Der Widerspruch des nationalistischen Absolutismus

Realpolitisch betrachtet bedeutete die Nationalisierung der russischen Autokratie, daß diese Staatsform das Instrument der politischen Hegemonie des russischen Stammes im Zarenreiche wurde.

Dieser realpolitischen Aufgabe haftet ein immanenter Widerspruch an: das System der politischen Knechtung eines Volkes gibt sich als Hebel der politischen Hegemonie dieses selben Volkes.


An diesem Widerspruche musste früher oder später die durch nationalistische Einspritzung verjüngte Autokratie elend zu Grunde gehen. Dass sie weltpolitisch und militärisch im russisch-japanischen Kriege scheiterte, beschleunigte nur die Reifwerdung des Widerspruches.

Um die politische Hegemonie des russischen Volkes möglich zu machen, musste man dasselbe zur Nation erheben, d. h. an der Souveränität des Staates teilnehmen lassen. Statt dessen hat der nationalistische Absolutismus den Polizeistaat in einer noch nie dagewesenen Weise ausgebildet. Der Versuch, das Staatssystem gleichzeitig auf der nationalpolitischen Hegemonie des russischen Stammes und auf dessen politischer Rechtlosigkeit aufzubauen, hat nur zur Verkümmerung der herrschenden Quasi-Nation in wirtschaftlicher und kultureller Beziehung geführt. Andererseits hat der nationalistische Absolutismus durch die Mittel und die Methoden seiner Herrschaft das nationale Bewusstsein der nichtrussischen Stämme nur geschärft und vielfach leider sogar zum Hasse gegen das russische Element potenziert.

Er hat somit nicht nur seinen Zweck nicht erreicht, sondern geradezu das Gegenteil desselben verwirklicht.

Das politisch rechtlose russische Volk liegt kulturell und wirtschaftlich darnieder, ruiniert durch das von der Idee seiner „politischen Hegemonie“ inspirierte und geleitete politische System, ausgesaugt durch den "nationalen“ Staat und dessen sinnlose Politik.

Der russische Regierungsnationalismus hat die Idee der Nation im ethnischen Sinne erfasst, dieselbe aber im ethischen oder ideell rechtlichen Sinne einer politischen Einheit zwischen Staat und Volk vollständig verleugnet. Und daran scheitert das russische Regierungssystem.

Ich gehe nicht darauf ein, ob die Idee der politischen Hegemonie eines Volksstammes moralisch und eo ipso politisch berechtigt ist. Jedenfalls eines steht als Tatsache fest: im heutigen Russland ist eine solche Hegemonie des russischen Volksstammes durch politische Mittel, d. h. auf dem Wege der Gesetzgebung und auf dem Wege der Polizei, dauernd nicht zu verwirklichen. Ob sie sich als eine natürliche Tatsache, analog der Suprematie des angelsächsischen Elementes in den Vereinigten Staaten Nordamerikas, einstellen wird, ist eine Frage der Zukunft. Es ist aber jetzt schon klar, daß alle Politiker, die offen den Gedanken einer solchen Suprematie für ihr politisches Ideal ausgeben oder diesen Gedanken in der Tiefe ihrer Seele hegen, vernünftigerweise den politischen Zwang jeder Art als zweckwidrig ablehnen und verurteilen müssen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Betrachtungen über die russische Revolution
Das Denkmal Peter des Großen

Das Denkmal Peter des Großen

Pferdeschlitten

Pferdeschlitten

alle Kapitel sehen