2. Die Grundsätze der Ernährungslehre

Das Leben des Menschen wie jedes Tieres beruht auf einem fortwährenden Oxydationsprozess. Der Leib besteht aus einer Anzahl von Geweben, welche trotz aller Mannigfaltigkeit in ihrer chemischen Zusammensetzung doch alle fast völlig übereinstimmen. Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Wasserstoff sind die Grundelemente, aus denen sich alle diese Gewebe aufbauen. Schwefel und Phosphor kommen daneben in sehr geringen Mengen vor, einige Gewebe enthalten auch etwas Eisen. Die Flüssigkeiten, welche alle Gewebe durchtränken und umspülen, bestehen zum größten Teil aus Wasser, in welchem neben organischen Stoffen auch anorganische, namentlich Kali- und Phosphorsäureverbindungen, aufgelöst sind.

So lange das Leben besteht, nimmt der Organismus fortwährend Sauerstoff aus der umgebenden Luft auf, und dieser verbindet sich mit den Gewebsbestandteilen und mit den organischen Stoffen, welche in den Gewebsflüssigkeiten gelöst sind. Aus dieser Verbindung (Oxydation — langsame Verbrennung) entstehen Kohlensäure und Wasser, welche durch die Lungen, Haut und Nieren abgeschieden werden, stickstoffhaltige Zersetzungsprodukte, namentlich Harnstoff, welche im Harn entleert werden. Dieser Verbrennungsprozess ist die Quelle der fortwährend erzeugten Wärme, welche den Körper trotz der fortwährenden Verluste durch Strahlung, Leitung und Verdunstung immer nahezu auf denselben Wärmegrad erhält, sowie der vom Körper geleisteten Arbeit. Von letzterer können wir zwei Teile unterscheiden: die innere Arbeit, welche vom Herzen, den Atemmuskeln f. geleistet wird und die unbedingt notwendig ist, nm das Leben überhaupt zu unterhalten, und die äußere Arbeit, welche als Bewegung der Glieder oder des ganzen Körpers erscheint, durch welche wir Lasten heben u. s. w.


Da nun der Körper fortwährend Sauerstoff aufnimmt, diesen aber wieder in Verbindung mit Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff abscheidet, so muss er offenbar an Substanz verlieren und leichter werden. Aber ehe noch ein erheblicher Gewichtsverlust stattgefunden hat, stellt sich das Bedürfnis ein, den Verlust zu ersetzen, in Gestalt zweier mächtiger Empfindungen, Hunger und Durst. Diese mahnen uns, dass es Zeit ist, für Ersatz zu sorgen, wenn die Maschine ordentlich weiter arbeiten soll. Und so mächtig sind diese Empfindungen, dass der Drang zu ihrer Befriedigung die wahre und innere Triebfeder fast alles menschlichen Handelns abgibt und in erster Linie den Gang der Weltgeschichte bedingt hat, und dass er auch heute noch neben dem Geschlechtstrieb einer der Haupthebel aller Bestrebungen dies Schiller treffend ausgedrückt hat in den Versen:

„Einstweilen, bis den Lauf der Welt
Philosophie zusammenhält,
Erhält sich das Getriebe
Durch Hunger und durch Liebe.“

Aber was sollen wir essen, um unsere Verluste zudecken? Das Tier in der Wildnis sucht sich seine Nahrung, und wenn es sie nicht oder nicht in genügender Menge findet, geht es zu Grunde. Nicht anders geht es dem wilden Menschen. In unsern zivilisierten Gemeinschaften geschieht es sehr selten, dass Menschen geradezu verhungern, aber an ungenügender Ernährung gehen leider auch bei uns Tausende langsam zu Grunde.

