt zu werden, weiß ich wirklich nicht. Nun, vielleicht fügt es der Zufall.

Da trat der Onkel zu uns heraus, gefolgt von dem Kellner, der das Abendessen trug.

***

An Gries mit seiner alten, schöngotischen Kirche des Augustiner Stifts vorbei, vorbei an dem vorspringenden Fels, der Burg Maultasch trägt, an den schönen Rebengeländen von Siebeneichen und Terlan, welche den besten Wein der Gegend liefern und letzteres sogar eine Mandelbaumzucht besitzt, fuhren wir auf der von Maulbeerbäumen besetzten Straße dahin, dem Oberetschthal entgegen nach Meran. Noch war die Sonne noch nicht über die hohen Berge zu unserer Rechten heraus und der tiefere Teil des Tales und die Straße lagen im Schatten. Es hatte die Nacht geregnet, der Morgen war daher sehr angenehm, die ganze Natur erfrischt. Erst lag Siegmundskron, die stattliche Veste, dann das stolze Felsennest Hoheneppan uns gegenüber und die hohe Wand des Gampen entfaltete sich in ihrer ganzen Ausdehnung. Rechts bei Vilpian blitzte ein hübscher Wasserfall durch das Laubgebüsch. Selten sah man die links der Straße still dahinfließende Etsch in der Morgensonne leuchten, nur dichtere Gebüschreihen deuteten ihren Lauf an. Überall Rebenberge, Maisfelder, saftige grüne Wiesen, üppiger Anbau. Wo sich jenseits beim Eingange in das wilde Ultental die Lanaschlösser und zahlreichen Dörfer gruppieren, schauen rechts die Burgen Fragsburg und Katzenstein von steiler Höhe herab, und als wir bei Mais um die Talecke gelangten, lag in heiterer Morgenbeleuchtung Meran mit seinem reichen Kranze von Burgen, Klöstern, Dörfern und Wallfahrtsorten in seiner herrlichen landschaftlichen Umgebung vor uns.

Wohl muß Einer hier gesunden, in diesem Zufluchtsort der Brustkranken, denn nicht allein die reine frische Luft ist die Helferin, es ist auch diese liebliche, großartige, höchst romantische Landschaft, die jeder Blick des Auges trifft, wohin es sich auch wendet. Welcher Reichtum der Pflanzenwelt, welche Mannigfaltigkeit der Formen, welche Fülle des Pittoresken. Ein Rundblickvon der Passerbrücke oder dem Steindamme längs der Passer gibt ein unvergleichliches Panorama, in dem Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund gleich reichhaltig ausgestattet sind. Von den fruchtreichen Talpflanzungen bis zu den unendlich hohen Schneespitzen und dem Gletschereis, von der urältesten Ruine bis zur modernen Villa, vom weitläufigen Kloster bis zum kleinen Votivbildstocke, von dem feinsten Pariser und Wiener Anzuge bis zur einfachen Gebirgstracht, von den bekannten Haustieren bis zu den Adlern, den toten Gämsen und Bären, die oft aus den Hochtälern herabgebracht werden, welch ein Wechsel, welche Verschiedenheit. Es ist, als hätte sich hier im Mutterländchen, wo das Stammschloss der ehemaligen Tiroler Fürsten steht, Alles vereinigt, was die Alpenwelt zu bieten und das Leben in derselben angenehm zu machen geeignet ist.

Das Gasthaus zur Post, wo wir ausgestiegen waren, hielt uns trotz der schönen Aussicht aus den Fenstern nicht lange fest, zumal ein aus der Schweiz kommender Amerikaner mit Familie in gebrochenem Deutsch laut über das verschiedene Geld schimpfte und sich geberdete, als sei die große Gaststube jetzt sein Eigentum. Hinaus in die angenehme Luft, unter die schattigen, dichtbelaubten Bäume drängte es uns und kaum hatten wir etwas gefrühstückt, als wir uns auch schon vor der Türe befanden.

