5. Wirkung des Alkohols

Alkohol, genauer bezeichnet Äthylalkohol (zum Unterschiede von andern Alkoholarten) ist im reinen, wasserfreien Zustande eine wasserklare, leichtbewegliche Flüssigkeit, welche bei 78° siedet und selbst bei den niedersten, künstlich erzeugten Kältegraden nicht fest wird. Sie ist leichter als Wasser (sp. Gew. 0,79), mischt sich in allen Verhältnissen mit Wasser, und diese Mischungen sind um so leichter, je mehr Alkohol sie enthalten, so dass man den Alkoholgehalt durch Bestimmung des spezifischen Gewichts der Mischung leicht berechnen kann (Skala von Tralles), Seine chemische Zusammensetzung wird durch die Formel C2H6O ausgedrückt. Er besteht also aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, enthält aber von letzterem so wenig, dass er sich noch mit einer erheblichen Menge Sauerstoff verbinden kann, wobei Kohlensäure und Wasser entstehen und eine bedeutende Wärmemenge gebildet wird.

Hier erhebt sich nun die für unsre Zwecke interessante Frage, ob eine solche Verbrennung des Alkohols auch im tierischen Organismus stattfindet, wenn derselbe genossen wird. Öl können wir in einer Lampe brennen und dadurch Wärme erzeugen. Trinken wir dasselbe Öl, dann verbrennt es in unserm Körper, freilich viel langsamer, aber die schließlich gebildete Wärme ist die gleiche. Wir wissen ja, dass die Lappländer in ihrer Nahrung sehr viel öl, Tran und ähnliche Fette aufnehmen und so die großen Wärmemengen erzeugen, deren sie bedürfen, um sich in der kalten Umgebung die nötige Wärme des Körpers zu erhalten. Wie steht es nun mit dem Alkohol? Kann er dieselbe Rolle spielen? Dann müssten wir ihn offenbar zu den Nahrungsstoffen rechnen. Die experimentellen Untersuchungen über diesen Punkt sind noch nicht vollkommen abgeschlossen. Sicher ist, dass ein Teil des aufgenommenen Alkohols durch die Lungen, den Harn, die Haut teils unverändert, teils nur wenig verändert (als Aldehyd C2H4O), abgeschieden wird; ein Teil bleibt lange unverändert im Körper, wenigstens hat man ihn noch 36 Stunden nach der Aufnahme gefunden; ein dritter, aber sehr unerheblicher Teil endlich verbrennt vielleicht zu Kohlensäure und Wasser. Der Alkohol könnte also mit einigem Recht zu den Nahrungsstoffen gerechnet werden, wenn man sich auf diesen letzten, im Körper verbrannten Anteil steifen wollte. Aber selbst, wenn man dies zugibt, muss man doch festhalten, dass er als Nahrungsstoff nur eine sehr geringe Rolle spielt. Denn wenn er in irgend erheblicher Menge genossen wird, dann wirkt er, wie wir sehen werden, störend auf den Ablauf der Lebenserscheinungen, dass seine nährende Wirkung dagegen nicht in Betracht kommen kann.


Wasserfreier Alkohol ist sehr schwer darzustellen, kann aber auch gar nicht genossen werden. Selbst in den Konzentrationen, in welchen er in den stärkeren Weinen und im Branntwein vorkommt, übt er auf die Schleimhäute des Mundes und des Magens starke örtliche Wirkungen aus, von deren Folgen noch die Rede sein wird. Er verursacht ein Gefühl von Wärme oder Brennen, das dem Ungewöhnten unangenehm, dem Gewohnheitstrinker dagegen nicht scharf genug zu sein pflegt, so dass er gern zu allerlei Zusätzen greift, den Geschmack zu würzen. In den Magen gelangt, reizt der Alkohol die Nerven der Schleimhaut, bewirkt, in ganz kleinen Dosen, stärkere Absonderung von Magensaft und kann somit förderlich für die Verdauung sein. Aber bei nur etwas größeren Dosen wird diese Wirkung beeinträchtigt, die Verdauung wird, so lange der Alkohol im Magen verweilt, aufgehoben. Die Speisen bleiben Stunden lang unverändert im Magen liegen. Die Schleimhaut wird stark gereizt, mit Blut überfüllt, ein zäher Schleim lagert sich auf derselben ab, es entsteht ein akuter Magenkatarrh.

