Allgemeine Einleitung

Wenn wir uns die Aufgabe gestellt haben, die Übereinstimmung des in der Bibel geoffenbarten göttlichen Wortes mit den Resultaten der Naturforschung nachzuweisen, so schließt das von selbst aus, dass wir uns mit allen Zweifeln, die gegen die Wahrheit biblischer Berichte erhoben worden sind, befassen können. Denn nicht nur, dass ernsten Forschern öfter Zweifel an der Begründung gewisser, in der Bibel erzählter Ereignisse in der Natur, oder geschichtlicher Begebenheiten in dem Leben der Völker von selbst aufsteigen, sondern es haben sich auch! prinzipielle Gegner aller göttlichen Offenbarung gefunden, welche es sich gewissermaßen zur Lebensaufgabe gemacht haben, scheinbare Irrtümer der Bibel nachzuweisen. So kann z. B. ein F. v. Raumer die Stelle 5 Mose 7, 1 dahin auslegen, als solle damit gesagt werden, dass jedes der dort genannten sieben Völker größer und stärker gewesen sei als das Volk Israel, während doch ohne Deutelei daraus hervorgeht, dass sie nur insgesamt stärker waren als Israel. Bekannt, ist ferner die Einwendung, dass, da Kain im Lande Nod ein Weib genommen habe, dort schon Menschen, vorhanden gewesen sein müssten, die nicht von Adam abstammen konnten, während doch tatsächlich kein Wort in der Bibel steht, dass Kain sein Weib erst im Lande Nod genommen habe; ebenso ist auch kein Grund vorhanden anzunehmen, dass Adam zwischen Abel und Seth keine Kinder gezeugt habe, vielmehr scheint schon 1 Mose 4, 2 a darauf hinzuweisen, dass zwischen Kain und Abel von Eva Kinder geboren wurden, die, weil es wahrscheinlich Töchter waren, nicht namentlich angegeben sind. Ganz besonders bezeichnend ist, dass ein Spiller (Entstehung der Welt S. 334) meint, dass von den drei Söhnen Noahs unmöglich die jetzt lebenden Menschen herstammen könnten, weil im Männerleibe kein Fötus entstehen könne; er hat demnach nicht gelesen, dass auch die Weiber derselben in die Arche gerettet wurden. Aus diesen Beispielen kann man ersehen, wie oft der Unverstand oder die Bosheit der Menschen die klarsten Stellen heiliger Schrift verdreht und darüber zu schreiben, wäre eine sehr undankbare und zum Teil auch unnütze Aufgabe, da der Missverstand oft in dem bösen Willen seinen Grund hat. Aber auch die zuweilen wirklich vorhandene Unvereinbarkeit geschichtlicher Angaben der Bibel mit anderen Geschichtsschreibern haben wir nicht zu behandeln; das ist Sache des Geschichtsforschers und der Widerspruch löst sich oft schon dadurch, dass sich herausstellt, dass der Bericht der Bibel wirklich den Vorzug vor andern Nachrichten verdient. Es liegt auch hier sehr viel an der absichtlichen Anzweiflung, indem man oft die durch ihre mythologischen Ungeheuerlichkeiten den Stempel der Unwahrheit an der Stirn tragenden Sagen anderer Völker den einfachen, natürlichen Erzählungen der Bibel vorgezogen hat. In neuerer Zeit sind nun manche, früher von den Historikern bezweifelten geschichtlichen Berichte derselben durch archäologische Funde aufs vollste bestätigt worden; so z. B. der Aufenthalt der Israeliten in Ägypten und in der Wüste. Wir haben es hier auch nicht mit dem, wenn man will, theologischen oder moralischen Bedenken gegen einige Stellen des alten Testaments zu tun, über welchen Gegenstand schon viele treffliche Schriften existieren. Unsere Aufgabe ist vielmehr, wie der Titel besagt die, die Widersprüche welche von den Vertretern der Naturwissenschaft mehr oder weniger gegen die Wahrheit der Bibel erhoben werden, zu beseitigen. Und da haben wir allerdings ein weites Feld vor uns. Nicht nur, dass die neuere materialistische, Gott und Geist leugnende Richtung derselben sich im entschiedensten Widerspruch damit befindet, sondern auch die vielfach noch als Stütze angesehene spiritualistische Richtung ist keineswegs dazu geeignet die biblische Naturanschauung zu unterstützen. Wir finden zwar in der Bibel keine eigentlich systematische Naturanschauung, ja die hier und da besonders in den poetischen Schriften derselben eingestreuten Naturbetrachtungen haben wir durchaus nicht als eine göttliche Offenbarung anzusehen; denn diese Aussprüche sind nur Ergüsse eines Naturliebhabers, der dieselben den Kenntnissen seines Zeitalters anpasste. Enthalten dieselben Bücher gleich auch göttliche Offenbarungen, so ist doch einleuchtend, dass dieselben nicht zum Zwecke der Erweiterung der naturwissenschaftlichen Kenntnisse des Volks Israel, sondern zum Zwecke der geistlichen Erleuchtung desselben gegeben wurden, und die mitunter laufenden Gleichnisse der Anschauung der Zeit entsprechen mussten, wenn sie sich nicht dem Verständnis entziehen sollten. Die Bibel ist kein Lehrbuch der Naturwissenschaften sie behandelt dieselben nur nach ihrer Beziehung auf Religion und Geschichte des Menschengeschlechts, Gott sandte seine Propheten nie zu dem Zweck, die Naturanschauungen der Völker zu berichtigen, sondern nur um ihnen den göttlichen Heilsplan zu ihrer Erlösung, samt Allem was damit zusammenhing, zu verkündigen. Sollte dieser aber den Menschen vollständig offenbar werden, so musste sein Wort auch die Geschichte von der Erschaffung der Welt und des Menschen, sowie von dessen Sündenfall enthalten, und diese Geschichte, die in der Bibel nur so ausführlich als durchaus notwendig ist erzählt wird, — diese ist es hauptsächlich, welche mit den Ergebnissen der Naturwissenschaften in scheinbar unlöslichem Widerspruch sich befindet, ganz abgesehen davon, dass von den Materialisten die ganze Religion für Antiquität erklärt wird.

