Mutter und Sohn

Mit Napoleon lebte Letizia, abgesehen von der Meinungsverschiedenheit in der Angelegenheit Luciens, im besten Einvernehmen und grösster Vertraulichkeit. Selten war sie, selbst als Kaisermutter, gezwungen, seiner hohen Stellung Rechnung zu tragen. Sie liess sich nie ihre Würde als Oberhaupt der Familie nehmen. Er hingegen nannte sie nie Du, nicht einmal im engsten Familienkreise. Aber er sprach mit ihr italienisch, weil ihr diese Sprache geläufiger war. Die Briefe an sie schrieb er indes französisch, ebenfalls sie die ihrigen an ihn, die sie ihrer Vorleserin italienisch diktierte. Napoleon verdankte seiner Mutter vor allem seinen Sinn für Ordnung und gedachte noch in Sankt Helena daran. «Ihr verdanke ich mein Vermögen und alles, was ich Gutes getan habe», sagte er. Auch den Stolz hatte er von der Mutter. Mit grosser Genugtuung wiederholte Letizia oft die Worte, die ihr Sohn ausgesprochen hatte, als er der Schwiegersohn des Kaisers von Oesterreich wurde, und als dieser Nachforschungen über seine Abstammung machen liess: «Mein Adel datiert von Millesimo und Montenotte her!» hatte er da gesagt, und die Mutter hatte vor Stolz gestrahlt.

Sie wusste auch ihm, trotzdem er Kaiser war, zu imponieren. Als er einmal in Gegenwart der Kaiserin Marie Luise seiner Mutter die Hand zum Kusse darbot, stiess Letizia ihn mit einer entrüsteten Gebärde zurück und hielt dafür dem Sohne ihre eigene Hand hin, damit er sie küsse. Beschämt unterzog er sich dieser Pflicht. Marie Luise verstand das Benehmen ihrer Schwiegermutter in diesem Falle nicht und sagte, sie habe in Wien ihrem Vater, dem Kaiser von Oesterreich, zum Zeichen der Ehrerbietung vor dem Herrscher, oft die Hand geküsst. «Ja», erwiderte Letizia, «der Kaiser von Oesterreich ist Ihr Vater; der Kaiser der Franzosen aber ist mein Sohn!»




Uebrigens brachten ihr alle ihre Kinder die grösste Liebe und Hochachtung entgegen, wie sie auch ihnen die grösste Fürsorge und Zuneigung bewies. Beständig war sie um das Leben des Ersten Konsuls besorgt. Das Attentat der Höllenmaschine am 24. Dezember 1800 versetzte sie in die grösste Aufregung. Nur mit Josephine und deren Tochter Hortense stand sie auf gespanntem Fusse. Sie gehörten zur Gegenpartei. Nie fühlte Letizia sich von dem geselligen Leben in Malmaison angezogen, weil dort die Beauharnais eine Rolle spielten. Ebensowenig liebte sie Mortefontaine; die Gesellschaft, die bei ihrem Sohn Joseph verkehrte, passte ihr nicht; sie war ihr zu gelehrt. Am liebsten war sie mit ihrem Bruder Fesch beisammen. Mit diesem konnte sie von Korsika, von alten Bekannten und Verwandten sprechen, alte Erinnerungen ausgraben, und das gefiel ihr.

Die Thronbesteigung Napoleons erfuhr Letizia in Rom durch die Zeitungen. Dort lebte sie mit Lucien und Pauline unter dem Schutze des Papstes. Pius VII. schätzte sie ganz besonders darum, weil er wusste, mit welcher Freude die strenge Katholikin das Konkordat begrüsst hatte, das Napoleon im Jahre 1801 in Rom schloss. Letizia galt diese Handlung ihres Sohnes mehr, als alle seine Siege, als all sein Ruhm. Aber zur Krönung des Kaisers erschien sie nicht. Der Platz, den ihr der Maler David auf seinem wundervollen Krönungsgemälde zuweist, blieb leer.

