Über Napoleons Angriff auf Smolensk vom 10.— 17. August 1812. Einfache strategische Umgehung

Bei der Betrachtung dieser Operation Napoleons, — über welche die Meinungen geteilt sind, — wirft sich vor allem die Frage über den leitenden Hauptgedanken und die Grenzen seiner Biegsamkeit auf.

Wie in früheren Kapiteln dargelegt, war für Napoleon, der allgemeinen Situation entsprechend, der Gedanke schneller Entscheidung der leitende und dieser musste alle seine Maßregeln durchdringen.


Dieser Gedanke, von Beginn an herrschend, bestand auch bei Smolensk, ungeachtet der veränderten strategischen Situation, noch in voller Kraft und war auch jetzt noch vollkommen berechtigt, da in gewisser Beziehung das Vereintsein der Russen seiner Verwirklichung nur förderlich sein konnte, wenn es gelang, unter günstigen strategischen Verhältnissen einen vernichtenden Schlag gegen ihre Gesamtheit zu führen.

Bis Smolensk waren die, übrigens auch jetzt noch in der Minderzahl befindlichen Russen, durch fortwährendes Ausweichen der Entscheidung entgangen.

Bei Smolensk vereint und verstärkt, hatten sie Halt gemacht; es war daher ganz berechtigt, wenn Napoleon die Hoffnung hegte, der Feind werde in seiner rückläufigen Bewegung vorerst innehalten und ihm dadurch Gelegenheit geben, unter vorteilhaften Umständen zum Kampfe zu gelangen.

Besteht nun der Gedanke an eine rasche Entscheidung, so wird der Angreifer auch darauf bedacht sein müssen, den beabsichtigten Schlag in einer Weise zu führen, welcher geeignet ist, dem Kriege ein rasches Ende zu bereiten.

Stets hat der Anzugreifende in größerer oder geringerer Entfernung hinter sich gewisse Räume, die ihm wichtig sind und in natürlicher Konsequenz auch gewisse Verbindungen mit diesen, die er sich erhalten will, da deren Verlust ihm empfindlichen Nachteil verursachen würde. Der Angreifer muss daher trachten, diese Verbindungen zu unterbrechen und den Feind von der ihm wichtigen Gegend abzudrängen.

Wir haben an früherer Stelle die Rückzugsverhältnisse der bei Smolensk stehenden Russen besprochen und den ihnen höchst nachteiligen Umstand betont, dass die Straße nach Moskau bei Solowjewo auf das linke Dniepr-Ufer übertritt.

Da hierdurch der Rückzug der Russen schon an und für sich zu einem exponierten wurde, so musste im konkreten Falle noch mehr, als in allen ähnlichen Fällen, wo der Gegner konzentriert steht und durch seine Aufstellung die hinter ihm abgehenden Verbindungen direkt deckt, das Umgehen eines Flügels der Russen dem Frontalangriffe vorzuziehen sein, weil ein Stoß gegen die Front dieselben einfach auf ihre Verbindungen zurückgedrückt haben würde, während ein Druck gegen einen Flügel letztere zu unterbrechen vermochte.

Diese Erwägungen mögen Napoleon zu dem Entschlüsse veranlasst haben, den linken Flügel der Russen, welcher der empfindliche war, in dem Terrain südlich und östlich von Smolensk zu umgehen.

Die Lage war im Allgemeinen Napoleon günstig; die Gegner standen vereint in einer Weise, dass sie durch die erwähnte Operation von ihren Hilfsquellen getrennt und gegen Norden geworfen werden konnten. Gelang es dabei auch nicht, die Russen zu vernichten, so konnte doch dadurch mindestens eine kürzere Dauer des Krieges erreicht werden, indem die nördliche Gegend den Russen die Elemente zur längeren Fortführung des Krieges nicht bot, wie dies im Gegensatze dazu in der südlichen und südöstlichen der Fall war.

Wenn nun zwar Napoleon bei einer derartigen Operation den Dniepr zwischen sich und den Gegner brachte, somit sich mindestens in der ersten Phase der Umgehung keine besonders günstigen Kampfbedingungen schuf, so ist doch andererseits zu bedenken, dass der Dniepr hier noch wenig bedeutend ist, manche Furten hat, und die Rückzugsstraße der Russen östlich Smolensk wieder auf das linke Ufer des Flusses trat.

