7. Vergleich der Wirkungen vor Bier und Branntwein

Die in den vorhergehenden Abschnitten kurz geschilderten Wirkungen des Alkohols können, wie schon gesagt, durch Zusätze zu demselben, wie sie in den verschiedenen geistigen Getränken vorkommen, etwas modifiziert werden, bleiben aber im wesentlichen immer dieselben. Für die Beurteilung der Folgen, welche der gewohnheitsmäßige Genuss eines dieser Getränke nach sich zieht, kommen aber diese Nebenwirkungen sehr erheblich in Betracht. Sowohl die Theorie wie die Erfahrung lehren, dass alle die traurigen Folgen des Alkoholmissbrauchs hauptsächlich und fast ausschließlich durch den Schnaps, viel seltner durch den Wein und am allerseltessten durch das Bier herbeigeführt werden.*)

*) Dies ist auch neuerdings durch die Beobachtungen des Herrn Siemerling im Berliner Charité-Krankenhause bestätigt worden.


Sehr erschwert wird ja die Feststellung dieser Tatsache durch den Umstand, dass die Trinker sich nicht gerade streng an ein Getränk binden. Der Wein- und Biertrinker verschmäh wohl gelegentlich auch einen Schnaps nicht. Aber auf der andern Seite können wir doch die Beobachtungen vergleichen, welche in den Hauptkonsumptionsländern gemacht werden, eines dieser Getränke vorzugsweise und in großen Mengen genossen wird, gegen welches die andern ganz zurücktreten. Diese Erfahrung lehrt, dass die eigentlichen Säuferkrankheiten i vorkommen, wo Schnaps in großen Mengen getrunken wird, dass sie dagegen in Wein- und Biergegenden viel seltener und auch meist nur in den leichteren Formen auftreten.

Dies hat seinen Grund nicht allein in dem Umstand, dass Schnapstrinker meistens absolut genommen viel größere Mengen von Alkohol zu sich nehmen, sondern dass außerdem die schädlichen Wirkungen des Alkohols viel stärker sind, wenn derselbe in konzentrierterem Zustande genossen wird. Diese Konzentration ist aber am geringsten beim Bier, am größten beim Branntwein. Um einen Vergleich zu ermöglichen, stelle ich die Maxima und Minima des Alkoholgehaltes nach den zuverlässigsten Analysen zusammen:

Bier ...............in 1000 Teilen: Minimum...37,7, Maximum....82,4,
Wein .............in 1000 Teilen: Minimum...99,3, Maximum...195,5,
Branntwein....in 1000 Teilen: Minimum 495,0, Maximum...770,0,

Den geringsten Alkoholgehalt zeigen manche Berliner Biere, einen etwas höheren die bayrischen (gegen 55 p. m.), den stärksten Porter und Ale. Es sind dies aber nur Mittelzahlen. Da die einzelnen Biere einer und derselben Stadt, ja einer und derselben Brauerei unter einander sehr verschieden sind. So werden z. B. in Berlin Biere von nur 20 p. m, und andre von I 76 p. m. Alkoholgehalt gebraut. Was die bayrischen Biere anlangt, so werden an Ort und Stelle viel leichtere Biere getrunken als die zum Versand bestimmten, nach denen in Norddeutschland meist das Urteil sich bildet; abgesehen freilich von einigen, nur zeitweise getrunkenen Sorten, wie Bock u. a.

Unter den Weinen haben die Württemberger den geringsten Alkoholgehalt, nicht ganz 100 p. m., während die schwersten, Kapwein, Madeira und Portwein nahe an 200 p. m. heranreichen. Bei den Schnäpsen sind die Unterschiede im Alkoholgehalt nur gering. Rum ist unter den nicht künstlich gemischten Branntweinen der alkoholreichste.

Die größere Schädlichkeit der alkoholreichen Getränke hängt zunächst von ihrer viel energischeren Wirkung auf die Verdauungsorgane ab. Während sehr geringe Alkoholdosen, in gehöriger Verdünnung genossen, die Verdauung nicht nur nicht stören, sondern durch Anregung des Appetits fördern, wird durch stärkere Schnäpse die Schleimhaut des Magens und Darmkanals stark angegriffen und die Verdauung gestört. Dabei wird aber ungleich das Gefühl des Hungers aufgehoben, so dass der Schnapstrinker das Bedürfnis zu essen weniger hat. Er täuscht sich so aber den ungenügenden Ersatz seiner durch den Stoffwechsel erlittenen Verluste hinweg, aber auf Kosten seiner Leistungsfähigkeit. Anfänglich, wenn die Wirkungen des Alkohols noch geringe sind, ist dies vorübergehend, und wenn der Trinker sich wieder genügend nährt, kann er sogar fett werden. Aber nach und nach wird die Verdauung immer schlechter und allgemeine Abmagerung ist die Folge.