Die Stadt Meran selbst mit ihrer gemütlichen Physiognomie, ihren belebten Bogengängen, ihrer alten Pfarrkirche aus der besten Zeit germanischen Stils, ihrem Spaziergang „auf der Mauer,“ einem gegen die Überschwemmungen der Passer angelegten starken Damme, war bald durchwandert. Die erste größere Promenade ging aufwärts nach dem Passertor, wo sich rechts auf freistehendem niedrigen Felsen der Turm und das wildumwachsene Gemäuer der alten Burg Zenoberg erhebt. An diese Ruine knüpfen sich viele historische Erinnerungen. Sie ward als römisches Castell gegründet, das über der darunter liegenden Colonie Mansion Maja wachte, ehe dieser Ort durch den Naifer Bergsturz ums Jahr 800 zerstört wurde. An dem Turmportale von rotem Sandstein erblickt man uralte Skulpturen, welche der symbolischen geheimnisvollen Ausdrucksweise der ersten christlichen Zeiten angehören. Wo nur ein Bisschen Erde am Felsen haftet, hat man auch Weinstöcke anzubringen gewusst und dadurch das Düstere des alten Gemäuers gemildert. Von hier übersieht man den vordern Teil des Passeyertales, dessen Fortsetzung aber durch die vortretenden Berge verdeckt wird. Nur einige Häuser des Bades Verdins werden auf der Höhe sichtbar und ganz in der Ferne die malerische verfallene Jauffenburg, unweit welcher, von hier aber nicht sichtbar, jenes „Wirthshaus am Sand“ liegt, aus welchem der letzte große Held des Tyroler Landes als schlichter Bauer hervorging, um nach kurzer aber wirkungsreicher Feldherrnlaufbahn auf den Wällen Mantuas als Märtyrer für die Freiheit seines Landes zu sterben. Jenseits Zenoberg, über das Passertal hinüber, erblickten wir die mittelalterliche Burg Schönna, deren gerundete Mauern, mit den Brücken, Toren, Türmen, gewölbten Gängen und hohen Hallen das Mittelgebirge gleichsam beherrschen und mit dem zackigen Gipfel des Issinger im Hintergrunde unbedingt einen der romantischsten Punkte des ganzen Tales bilden.

Hoch über der Stadt thront auf einem Felsen, der jäh in die Weingelände des Küchelberges abfällt, das Schloss Tirol, von dem das ganze Land den Namen erhalten; und trotz seines schlichten Äußeren scheint es doch gewissermaßen der Beherrscher der Gegend, um den die zahlreichen Schlösser und Burgen der Umgebung gleich Vasallen herumstehen. Aber die alte Burg stand verlassen und gleichsam in Trümmer fallend. Sie zeigt nach der Stadtseite nur ein langes Haus mit hohem Dache, über welches vorn ein kleines Türmchen heraustritt, während sich einige andere Gebäude mit flachen, weitvorstehenden Dächern im Gebüsche darunter verstecken. Fast sämtliche benachbarten Schlösser haben ein stattlicheres und wohnlicheres Ansehen. Aber auch sie sind von ihren früheren adeligen Besitzern verlassen und nun meistens in den Händen emporgekommener Städter, reicher Landleute oder Fremder. Rechts scheidet eine schroffe Schlucht das Schloss vom Dorfe Tirol und hier steht der ältere, verfallene Teil, am Fuße der Schlucht die Brunnenburg. Ein Herr aus der Stadt, welcher uns auf diese Dinge aufmerksam machte, riet uns bei unserem kurzen Aufenthalte in Meran vom Besuche des Schlosses Tirol selbst ab. Die Zimmer wären leer und öde und ihnen nur die schöne Ausficht geblieben. Das interessanteste sei noch die uralte Kapelle mit dem weißmarmornen Portale, an welchem sich, wie am Zenoberger Turme, ebenfalls wunderliche gnostische Darstellungen befänden, den Sieg der Christenlehre über das finstere Heidentum darstellend. Belohnender sei eine Partie nach dem westlich davon gelegenen Schloss Durnstein, das eine umfangreichere Aussicht noch, namentlich ins Oberetschtal, besitze und von wo sich Tirol mit dem Issinger Joch dahinter besonders gut ausnehme.