Soll der Körper auf seinem Bestand erhalten und dabei leistungsfähig zur Arbeit bleiben, so muss er nicht nur genügenden Ersatz für die erlittenen Verluste, sondern diesen auch in geeigneter Form zu sich nehmen. Der Körper verliert fortwährend Kohlenstoff und Stickstoff. Die Nahrung muss also diese beiden Elemente in richtigen Verhältnissen enthalten. Aber nicht alle in der Natur vorkommenden Stoffe, welche diese Elemente enthalten, sind zur Ernährung geeignet. Es sind nur wenige Stoffe, welche den Ersatz liefern können. Wir nennen sie daher Nahrungsstoffe und alle die in der Natur vorkommenden oder künstlich erzeugten Substanzen, welche wenigstens einen Nahrungsstoff enthalten, nennen wir Nahrungsmittel.

Ein Nahrungsstoff muss eine Reihe von Eigenschaften haben, die ihn befähigen, zur Ernährung des Körpers beizutragen. Wenn wir etwas genießen, so nehmen wir es in den Mund, zerkleinern es, wenn nötig, bringen es durch den Schlingakt in den Magen, von wo es in den Darm gelangen kann. Aber alles, was im Mund, Magen, Darm enthalten ist, ist noch nicht im Körper. Das den Körper durchsetzende, am Munde beginnende und am After endende Rohr, welches wir Ernährungsschlauch nennen, ist den Geweben gegenüber Außenwelt. Was sich in ihm befindet, verhält sich zum Körper zunächst nicht anders, als wenn es auf der äußern Haut läge. Aber die Wände dieses Ernährungsschlauchs sind für viele Dinge leicht durchdringlich und so können diese dann wirklich in den Körper kommen. Dazu müssen sie aber flüssig sein. Deswegen kann keine Substanz ein Nahrungsstoff sein, die nicht bei der Temperatur des Körpers flüssig oder in den Flüssigkeiten des Nahrungsschlauches löslich, ist. Denn nur so kann sie die Wände des Nahrungsschlauches durchdringen und vom Körper aufgenommen oder resorbiert werden.

Ein solche Substanz muss aber endlich auch dem Körper etwas nützen, indem sie entweder zum Ersatz für verloren gegangene Gewebsbestandteile dienen oder unter den im Körper vorhandenen Bedingungen sich oxydieren und dadurch Wärme und Arbeit hervorzubringen vermag.

Was diesen Bedingungen nicht genügt, kann nicht als Nahrungsstoff anerkannt werden. Sehen wir, welche Körper unter diese Gesichtspunkte fallen, so erhalten wir folgende Gruppen:

1) Wasser. Der Körper verliert durch Verdunstung und Ausscheidungen fortwährend große Mengen von Wasser. Die dadurch zunehmende Zähigkeit des Blutes würde seine Bewegung sehr erschweren. Zwar kann der Körper unter Umständen auch Wasser aus seinen Elementen, Wasserstoff und Sauerstoff, bilden (den Wasserstoff erhält er in den gleich zu erwähnenden Verbindungen), aber dies geschieht nicht in ausreichender Menge. Also braucht der Körper stets Wasser. Dieses kann er zum Teil in Form von Getränken aller Art aufnehmen, zum Teil erhält er es mit den verschiedenen Nahrungsmitteln; denn Fleisch, Gemüse, Brod, kurz, alle Nahrungsmittel enthalten große Mengen von Wasser (bis zu 3/4 ihres Gewichts, und manche sogar noch mehr).

2) Anorganische Salze. Diese, insbesondere Kochsalz, Kali- und Phosphorsäure-Verbindungen werden fortwährend mit dem Harn ausgeschieden. Welche Rolle sie im Organismus spielen, ist noch nicht vollkommen ausgemacht. Aber sie werden in dem Maße, wie sie ausgeschieden werden, wieder eingeführt, weil sie in allen aus dem Pflanzen- und Tierreich stammenden Nahrungsmitteln immer enthalten sind. Nur das Kochsalz setzen wir noch besonders unseren Speisen zu, aus Gründen, welche im folgenden Abschnitt erörtert werden sollen.