Der meiste Trinkbranntwein wird jetzt einfach durch Verdünnen des in den Brennereien oder in sogenannten Rektifizier-Anstalten hergestellten hochgradigen Sprits mit Wasser hergestellt. Jener Sprit enthält neben dem Äthylalkohol auch noch geringe Mengen andrer Alkoholarten (Amyl-, Propyl-, Butyl-Alkohol), welche man gewöhnlich unter dem Namen „Fuselöl“ zusammenfasst. Man kann diese Verunreinigungen bis zu einem gewissen Grade durch den Rektifikationsprozess abscheiden, aber ganz beseitigen lassen sie sich nicht. Eine dahin zielende, auf Veranlassung des jetzigen preußischen Finanzministers in das Branntweinsteuergesetz von 1887 aufgenommene Bestimmung musste deshalb, weil unausführbar, wieder aufgehoben werden.

Man war früher der Meinung (und auch ich habe dieselbe noch in der ersten Auflage dieser Schrift vertreten), dass diese Beimengungen verschiedener Alkohole den Branntweingenuss besonders gesundheitsgefährlich machen. Diese Ansicht ist aber auf Grund neuerer Untersuchungen nicht aufrecht zu halten. Amyl- und andere Alkohole wirken physiologisch nicht wesentlich anders als reiner Äthylalkohol. Der Schnaps bleibt immer gleich schädlich, gleichgültig ob er etwas weniger oder, wie dies bei den im Kleinbetrieb hergestellten, nicht rektifizierten Branntweinen der Fall ist, etwas mehr Fuselöl enthält. Auch ( manchen Schnäpsen vorkommenden Beimengungen, wie z. B. die im Kirsch- und Pflaumenschnaps enthaltenen geringen Mengen von Blausäure, ändern wegen ihrer Geringfügigkeit den schädlichen Charakter des Schnapses nicht wesentlich. Von mancherlei Zusätzen, welche in den verschiedenen Likören vorkommen, ist der schon erwähnte Absinth vielleicht besonders gefährlich.

Ganz anders als Schnaps wirkt das Bier. Erstlich enthält es in der Tat Nährstoffe, die sogenannten Extrakte. Der Gehalt an solchen beträgt im Mittel etwa 60 p. m. und steigt manchen Bieren bis auf 130 p. m. und darüber. Diese und die freilich nur in Spuren vorhandenen Eiweißkörper sind wirklich nahrhafte und dem Körper nützliche Stoffe. Ich habe aber schon darauf hingewiesen, dass ich ihnen keine allzugroße Bedeutung zuschreibe, weil sie zur Ernährung des Körpers keinen wesentlichen Beitrag liefern, jedenfalls keinen, den man nicht auf andre Weise billiger und gesundheitszuträglicher erlangen könnte. 1000 Gramm Bier enthalten z. B. 60—100 Gramm an Extrakten, 1000 Gramm Weißbrot etwa das Doppelte an diesen Stoffen und daneben noch an 90 Gramm eiweißartige Stoffe und über 300 Gramm Stärkemehl. Die Salze des Biers, auf welche von manchen Seiten großes Gewicht gelegt wird, kommen in ihrer Zusammensetzung den Salzen des Fleischextrakts nahe durch ihren hohen Gehalt an Kali und Phosphorsäure. Man hat daraus den belebenden, das Nervensystem anregenden Einfluss des Bieres erklären wollen. Es scheint mir aber, dass die Wirkung dieser Salze von Liebig und denen, welche ihm gefolgt sind, überschätzt worden ist. Jedenfalls wissen wir über diese günstigen Wirkungen jener Salze noch nichts bestimmtes. Wir werden daher besser thun, nicht zuviel Wert auf sie zu legen, und werden den Wert des Biers richtiger würdigen, wenn wir es nicht als Nahrungsmittel, sondern nur als Genussmittel betrachten. Denn in der Tat, wenn ein Mensch soviel Bier trinkt, dass die Zufuhr an Nährstoffen einen merklichen Wert erlangt, so werden die Nebenwirkungen, welche diese Menge ausübt, sich in so hohem Grade äußern, dass die nährende Eigenschaft dagegen ganz in den Hintergrund tritt. Genießt er aber weniger, so kommen die geringen Mengen von Nährstoffen auch nicht wesentlich in Betracht.