Zum Beweis der Bibelwahrheit, namentlich zum Beweis des Daseins Gottes und der Existenz und der Unsterblichkeit der Seele, glaubten viele Theologen die „Resultate" der Philosophie benutzen zu müssen; allein wenn wir uns darauf stützen wollten, hätten wir auf Sand gebaut. Denn die vermeintlichen Ergebnisse der Philosophie, von der Hartmannschen an bis zu der Hegelschen, ruhen auf einem mehr oder weniger unsicheren Boden, widersprechen einander selbst, und mehr oder weniger auch der Bibel. Der spekulative Philosoph hat zwar so etwas wie Religion, aber es hat in der Regel jeder seine besonderen Anschauungen, womit sie wider einander streiten. Mit solchen „unsicheren Vermutungen und Hypothesen" lässt sich weder gegen die, doch vielmehr auf dem Boden der Tatsachen sich bewegende materialistische Weltanschauung, noch gegen die rein induktive Naturwissenschaft, deren Fortschritt die spekulativen Philosophen oft törichter Weise aufzuhalten suchten, etwas ausrichten. Wir müssen uns selbst auf die naturwissenschaftlichen Tatsachen stützen und daraus beweisen, dass diese dem Christentum nicht widersprechen, sondern nur die falschen Vermutungen und Hypothesen der sich exakt nennenden Richtung Naturforschung. Es bleibt eigentlich ein Verdienst der Letzteren, mit ihren Tatsachen dem Trugbilde des Pantheismus, sowie dem auf beiden Seiten Hinken der Philosophie gegenwärtig so ziemlich ein Ende gemacht zu haben. Hier ist der Mittelweg, wie in vielen andern Beziehungen nicht der goldene, sondern hier ist vor allen Dingen Konsequenz angebracht. Der Materialismus zeigt uns deutlich das Ziel, wohin man kommt, wenn man das Dasein und Walten eines persönlichen Gottes verwirft. Wir glauben deshalb auch bei unseren Erörterungen vorzugsweise diesem unsre Aufmerksamkeit zuwenden zu müssen, und werden die spekulative Philosophie mit ihren verschiedenen Ansichten unberücksichtigt lassen, soweit sich ihre Widerlegung nicht von selbst aus den angeführten Tatsachen ergibt.