Zum Posthause zurückgekehrt, waren meine beiden Gesellschafter bald mit Reiteseln versehen, und eben als wir hinauszogen, fuhr der Botzener Postwagen herein, frische Besucher der Gegend mit sich führend. Am freundlichen Berggelände mit Fruchtbäumen und Rebenbau aufwärts, hebt sich der Weg erst sanft, und es gab soviel des Schönen zu sehen, was mich zum Verweilen nötigte, dass meine berittenen Begleiter bald einen ziemlichen Vorsprung gewonnen hatten. Wo der Weg scharf rechts abwendet und steiler den Berg hinan auf Durnstein direkt zuführt, fesselte mich abermals der Anblick eines riesigen Feigenbaumes. Gemauerte Steinstützen trugen seine Hauptäste, welche von Früchten strotzten. Es gibt kein besseres Bild üppiger Treibkraft in der Pflanzenwelt als solch dicken Feigenbaum mit dem massigen, großblätterigen Laube, und den zahlreichen Früchten, um dessen Stamm sich Reben ranken, welche wieder zahlreiche Trauben halb unter die Blätter verstecken, halb zur Schau tragen. Ich mochte hier etwas lange verweilt haben, denn meine Gefährten hatten ziemlich das Schloss erreicht, als ich, die Straße zurückblickend, einen andern Fußwanderer erblickte, der eilig auf mich zukam. Im Näherkommen bemerkte ich, dass es ein hübscher, junger Mann war, dessen Gesicht mir bekannt schien. Er hielt bei mir an, trocknete sich den Schweiß von der Stirne und fragte hastig, ob nicht eben ein ältlicher korpulenter Herr und ein Mädchen hier vorbeigekommen wären.
„Ja, Herr Doktor L.,“ erwiderte ich, indem es mir auf einmal Licht ward, dass es der Geliebte Theresens und auch derselbe Herr sei, mit dem ich in Innsbruck den Anblick der Johannisfeuer bewundert. „Ja, Herr Doctor L., dort reitet Onkel K. mit Fräulein Theresen, und diese würde wohl nicht so sehr ihr Tier antreiben, wenn sie wüsste, mit wem ich spreche.“

Dabei zeigte ich nach oben. Der Fremde sah bald hinauf nach den Reitenden, bald sah er mich verwundert an.

„Woher wissen Sie?“ fragte er endlich.

„Ich weiß Einiges von Ihrer Geschichte vom Onkel, Einiges von der Nichte selbst, und würde mich sehr freuen, wenn ich in irgend Etwas Ihre Wünsche fördern könnte. Jedenfalls könnte ich, wenn Sie es wünschen, eine Zusammenkunft vermitteln.“

Fast wäre er mir vor Freude um den Hals gefallen und wir verabredeten in Eile, dass er Abends mit der Post wieder zurück nach Botzen fahren und dort in der zehnten Stunde an der Türe unseres Gasthauses warten solle; ich würde Mittel finden, ihm die Geliebte zuzuführen. Bis zu unserer Abreise von Meran könne er vielleicht Theresen von Weitem sehen. Mit dankbarem Händedruck nahm er Abschied und begab sich nach der Stadt zurück, während ich rasch, um das Versäumte nachzuholen, den Berg erstieg.