Zu jener Zeit hielt sie sich in den Bädern von Lucca auf, wo auch ihre Tochter Paulette weilte. Erst 17 Tage später, am 19. Dezember 1804, kehrte Frau Bonaparte nach Paris zurück und nahm in dem einst von Lucien bewohnten Hotel de Brienne Wohnung. Es ist offenbar, dass Letizia nicht Zeuge der Einsegnung des Kaiserreiches sein wollte, dessen Einrichtung die noch von republikanischen Grundsätzen erfüllte Korsin nicht billigen konnte. Auch war sie tief in ihrem Mutterstolze verletzt, dass Napoleon sie nicht durch einen besonderen Boten von seiner Thronbesteigung in Kenntnis gesetzt hatte. Durch derartige Vernachlässigungen fühlte sich Letizia immer tief gekränkt. Und so traf sie absichtlich erst später, als alles vorüber war, in Paris ein. Der nunmehrige Kaiser empfing seine Mutter mit einfacher Herzlichkeit, und Letizia ergriff von neuem die Gelegenheit, ihn mit Lucien auszusöhnen. Aber es blieb alles beim alten.

Jetzt galt es, der Mutter des Herrschers von Frankreich die gebührende Rolle zuzuweisen. Welchen Rang sollte Letizia einnehmen? Welche Würde sollte ihr zukommen? Nach den alten römischen Annalen stand immer die Mutter der Cäsaren, hiess sie nun Agrippina oder Poppeia, an erster Stelle. Und so wollte es auch Napoleon.

Letizia empfing diese Auszeichnung ohne grosse Erregung, ohne Eitelkeit. Sie liess sich nicht blenden von all dem Glanze, den man um sie verbreitete. Nur zu dem Genie ihres Sohnes hatte sie Vertrauen. Alles andere schien ihr unbeständiges Scheinglück. Sie meinte, Napoleon würde sich einen grösseren Namen in der Geschichte erworben haben, wenn er sich nicht zum Kaiser gemacht hätte. Sein Emporsteigen machte sie nicht blind. Alle Grösse um sie her vermochte keine Herrschaft auf sie auszuüben, wenn sie auch stolz war, dass ihrer Familie so grosses Glück widerfuhr.



Der Kaiser aber wünschte, dass auch seiner Mutter alle Auszeichnungen und Ehren zuteil würden, wie den Müttern der römischen Imperatoren. Frau Letizia erhielt daher, wie ihre Söhne und Töchter, den Titel «Kaiserliche Hoheit» und wurde offiziell «Madame» genannt. Um Verwechslungen zu vermeiden, wenn der Kaiser Töchter bekäme, die nach der Sitte der alten Königsgeschlechter ebenfalls den Titel «Madame» führen würden, fügte man für Letizia hinzu «mère de l'empereur». Bald aber hiess sie nur noch «Madame Mère». Welcher Name hätte für diese Frau, für diese Mutter besser gepasst?

Letizias Rente als Kaisermutter belief sich auf eine Million Franken. Sie legte davon jährlich die Hälfte zurück. Für ihre eigene Person brauchte sie wenig. Am Hofe ihres Sohnes verkehrte sie selten und ersparte sich dadurch viele Ausgaben. Einesteils vermied sie es, wo es ging, mit Josephine zusammenzutreffen, und andernteils verabscheute sie alles Förmliche und die damit verbundenen Oberflächlichkeiten. Obgleich sie äusserlich mit ihrer antiken Matronengestalt, den feinen strengen Zügen, den langsamen, vornehmen Bewegungen sehr gut repräsentierte, scheute sie die Oeffentlichkeit. Sie fühlte sich verletzt, dass sie der Schwiegertochter den Vortritt bei Hofe lassen musste. Beugen konnte sich diese Korsin nicht.

Seit dem Jahre 1805 wohnte Letizia teils in Paris, im Schlosse Luciens, das sie von diesem für 600 000 Franken gekauft hatte, teils im Schlosse Pont-sur-Seine, im Departement Aube. Dieses hatte ihr der Kaiser geschenkt. War Napoleon abwesend, so wünschte er, dass seine Mutter, wenn sie in Paris weilte, jeden Sonntag bei Josephine speiste. Aber Letizia suchte sich dem soviel wie möglich zu entziehen. Der Kaiser war deshalb oft gezwungen, seine Mutter wie ein Kind zu tadeln. Dann schmollte sie und zog sich nach Pont zurück.

Letizia empfing bei sich nur wenige wirkliche Freunde, deren Ansichten und Gewohnheiten mit den ihrigen übereinstimmten. Die Minister und Würdenträger, ausser dem Erzkanzler Cambacérès, beachteten die Mutter des Kaisers wenig und verkehrten selten bei ihr. Das verletzte die stolze Frau, aber sie brachte es nicht über sich, von Napoleon zu fordern, dass jene Männer ihr huldigten. Am liebsten sah sie die Freunde ihres Halbbruders, des Kardinals Fesch, bei sich, meist geistreiche, unterhaltende und liebenswürdige Geistliche, die mit ihr eine Partie Reverse, ihr Lieblingsspiel, spielten.