Der Materialist wird indessen finden, dass wir in manchen Dingen besser mit ihm übereinstimmen, als die von ihm oft sehr geschmähte Philosophie. Andererseits ist dieselbe dem Materialismus durchaus nicht so sehr entgegengesetzt, wie uns die Feindseligkeit des letzteren glauben machen will; denn der Materialist bleibt auch nicht bei den exakten Ergebnissen der Naturforschung stehen, er baut ebenso Hypothesen wie seine Gegner, woran er glaubt. Büchner sagt zwar: „der Materialismus kämpfe mit Tatsachen, die jeder sehen und greifen könne" aber mit dem Sehen und Greifen ist es, wie wir im Verlauf unserer Erörterung sehen werden, mitunter sehr übel bestellt. Sein Genosse Spiller spricht deshalb auch davon, „dass es noch heute schwerfällige Geister gibt, welche immer nur von einem hypothetischen Weltäther sprechen und nur das begreifen wollen, was sie mit Händen greifen können," (Entstehung der Welt S. 377.) und in der Tat will Spiller manches beweisen, was man weder sehen noch mit Händen greifen kann: So treibt also jeder, der nicht auf alles Begreifen verzichten will, Philosophie und auch unsere Darstellung enthält, wie der Titel besagt, eine solche. Ein Unterschied ist es aber, seine Philosophie auf die feststehenden Tatsachen, oder auf einen unverständlichen Wortschwall zu stützen, wie es leider nur zu oft von den spekulativen Philosophen geschehen ist. „Es liegt in der Natur der Philosophie, dass sie geistiges Gemeingut sei" sagt Büchner. Was ist aber die Ursache, dass die aprioristischen Philosophen so oft ihre Kunst in scheinbar tiefsinnigen, gelehrten und dem gewöhnlichen Menschenverstande unverständlichen Redensarten suchen? Nichts anderes, als weil ihre Gründe nur von „Fachphilosophen" verstanden und erörtert werden sollen, und weil sie auf diese Weise Demjenigen, der ihre Expektorationen an der Hand des einfachen Menschenverstandes einer Kritik unterwirft, Mangel an philosophischen Kenntnissen zum Vorwurf machen kann. Die Schriften der Materialisten sind viel verständlicher als die der spekulativen Philosophie, und dies ist hauptsächlich die Ursache ihres Erfolges. Wir wollen in unsern Erörterungen uns einer für jeden, der in den Naturwissenschaften bekannt ist, verständlichen Sprache befleißigen; das können wir aber auch, weil wir die Tatsachen mindestens ebenso beachten und uns auf sie stützen werden, wie der Materialismus. Wir werden uns deshalb zuweilen auch mit demselben gegen die spekulative Philosophie im Bunde befinden, denn diese will, wie schon bemerkt, manches in tiefsinnige Worte kleiden und Probleme daraus machen, was sich oft auf die natürlichste Weise erklären lässt. Solcher Bundesgenossenschaft brauchen wir uns aber auch nicht zu schämen, weil sie nur für die Wahrheit und gegen unnützen Formenkram gerichtet sein wird, und „mit keiner Macht auf Erden ist es angenehmer und zugleich ehrenvoller Frieden zu schließen, als mit der Wahrheit" sagt Max Pettenkofer.