Gelangt der Alkohol aus dem Magen durch Resorption ins Blut, was sehr schnell geschieht, so machen sich seine Wirkungen im ganzen Körper geltend, besonders aber im Gehirn. Alle Tätigkeiten desselben werden gesteigert, der Gedankengang wird lebhafter, die Phantasie reger. Muskelbewegungen werden leichter ausgeführt und Anstrengungen leichter ertragen. Aber alles dies zeigt sich nur, wenn die Dosis klein ist. Bei größeren Dosen folgen bald die Erscheinungen des Rauschs, welche zu bekannt sind, als dass ich sie hier zu schildern brauchte. Neben den subjektiven Erscheinungen aber gehen objektive einher, welche schwerer festzustellen sind. Herzschlag und Atmung werden beschleunigt, die Körpertemperatur sinkt, der gesamte Stoffwechsel wird herabgesetzt. Für das Verständnis der Rolle, welche der Alkoholgenuss spielt, am wichtigsten sind die Wirkungen auf die Gefäßnerven. Die Blutgefäße, durch welche das Blut fortwährend im Körper kreist, um allen Organen Ernährungsmaterial und Sauerstoff zuzuführen und die in ihnen entstandenen Zersetzungsprodukte abzuführen, führen in ihren Wandungen Muskelfasern, durch welche die Gefäße verengert werden können. Diese Muskelfasern der Gefäße stehen unter dem Einflusse des Nervensystems, welches die Blutzufuhr zu den Organen regelt, wie ein Berieselungsarbeiter, welcher die Schleusen einer Berieselungsanlage stellt, um jedem Teil der Wiese seine passende Wassermenge zukommen zu lassen. Kommt Alkohol ins Blut, so werden die Blutgefäße zuerst verengt, bald aber stark erweitert. Es strömt mehr Blut in die Organe und zirkuliert langsamer in denselben. Man sieht das an den äußeren Teilen, namentlich der Haut; des Gesichts, welches sich in Folge des größeren Blutandrangs stark rötet. Da das Blut wärmer ist als die äußere Haut, welche fortwährend Wärme an die Umgebung verliert, so wird auch die Haut wärmer, wenn mehr Blut in sie einströmt, und dies verursacht ein Gefühl der Wärme, welches namentlich dann stark ausgesprochen ist, wenn die Haut vorher sehr kalt war. Aber dies Gefühl hält nicht lange vor. Denn die Haut verliert nun auch mehr Wärme, und so kommt es, dass der ganze Körper abgekühlt wird.

Diese Wirkungen auf das Nervensystem sind es, um derentwillen am häufigsten zum Alkoholgenuss gegriffen wird. Das ermüdete und abgespannte Gehirn des durch geistige Arbeit Erschöpften sucht eine starke Anregung; der in Nässe und Kälte erstarrte Feldarbeiter verscheucht durch einen Schluck Branntwein das unangenehme Gefühl der Kälte. Der durch körperliche Anstrengung Ermüdete sucht sich durch ihn neue Kraft zur Arbeit zu verschaffen. Diesem letzteren Punkt müssen wir noch eine besondere Untersuchung widmen.

Wenn unsre Muskeln durch angestrengte Arbeit ermüdet sind, so sind die Stoffe, durch deren Umsetzung die Arbeit im Muskel entsteht, noch nicht erschöpft. Der Muskel ist nur zeitweise, wahrscheinlich in Folge der Ansammlung der Zersetzungsprodukte in ihm, weniger geeignet, fernere Arbeit zu leisten. Größere Energie des Nervensystems kann einem solchen ermüdeten Muskel noch manche Leistung abzwingen. Aber diese Energie aufzuwenden ist das Nervensystem nicht immer und nicht bei allen Menschen im Stande. Da kommt ihm nun ein so mächtiges Reizmittel, wie der Alkohol eines ist, zu Hilfe. Unter seiner Wirkung gewinnt das Gehirn eine größere Kraft. Und da der verstärkte Zufluss von Blut zu den Muskeln auch die Zersetzungsprodukte der Muskeltätigkeit, welche die Ermüdung veranlasst haben, schneller fortschwemmt, kann der Körper noch eine neue Leistung vollbringen, die vorher unmöglich erschien.

