Die Schwiegermutter

Mehr Enttäuschung erlebte Frau Bonaparte durch die Heirat ihres Napoleon mit der ehemaligen Vicomtesse de Beauharnais. Letizia war über diesen Schritt ihres Sohnes so ärgerlich, dass sie ihren Aufenthalt in Marseille verlängerte, obwohl Napoleon immer drängte, sie solle nach Paris kommen. Ein besonderer Grund zur Sorge für sie war, dass dieser Ehebund nicht durch die priesterliche Weihe geheiligt worden war. Letizias frommer Glaube litt darunter. Abergläubisch, wie alle Bonaparte, sah sie darin ein böses Omen für die Zukunft ihres Napoleon. Letizia glaubte nicht, dass Josephine ihren Sohn glücklich machen könne. Am meisten fühlte sie sich in ihrem Mutterstolze dadurch verletzt, dass Napoleon, ganz gegen korsische Sitte, sie, die Mutter, das Oberhaupt der Familie, nicht um ihre Einwilligung zur Heirat gebeten hatte.

Bald jedoch wurde Letizias Sorge über diese Heirat durch die Ernennung Napoleons zum Oberbefehlshaber der italienischen Armee verdrängt. Und als der General auf seiner Reise nach Italien durch Marseille kam, um von den Seinen Abschied zu nehmen, umarmte Letizia ihn mit den Worten: «Nun bist du ein grosser General!» Darin lag der ganze Stolz, das ganze Glück der Mutter. Ihr Segen begleitete ihn ins Feld. Als er von ihr ging, dem Ruhme und Glanze entgegen, da rief sie ihm nach: «Sei ja nicht unvorsichtig, nicht waghalsiger, als es dein Ansehen erfordert! Gott! Mit welcher Angst werde ich jeder Schlacht entgegensehen! Gott und die Heilige Jungfrau mögen dich schützen!» In Gedanken folgte die Mutter seinem Ruhme mit ihren Wünschen für sein Wohlergehen.




Als Letizia später in Begleitung ihrer Kinder den Sieger von Montenotte, Millesimo, Castiglione und Arcole in Italien wiedersah, den bleichen mageren General, der nicht Rast noch Ruhe kannte, presste sie ihn voll Stolz an ihr Herz und sagte: «O Napolione, ich bin die glücklichste aller Mütter!» Es entschlüpften ihr aber auch die sorgenden Worte: «Du tötest dich.» – «Im Gegenteil», erwiderte Napoleon heiter, «es scheint mir, dass ich lebe!» – «Sage lieber», warf Letizia ein, «dass du in der Nachwelt leben wirst – aber jetzt ...!» – «Nun, Signora», entgegnete der Sohn – sie hatte es besonders gern, wenn er sie Signora nannte – «nun, Signora, heisst das etwa sterben?»

Noch einmal kehrte Frau Bonaparte nach Marseille zurück. Von dort begab sie sich mit ihrer Tochter Elisa, die inzwischen Frau Baciocchi geworden war, nach der jetzt endlich vom englischen Einfluss befreiten Heimatinsel. Mit welcher Freude begrüsste sie die alten lieben Felsen! Arm und hilflos war sie einst vor ihren Verfolgern geflüchtet – als Mutter des gefeierten italienischen Siegers kehrte sie jetzt zurück. Aber ihr Haus fand sie verwüstet. Sofort machte sie sich an die Arbeit, das Nest für sich und die Ihrigen wieder aufzubauen. Uebergrosse Anstrengungen aber warfen sie aufs Krankenlager und verlängerten ihren Aufenthalt in Korsika. So erfuhr sie von dem Triumphe, den man ihrem «grossen General» bei seiner Rückkehr nach Paris entgegenbrachte, nur vom Hörensagen und durch die Zeitungen.

