3. Gewürze und Genussmittel

Wir haben gesehen, dass ein Nahrungsstoff löslich sein muss, damit er resorbiert werden, d. h. durch die Wände des Ernährungsschlauchs in die Gewebe des Körpers übertreten kann. Von den oben aufgezählten Nahrungsstoffen sind aber nur einige ohne weiteres resorbierbar. Die meisten werden es erst, indem sie innerhalb des Ernährungsschlauchs eine Umwandlung eingeben, welche man als Verdauung bezeichnet. Diese Verdauung besteht in einer Reihe chemischer Prozesse, welche im Munde anfangen, sich im Magen und Darm fortsetzen, und welche durch die Einwirkung gewisser Stoffe (Verdauungssäfte) auf die Nahrungsmittel zustande kommen. Jene Verdauungssäfte werden von Drüsen geliefert, die in der Wand des Ernährungsschlauchs selbst und in dessen Nähe liegen, und mischen sich den Speisen nach und nach bei. Die Drüsen stehen unter dem Einfluss des Nervensystems. Damit sie die Verdauungssäfte in genügender und wirksamer Weise liefern, bedarf es einer Heizung, welche durch die Speisen allein nicht immer in genügender Weise gegeben ist. Alle Mittel nun, welche wir den Speisen zusetzen, um diese Reizung zu bewirken, nennen wir Gewürze. Das wichtigste Gewürz ist das Kochsalz. Es ist zwar schon in vielen tierischen und in einigen pflanzlichen Nahrungsmitteln enthalten, aber nicht in genügender Menge. Darum setzen wir es fast zu allen Speisen hinzu, besonders zu denen, welche nicht schon auf andre Weise reizend auf die Drüsen wirken. Der allgemeine Gebrauch des Kochsalzes erklärt sich ganz besonders daraus, dass seine Wirkung sich nicht in dem Maße, wie dies bei andern Gewürzen der Fall ist, durch die Gewöhnung abstumpft. Die Menge des zuzusetzenden Kochsalzes hängt sehr von der Gewohnheit ab. Doch ist jedenfalls um so mehr notwendig, je weniger gehaltreich an wirklich nützlichen Nahrungsstoffen die aufgenommene Nahrung ist, je größer also die Leistung ist, welche die Verdauungsorgane aufwenden müssen, um die volle Ausnutzung der Nahrung zu er zielen. Besonders wirksam ist das Kochsalz zur Hervorrufung der Speichelabsonderung, welche zur Verdauung der Stärke notwendig ist. Wo z. B. die Nahrung zum größten Teil aus Kartoffeln besteht, muss mehr Kochsalz genossen werden, als bei Fleischkost. Während daher bei den wohlhabenden Klassen die Ausgabe für Kochsalz einen verschwindenden Bruchteil des Jahresbudgets ausmacht, ist diese Ausgabe, besonders wenn sie durch die Salzsteuer künstlich erhöht wird, für eine arme Tagelöhnerfamilie eine recht drückende Last.

Außer diesen Gewürzen setzen wir unserer Nahrung noch eine Reihe von Substanzen zu, welche entweder nur dazu dienen uns die Speisen angenehmer zu machen, oder eine bestimmte Wirkung auf unsern Organismus, besonders auf das Nervensystem auszuüben. Wir nennen sie Genussmittel, weil sie uns in irgend einer Weise einen Genuss bereiten, während sie für die eigentliche Ernährung gar keine oder doch nur geringe Bedeutung haben. Die Abgrenzung zwischen Genussmitteln Gewürzen, Genussmitteln und Nahrungsstoffen ist keine scharfe. Essig- und andre organische Säuren, wie sie im Obst vorkommen könnten zu den Nahrungsstoffen gerechnet werden, da sie im Organismus zu Kohlensäure verbrannt werden und also Wärme und Arbeit leisten. Aber diese Wirkung ist sehr gering und sie können nicht in irgend erheblicher Menge zum Ersatz andrer Nahrungsstoffe dienen, da sie die Verdauung stören, sobald sie in erheblicher Menge genossen werden. In geringer Mengen jedoch wirken sie als Genussmittel und als Gewürz. Zucker ist ein wahrer Nahrungsstoff aus der Gruppe der Kohlehydrate, er ist aber zugleich ein Genussmittel und ein Gewürz.


