Vorwort von Dr. Georg Schweinfurth

Geistesverwandte Neigungen und ein gleiches Interesse der Wissenschaft führten mich vor 13 Jahren in Kairo mit dem Verfasser dieses Buches zusammen und befestigten in kurzer Zeit zwischen ihm und mir ein dauerhaftes Band der Freundschaft. Als wir uns zum ersten Male in der Kalifenstadt trafen, hatte ich, ein Neuling auf afrikanischem Boden, noch meine erste Lehrzeit durchzumachen, während der deutsche Arzt und Naturforscher, den ich inmitten eines abgelegenen arabischen Quartiers aufsuchte, bereits weit in Sprache und Sittenkenntnis des Volks vorgeschritten war.

Während Andere, die von der fremden Welt sich das Eine oder Andere anzueignen gekommen waren und nicht Willens, auf den heimatlichen Komfort des Hotel-Lebens zu verzichten, diese Welt wie auf einer Schaubühne vor ihren Blicken vorüberziehen ließen, indem sie es dem Zufall anheimstellten, wohin und bis wieweit sich ihre geistigen Fühler erstreckten, lebte Dr. Klunzinger, wie weiland Burkhard, ,,der Sohn des Lutheraners“, und Lane, gesegneten Andenkens, ganz unter den gläubigen Erben des Paradieses. So wie in neuerer Zeit sich das Leben der Europäer im Orient überhaupt gestaltet, kann man seine zwanzig Jahre in Ägypten verlebt haben, ohne von Land und Leuten beträchtlich mehr zu wissen, als in hundert Büchern steht, wo Stubengelehrte über Dinge berichten, die sie nie zusehen haben. Nein, zu dieser Kategorie von Leuten gehörte mein Freund nicht. Wie ich ihn da fand, in seinem Hause von rohen Erdziegeln der Armenpraxis beflissen, von Blinden und Lahmen umlagert, deren Lippen manch salbungsvollen Spruch zum Segen des aufopfernden und uneigennützigen Menschenfreundes ertönen ließen, während er aus den Händen Anderer als ärztliches Honorar zoologisches Material für seine Studien empfing, da musste ich zu einem Genossen hinaufblicken, an dessen Vorbilde meine Augen mit Bewunderung hafteten.


Als ich darauf einige Monate nach meiner ersten Begegnung mit dem Verfasser die Reisen begann, welche mich im Laufe der Jahre von wenig bekannten Gegenden bis zu völlig unerforschten führen sollten, erreichte ich jenen abgeschiedenen Hafenplatz am Roten Meere, wo sich mein Freund inzwischen bereits als Sanitätsarzt niedergelassen hatte. Zu drei verschiedenen Gelegenheiten fand ich in seinem Hause die gastlichste Aufnahme und verlebte an seiner Seite manche Woche, durch den besten Lehrmeister eingeführt in die arabische Welt und zugleich mit den Geheimnissen der unterseeischen Wunderwelt der Korallen vertraut gemacht. Viele Jahre hat mein Freund seitdem in diesem entlegenen Winkel der Erde hingebungsvoll für die Wissenschaft und zum Besten der leidenden Menschheit gewirkt. Noch bewahren ihm die Bewohner Koseir's das dankbarste Andenken, und einen eklatanten Beweis von der Liebe und Verehrung, welche er sich bei ihnen zu erwerben gewusst, gaben ihm die Ältesten dieser Stadt, als sie, nachdem er nach mehrjähriger Abwesenheit in Europa wieder, aber nur als Privatmann, zurückgekehrt war, von der obersten Sanitätsbehörde seine Wiederernennung als ihren Arzt in einer besonderen Petition erflehten.

Vereinsamt und abgeschlossen in seinen Forschungen, aber ohne der menschlichen Gesellschaft, die sich ihm hier in ärmlichstem Gewande zeigte, selbstgenügsam den Rücken zu kehren, lebte er fern von dem Hochmutsteufel der ,,einzig fühlenden Brust unter Larven“, ein Mensch unter Menschen. Unter Fischern und Schiffern, unter Pilgern und Kameltreibern, kleinen Händlern und armen Schreiberseelen hat unser Menschenfreund seine besten Jahre geopfert. Der Gelehrte, der Naturforscher vor Allem, dessen Ideal überall die Natur, kann nicht verwildern in der Einöde.