Es lebte sich übrigens sehr angenehm mit ihr. Alle die zu ihrer Umgebung gehörten, waren von dieser wahrhaften Kaisermutter des Lobes voll. Sie war mit allem zufrieden und fand sich in alles. Am liebsten hörte sie, wenn man ihre Kinder lobte. Es lag ihr besonders daran, dass man gut von ihnen sprach. Dann belebte sich das in der Regel kalte Gesicht, und ihre dunklen Augen leuchteten voll Stolz und Glück. Bis ins hohe Alter hat Letizia Reste ihrer einstigen Schönheit bewahrt. Besonders waren ihre Füsse und Hände wunderbar schön. Ihre Gestalt war edel und auch im Alter immer noch schlank. Sie kleidete sich sehr sorgfältig und gepflegt und immer ihrem Alter angemessen. Als Letizia 59 Jahre alt war, schuf Canova nach ihrem Ebenbilde die wundervolle Statue der Agrippina, ein vollendetes Meisterwerk.

Wenn Napoleon im Felde weilte, lebte die Kaisermutter noch stiller und zurückgezogener als gewöhnlich. Trotz ihres Vertrauens in sein Genie und in seinen Stern umschwebte Letizia doch immer die Angst, es könne ihm ein Unglück zustossen. Sie war die einzige in der Familie, die nicht unbedingt an die Beständigkeit des Glücks glaubte.

Sie war auch nicht immer mit den Handlungen ihres Sohnes einverstanden. Am meisten schmerzte es sie, dass er alle Rücksichten ausser acht liess, wenn seine Politik auf dem Spiele stand. Da halfen selbst die stärksten Familiengefühle nichts. Tief betrübt war sie über die Hinrichtung des Herzogs von Enghien. Damals sprach sie die prophetischen Worte: «Napoleon, du wirst der erste sein, der in den Abgrund versinkt, den du jetzt unter den Füssen deiner Familie gräbst.» Aber weder die Tränen seiner Mutter, noch Josephines und Hortenses Flehen konnten Napoleon von dem Schritt abhalten, den seine Politik ihm vorschrieb. Interessant ist zu wissen, dass Madame Mère dem unglücklichen Herzog von Enghien kurz vor seinem Tode noch einen Dienst erwies. Er hatte den Wunsch geäussert, dass sein Lieblingshund und einige Gegenstände, die ihm teuer waren, einer Dame übergeben würden, deren Adresse er nannte. Man fragte Frau Letizia, wer wohl diese delikate Angelegenheit erledigen solle. Da sich niemand fand, nahm die Mutter Napoleons es selbst auf sich, der betreffenden Dame die letzten Grüsse und Erinnerungen des Prinzen zukommen zu lassen.

Da Letizia eine strenge Katholikin war und in dem Oberhaupt der Kirche eine unantastbare, unfehlbare Person sah, litt sie im Jahre 1809 sehr darunter, als der Kaiser den Heiligen Vater verhaften und nach Frankreich in Gewahrsam bringen liess. Eine solche Massnahme schien ihr ungeheuer, kaum fassbar. Sie vermochte nichts daran zu ändern, denn sie hatte keinen Einfluss auf die politischen Angelegenheiten ihres Sohnes.

Wenn sich Letizia indes im allgemeinen nicht in die Staatsgeschäfte Napoleons mischte, so hat sie doch im besonderen dem Kaiser hin und wieder mit ihrem Rate, nicht nur in Familiensachen, beigestanden. Man sagt sogar, sie habe immer mit Napoleon, wenn dieser nicht in Frankreich weilte, einen geheimen Briefwechsel unterhalten. So war sie es, die den Kaiser im Jahre 1808, als er sich in Spanien aufhielt, zuerst von der Verschwörung benachrichtigte, die der Polizeiminister Fouché und Talleyrand gegen ihn schmiedeten. Napoleon reiste darauf sofort nach Paris zurück.

Auch Aemter und Würden hat Madame Mère, besonders ihren Verwandten und Landsleuten, verschafft. Nie wandte sich ein Korse vergebens an sie. Nur musste der Bittsteller einer von den «Ihrigen» sein, denn sie unterschied auch als Kaisermutter noch die Korsen von Ajaccio und die von Bastia. Vor allem erhielt die ganze Sippe der nahen und fernen Verwandten durch Letizia Anstellungen und Titel. Im grossen und ganzen aber stand die Mutter Napoleons den Ereignissen, die durch die Handlungen ihres Sohnes hervorgerufen wurden, fern. Sie hatte genug in ihrer Familie zu schaffen und zu schlichten.