Der Angriff Napoleons, in seiner Grundidee, ging auf Erwerb dieser Straße und Trennung der Russen von dem Süden aus, was aber nicht den Besitz von Smolensk bedingte, weil dieses westlich jener das Ufer wechselnden Straßenstrecke liegt.

Die Ursache, warum Smolensk Napoleon anzog, bestand darin, dass er ohne Hindernis zu dieser auf dem linken Ufer des Dniepr gelegenen Stadt gelangen konnte, und er gehofft haben mochte, die Russen würden zum Schutze dieser Stadt, welche in Russland als heilig gilt und von der es sprichwörtlich heißt: „wer Smolensk hat, ist Herr von Moskau,“ eine Schlacht wagen.

Nahmen sie diese aber an, was nur auf dem linken Dniepr-Ufer geschehen konnte, so gerieten sie in die nachteiligste Lage; denn ohne Ausweg nach Süden, da dann auf Solowjewo nicht mehr zu rechnen war, hätten sie mit dem Flusse im Rücken kämpfen müssen und konnten daher hier am leichtesten in eine Katastrophe gebracht werden.

Wenn man dagegen die von manchen Autoren befürwortete Angriffsrichtung auf dem rechten Dniepr-Ufer in Betracht zieht, so wird man erkennen müssen, dass derartige große Erfolge dort nicht zu erreichen waren.

Sie hätte zwar den Vorteil gehabt, dass man in der Gegend von Smolensk keinen Flussübergang mehr vor sich hatte; allein die Bewegung konnte leichter bemerkt werden, was die Gegenmaßregeln der Russen begünstigen musste, und ging in der Hauptsache gegen die Front des Feindes, während die Richtung auf dem Unken Ufer die Flanke des Feindes traf, somit die strategisch bessere war.

Um ferner auch gegen die Verbindungen wirken zu können, wäre eine Detachierung auf das linke Ufer und damit eine Teilung nötig geworden, was die Kampfbedingungen verschlimmerte. Die Angriffsrichtung auf dem rechten Ufer war allerdings die leichtere, jene auf dem linken dagegen unbedingt die wichtigere, diejenige, welche den meisten Erfolg versprach.

Die Tadler Napoleons, unter welchen auch Clausewitz, gehen von der irrigen Ansicht aus, als sei es ihm einzig um den Besitz Smolensks zu tun gewesen, muten also Napoleon zu, er habe dem geografischen Elemente eine übergroße Bedeutung beigelegt. Bei solcher Voraussetzung haben sie nun allerdings Recht, weil er durch ein direktes Vorgehen bei seiner Überlegenheit Barclay ohne weiteres aus der Gegend von Smolensk vertrieben hätte; allein es ist doch etwas stark, eine solche Idee einem Feldherrn, wie Napoleon, zu imputiren; er ging von dem viel höheren Gedanken aus, dem Kriege mit einem Schlage ein Ende zu machen oder ihn doch mindestens in der Dauer zu kürzen, indem er die Russen nordwärts warf; dies war aber nur durch eine Umgehung ihrer linken Flanke zu erreichen.

Im Laufe dieser Betrachtungen wurde, öfters bemerkt, dass es Napoleon immer darum zu tun war, einen Druck gegen Norden auszuüben; und mit vollem Rechte strebte er danach; war ja doch die russische Absicht, den Krieg in die Länge zu ziehen, sichtbar genug, und so hätte er bezüglich der Richtung ja nur ihren Wünschen entsprochen, wenn er sie gegen Moskau oder in die südlichen Provinzen drängte, mit gänzlicher Missachtung der alten, sehr naturgemäßen Regel, dass man nie dasjenige tun solle, was der Gegner wünscht, übrigens konnte Napoleon nach den Antecedentien auch vermuten, dass ihm die Russen wieder ausweichen würden, was sie zu tun vermochten, wenn er sie von vorne packte, was ihnen aber unmöglich wurde, wenn er es von hinten tat.

Wenn nun Chambrai behauptet, Napoleon hätte von Witebsk auf Smolensk marschieren sollen, was soviel bedeutet, als die Russen dahin drücken, wohin sie gerade gehen mussten, um die Mittel zur Fortführung des Krieges zu finden, so fehlt einer derartigen Behauptung jede vernünftige Begründung.

Von der Beurteilung der Idee zu jener der Tat übergehend, müssen wir, in Würdigung der Lage, vor allem die für die erfolgreiche Durchführung der Operation unerlässlichen Bedingungen präzisieren.