Während Napoleon in Aegypten war, versuchten englische Nachrichten oft, die Ruhe der Mutter des Siegers zu stören, indem sie das Gerücht von seinem Tode verbreiteten. Aber Letizias festes Vertrauen auf sein Genie liess sich nicht so leicht erschüttern. Eines Tages sagte sie zu verschiedenen bei ihr in Ajaccio anwesenden Personen mit leichter Zuversicht: «Mein Sohn wird in Aegypten nicht so elend umkommen, wie es seine Feinde gern möchten. Ich fühle, dass er zu Höherem bestimmt ist!» Auch sie glaubte an den Stern Napoleons. Um dieselbe Zeit, als sich der General Bonaparte in Aegypten nach Frankreich einschiffte, verliess auch seine Mutter die heimatliche Insel. Sie traf einige Tage vor ihrem Sohne in Paris ein, ohne zu ahnen, dass sie ihn so bald wiedersehen werde.

Der Staatsstreich vom 18. Brumaire fand statt. Frau Letizia, die bei ihrem Sohn Joseph wohnte, zitterte um das Geschick ihrer Kinder, wie die Mutter der Gracchen. Aeusserlich merkte man ihr zwar nicht viel an, nur Totenblässe bedeckte ihr Gesicht, und jedes Geräusch erschreckte sie. Die spätere Herzogin von Abrantes, die sich am 19. Brumaire mit ihrer Mutter, Letizia und Pauline im Theater Feydeau befand, erzählte von Letizias Gemütsverfassung an diesem Tage folgendes: Frau Bonaparte schien ausserordentlich aufgeregt und besorgt zu sein. Sie sagte freilich nichts, sah aber öfter nach der Tür der Loge, und meine Mutter und ich merkten, dass sie jemand erwartete. Der Vorhang ging auf, das Stück begann ganz ruhig. Plötzlich trat der Regisseur vor die Rampe, verbeugte sich und sagte mit lauter Stimme: «Bürger! Der General Bonaparte ist soeben in Saint-Cloud einem Attentat der Vaterlandsverräter entgangen!»



Bei diesen Worten stiess Pauline, die Schwester des Generals, einen markerschütternden Schrei aus und war furchtbar erregt. Ihre Mutter, ebenfalls tief erschüttert, suchte sie zu beruhigen. Letizia war bleich wie eine Statue. Wie sehr sie jedoch innerlich litt; auf ihrem Gesicht sah man nichts als einen ganz leisen schmerzhaften Zug um die Lippen. Sie neigte sich zu ihrer Tochter, nahm deren Hände, drückte sie fest, und sagte in gebieterischem Tone: «Pauline, warum dieses Aufsehen! Schweig! Hast du nicht gehört, dass deinem Bruder nichts zugestossen ist? Sei ruhig und steh auf; wir müssen jetzt gehen und uns nach den näheren Umständen erkundigen.»

Zum ersten Male entschloss sich Frau Letizia, zu ihrer Schwiegertochter Josephine zu gehen, bei der sie die beste Auskunft über das Geschick ihres Sohnes erhalten konnte. Sie hatte es bisher vermieden, sie zu besuchen, denn sie meinte, Josephine nehme keinen Anteil an ihrer Sorge um den geliebten Napoleon. Letizia konnte Josephine die Untreue gegen Napoleon, während er in Italien und Aegypten war, nicht verzeihen. Auch dass Josephine ihr noch kein Enkelkind geschenkt hatte, grämte sie: die Mutter so vieler Kinder blickte verächtlich auf die kinderlose Schwiegertochter. Aeusserlich bewiesen sich diese beiden Frauen Höflichkeit und Achtung.

