Straßenverkehr. Eseljungen

In der Provinzialstadt ist die alte und die neue Welt noch nicht zur gefährlichen Kollision gekommen wie in der Hauptstadt. Da sieht man noch nicht das hastige Jagen und Rennen, noch keine dahinsausenden Karossen, welche den Rücken des Wanderers durchbohrt haben können, ehe er die Warnungsrufe des Wagenlenkers unterschieden hat. Da geht Alles noch seinen gemessenen Schritt und Tritt, und wenn man auch einmal, in tiefe Gedanken versunken, plötzlich den fletschenden Rachen eines Kamels im Nacken fühlt, oder ein leichtes ein herrennendes Eselein Einem auf die Fersen tritt, so hat man immer noch Zeit auszuweichen, wenn das nicht die bedächtigen Tiere von selbst getan haben. Je näher wir dem Herzen der Stadt, dem Markte, kommen, desto belebter wird es. Bald beweist uns ein Stoß, ein Fußtritt, eine unsanfte Berührung mit irgend einem Nebenmenschen die Existenz eines Nicht-Ichs. Hinter uns hören wir jugendliche Stimmen näher und näher ans Ohr schallen, welche warnen, den Rücken, die Beine, den Kopf und was an uns zerbrechlich ist, in Acht zu nehmen. Es sind die hochberühmten Eseljungen, die, selbst nachspringend, einen Trupp Reiter im Galopp durch das Menschengewühl in den engen Strassen hindurch an den Ort ihrer Bestimmung jagen. Das etwas träge Naturell ihrer langohrigen Pfleglinge wird durch fortgesetzte Prügel, oder, wenn diese in Folge langjähriger Übung auf eine schwielig gewordene Haut fruchtlos fallen, durch Eintreiben eines Grabstichels in offen gehaltene Wunden angefeuert. Dabei fehlt es nicht an kräftigen Beschimpfungen des unvernünftigen Tieres, den Stichworten: Hundesohn, Christen- und Judenbube folgt ein gedehnter emphatischer Ha-Laut, wie ihn nur ein echtes Araberkind hervorzubringen im Stande ist, und diesem ein wirksamer Stoß in den mageren Steiß, der das Reittier vor- und seitwärts schiebt. — Es kommt uns der ritterliche Gedanke, auch ein solches Eselein zu besteigen. Noch schneller aber als der Gedanke sind die Eselsbuben, die an der nahen Ecke ihren Stand haben. Schon hat uns ein halbes Duzend derselben umringt, ehe wir noch zum wirklichen Entschluss gekommen sind. Es ist keine Rettung, keine Flucht mehr möglich; es gilt, eine rasche Wahl zu treffen. Ein blitzender Blick, ein drohend geschwungener Stock, und der um unsere Person sich zankende und balgende Schwarm ist zerstoben, wobei der Knabe unserer Wahl uns wirksam unterstützt. Der Eseltreiber ist in ganz Ägypten derselbe unverschämte Feigling, dabei aber recht gemütliche Bursche, sobald man einmal seine nähere Bekanntschaft gemacht hat. Nur zur Ausbildung seines Sprachentalents hat er in den inneren Provinzen weniger Gelegenheit als in den Hauptstädten, noch redet er uns nicht in der reichen alexandrinischen Mosaiksprache der lingua franka an: ,,Nigi ja Musjo , voulez ride good esel, un abrico thejib, bono“, d. h. sollen wir kommen o (arabisch) Herr, wollen Sie (französisch) reiten guten (englisch) Esel (deutsch), ein Esel (italienisch statt burico) gut (arabisch), gut (italienisch). Dem sofort erkannten Deutschen steht dort stets ein ,,guter Esel, Bismarckesel, Laskeresel“ zu Diensten. Nun, wir sitzen jetzt sicher und schießen mit verhängten Zügeln vorwärts, müssen aber stets auf Erhaltung des Gleichgewichts bedacht sein, da die vis a tergo des Stupfers bald rechts, bald links einfällt und instinktmäßig die Croupe des Reittiers jedesmal auf die Seite plötzlich ausbiegt, die der gezüchtigten gegenüber liegt. Kaum hat unser Esel seinen nicht unsanften trippelnden Trab angeschlagen, so bringt ihn eine allgemeine Stockung des Kreislaufs des Gasseninhalts zum Stehen. Ein Kamel, das eine, ausgespannten Fittigen gleiche, gegen die Seite hinaustarrende Last auf den Rippen trägt, hat beim Umbiegen um die Gassenecke nicht die richtige Mitte getroffen, nur seine eigene Körperbreite bemessend,, und ist an die Ecke gestoßen. Da muss es denn erst wieder um einige Schritte zurückgebracht und nach und nach in den Mittelweg geleitet werden. Sofort nach Aufräumung dieses Hindernisses und Wiederbeginn der Zirkulation sehen wir an derselben verhängnisvollen Ecke einen Lastesel auf der Erde liegen; es ist ihm ebenso gegangen wie dem Kamel, aber der Stoß an die Ecke hat das Gleichgewicht seiner Überlast verrückt, und er konnte sich nicht mehr auf den zur Fracht in gar keinem Verhältnis stehenden schwachen Füßen halten.

Missvergnügt über das fortwährende Stocken steigen wir ab und vertrauen uns lieber unserm eigenen schmiegsamen Körper an. Wir drücken dem Eselbuben einige Kupfermünzen in die Hand, der freilich immer unzufrieden ist, wo er es mit einem fränkischen Menschen zu tun hat, und außer seinem Lohn auch noch ein ,,Bachschisch“*) haben will, jenes vieldeutige Geldgeschenk, dessen Namen jedem in Ägypten gewesenen Europäer noch sein Leben lang nachklingt. Je nach Gemütsart und Stimmung befriedigen wir, um einem Skandal zu entgehen, das trotzige Verlangen durch eine Zugabe oder durch eine Achtung einflößende Stellung mit erhobenem Stock. Ein Eingeborener, der die Preise kennt, hat ihm die Hälfte gegeben, der Junge küsst dankbar, ohne den Betrag zu prüfen, die Bescherung und steckt sie dann in seinen Busen, in die Wellen seines Kopftuches oder — ins Ohr. Der Europäer aber muss jederzeit und überall zu viel bezahlen, andrerseits aber ist er — der „Chauage“ — seiner Zahlungsfähigkeit, seiner Macht, seiner Energie und anerkannten Geschicklichkeit halber, weniger vielleicht mancher moralischer Vorzüge wegen, ein Gegenstand unterwürfigsten, wenigstens äußerlichen Respekts in ganz Ägypten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Bilder Oberägypten, der Wüste und dem Roten Meere