Da sie schliesslich einsehen musste, dass alle ihre Bemühungen, die feindlichen Brüder Napoleon und Lucien zu versöhnen, erfolglos blieben, gab sie sich damit zufrieden, wenigstens das Glück der Kinder Luciens zu begründen. Sie meinte das am besten dadurch zu können, dass sie Luciens älteste Tochter aus erster Ehe, Charlotte Marie, im stillen zur Frau des Kaisers bestimmte und erzog. Denn Letizia war von der Notwendigkeit einer Scheidung ihres Sohnes von der kinderlosen Josephine vollkommen überzeugt. Da es Lucien, dem einzigen ihrer Söhne, nicht beschieden war, auf einem Throne zu sitzen, so sollte dieses Glück wenigstens nicht seinem Kinde entgehen. So dachte die Mutter und Grossmutter. Ihr Plan scheiterte jedoch an den politischen Absichten ihres Sohnes Napoleon.

Dennoch hiess Letizia die Scheidung des Kaisers willkommen und wohnte jenem dramatischen Familienrate der Bonaparte von 1809 bei, in dem Josephines Urteil gesprochen wurde. Sie hatte die Schwiegertochter nie geliebt, später noch weniger, als bevor sie sie persönlich kannte. Ja, sie hasste sie aus tiefstem Grunde ihres Herzens, und dieser Hass übertrug sich sogar auf ihre andere Schwiegertochter, die sanfte Hortense und deren Kinder. Jetzt trennte sich Letizia ohne Bedauern von Josephine.

Napoleons Heirat mit Marie Luise befriedigte Letizia fast ebenso wie den Kaiser selbst, nur in anderem Sinne. Nicht, weil die neue Schwiegertochter ein Kaiserkind war, sondern weil sie jung war und ihr die Hoffnung liess, Enkel zu bekommen. Sympathisch war ihr auch Marie Luise nicht. Als diese später ihrem Gatten nicht in die Verbannung folgte, verachtete Madame Mère sie sogar.

Vorläufig jedoch teilte auch sie das Glück des Sohnes, besonders als der so sehnlichst erwartete Thronfolger geboren wurde. Welche Gefühle mögen an diesem Tage Letizias Herz erfüllt haben? Was mag sie empfunden haben, als sie dieses Kind über die Taufe hielt und es dann dem vor Freude strahlenden Vater übergab, damit er es der jubelnden Menge zeige!

Noch ein anderes Glück war Madame Mère im Jahre zuvor beschieden gewesen. Auf einer Reise nach Westfalen zu ihrem jüngsten Sohn Jérôme lernte sie den edlen Charakter der Königin Katharina kennen und schätzen. Von allen ihren Schwiegertöchtern war ihr diese deutsche Prinzessin die liebste. Als beide Frauen sich wieder voneinander trennen mussten, fühlten sie, was sie sich gegenseitig gewesen waren. Besonders spürte die mutterlose Katharina die Leere in ihrem Herzen, als Letizia nicht mehr bei ihr war. Nur der Briefaustausch mit Madame Mère vermochte ihr einigermassen das Verlorene zu ersetzen. Bis an Letizias Lebensende ist Katharina ihr eine treue, ergebene und liebende Tochter geblieben.

Mit dem Jahre 1812 begann auch für die Mutter Napoleons die sorgenvolle, unruhige Zeit. Der schreckliche Krieg in Russland und die Nachrichten, die über das Heer ihres Sohnes zu ihr gelangten, versetzten sie in die furchtbarste Angst und Besorgnis. Sie wusste, dass Napoleon auf seinem Rückzug aus den russischen Eissteppen den grössten Gefahren ausgesetzt gewesen war, und dass er die Reise von Wilna bis Dresden ohne Aufenthalt fortgesetzt hatte, um der Rache seiner Feinde zu entgehen. Als er endlich, wenn auch geschlagen und von den Elementen besiegt, am 18. Dezember 1812 wieder in den Tuilerien eintraf, da war die Mutter überglücklich. Ihre Freude war grösser als die der Gattin. Sie bot dem Sohne sofort alle ihre Ersparnisse an, damit er das Geld zur Bildung einer neuen Armee verwende. Napoleon aber brauchte die Schätze Letizias diesmal noch nicht. Noch standen ihm andere Hilfsquellen zur Verfügung. Es sollten schlimmere Tage kommen, an denen er gezwungen war, die Hilfe seiner Mutter in Anspruch zu nehmen.