3) Kohlehydrate. Unter diesem Namen begreift man eine Reihe von Stoffen, welche aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff bestehen (letztere Elemente in demselben Verhältnis, wie sie im Wasser vorkommen). Sie werden im Körper in der Weise zersetzt, dass sich Wasser und Kohlensäure bilden, wodurch eine beträchtliche Menge von Wärme und Arbeit produziert werden kann. Sie kommen in pflanzlichen und tierischen Nahrungsmitteln, wie wir sie zu genießen pflegen, fertig gebildet vor, oder werden aus diesen künstlich für Ernährungszwecke abgeschieden. Einige von ihnen (z. B. die verschiedenen Zuckerarten) sind löslich, andere (z. B. die Stärke) werden im Körper in Dextrin und Traubenzucker umgewandelt und dadurch resorptionsfähig.

4) Fette. Sie bestehen aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, enthalten aber weniger Sauerstoff als zur vollständigen Oxydierung ihres Wasserstofß nötig ist. Bei ihrer Verbrennung im Körper entsteht gleichfalls Kohlensäure und Wasser und dabei wird wegen des hohen Kohlenstoffgehaltes der Fette viel Wärme und Arbeit gebildet. Sie kommen in pflanzlichen und tierischen Nahrungsmitteln vor und werden zum Teil aus diesen zu Nahrungszwecken abgeschieden (Butter, Öle u. s. w.).

5) Eiweißkörper, (Eiweiß, Faserstoff, Kleber, Legumin u. s. w.) Sie bestehen aus Stickstoff, Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, meistens in Verbindung mit geringen Mengen Schwefel und Phosphor. Bei ihrer Oxydation entstehen stickstoffhaltige Körper, die im Harn ausgeschieden werden (Harnstoff u. a.) und etwas Kohlensäure und Wasser. Die Bildung von Wärme und Arbeit bei dieser Oxydation ist geringer als bei der Verbrennung von Kohlehydraten und Fetten. Da aber bei der Tätigkeit aller Organe, besonders der Muskeln, fortwährend Eiweißkörper verbraucht werden, so muss eine entsprechende Zufuhr derselben stattfinden, um den Körper auf seinem Bestand zu erhalten. Sie kommen in pflanzlichen und tierischen Nahrungsmitteln vor.

6) Eiweißähnliche Körper. Als solche bezeichnen die Chemiker eine Reihe von Stoffen, welche den Eiweißkörpern nahe verwandt sind und als teilweiser Ersatz derselben in der Nahrung dienen können. Wir wollen unter ihnen nur den Leim hervorheben.

Da der Körper fortwährend Kohlenstoff und Stickstoff ausgibt, muss er auch beides durch die Nahrung ersetzen. Da nun von den aufgeführten 6 Gruppen von Nahrungsstoffen nur die beiden letzten Stickstoff enthalten, so kann ohne sie eine Ernährung gar nicht stattfinden. In Wirklichkeit können die in Gruppe 6 aufgeführten dies auch nur unvollkommen thun. Wir können also sagen, dass jede Nahrung, welche auf die Dauer das Leben erhalten soll, einen gewissen Betrag Eiweißkörper enthalten muss. Wie viel von ihnen nötig ist, erfahren wir, wenn wir die Menge von Stickstoff bestimmen, welche bei genügender Ernährung in 24 Stunden ausgeschieden wird. Die notwendig einzuführende Eiweißmenge muss mindestens diese Stickstoffmenge enthalten. Diese Eiweißmenge enthält zugleich etwas Kohlenstoff, aber lange nicht genug, um alles, was als Kohlensäure und in andrer Form verloren geht, zu decken. Es wäre nun sehr unpraktisch, den Kohlenstoffbedarf dadurch decken zu wollen, dass man die Menge der genossenen Eiweißkörper vermehrt. Denn einerseits sind alle Nahrungsmittel, welche reich an Eiweißkörpern sind (es kommt hier besonders Fleisch in Betracht), sehr teuer, andrerseits würde der Mensch so große Mengen der betreffenden Nahrungsmittel gar nicht resorbieren können. Daraus folgt also, dass wir besser thun, nur so viel Eiweißkörper zu genießen, als zur Deckung des Stickstoffbedarß notwendig ist, den Rest des Kohlenstoffbedarß aber auf andere Weise zu decken. Dies kann aber nur durch Fette oder durch Kohlehydrate geschehen. Die Erfahrung lehrt, dass beide, in richtigem Verhältnis gereicht, ihren Zweck erfüllen, dass es aber vorteilhafter ist, beide zu mischen. Hieraus folgt, dass zur genügenden und dauernden Ernährung eines Menschen notwendig sind:

