1. Einleitung

Die öffentliche Hygiene ist ein Teil der Sozialwissenschaft. Wenn auch zur Erörterung hygienischer Fragen in erster Linie medizinische und insbesondere physiologische Fachkenntnisse erforderlich sind, so ist doch bei vielen dieselbe Methode der Untersuchung in Anwendung zu bringen wie bei der Erörterung sozialpolitischer Aufgaben. Welchen Einfluss Luft, Boden, Trinkwasser u. d. g. auf die Gesundheit haben, lässt sich fast rein auf naturwissenschaftlichem Wege erforschen. Bei der Untersuchung des Einflusses der Wohnungen, der Ernährung, der Beleuchtung dagegen kommen verwickelte sozialpolitische Beziehungen in Betracht, unter denen auch die Besteuerung eine wichtige Rolle spielt. Der Hygieniker kann sich deshalb der Besprechung von Steuerfragen nicht entziehen.

In jedem Lande, auch dem wohlhabendsten, gibt es immer eine große Zahl von Menschen, welche eben nur imstande sind, sich die zum Leben notwendigen Bedürfnisse mit Mühe zu erringen. Werden diese auch von direkten Steuern gänzlich frei gelassen, so werden sie doch von indirekten Steuern, welche notwendige Lebensbedürfnisse verteuern, auf das härteste betroffen. Ob ein Mensch wegen Mangel an Sauerstoff oder wegen ungenügender Zufuhr von Eiweißkörpern erkrankt, das ist hygienisch gleich wichtig. Hygienische Gesichtspunkte sollten also bei der Ausgestaltung des Steuersystems eines Landes ebensosehr berücksichtigt werden wie die rein finanziellen oder wie die Rücksicht auf die wahren oder vermeintlichen Interessen gewisser Erwerbs-Kreise.


Seit dem Ende der siebziger Jahre hat das Steuersystem des Deutschen Reichs eine Entwickelung genommen, welche vom hygienischen Standpunkte tief beklagt werden muss. Ich glaube kaum, dass hygienische Gesichtspunkte bei denen, welche unsere Staatsangelegenheiten leiten, hinsichtlich der Entwerfung von Steuerprojekten zur Geltung kommen, habe auch nicht gehört, dass die fachmännischen Sachverständigen des seitdem begründeten Reichsgesundheitsamtes zu Rate gezogen worden seien. Aber dem Hygieniker, welcher ja nur das Beste des Volks von seinem Standpunkte aus anstrebt, muss es wohl gestattet sein, auch ungefragt seine Stimme zu erheben und sein Gutachten abzugeben. Kann er auch nicht erwarten, seinen Vorstellungen sofort Eingang zu verschaffen, so werden doch seine Erörterungen immerhin etwas zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen. In den Diskussionen der Parlamente kommen solche fachmännische Gesichtspunkte immer am wenigsten zur Geltung. Selbst wenn ein Fachmann das Wort nimmt, kann er unmöglich den Gegenstand wissenschaftlich erschöpfen. Seine Ausführungen bleiben notwendig lückenhaft, werden häufig missverstanden. Der Laie wiederum, der es versucht, sich auf dem hygienischen Gebiet zu unterrichten, findet nicht immer gleich das nötige Material in der passenden, seinen Zwecken dienenden Form. So kann es nicht Wunder nehmen, wenn bei den betreffenden Verhandlungen Wahres, Falsches und Halbwahres in regelloser Mischung zu Tage gefordert wird und wenn oft der Gegenstand am Schluss der Diskussion noch ebenso unklar oder noch verworrener ist als beim Beginn. Vielleicht also kommt diesem oder jenem, der sich für die vorliegende Frage interessiert, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung der Prinzipien gelegen.