Und in der Tat waren sie nicht fern, die Tage des Unglücks. Zwar begann das Jahr 1813 unter den günstigsten Voraussetzungen, besonders für die gläubige Letizia. Ihr sehnlichster Wunsch, die Vereinigung von Kirche und Staat, ward von neuem durch ein Konkordat befestigt. Voller Freude darüber schrieb sie ihrer Tochter Elisa: «Das ist eine der besten Nachrichten, deren wir uns erfreuen können.» Aber das Ende dieses Jahres brachte wiederum Kummer und Sorgen. Die Korsin bot dem Unglück die Stirn. Im Zusammenhalt der Familie allein sah sie ihr Heil. Aus jedem ihrer Worte sprach die Hoffnung auf ihren grossen Sohn, auf sein Genie, auf seine unerschütterliche Tatkraft.

Es war indes vorbei mit dem Kriegsglück Napoleons. Viele seiner Getreuen hatten kein Vertrauen mehr zu ihm; selbst Murat, sein Schwager, fiel von ihm ab. Das betrübte die Mutter tief. Nur noch einmal empfand ihr Herz Freude, wenn auch nur für kurze Zeit. Ihr Sohn Louis, der ehemalige König von Holland, hatte sich wieder Frankreich genähert. Schon glaubte Letizia, die Versöhnung ihrer beiden Söhne sei nahe. «Ich bin entzückt», schrieb sie an ihren Bruder Fesch, «zu hören, dass sich Louis bei Ihnen befindet. Der Kaiser hat mich gefragt, warum er nicht sogleich nach Paris gekommen ist. Sagen Sie ihm, dass ich ihn bei mir erwarte.» Und dann fügte sie als echte Kaisermutter hinzu: «Es ist jetzt nicht mehr am Platze, sich an die Hofsitte zu halten. Die Bourbonen sind zugrunde gegangen, weil sie nicht verstanden haben, mit den Waffen in der Hand zu sterben!» – Welche Frau!



Sie konnte die Katastrophe nicht aufhalten. Das Kaiserreich fiel in Trümmer, aller Glanz, alle Pracht, aller Ruhm und aller Ehrgeiz versanken in ein Nichts! Da bewies sich Letizia als wahrhaft bewunderungswürdiger grosser Mensch. Im alltäglichen Leben hatte sie sich bisweilen kleinlich gezeigt, jetzt war sie gross. Die Ereignisse vermochten sie nicht zu beugen. Wie ein starker Baum breitete sie die Arme über ihre vom Unglück heimgesuchte Familie aus und dünkte sich kräftig genug, alle die Ihrigen zu schützen. Jetzt war der Augenblick gekommen, wo sie ihre Rolle spielen konnte, die Rolle als Helferin mit dem ersparten Gelde.

Marie Luise hatte ihr bei ihrer Abreise aus Paris angeboten, sich mit ihr nach Oesterreich zu begeben. Welche Zumutung für diese Mutter! Schlicht hatte Letizia der Schwiegertochter geantwortet, dass sie sich nie von ihren Kindern trennen werde.

Am meisten aber betrübte es sie, dass die Frau ihres Sohnes in Rambouillet die fremden verbündeten Fürsten, die Feinde Napoleons, empfangen hatte. Sie konnte nicht begreifen, dass ihre Schwiegertochter so wenig Stolz zeigte und dem Zaren gestattete, den kleinen König von Rom, das Kind desjenigen, den er soeben vom Throne gestürzt und somit auch den Sohn seines Eigentums beraubt hatte, zu herzen und zu küssen! Die stolze Korsin konnte eine solche Handlungsweise nicht verstehen. In Letizias Herzen lebte noch die alte Blutrache ihrer Väter, die Vendetta fort. Wäre sie Marie Luise gewesen, sie hätte die Feinde ihres Mannes mit flammenden, hasserfüllten Augen von der Schwelle gewiesen!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Berühmte Frauen der Weltgeschichte
Letizia Bonaparte

Letizia Bonaparte

Bildnis Napoleons von Pagnest 1813.

Bildnis Napoleons von Pagnest 1813.

Bonaparte als Konsul. Gemälde von R. Lefèvre, 1802

Bonaparte als Konsul. Gemälde von R. Lefèvre, 1802

Schlafzimmer Napoleons im Schloss Fontainbleau.

Schlafzimmer Napoleons im Schloss Fontainbleau.

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