„Nun wo bleiben Sie denn? wir warten schon lange,“ rief mir der Onkel entgegen. Sie standen an dem rechts abliegenden Eingange ins Schloss. Dieses Durnstein gibt sich selbst in der Nähe sehr malerisch, da der neuere Anbau mit dem alten gut harmoniert. An das alte massige Mauerwerk mit ausgezackten Zinnen lehnen sich die neueren Gebäude in italienischem Stil mit niedrigen vortretenden Dächern, während dichtes Epheu und Rebenläufer die äußeren Wände decken und die ungleichen Fenster zum Teil umspinnen. Die Besitzerin, von bäuerischer Abkunft und noch die ländliche Tracht der Gegend tragend, empfing uns recht freundlich und führte uns über Treppen und Gänge nach einem Zimmer, das höchst traulich und wohnlich aussah. Ein Pianoforte, eine kleine Bibliothek, aus deutschen und italienischen Werken bestehend, mehrere hübsche Jagdgewehre und zierliche Schnitzarbeiten vollendeten die Ausstattung.

„Hier wohnt mein Sohn,“ sprach unsere Führerin, „er ist jetzt verreist, ist im Reich draußen. Da, schauen Sie einmal durch dieses Fenster.“ Dabei öffnete sie ein dunkles Fenster und stieß die Jalousieläden zurück.

Wenn wir auch heute durch herrliche Aussichten schon fast gesättigt waren, so war doch die, welche sich durch das geöffnete Fenster bot, überraschend schön. Obgleich wir fast alle einzelnen Punkte des großen Panoramas schon kannten, waren doch die erklärenden Worte der Schlossfrau sehr angenehm und wir folgten gern mit den Augen dem Deuten ihrer Hand. Der mittlere Hauptteil der Landschaft bietet gerade das Gegenstück jener Aussicht von Schloss Kühbach, das Etschtal abwärts, links von hohen schroffen Porphyrgebirgen, rechts von dem langen Zuge des Gampen abgeschlossen, dessen Endpunkt, die steil abfallende Mendola mit den hochliegenden Punkten der Vorberge eine schöne Silhouette bildet. Den Hintergrund schließen die mannigfachen Bergformen des Unteretschtales und des Fleimsertales, über welchen die Dolomitspitzen des Rosengartens hoch herausragen. Zur Linken dieses Hauptteiles fällt dann unser Blick in jenen reizenden Gebirgswinkel, in welchem sich das Passeyrtal öffnet und unten die Stadt Meran ausbreitet. Vom Schloss Tirol zur äußersten Linken an entgeht uns keine der oben bereits genannten Burgen; vorzüglich günstig präsentieren sich hierKatzenstein und Fragsburg auf ihrem hohen Standpunkte, wie die Schlösser und Landhäuseer von Obermais, während von dem hohen Ifinger Joch, welches auf dieser Seite die Ferne schließt, der Wallfahrtsort „Maria in der Scharten“ herableuchtet. Rechts von den Lanaschlössern und Dörfern mit Brandis und dem Eingange ins Ultental wird die Ansicht durch das Vigilijoch fortgesetzt, an dessen Seite sich das besonders schöne Schloss Lebenberg auf vielen Terrassen erhebt, während die malerische Ruine Vorst am Fuße des Berges, dickt an der Etsch, liegt, deren Lauf, von hier aus gut zu verfolgen ist und deren blitzender Spiegel oft durch die Einfassung von Bäumen sichtbar wird. Rechts wird dieses reiche Bild durch das einsame Kloster Josephsberg geschlossen, dessen Gebäude aus dem Waldesgrün auftauchen.