Aber diese Wirkung ist doch nur eine flüchtige und vorübergehende. Das angezündete Strohfeuer ist bald erloschen, um so schneller, je weniger Vorrat an wirklich leistungsfähigem Material der Körper zur Verfügung hatte. Alle Muskelarbeit geschieht nur auf Kosten von chemischen Veränderungen im Muskel. Dieser verhält sich nicht anders, wie eine Dampfmaschine, deren Arbeitsleistung; das Produkt der Verbrennung von Kohle ist. Brennt das Feuer nicht ordentlich auf dem Roste Dampfkessels, dann wird der Gang der Maschine lahm. Man kann sie wieder zu lebhafterem Gang bringen, wenn man das halb erloschene Feuer lebhafter anfacht, die Asche von dem Rost entfernt, oder irgend eine Hemmung beseitigt, welche den Gang verlangsamt hat; aber wenn man nicht neues Brennmaterial zuführt, dann werden alle diese Mittelchen nur wenig fruchten. Unbedingt vorausgesetzt aber muss werden, dass die Maschine überhaupt gut im Stande und dass sie mit genügendem Brennmaterial versehen ist. Wenden wir das Gleichnis auf den Muskel an, so sehen wir, wie auseinandergesetzt wurde, dass der Gang der Maschine schon zu stocken anlangt, wenn nur ein Teil des vorrätigen Brennstoff verzehrt ist. Es treten eben allerlei kleine Reibungen und Hemmungen ein. Diese kann man vorübergehend beseitigen, und dann geht es wieder eine Weile. Das heißt also, auf die menschliche Maschine übertragen: Ein gut genährter Mensch, mit kräftigem Muskelbau, kann bei beginnender Ermüdung durch einen Schluck Branntwein seine Leistungsfähigkeit vorübergehend steigern. Aber man vergesse nur nicht, dass er dann auch mehr von den Stoffen verbraucht, durch deren Umsetzung er überhaupt Arbeit leistet, und dass er, um weiter leistungsfähig zu bleiben, den dadurch veranlassten größeren Stoffverbrauch durch gute, nahrhafte Kost ersetzen muss. Kann er dies, so wird ihm der kleine Exzess nichts schaden, ja sogar, da solche kleine Alkoholdosen die Esslust steigern und die Verdauung anregen, den Ersatz des Kräfteverlustes befördern.

Ganz ähnlich verhält es sich mit der erwärmenden Wirkung des Alkohols. Diese ist, wie wir gesehen haben, nur eine scheinbare. Das subjektive Gefühl der Wärme, welches entsteht, indem das warme Blut aus dem Innern des Körpers reichlicher in die Haut einströmt, hat in Wirklichkeit sogar einen größeren Wärmeverlust und damit eine Abkühlung des Körpers zur Folge, welche durch eine vermehrte Wärmeproduktion wieder ausgeglichen werden muss. Wärmeproduktion und Arbeitsleistung sind aber nur zwei Erscheinungsweisen desselben Vorgangs, nämlich der im Körper stattfindenden Oxydation. Ist reichliches Nahrungsmaterial vorhanden, um die Verbrennung zu unterhalten, und kann der Körper den größeren Verbrauch, zu dem er sich durch das Reizmittel angefeuert hat, durch eine gute, kräftige Mahlzeit wieder einbringen, dann kommt nach einer Zeit wieder alles in guten Stand. Das Mittel hat seinen Zweck erfüllt, und seine gelegentliche Anwendung wird ohne dauernden Schaden ertragen werden.

Anders aber, wenn ein schwacher, schlecht ernährter Mensch dasselbe Mittel anwendet. Die Wirkung wird zunächst wohl dieselbe sein: die Erregung des Nervensysteme befähigt ihn, noch etwas von seiner Kraft herzugeben, das unangenehme Kältegefühl wird verscheucht. Aber er hat nicht viel zuzusetzen und so erlahmt er bald wieder. Und da ihm der Schnaps vorher gut getan hat, so greift er wieder zur Flasche, und da es nichts nützen will, so vergrößert er die Dosis und kann so, wenigstens zeitweise, noch etwas erzielen. Aber immer von neuem stellt sich das Bedürfnis ein und immer weniger leistet das Mittel. So wird er ganz von selbst zum Gewohnheitstrinker. Was anfänglich ein selten gebrauchtes Genussmittel, eine Arzenei, war, ist jetzt ein Lebensbedürfnis geworden, und eins der gefährlichsten, wie wir gleich sehen werden.