Ich will an dieser Stelle nicht weiter untersuchen, wie weit die gesamte jetzige Steuerpolitik den Forderungen entspricht, welche vom hygienischen Standpunkte aufzustellen sind. Eine solche Erörterung wäre zur Zeit ohne praktischen Zweck, und wenn auch der Vertreter der Wissenschaft jederzeit für sich das Recht in Anspruch nehmen darf, mit der Fackel der fachwissenschaftlichen Kritik bestehende Gesetze, alte wie neue, zu beleuchten und unter Umständen ihre Änderung zu verlangen (denn eine Wissenschaft, vor allen eine so unmittelbar mit dem öffentlichen Wohl zusammenhängende wie die Hygiene, lässt sich nicht in den Studierstuben gefangen halten), so wird doch andrerseits jeder selbst zu entscheiden haben, wann er mit einer bestimmten Frage hervorzutreten für angemessen hält oder halten will. Mein gegenwärtiger Zweck ist nur, die Frage nach der Erhöhung der Braumalzsteuer vom hygienischen Standpunkte aus zu besprechen und ihren Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Trunksucht hervorzuheben. Ich werde mich dabei bemühen, die Frage an der Hand wissenschaftlich festgestellter Tatsachen ganz objektiv zu behandeln. Zwar weiß ich sehr wohl, dass es heutzutage vielfach gebräuchlich ist, auf die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung von oben herab zu sehen und ihnen jeden Wert für die „Praxis“ abzusprechen. Aber, was ich vorzubringen habe, redet doch laut und eindringlich genug, um sich auch widerwilligen Ohren vernehmbar zu machen.

Die Grundlagen, auf die ich mich stütze, gehören zu den von allen Fachleuten anerkannten, eines festen Bestand der Wissenschaft bildenden Lehrsätzen. Ich habe sie, da ich für Nichtfachmänner schreibe, in kurzer, möglichst klarer Zusammenfassung meinen Erörterungen vorausgeschickt, wobei ich mich allen gelehrten Apparats, wie der Citate u. d. g. enthalten habe. Diese Thatsachen werden auch wohl, da sie längst bekannt und festgestellt sind, den meisten, vielleicht allen meiner Leser zum großen Teil nicht neu sein. Um so eher werden diese imstande sein, mich in den Schlussfolgerungen, die ich aus jenen Tatsachen ziehen werde, zu kontrollieren. Soweit solche Folgerungen über das Gebiet meiner Fachwissenschaft hinaus greifen auf rein politisch-soziale Betrachtungen, biete ich sie dem Leser mit aller geziemenden Bescheidenheit dar. Ich will sagen, was ich für recht halte. Wo ich irre, nehme ich gern Belehrung an. Ich werde mich deshalb nach dieser Richtung hin möglichst beschränken und auf die Erörterung mancher, selbst sehr naheliegender Fragen, die nicht rein hygienischer Natur sind, lieber nicht eingehen. Auch was ich Positives als Mittel zur Bekämpfung der Trunksucht vorzubringen habe, soll sich deswegen auf kurze Andeutungen beschränken. Leider können wir nach meiner Überzeugung zur Linderung des Übels wenig thun. Um so wichtiger aber scheint es mir, nicht durch falsche Maßregeln dasselbe zu verschlimmern. Denn es ist eine zwar sehr betrübende, aber leider nicht wegzuleugnende Thatsache, dass es bei der Bekämpfung sozialer Übelstände, hygienischer wie andrer, sehr schwer ist, durch Eingreifen in das verwickelte Getriebe der menschlichen Gesellschaft Gutes zu leisten, aber sehr leicht, durch unüberlegte, wenn auch noch so wohlgemeinte Maßregeln unendlichen Schaden zu stiften. Wer dieses Glaubensbekenntnis mit der Bezeichnung des „Laissez faire, laissez aller-Systems“ und einem verächtlichen Achselzucken für abgetan erklären will, der mag es immerhin thun. Er mag aber auch bedenken, dass er für seine Maßnahmen die volle Verantwortlichkeit zu übernehmen hat, was doch mindestens voraussetzt, dass er sich vorher die Konsequenzen seiner Eingriffe vollkommen klar machen und von dem, was wissenschaftliche Erfahrung in dieser Hinsicht festgestellt hat, Kenntnis nehmen muss.