Auf der andern Seite gibt es allmähliche Übergänge von den Genussmitteln zu den Arzneistoffen und Giften. Das wirksame Alkaloid des Kaffees und Thees, Koffein oder Thein genießen wir wegen seiner Wirkung auf unser Nervensystem welche unter Umständen eine sehr nützliche ist; in etwas größere Dosen aber ist diese Wirkung schon so stark, merkliche Änderung in den gewöhnlichen Lebenserscheinungen hervorbringt, von welcher der Arzt unter Umständen absichtlich zu Heilzwecken Gebrauch macht; in noch größeren Dosen endlich wirkt derselbe Stoff so stark, dass er bedrohliche Störungen der Lebenserscheinungen hervorruft, und dann heißt er ein Gift. Ganz dasselbe gilt vom Alkohol, von welchem im folgenden Abschnitt ausführlich gehandelt werden soll. Wir dürfen ferner nicht übersehen, dass wir derartige Stoffe selten rein zu uns nehmen. Wenn wir einen Aufguss von Theeblättern oder Kaffeebohnen machen, so enthält dieser neben dem Thein oder Koffein noch andre Stoffe, die zum Teil zu den oben erwähnten Gruppen der Nahrungsstoffe gehören. Aber wegen dieser geringen Mengen von Nahrungsstoffen genießen wir jene Aufgüsse nicht, sondern nur wegen ihres Gehalts an dem wirksamen Alkaloid. Deswegen rechnen wir daher diese Getränke, obgleich sie einen kleinen Beitrag zu unsrer Ernährung liefern, doch nicht zu den Nahrungs-, sondern zu den Genussmitteln.

Der Gebrauch der Genussmittel ist so allgemein verbreitet, dass ein physiologischer Grund für denselben vorhanden sein muss. Und wir können denselben auch nachweisen. Aber wenn wir auch auf diese Weise verstehen lernen, warum die Menschen derartige Stoffe genießen, dürfen wir doch unsre Augen nicht verschließen gegen die Gefahren, welche in dem Missbrauch derselben liegen. Namentlich der Alkohol hat so unzähliges Unglück über die Menschen gebracht, dass wir nach den Ursachen seiner allzu großen Verbreitung und nach Mitteln, dem Unheil zu steuern, suchen müssen. Wenn es wahr ist, dass die Trunksucht in unserem Lande so sehr überhand genommen hat, dass es für notwendig gehalten wird, mit neuen Strafgesetzen gegen sie vorzugehen, dann haben wir allen Grund, zu untersuchen, wo die Quelle dieses Übels liegt. Haben wir diese entdeckt; dann wird sich auch beurteilen lassen, ob die vorgeschlagenen Mittel zu seiner Bekämpfung Aussicht auf Erfolg versprechen.

Eine solche Aussicht wird aber nur dann vorhanden sein, wenn wir imstande sind, entweder 1) das gefährliche Mittel ganz aus dem Bereich der Menschen zu entfernen, oder
2) das Bedürfnis, welches die Menschen zum Gebrauch und damit auch zum Missbrauch des Mittels treibt, zu beseitigen, oder
3) den Menschen ein andres Mittel zugänglich zumachen, welches ebenso geeignet ist, jenes physiologische Bedürfnis zu befriedigen aber nicht so leicht zum Missbrauch verleitet und nicht so gefährlich in seinen Folgen ist.

Unsre Untersuchung wird zeigen, wie weit wir imstande sind, diese Forderungen zu erfüllen.