Das Bier ist also kein Nahrungsmittel, sondern ein Genussmittel. Es ist aber gleichzeitig auch ein Gewürz im Sinne der von uns weiter oben gegebenen Definition. Die Notwendigkeit solcher Gewürze für die zweckmäßige Ernährung wurde dort dargetan, auch schon darauf hingewiesen, dass manche Genussmittel zugleich Gewürze sein können. Im Bier haben wir nun ein solches Mittel, das durch die glückliche Mischung seiner Bestandteile den verschiedenen Bedürfnissen des Organismus auf das beste entgegenkommt. Das Bier verdankt diese Eigenschaft, als Gewürz zu wirken, seinem Hopfengehalt. Der Zusatz von Hopfen zur Bierwürze hat den doppelten Zweck, durch Fällung der Eiweißkörper das Bier haltbarer zu machen, und durch Lösung der bittern und aromatischen Bestandteile des Hopfens dem Bier Wohlgeschmack und Aroma zu verleihen. Die bittern Stoffe gehören aber zu den besten Gewürzen im physiologischen Sinne. Sie teilen mit, dem Kochsalz die Eigenschaft, dass sie die Nerven der Verdauungsorgane kräftig erregen, ohne sie abzustumpfen, wie es die scharfen Substanzen des Pfeffers, Senfs u. dergl. tun, welche der Laie gewöhnlich allein als Gewürze bezeichnet. Während diese letzteren Stoffe dem ungewohnten ein unerträgliches Brennen verursachen, müssen alle nach und nach in immer größeren Mengen genossen werden, um überhaupt noch zu wirken. Kochsalz und Bitterstoffe dagegen behalten ihre milde, nützliche Wirkung während des ganzen Lebens unverändert bei, selbst dann, wenn die unangenehme Empfindung des bittern Geschmacks durch Gewöhnung schon längst abgestumpft ist. Der Gebrauch eines solchen, leicht bittern und aromatischen Getränks, welches außerdem noch einige gute Nährstoffe in leicht resorbierbarer Form enthält, wirkt daher in vielen Fällen außerordentlich nützlich zur Unterstützung und Hebung des Ernährungszustandes z. B. bei schwächlichen Personen, Rekonvaleszenten u. s. w. Und auch der mäßige Alkoholgehalt ist hier nützlich durch seine gelind erregende Wirkung. Aber auch für Gesunde, namentlich solche, welche angestrengt arbeiten müssen, ist ein Getränk von solcher Zusammensetzung, in mäßigen Mengen genossen, nützlich.

Es herrscht nun zwar vielfach die Meinung, dieser Nutzen des Bieres werde aufgewogen durch die schlechte Beschaffenheit und die Verfälschungen der meisten Biere. Aber diese Ansichten sind sehr übertrieben. Was zunächst die Güte des Bieres an, langt, so kann man sie nicht nach dem Geschmack beurteilen, denn dieser ist individuell verschieden und hängt sehr von der Gewöhnung ab. Wer an eine bestimmte Sorte gewöhnt ist, findet ein anderes Bier abscheulich, welches wieder andern vortrefflich mundet. Und dies kann uns nicht wundern bei einem Produkt, welches so ungemein zusammengesetzt ist, und wo geringe Verschiedenheiten in der Beschaffenheit der Ingredienzien, wie sie vom Boden, auf dem sie gewachsen, und von der Behandlung, die sie erfahren haben, bedingt sind, den Geschmack wesentlich beeinflussen. Sodann hängt der Geschmack des Bieres sehr von seiner Temperatur und von der Behandlung ab, welches ihm außerhalb der Brauerei von den Bierwirten zu teil wird, von der Art des Lagerns, des Ausschenkens u. s. w. Was aber die Verfälschungen anlangt, den Ersatz des Hopfens durch Kokkelskörner, Krähenaugen, Herbstzeitlose und was sonst von dergleichen Dingen erzählt wird, so sind diese Erzählungen wohl geeignet, dem Gläubigen ein gelindes Gruseln zu bereiten und Haarsträuben zu verursachen; das Haarweh aber, welches der Biertrinker am Morgen nach dem Genuss empfindet, kommt nicht von solchen Zusätzen, sondern nur davon, dass er des Guten zu viel getan und in der rauchigen, tabakdunstgeschwängerten Atmosphäre zu lange gekneipt hat. Eine große Zahl von Verfälschungen, welche von sogenannten „Chemikern“ angegeben worden sind, existieren nur in der Einbildung dieser Leute. Andre, glücklicherweise nicht so gefährliche, kommen vor und können durch eine scharfe gesundheitspolizeiliche Überwachung so viel als möglich beseitigt werden, wenn nötig unter Heranziehung der Gesetzgebung durch Verbot der Anwendung schlechter Surrogate.