Nicht ohne Grund mag Manchem das Leben der höheren und höchsten Schichten in der heutigen Bevölkerung Ägyptens anekeln. All ihr Dichten und Trachten gipfelt in schmutziger Geldgier und in schamloser Knechtschaft vor dem Mammon des Besitzes; jedes Verständnis ist ihnen fremd für Dinge, die nicht in klingender Münze ein Äquivalent finden. Da sind Menschen ohne Charakter, ohne Nationalgeist und Gewissen, aus Feigheit ebenso unfähig zum Verbrechen, wie zu elend zu irgend einem Werke der Großtat. Aber ein offenbares Unrecht begeht Jeder, der in seiner Beurteilung des Volkscharakters diesen Widerwillen der großen Masse entgelten lässt. Wenn der Arme geizig, der Unterdrückte feig erscheint, so beweist das noch lange nicht, dass sie dafür in der Summe ihrer vorzüglichen Eigenschaften uns Europäern, die wir unter minder glücklichem Himmel uns unendlich glücklicherer sozialer Zustände erfreuen, nicht weit überlegen sein könnten. Um aber völlig gerecht zu sein, müssen wir stets bei unserem Urteil darauf bedacht sein, nur Gleichartiges einander gegenüberzustellen, und hierin fehlen die Meisten, welche, sobald sie sich an Sittenschilderungen der gemeinen Ägypter wagen, immer das glückliche Loos unserer mittleren Gesellschaft vor Augen haben. Oft freilich geht ihnen eine gründliche Kenntnis unserer arbeitenden Klassen ab. Ihr Loos aber macht die Fellahin in der Tat nur der Hefe unserer niedrigsten Volksschichten vergleichbar, und von solchem Gesichtspunkt aus betrachtet, müssen sie uns bewunderungswürdig erscheinen. Fast aller Mittel einer Volksbildung beraubt, und nach oben zu ohne irgendein nacheifernswertes Vorbild der Moral, wachsen sie nicht anders auf als Wilde; dennoch sehen wir sie in manchen Tugenden exzellieren, deren sich bei uns die Weisesten nur mit Mühe befleißigen. Ihr Leben ist das der geregeltsten Ordnung und sie sind die höflichsten und manierlichsten Menschen von der Welt.

Abgesehen von dem vertrauten Umgange mit einer großen Menge der unteren und mittleren Volksklassen in verschiedenen Teilen Ägyptens kamen dem Verfasser natürlich auch die Befugnisse zu Statten, welche ihm als Arzt der Regierung zu Gebote standen. Es ist Sache des diagnostischen Scharfblicks der Mediziner, die geheimsten Falten des menschlichen Herzens zu ergründen. Solche Kenntnis und Erfahrung durfte nicht eines Mannes Besitztum bleiben. Schon bei meinem ersten Besuch in Koseir empfahl ich dem Freund das seit so langer Zeit brachliegende Feld der ägyptischen Volks-Sitten zu kultivieren. Er solle sich Laue zum Vorbild nehmen, das gäbe alsdann einen Appendix zum Bädeker der Zukunft.

Meine Wünsche sind in Erfüllung gegangen. Auch Ägypten hat nun seinen Bädeker erhalten, einen Führer durch das alte Wunderland, der alles bisher Dagewesene weit in den Schatten stellt, und Klunzingers Schilderungen werden keiner auch noch so zusammengedrängten Reisebibliothek eines Nil Touristen in Zukunft fehlen dürfen.

Über vierzig Jahre sind verflossen, seit Edward Lane seine ,,manners and customs of the modern Egyptians“ der Öffentlichkeit übergab. Seine Schilderungen sind unübertroffen, ja sie erlangten im Lauf der Jahre einen gewissen Ruf der Klassizität, und der beste Beweis von ihrer Unersetzlichkeit schien in dem Umstande geboten, dass kein neuer Autor es wagte, auf unabhängiger Bahn seinen Spuren zu folgen.