„Die Fortsetzung dieser Aussicht will ich Ihnen durch ein anderes Fenster zeigen,“ sprach unsere Wirtin, indem sie uns durch einen Teil des alten Schlosses führte und ein anderes Zimmer öffnete, das in wohnlicher Ausstattung ziemlich dem ersten glich. Ein Eckfenster dieses Zimmers bot die Aussicht auf das Etschtal aufwärts. Es war dies mehr ein Gebirgsbild und von ernsterem Charakter als das vorige. Obgleich auch hier stattliche Burgen und zahlreiche freundliche Dörfer das untere Tal belebten, durch welches der Fluss in vielen oft bedeutenden Fällen herabschießt, so sind es doch mehr die kolossalen Bergmassen, welche hier dominieren. Gleich rechts über die Anhöhe der Töll erheben sich die Riesenformen der hohen Mutt mit den feinen und zierlich gekanteten Felszacken und die über 11.000 Fuß hohen Schneewüsten der Ötztaler Ferner, während im Hintergrunde über die Schneemassen der Laaser Ferner die Ortlesspitze herüberschaut. Welcher Farbenreichtum in dieser großartigen Gebirgslandschaft enthalten war, zeigte sich am Besten, wenn man etwas in das Zimmer zurücktrat und durch den Fensterrahmen das Bild abschließen ließ.

Heiß brannte die Mittagssonne, als wir den Rückweg antra»ten, vielfache Szenen einer reichen Natur und eines fast idyllischen Voklslebens kürzten uns jedoch den stundenweiten Weg. Bald bildeten kräftige Weinranken eine vortretende schattige Laube an der Mauer, worin zahlreiche Trauben und von oben herein Melonen hingen, unter welcher eine junge, blühende Bäuerin saß, das Kind an der Brust, eine Madonna in prächtig geordneter grüner Laubumrahmung, bald öffnete sich zwischen den Stämmen und dem dunklen Blätterwerk hoher Kastanienbäume eine helle Durchsicht in das sonnige Tal, bald war es eine schattige Stelle am Wege, wo zu Füßen eines steinernen Bildstockes die Schnitter ihr Mittagsbrot verzehrten, während die Sonnenglut auf dem lehnab halbgeschnittenen Weizenfelde lag.

Erst im Gasthause, als das ersehnte Mittagsmahl aufgetragen werden sollte und der Onkel uns einige Minuten allein ließ, fand ich Gelegenheit, Theresen zuzuflüstern, welche Begegnung ich gehabt und welche Bestellung ich übernommen habe. Schreck und Freude machten das glückliche Kind zittern, und als sie zu Worte kam, konnte ich nicht alle die Fragen beantworten, wie er ausgesehen, wo er wohl jetzt sein möge, wie er gereist, wenn er abgereist sei und ähnliche. Die Rückkehr des Onkels tat ihr Einhalt und zwang sie, ihre Aufregung zu bemeistern, aber ein Beobachter hätte leicht sehen können, dass sie, die erst so über Hunger geklagt, mit ihren Gedanken jetzt wo ganz anders war, ihr Essen kaum berührte und nur zerstreut mit der Gabel darin herumstocherte.

Als der Doktor in einem der oberen Zimmer, nach den Anstrengungen des Morgens, sich zum Mittagsschläfchen hinlegte, und auch das Mädchen, das Bedürfnis der Ruhe fühlend, sich in e weiten Lehnstuhl setzte, den Kopf in die Hand stützte und zerstreut zum Fenster hinausblickte, ergriff ich Skizzenbuch und Stock und hinaus ging es abermals in die Rebengelände und Gemäuer des Zenoberges. Lange hatte ich dort gesessen, einzelne Züge des reichen Bildes ringsum mich her, mehr zur Erinnerung an die Gegend, in das Buch tragend, als ein Kopf sich über meine Schulter beugte und Dr. L. hinter mir stand, der eben vom Schloss Tirol herabgekommen war. Hier zeigte sich der Mannescharakter. Trotz seiner Liebe, trotz der Nähe der Geliebten und der Ungeduld, sie zu sehen, hatte er doch seine Zeit wohl angewendet, die herrliche Gegend mit den Augen möglichst auszudeuten. Er setzte sich zu mir, und im traulichen Geplauder, im Erzählen und Projektemachen verfloss die Zeit. Er hatte nun ebenso viel zu fragen, als vorher Therese. Die Uhr belehrte uns endlich, dass es Zeit sei, aufzubrechen, da unsere beiderseitige Abfahrtsstunde nahe war. Mit einem „Also heute Abend noch!“ schied er in der Stadt von mir.