Die Operation konnte nur dann gelingen, wenn Napoleon, ohne sich selbst von den Bewegungen der Russen beeinflussen zu lassen, mit größter Schnelligkeit handelte und zugleich den Gegner vollständig täuschte; denn nur dann war es möglich, Smolensk und die Gegend östlich davon, vom linken Ufer aus eher zu erreichen, als die Russen dies abzuwehren vermochten.

Am 10. August begann die Bewegung; am 16. früh wurde vor Smolensk von dem größten Teile des Heeres der Kampf begonnen, was für die entfernteren Heeresteile, wie die Garde und das IV. Corps (war am 16. in Kutkowa), Tagesleistungen von mehr als 3 Meilen, ohne Unterbrechung, ausmacht.

Die Herstellung mehrerer Brücken an verschiedenen Punkten, (bei Chomino, Rossasna und Dubrovna) sollte dazu förderlich sein, indem sie den Franzosen gestattete, mit mehreren Kolonnenspitzen zu gleicher Zeit den Fluss zu überschreiten.

Was die nothwendige und beabsichtigte Täuschung des Gegners anbelangt, so lag ein solches Moment schon in der Aufstellung der Franzosen, indem die Verteilung ihrer Kräfte und das Verhalten derselben bei gleichzeitiger Sicherung der Front, die Russen um ihre rechte Flanke besorgt machen, zugleich aber die Möglichkeit zur raschen Führung eines entscheidenden Schlages wahren sollte.

Napoleon lies nämlich seine Abteilungen links ziehen, dabei jedoch dasjenige auffallend sehen, was er durch die Russen gesehen haben wollte.

So lies er den Vizekönig nach Wielish und Porjetsche vorpoussiren und zog drei Divisionen Davousts näher an Witebsk heran, und zwar mit viel Ostentation, während zur selben Zeit Davoust, Junot und Poniatowsky ebenfalls näher nach Dubrowna, Orzsa und Mohilew heranrückten, sich jedoch ruhig verhalten mussten, um die Aufmerksamkeit der Russen nicht auf sich zu ziehen.

So finden wir die französischen Heeresmassen in einer Aufstellung, welche für die Russen den Gedanken, einen Durchbruch zu versuchen, nicht nur nicht ausschloss, sondern sie sogar gewissermaßen dazu aufforderte, wodurch dieselben vielleicht verleitet wurden, sich zum Angriffe von Smolensk in westlicher Richtung zu entfernen; welche dabei aber immer die Möglichkeit wahrte, durch eine rasche Konzentrierung, entweder dem versuchten Angriffe mit einem überlegenen Gegenangriffe zu begegnen oder zur raschen Durchführung der Umgehungsidee zu schreiten.

Die Bewegung der nördlich des Dniepr stehenden Corps selbst wusste Napoleon durch den Wald von Babinowiczi so geschickt zu decken, dass die Russen trotz ihrer zahlreichen leichten Reiterei davon nichts erfuhren und erst durch die Meldungen Neweroffskojs zur Kenntnis gelangten, welche Gefahr ihnen drohe; und dass diese Gefahr auch wirklich eine ernste war, beweist die Hast, mit der Alles nach Smolensk zurückeilte, und die Hartnäckigkeit, mit der um Smolensk gekämpft wurde, nur um sich den Abzug zu sichern.

Für die eigene Sicherheit und den Nachschub sorgte Napoleon, indem er vor Beginn der Umgehung seine Operationslinie Wilna-Glubokoje-Witebsk mit jener Wilna-Minsk-Borissow-Orzsa, deren Einrichtung er befahl, wechselte.

Die Anordnung der französischen Streitkräfte am Dniepr und an der Düna verfehlte ihre Wirkung nicht, indem sie bekanntlich das Hauptmotiv für die russische Offensive war. Man kann aber deshalb doch nicht sagen, dass die Idee zur Umgehung erst durch jene wachgerufen wurde; sie bestand im Gegenteile schon vorher und veranlasste eben die besprochene Aufstellung.

Die russische, von Napoleon vielleicht gehoffte Offensive vermehrte dadurch, dass sie Smolensk entblößte, nur die Gunst der Umstände für den französischen Angriff.