Andernteils darf man sich nicht wundern, wenn wir schließlich zu einem ganz andern Resultat gelangen, als die Materialisten; denn abgesehen davon, dass es eine Menge Tatsachen gibt. die dem Materialismus entschieden widersprechen, gibt es auch eine Menge Tatsachen, die zwei verschiedene Erklärungen gleich leicht zulassen, und da kommt es vor allen Dingen darauf an, was man glaubt. Der Materialist hat so gut seinen Glauben wie der streng Bibelgläubige; er tritt an die Beurteilung der naturwissenschaftlichen Tatsachen ebenso mit einem Vorurteil heran, wie jeder Andere. Czolbe, selbst ein Materialist, spricht dies offen aus indem er (Neue Darstellung des Sensualismus S. 6) sagt: „Ohne ein Vorurteil ist die Bildung einer Ansicht über den Zusammenhang der Erscheinung überhaupt unmöglich. Wenn die Naturforscher glauben, dass sie ohne irgend eine vorgefasste Meinung Begriffe, Urteile und Schlüsse bilden, so dürfte dies nur auf Selbsttäuschung beruhen." Daraus folgt, dass zwischen Glauben und Wissen der so oft hervorgehobene Gegensatz gar nicht besteht. Will man aber sagen, er bestehe eben zwischen dem religiösen Glauben und dem exakten Wissen, so müssen wir auch dies bestreiten, denn er besteht tatsächlich nur zwischen naturwissenschaftlichen Hypothesen und dem christlichen Glauben. Keine einzige Tatsache widerspricht dem letzteren und wenn sich eine fände, die mit demselben in Widerspruch stände, so können wir annehmen, dass sich derselbe früher oder später lösen wird. Der christliche Glaube gäbe sich selbst zwar noch nicht auf, wenn er an der Lösung der sich ergebenden Widersprüche verzweifelte, — denn seiner eigenen Natur nach verlangt er keine Rechtfertigung vor der menschlichen Vernunft, — aber er verlöre dadurch vor der Welt allen Kredit. Von diesem Gesichtspunkte aus ist auch gegenwärtiges Werk verfasst und sind wir dabei mitunter zu überraschenden Ergebnissen gelangt. Um aber von vornherein Missverständnissen zu begegnen, bemerken wir, dass es allerdings nicht die Aufgabe der Naturphilosophie ist, speziell den christlichen Glauben zu rechtfertigen, sie soll vielmehr nur den Glauben an einen allmächtigen Schöpfer und Regierer der Welt mit in ihr System aufnehmen und im Übrigen dem christlichen Glauben Raum lassen. Wenn aber unsere Aufgabe, so wie sie uns vorgezeichnet ist, gelöst werden soll, müssen wir dieselbe in zwei Teile scheiden: Wir müssen erstens eine Naturphilosophie aufstellen, welche den bereits angegebenen Erfordernissen genügt, also nicht bloß für den christlichen Glauben berechnet, sondern so beschaffen ist, dass sie von jeden, der noch an einen welterschaffenden und weltregierenden Gott glaubt, angenommen werden kann; wir müssen aber auch zweitens nachweisen, dass sich mit dieser neuen Naturphilosophie der christliche und biblische Glaube nicht im geringsten Widerspruch befindet. Wir werden nun bei Behandlung unserer Aufgabe finden, dass es Tatsachen gibt, die wir nur der natürlichen Entwicklung der Dinge zuschreiben müssen; aber auch Tatsachen, die eine natürliche Erklärung nicht geradezu ausschließen, ohne uns die Richtigkeit derselben zu verbürgen; endlich aber auch Tatsachen, die sich auf natürliche Weise schlechterdings nicht erklären lassen, sondern die das Walten einer übernatürlichen Macht gebieterisch fordern. In dieser Hinsicht haben wir folgende Grundsätze als bewährt gefunden:

1) Bei allen Naturerscheinungen, die eine gewisse, den Beobachtungen zufolge unveränderte, oder nur periodisch-veränderliche Dauer haben, müssen unveränderliche Naturgesetze die Ursache solcher Dauer sein.

2) Alle Erscheinungen, die zwar veränderlich sind, aber ziemlich regelmäßig wechseln, haben die Ursache des Wechsels auch in dem Zusammenwirken mehrerer an sich unveränderlicher Naturgesetze, welche durch ihr wechselndes Übergewicht solche periodische Erscheinungen hervorbringen.

3) Alle Naturerscheinungen dagegen, die ihrer Natur nach an jedem Weltkörper bloß einmal auftreten, oder für die wir keine Periodizität erkennen, sind, sofern sie sich nicht als natürliche Entwicklung nachweisen lassen, als Werk göttlicher Tätigkeit zu betrachten. Bei den meisten derselben wird sich die Unmöglichkeit eines naturgesetzlichen Vorganges direkt nachweisen lassen: diese dienen uns als Beweis für die Existenz Gottes. Bei andern wird sich weder dieser Nachweis, noch der des Gegenteils führen lassen; bei diesen steht es dann jedem frei, seine eigene Meinung zu haben.

Wir werden uns bei unseren Erörterungen möglichster Kürze befleißigen, und deshalb allgemein anerkannte Tatsachen oder Anschauungen, sofern wir die letzteren nicht bestreiten müssen, auch nur kurz berühren, dagegen bei dem, was wir als neu erst zu begründen haben etwas länger verweilen.