1) Eiweißkörper. Dieselben können teilweise ersetzt werden durch eiweißähnliche Körper, z. B. Leim, aber nur in beschränkter Menge, Sie müssen den gesamten Stickstoffbedarf des Körpers decken.

2) u. 3) Kohlenhydrate und Fette in unter einander wechselnder Menge, doch so, dass ihre Summe den Kohlenstoffbedarf des Körpers deckt, soweit er nicht schon durch die Eiweißkörper geliefert ist.

4) Anorganische Salze in dem Maße, als sie ausgeschieden werden, was aber in hohem Grade von der Zufuhr abhängt.

5) Wasser, dessen Ausfuhr gleichfalls sehr von der Einfuhr bedingt ist, außerdem von allerlei Umständen, z. B. der Temperatur und Trockenheit der Luft abhängt.

Von diesen Stoffen sind uns Wasser und anorganische Salze meistens ohne weitere Schwierigkeiten in genügender Menge zugänglich; nur Kochsalz müssen wir noch kaufen. Die organischen Stoffe erhalten wir aus dem Tier- und Pflanzenreich. Alle Nahrungsmittel enthalten diese drei Gruppen von Körpern, aber in sehr wechselnden Mengen. Kartoffeln z. B. bestehen fast nur aus Wasser und Stärke (einem Kohlehydrat); Eiweißkörper sind in ihnen nur in geringen Spuren enthalten. Als Zusatz zu Fleisch, in welchem die Eiweißkörper reichlich vertreten sind, womöglich noch unter Beigabe einer passenden Menge Fett, sind daher Kartoffeln ein vortreffliches Nahrungsmittel. Als Hauptgrundstock der Ernährung aber können sie nicht dienen, und die traurigen Folgen solcher mangelhaften Ernährung zeigen sich nur gar zu deutlich in vielen Gegenden unsres Landes.

Man würde jedoch Unrecht tun, wenn man nur die chemische Zusammensetzung der Nahrungsmittel allein zum Maßstab ihres Nährwerts machen wollte. Es kommen dabei noch eine Reihe andrer Umstände in Betracht, namentlich die Verdaulichkeit, auf welche auch die Zubereitung der Speisen großen Einfluss hat. Die nahrhafte Stärke der Pflanzenstoffe z. B. ist in Zellen eingeschlossen, deren Häute sehr schwer oder gar nicht verdaulich sind. Diese Häute müssen daher erst gesprengt werden, um den Inhalt frei und damit für die Ernährung nutzbar zu machen. Viele Speisen werden auch unter den günstigsten Verhältnissen nur zum Teil wirklich verdaut, ein anderer Teil geht unverdaut ab; dieser beträgt bei grobem Brote mehr als bei feinem, so dass grobes Schwarzbrot, obgleich es mehr nahrhafte Stoffe enthält als feines, doch ein schlechteres Nahrungsmittel ist. Pflanzliche Nahrung wird im allgemeinen weniger vollkommen ausgenutzt als tierische. Eine gemischte Kost, welche den größten Teil der Eiweißkörper in Gestalt von gutem Fleisch und den Rest sowie die Kohlehydrate aus dem Pflanzenreich entnimmt, liefert die beste Ernährung.