Die hier besprochene Umgehungs-Operation war von Napoleon in jeder Beziehung genial gedacht und mustergültig angelegt. Er trug den Grundbedingungen jeder Operation: Einfachheit, Sicherheit und Entschiedenheit, volle Rechnung, indem er seine Corps auf der Operationsfront so verteilte, dass ein rasches Zusammenziehen derselben, sei es im Zentrum oder auf dem rechten Flügel, durch einfache Bewegungen möglich war; indem er ferner die Einrichtung einer neuen Operationslinie verfügte und sich durch die russische Offensive nicht beirren lies; er berücksichtigte aber nicht minder die von der theoretischen Lehre über das einfache Umgehen aufgestellten Bedingungen, welche verlangen, dass der Angriff möglichst überraschend erfolgen solle, weil der Erfolg um so größer sein wird, je weniger Zeit der Gegner zu Gegenmaßregeln übrig hat.

Der erste Faktor der Überraschung besteht darin, dass man den Gegner täuscht, dass man die eigene Absicht dadurch verbirgt, indem man durch verschiedene Mittel auf den Geist des Gegners in einer Weise zu wirken sucht, damit er eben dasjenige glaube, was man ihm glauben machen will.

Das erste Moment der Täuschung lag in der strategischen Aufstellung der französischen Armee; die fernere Täuschung sollten das Linksziehen einiger Abteilungen vom Dniepr weg und die Demonstrationen des Vizekönigs gegen den rechten Flügel der Russen bewirken.

Wenn man demonstriert, so geschieht es in dem Streben nach vorteilhaften Kampfbedingungen in doppelter Absicht; man will nämlich nicht allein dem Gegner dasjenige verbergen, was man vorhat, sondern auch denselben an der gewählten Angriffsstelle schwächen, indem man seine Aufmerksamkeit anderswohin lenkt und seine Kräfte möglichst weit abzieht. Napoleon demonstrierte denn auch in der Tat im Sinne der einfachen Umgehung gegen den entgegengesetzten Flügel.

Die Täuschung des Gegners, das Verbergen der Absicht, wird aber in der Regel nur eine Zeit lang währen können, weshalb der zweite Faktor: „Raschheit der Bewegung,“ nötig wird, um zum gewünschten Ziele zu gelangen. In den Bewegungen die zur Schlacht von Smolensk führten, sieht man, wie bereits bemerkt, auch diese Forderung vollständig berücksichtigt.

Trotz alledem misslang diese Operation und machte damit die Hoffnung auf eine schnelle Entscheidung schwinden.

So mustergültig nämlich auch die Idee und erste Durchführung war, so müssen wir doch einen Fehler Napoleons erkennen, ohne welchen das Resultat, ungeachtet die Russen ihren Irrtum und ihre Lage zu verbessern bestrebt waren, noch immer ein glänzendes werden konnte.

Wir haben früher gesagt, dass der Schlüssel der Situation in der Gegend östlich von Smolensk lag.

Wäre Napoleon, statt den Kampf um Smolensk, als ihm die Überraschung der Russen einmal misslungen war, mit solcher Hartnäckigkeit bis zu Ende zu führen, mit dem größten Teil seines Heeres östlich davon durch den seichten Dniepr gegangen, hätte er danach gestrebt, sich des Überganges bei Solowjewo und des Punktes Dorogobusch, wo die Straße über Duchowschtschina auftrifft, zu bemächtigen — denn das Recht zu einer so weitgreifenden Umgehung besaß er in seiner Überlegenheit — so hätte er jenes Ziel, welches er sich gesteckt, vielleicht vollständig erreicht, jedenfalls aber den Rückzug der Russen zu einem verderblichen gestaltet.

Ein Grund für sein Benehmen mag vielleicht die Hoffnung gewesen sein, die Russen zur Hauptschlacht vor Smolensk auf dem linken Ufer des Dniepr zu veranlassen; hoffte er das wirklich, so basierte er, was ganz unzulässig ist, seinen Plan auf einen Fehler, den Barclay möglicherweise begehen konnte, aber wahrscheinlich nicht begehen würde, denn ein großer Fehler wäre es von diesem jedenfalls gewesen, sich in solcher Lage schlagen zu wollen.

Als Entschuldigung für Napoleon könnte man anführen, dass vielleicht die Unbekanntschaft mit der Gegend und der Mangel an Karten ihn hinderten, über die Wichtigkeit der genannten Punkte östlich von Smolensk und die nachteilige Lage der russischen Armee klar zu sehen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Betrachtungen über den Krieg im Jahre 1812