Als Napoleon zum Ersten Konsul ernannt worden war, wollte er, dass Letizia einen der Mutter des Staatsoberhauptes würdigen Haushalt führe. Er bot ihr die Tuilerien zum Aufenthalt an. Dieses grosse, weite Königsschloss flösste der einfachen Frau, die bisher nicht in Ueberfluss und Prunk gelebt hatte, Scheu ein. Sie zog es vor, noch eine Zeitlang bei Joseph zu wohnen, bis Napoleon ihr das Hotel Montfermeil in der Rue du Mont-Blanc einrichtete. Hier lebte Letizia, wie sie es gewöhnt war, einfach und ohne Luxus. Aber gerade von seiner Mutter hätte Napoleon gern gesehen, dass sie ihr Einkommen, 120 000 Franken jährlich, verausgabte. Er hatte damit kein Glück bei ihr. Geldausgeben machte ihr nicht die geringste Freude. Sogar die Reparaturen in ihrem Hause liess sie von ihrem Sohn Napoleon bezahlen. Später noch, als sie als Kaisermutter ein Jahrgeld von einer Million bezog, beschränkte sie ihre Hofhaltung aufs nötigste. Auf Napoleons Einwände pflegte sie gewöhnlich zu erwidern: «Wenn Sie doch wieder einmal ins Unglück geraten sollten, so werden Sie mir Dank wissen, dass ich so sparsam gewesen bin.»

Es ist weniger anzunehmen, dass diese Voraussetzungen Letizias Scharfblick entsprangen, weil sie dem so schnell aufgebauten Glücksgebäude wenig traute. Sie hatte ganz einfach die Zeiten nicht vergessen, da es ihr und ihren Kindern an allem gebrach. Sie wusste aus Erfahrung, dass Schicksalsschläge über Nacht kommen konnten. So blieb sie lieber bei ihren bescheidenen Gewohnheiten, selbst auf die Gefahr hin, unter all den glänzenden Frauengestalten, die ihren Sohn und seinen Hof umgaben, in ihrer einfachen ernsten Kleidung wunderlich zu erscheinen.



Letizia brauchte übrigens weder Luxus noch Pracht, um schön und anziehend zu wirken. Ihre ganze Erscheinung war vornehm, edel und königlich. Sie sprach wenig, einesteils, weil sie in der neuen Gesellschaft dazu gezwungen war, denn sie beherrschte die Sprache nicht und besass kein Wissen, andernteils schwieg sie aus Stolz. Ihre Manieren hatten, obgleich sie sich in Gesellschaft unbequem fühlte, angeborene Würde und eine Hoheit, die jedermann Achtung gebot. Selbst die Streitigkeiten unter ihren Kindern verstummten, sobald Letizia zugegen war. Ihre Anwesenheit genügte, um allen eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen. Sie erteilte ihnen immer die weisesten Ratschläge und ermahnte sie zum Guten. Immer und immer wieder erinnerte sie ihre Söhne und Töchter, die sich oft gegen den Willen Napoleons auflehnten, daran, was sie ihm schuldig seien, und dass er es gewesen war, der sie zu Ansehen gebracht hatte. Es tat ihr weh, den unversöhnlichen Zwist zwischen Napoleon und Lucien mit ansehen zu müssen, ohne dass sie durch ihren Einfluss etwas zu erreichen vermochte. Das einzige, was Letizia tun konnte, war, Lucien in seinem Unglück nicht zu verlassen. Sie schlug ihm vor, er solle sie nach Italien begleiten, wo sie ihrer Gesundheit wegen im Jahre 1804 einige Zeit verbringen wollte. Vielleicht diente ihr diese Reise aber auch nur als Vorwand. Sie wollte gewiss nicht Zeuge des Triumphes ihrer Schwiegertochter sein, deren Krönung bevorstand.

Dem Ersten Konsul missfiel der Vorschlag seiner Mutter. Er warf ihr vor, dass sie Lucien mehr liebe als ihre anderen Kinder. Darauf antwortete Letizia einfach: «Wenn Sie in seiner Lage wären, würde ich Sie in Schutz nehmen.» Ihre Zuneigung und Fürsorge gehörte immer dem nach ihrer Meinung unglücklichsten Kinde. So war ihr Grundsatz, und danach hat sie ihr ganzes Leben lang gehandelt. Und hatte sie wirklich für Lucien eine Vorliebe, so geschah es, weil sie ihm ewig dankbar dafür war, dass er ihr im Jahre 1802 eine Rente von 24 000 Franken aussetzte, damit sie den Armen mehr zu Hilfe kommen konnte. Diese Feinsinnigkeit hatte sie nie vergessen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Berühmte Frauen der Weltgeschichte