Groß ist indes die Masse der, in genanntem Zeiträume erschienenen Werke, welche Ägypten, sein Volk und das Land zum Gegenstand hatten. Hofgeschichten und Palastintrigen aus Mehemed Alis Zeit haben allein ganze Reihen von Bänden angefüllt, oft von Leuten erzählt, die selbst im vornehmen eitlen Weltgetreibe verkommen waren. Dann waren es wieder phantastisch aufgeputzte Romane oder in den Hotels von Kairo aufgetischte Klatschgeschichten, welche als „Geheimnisse von Ägypten“ und wohlfeile Eisenbahnlektüre durch die Welt liefen. Eine Flut von beiläufigen Reise-Erinnerungen, wo Erlebnisse während der dreimonatlichen Dahabiefahrt zum Besten gegeben werden, oder weniger als das, wechselte ab mit fachmännischen Werken von kundiger und gewandter Hand. Die deutsche Reiseliteratur hat sich der letzteren nicht zu schämen, und Werke wie die eines v. Kreiner, Stephan, Lütke haben sich einer g?nstigen Aufnahme in den weitesten Kreisen zu erfreuen gehabt; allein sie alle können nicht prätendieren, was Studium der Volksbräuche anbelangt, mit den Aufzeichnungen eines Mannes zu wetteifern, der sich dem Gegenstande mit so vieljährigem und anhaltendem Fleiße gewidmet hat, wie Dr. Klunzingcr, und dessen Vertrautheit mit der arabischen Umgangssprache *) überhaupt nur in ganz vereinzelten Fällen in Ägypten erreicht worden ist.

*) Dr. Klunzinger bereitet ein umfangreiches Werk, welches das in Ägypten gebräuchliche Idiom des Vulgär- Arabischen zum Gegenstande hat, zur demnächstigen Publikation vor.

Das vorliegende Werk, schon in seiner äußeren Gestalt und Anordnung des Stoffes durchweg neu und eigenartig, ist in der Tat als eine Gabe dem wissbegierigen Publikum zu empfehlen, welche eine noch gänzlich offene Lücke in unserer Kenntnis des heutigen Ägyptens ausfüllt. Lane, so zuverlässig und ausführlich auch seine Schilderungen sein mögen, hat im Grunde genommen doch nur großstädtische Verhältnisse geschildert. Eine schwache Seite seines Werks ist die nur ungenügend ausgeführte Schilderung der ägyptischen Christen. Sein Beobachtungsfeld war die alte prächtige Kalifenstadt mit den unzähligen Festen und der vergnügungssüchtigen Bevölkerung einer Tyrannenresidenz. In schlichteres Gewand ist ägyptisch-arabische Volkssitte durch Klunzingers Skizzen gehüllt, aber desto ungeschminkter, naturwahrer erscheinen die Bilder.

Es ist nicht des Verfassers Art, sich seinem Leser als Sittenrichter aufzudrängen, Urteile und Schlussfolgerungen aus den geschilderten Verhältnissen zu ziehen, wo der wahre Tatbestand einem Jeden gestattet, sich sein eigenes Urteil zu bilden. Und er hat wohl daran getan, diese gefährliche Klippe zu meiden, wo die Ideen der Menschen so vielgestaltig sind wie ihre Köpfe. Mindestens entgeht er auf diese Art dem höhnenden Zuruf des Stubengelehrten, welcher ihm vorhalten würde, dass es demjenigen, der seine besten Jahre unter Menschen von solcher Bildungsstufe verlebt, nicht zu verargen sei, wenn er im logischen Denken sich wenig geübt zeige.

Dass die Tatsachen reden, war des Verfassers hauptsächlichstes Bemühen. Ein überschwänglich poetisches Gemüt wird vielleicht die üblichen Naturschilderungen als Rahmen des Sittenbildes und in letzterem Fall selbst den idyllischen Hauch vermissen, mit welchem unsere Schriftsteller, oft vom Weltschmerz oder von anderem Aberglauben angekränkelt, ihre Schilderungen zu beleben vermeinen. Vor dem nüchternen Forscherblick des Arztes und Zoologen hat das Alles keinen Bestand; wie sein Skalpell die Fäden der geheimnisvollsten Gewebe zerteilt, in denen das unbewusste Leben pulsiert, so wirft sein Mikroskop Licht auf eine Welt der Rätsel, von denen das gewöhnliche Auge keine Ahnung hat. Ich beglückwünsche meinen Freund, dass er nicht in den Fehler seiner Zeitgenossen verfallen ist, verfeinerte, vielleicht gekünstelte Gefühle seinen Personen zu unterschieben, wie diese in der niederen Sphäre des Lebens, im Kampfe und Ringen um dasselbe, gar nicht Zeit finden können sie zu haben. Mögen Andere ihn ,,ausschreiben“, — und wie leicht wird es nun sein, einen Roman mit ägyptischer Lokalfärbung zusammenzusticken nach solchem Muster!

Kairo, im November 1876. Georg Schweinfurth.