Gelangt der Alkohol aus dem Magen und Darm ins Blut, so entfalten sich auch dort die oben geschilderten Wirkungen auf den ganzen Organismus beim Branntwein in etwas andrer Weise als beim Bier. Da der Alkohol langsam resorbiert und langsam wieder ausgeschieden wird, so zirkuliert eine Zeit lang nach dem Genuss eine gewisse Alkoholmenge im Blut, deren „Wirkungen sich in den oben beschriebenen Erscheinungen auf das Nervensystem und ihren Folgen, Rausch, Schlaf, Nachwehen, zeigen und daneben gehen die dauernden Veränderungen der Organe vor sich, welche bei öfterer Wiederholung des Alkoholgenussee zu den ebenfalls schon erörterten Organerkrankungen fuhren. Nun hängen aber auch diese Folgen von der Konzentration, in welcher der Alkohol genossen wird, ab. So ist es erklärlich, dass die eigentlichen Säuferkrankheiten nicht bei Biertrinkern, sondern nur bei Schnapstrinkern vorkommen. Hiermit soll nicht gesagt sein, dass nicht auch ein Übermaß des Biergenusses schädliche Folgen haben kann. Nichts liegt mir ferner als zu behaupten, dass der unmäßige Genuss von Bier unschädlich sei, aber derselbe kommt erstlich seltner vor, als der von Branntwein, er betrifft nicht so allgemein ganze Volksklassen wie dies beim Schnaps der Fall ist, und seine Folgen sind nicht in demselben Grade erschreckend und für das Volkswohl verderblich. Das hat verschiedene Ursachen, von denen wir einige kurz erörtern wollen.

Der Biergenuss hat nicht in demselben Grade, wie dies beim Schnapsgenuss der Fall ist, in sich selbst einen physiologischen Grund, der zu seiner immer wiederholten Anwendung und damit zum Übermaß führt. Wer seinen Durst durch ein Glas Bier stillt, und damit zugleich seinem Körper eine gelinde Erregung zuführt, die ihn zu neuer Arbeit tauglicher macht, hat damit ein natürliches Bedürfnis in anhaltenderer Weise befriedigt, als dies heim Schnaps der Fall ist. Nun gibt es freilich Leute genug (oder sagen wir lieber zu viel), welche es für das Zeichen höherer Kultur betrachten, auch ohne Durst zu trinken, und gerade diese Klasse weist weniger Schnaps-, mehr Biertrinker auf. Namentlich unsere Studenten zeichnen sich ja zum Teil durch die Vollendung aus, welche sie in dieser Blüte unserer Kultur erlangen. Da bleiben denn die Folgen auch nicht aus. Neben den leichteren Graden der allgemeinen Alkoholintoxikation, welche dem Kultus des Biers entspringen, sind es ganz besonders die örtlichen Wirkungen auf Magen und Darm, welche diesen Missbrauchs des Biers charakterisieren. Die Verdauungstätigkeit wird gründlich ruiniert, die sich immer wiederholenden Magen- und Darmkatarrhe werden chronisch und fuhren zuletzt zu jenen hypochondrischen Störungen, welche das ganze Leben hindurch andauern und welche vorzugsweise dazu beitragen, aus dem flotten Studenten jenen eigentümlichen Typus des „Staatshämorrhoidarius“ zu entwickeln, der in unserer höheren und niederen Bürokratie eine nicht gar seltene Erscheinung ist. Außer diesen sind es nur noch manche Elemente des Bürgerstandes, bei welchen man die Folgen des allzugroßen Biergenusses beobachten kann. Aber was wollen diese vereinzelten Opfer gegen die große Zahl derer sagen, welche am Schnaps zu Grunde gehen? In die Massen des Volks ist selbst in denjenigen Ländern, wo der Biergenuss am meisten heimisch ist, das Übel nicht in dem Maße gedrungen, dass man von einer Volkskalamität sprechen könnte, wie dies beim Schnaps der Fall ist. Das Delirium tremens, die verschiedenen Formen des durch den Trunk erworbenen und des durch ihn auf die Nachkommenschaft vererbten Irrsinns, sie sind in den eigentlichen Bierländern seltne Erscheinungen, während sie in den Schnapsgegenden unzählige Opfer fordern.

Fassen wir alles zusammen, so können wir sagen, dass dem Bier eine Reihe von nützlichen Eigenschaften zukommen, welche dem Schnaps fehlen, und dass die Gefahren unmäßigen Biergenusses gering sind gegen die des Schnapsgenusses, welcher die ihm verfallenen Opfer immer tiefer in seine gefährlichen Netze hineinzieht, bis sie nicht mehr zu entrinnen vermögen, sondern in Jammer und Elend umkommen.