Es saß sich nach den Anstrengungen des Tages herrlich im Wagen, wo man, nachlässig ruhend, den reichen Bilderzyklus des Etschtales nochmals an sich vorüberziehen sah. Die Luft war nach und nach angenehmer und bisweilen, wenn wir an einem Taleinschnitte vorüberfuhren, strich uns ein wohltätig kühles Lüftchen über das Gesicht. Als wir unterhalb Fragsburg etwas langsamer fuhren und der Onkel über die kecke Lage des Burggemäuers seine Bemerkungen machte, hörte ich Wagengerassel hinter uns und blickte mich um. Es war die Post nach Botzen. Unwillkürlich drückte ich den Arm Theresens, mit den Augen auf den vorbeifahrenden Wagen deutend. Sie folgte meinem Blicke; ein helles Blitzen der Augen, die Purpurröte des Gesichtes und ein auffälliges Zittern verrieten, dass sie den Augen des Geliebten begegnet, ihn wiedergesehen hatte. Je mehr die Sonne sich dem Rande der Gebirge in Westen näherte, ward die Färbung der Landschaft glühender, bis die einbrechende Dämmerung uns einen Gegenstand nach dem andern entzog und den Augen eine wohltätige Ruhe gönnte. Als wir in Botzen einfuhren, war mir ein Gefühl ähnlich dem, wenn man nach gediegener Aufführung eines großen Dramas das Theater verlässt und das eben Gesehene und Miterlebte noch in mächtigen Schwingungen im Innern fortzittert. Man ist dann gleichgültig gegen alles Äußere und sehnt sich nach Ruhe oder Mitteilung.

Nach dem Abendessen bereitete sich unser väterlicher Freund vor, die Erlebnisse des Tages in sein Tagebuch zu notieren, eine lange Arbeit, wie er bemerkte. Wir ergriffen daher diese Gelegenheit, den Onkel zu bitten, er möge Theresen erlauben, noch ein Wenig mit mir den schönen Mondschein und die laue Luft des Abends zu genießen, was er endlich zögernd bewilligte. Im Moment war das Mädchen zum Gehen bereit und flog fast mehr die Stufen hinab, als dass es ging. Vor dem Hause stand eine Gestalt im Schatten und mit dem Rufe: „Ach Julius!“ „Meine Therese!“ lagen sich zwei Glückliche in den Armen. Nach dem ersten Rausche des Wiedersehens drängte ich vorsichtig, sichaus der Nähe des Gasthofes zu entfernen, und wir gingen, das heißt, jene Beiden Arm in Arm, ich mehrere Schritte voraus, nach der Promenade an der Talferbach. Dort die Liebenden am bestimmten Orte sich überlassend, ging ich bis Gries hinaus, zerstreut Mondscheinstudien machend, während auch meine Gedanken die Lieben suchten und weit über die hohen Berge hinweg nach Norden wanderten. Es mochte fast eine Stunde verstrichen sein, als ich zurückkehrend, das Paar noch an derselben Stelle lebhaft flüsternd antraf und zum Nachhausegehen mahnte. Der Onkel wartete unser, um sich zur Ruhe zubegeben, und äußerte, es müsse doch draußen noch besonders schön sein, da wir so lange geblieben. „O, außerordentlich schön!“ rief die Nichte aufgeregt, indem sie mir als Gutenacht die Hand drückte.

