Bettelnde Beduinenfrauen in Tunis.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1903
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Nordafrika, Tunis, französische Schutzherrschaft, Bazare, Bettlerinnen, Kaffeehäuser, Gasthäuser
In den Straßen von Tunis, der Hauptstadt des gleichnamigen nordafrikanischen Reiches, das seit 1881
unter französischer Schutzherrschaft steht, findet sich ein buntes Völkergemisch zusammen. Mauren, Kabylen, Schwarze aus allen Teilen Afrikas, Ägypter, Griechen, Armenier, Juden, Italiener, Franzosen und Spanier, sie alle sind in dem lebhaften Getriebe, das in den engen Straßen herrscht, vertreten. Mag aber die einheimische Bevölkerung noch so viele interessante Gestalten aufweisen, keine erscheint dem Fremden, der Tunis besucht, anziehender als die bettelnden Beduinenfrauen.

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Zwar sind die Beduinen Mohammedaner, aber ihre Frauen tragen das Gesicht trotzdem unverhüllt. Ursprünglich beruht wohl dieser für die mohammedanische Welt ungewöhnliche Brauch auf dem nomadischen Leben in der Wüste, wo die Frauen nur selten Gelegenheit haben, von fremden Männern gesehen zu werden, aber er ist auch von den Hadesi, den beduinischen Händlern, die sich in den Städten ansässig gemacht haben, beibehalten worden. Infolgedessen kann man die Gesichtszüge der Beduinenfrauen ungehindert betrachten.

Wie ein paar feurige Kohlen glühen die großen, dunklen Augen, deren Glanz durch die Auftragung eines schwarzen Färbemittels aus die unteren Augenlider künstlich gehoben wird. Stirn und Wangen sind mit kleinen blauen Tätowierungen versehen. Die Ohren und die Unterlippe sind mit herabhängendem Geschmeide geschmückt. Den Hals umgibt ein Halsband mit Kettchen, und die Brust umschließt ein Gürtel, der an den Rosenkranz erinnert. Das den Beduinen eigene malerische Gewand vermehrt den Reiz der ganzen Erscheinung. Die bettelnden Beduinenfrauen sind also in ihrem Äußern ihren europäischen Schwestern sehr unähnlich. In ihrem Auftreten zeigt sich denn auch keineswegs Gedrücktheit und Abgehärmtheit, vielmehr spiegelt sich in ihren Zügen eine gewisse Gefallsucht und Schalkhaftigkeit wider. Was braucht auch ein Beduinenweib für sich und ihre Kinder zum Leben? Etwas Reis oder Mais, dazu Tomaten und Zwiebeln, genügt als Nahrung. Die Lehmhütte draußen vor der Stadtmauer kostet so gut wie nichts. Auch ohne die Hilfe der zauberkräftigen Amulette, die die Bettlerin unter ihrem Schmuck trägt, bringt das Betteln in wenigen Stunden so viel zusammen, dass die geringen Ausgaben für den Unterhalt mit Leichtigkeit bestritten werden können. Für den Überschuss kann man sich im Bazar blitzenden Tand kaufen. Weitere Sorgen braucht man sich nicht zu machen, denn Allah ist groß und Mohammed ist sein Prophet. Man sieht denn auch dem Kinde, das die Bettlerin bei sich hat, keinen Mangel an. In ganz Afrika tragen die Frauen ihre Kinder nicht auf dem Rücken oder dem Arm, sondern lassen sie auf einer Hüfte reiten. Der runde Pausback schaut so munter und selbstbewusst in die Welt, als wäre er der Sprössling des Beis von Tunis selbst. Besonders gern halten sich die Bettlerinnen in den Bazaren und an den Kaffeehäusern und Gasthäusern auf, in denen Fremde verkehren, und oftmals genug wird ihnen auch hier ein Silberstück in die Hände gedrückt.

Tunis, bettelnde Beduinenfrau

Tunis, bettelnde Beduinenfrau