Noch zweimal des andern Tages verschaffte ich den jungen Leuten Gelegenheit sich zu sehen und zu sprechen. Ich hatte Dr. K. überredet, noch einen Tag länger in Botzen zu verweilen, um mit mir einen Ausflug nach der anmutigen Gegend jenseit der Etsch zu unternehmen. Auf bewaldetem Porphyrhügel thront Siegmundskron, sicher die mächtigste und weitläufigste aller Burgruinen Tirols, mit seinen runden Türmen und dem vielgestaltigen Übereinanderbau. Es stand hier ursprünglich ein römisches Castell, die ganze Gegend beherrschend. Aus seiner Umgebung kann das Auge weit in das Trientiner Tal hineinblicken und wird erfreut durch die reizende Gruppierung massiger Kastanien- und Nussbaumwälder, reicher Weinpflanzungen und dichter Maisfelder am rechten Talgelände. Überall Schlösser und Landhäuser und freundliche Dörfer; in einiger Entfernung Kaltern, Gerlan und der Kalterner See. Durch einen Hohlweg, welcher einen Blick auf die Schlösser Wart und Altenburg und die fast senkrechte hohe Mendolawand gewährt, erreichten wir Hoheneppan, das gleich einem Adlerhorst auf steiler, freistehender Felsenkuppe klebt. In der Ferne zeigt sich der einzeln stehende runde Turm Korb. So reich an malerischen Punkten, idyllisch in ländlicher Szenerie und üppig in der Vegetation dieses rechte Etschufer ist, soll es doch sehr ungesund sein, und das krankhafte Aussehen der Bewohner zeigt für die Wahrheit dieser Annahme.

Wirklich gerührt und mit schwerem Herzen nahm ich am nächsten Morgen von den mir so liebgewordenen Leuten Abschied, und Therese musste mir noch in der Stille versprechen, mir später einmal Nachricht zu geben, welchen Ausgang ihre Herzensangelegenheit genommen. Noch als der Wagen schon weit von mir über der Eisackbrücke auf der Straße dahinrollte, sah ich ihr weißes Tuch als letztes freundliches Abschiedszeichen wehen.

Das nächste Frühjahr erst brachte mir einen Brief aus M. von Theresens Hand in meine Heimat, an ihrem Verlobungstage mit L. geschrieben. Die Reise durch das südliche Tirol, die Lombardei und die Schweiz batte ihnen noch oft Gelegenheit geboten, sich zu sprechen, ohne dass der Onkel etwas vermutet oder gar gesehen hätte, und sie würden glücklich nach M. zurückgelangt sein, ohne dass er eine Ahnung von L's. Nähe hatte, wenn nicht in einer Stadt am Bodensee der Doktor und sein ehemaliger Famulus heftig zusammengerannt wären und der sich die Stirn reibende Onkel in dem um Entschuldigung Bittenden L. erkannt hätte. Er hatte hierauf sehr getobt, Theresen entsetzlich gescholten, das Mädchen viel geweint und den Onkel um Verzeihung gebeten, L. aber offen mit ihm gesprochen und seine ganze geheime Mitreise erzählt. Seine große Gutmütigkeit hatte den Sieg über seine Vorurteile davongetragen; obgleich er noch lange gegrollt und selten ein freundliches Gesicht gezeigt, war es doch von jener Stadt aus von ihm geduldet worden, dass der Liebhaber ihn und die Nichte auf der Heimreise begleite. Nach und nach freundlicher werdend, hatte er durch das immerwährende Beisammensein mit L. diesen lieber gewonnen, schließlich gescherzt und gelacht, mich selbst wegen meiner Vermittlung einen verschmitzten Schelm genannt und sich endlich mit den Wünschen seiner Nichte ganz ausgesöhnt. Nach M. zurückgekehrt, hatte er streng darauf gesehen, dass sich L. erst den Winter über mehr in seiner Praxis befestige, ehe im Frühjahr die Verlobung sein dürfe. Die Heirat war bis auf nächstes Jahr hinausgeschoben. Der Brief schloss mit der Versicherung, dass man meiner an den vielen schönen Punkten der Reise oft gedacht und der Einladung, sie ja einmal in M. zu besuchen. Dass aber der Onkel nachgegeben und den Brautstand verkürzt habe, erwies sich aus einer Anzeige in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, welche noch im Spätherbst desselben Jahres die eheliche Verbindung des Dr. L. mit Therese K. meldete.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Bilder aus den Alpen