Lady Hamilton

Wenn man die Sitten des englischen Hochadels im 18. Jahrhundert kennt, kommt einem der fast märchenhafte Aufstieg eines armen Mädchens aus den niedersten Schichten des Volkes, wie ihn Emma Lyon, spätere Lady Hamilton, erlebte, nicht mehr ganz so unglaublich vor, als es ohne Kenntnis der Zeit den Anschein haben könnte. Ausserdem gibt es Frauen, die Virtuosinnen des Lebens sind. Sie schenken und nehmen Genüsse und Glück durch den Reichtum ihres Wesens, ihrer Gaben und Talente oder ihrer Schönheit. Sie tauchen unter im Strudel des Lebens, ohne in ihrem Innern vom Schmutz berührt zu werden. Sie verkaufen vielleicht ihren Körper, nicht aber ihre Seele. Mit liebenswürdigem Leichtsinn überspringen sie alle Gesetze der bürgerlichen Moral; ihr Leben ist aufgelöst in Skandalaffären; sie sinken und steigen mit dem Mann und seiner Umgebung. Ihr Geschick, ihr Instinkt, ihre Anpassungsfähigkeit an alle Lebenslagen und Verhältnisse, und die Macht ihrer ausserordentlichen Schönheit öffnen ihnen alle Tore. Die Gesellschaft duldet und übersieht im Leben solcher Frauen Dinge, die sie bei anderen scharf kritisiert und verachtet. Unter vielen derartigen Frauen hat Lady Hamilton Aufsehen erregt. Und obwohl ihr Emporkommen durch die freieren Sitten einer toleranten Gesellschaft sehr erleichtert wurde, war sie eine der ausserordentlichsten Erscheinungen ihres Jahrhunderts. Ihr Leben bestand aus einer Kette von Abenteuern. Es werden ihr Glück, Ehren und Reichtum, eine angesehene Stellung in der Welt zuteil, und schliesslich endet ihr reiches Leben in Armut. Ein Schicksal, wie es im 18. Jahrhundert nicht selten war.



Als Tochter armer Eltern lernte sie früh Not und Elend kennen. Sie wurde in der Welt herumgeworfen. Anfangs Kindermädchen, dann Kellnerin in Matrosenkneipen, schliesslich «Gesellschaftsdame» in berüchtigten Vergnügungslokalen und Modell. Manche Künstler, die sie gemalt haben, wie Romney, sind durch ihre Schönheit berühmt geworden. Sie stellte ihnen für ihre Bilder nicht nur ihr schönes Gesicht und ihren herrlichen Körper zur Verfügung, sondern auch ihre hervorragende mimische Kunst. Alles, was der Maler von ihr verlangte, vermochte sie darzustellen: eine Bacchantin, eine Kalypso, eine Circe, eine Spinnerin, eine Kassandra, eine Magdalena, eine Heilige Cecilie, eine Pythia. Kein Gefühl war dem Ausdruck ihrer Züge fremd. Romneys Biograph sagt: «Die Natur beschenkte die schöne Emma mit den bezauberndsten Talenten für die beiden befreundeten Künste: die Musik und die Malerei. In der Musik erwarb sie sich grosse Fertigkeit und Gewandtheit. Für die Malerei bewies sie einen so ausgesuchten Geschmack und eine solche Kraft des Ausdrucks, dass sie für einen Maler ein ideales Modell sowohl für zarte und sanfte als auch für grosse Charaktere darstellte. Gleich Shakespeares Sprache vermochten ihre Züge alle Gefühle, alle Abstufungen der Leidenschaften mit hinreissender Wahrheit wiederzugeben. Romney war entzückt, wenn er die wunderbare Gewalt sah, mit welcher sie ihre ausdrucksvollen Gesichtszüge zu beherrschen wusste.»

Die Natur hatte Emma Lyon wirklich verschwenderisch mit Schönheit und Liebreiz ausgestattet, aber auch hilf- und haltlos ins Leben hinausgestossen. Es konnte nicht fehlen, dass sie als unerfahrenes, unbehütetes junges Mädchen in einer Stadt wie London Männern in die Hände fiel, die sich ihre Jugend und ihre reizvolle Schönheit zunutze machten. Sie besass eine wundervolle Gestalt und etwas unbeschreiblich Liebliches und Anziehendes im Ausdruck ihres Gesichts. Leicht und heiter schritt sie trotz Armut und Abhängigkeit durchs Leben. Ihre Strümpfe waren zerrissen, ihr Kleid ärmlich und abgenützt. Darum kümmerte sich Emma Lyon oder «Amy», wie sie in ihrem Heimatort genannt wurde, nicht. Der Gebrauch von Näh- und Stopfnadel war ihr fremd. Sie lebte in den Tag hinein. Um das Morgen machte sie sich keine Gedanken. Da ihre Mutter eine arme Näherin war, musste Amy sich frühzeitig ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Als sie dreizehn Jahre alt war, kam sie zu einer Doktorsfrau in Hawarden in Stellung. Mrs. Thomas gab sich die grösste Mühe, Amy zu Ordnung und Häuslichkeit zu erziehen, und da das Mädchen gut, willig und leicht zu leiten war, nahm sich die Dame seiner mit wirklich mütterlicher Liebe an. Lady Hamilton, auf dem Zenith ihres Glücks, hat darum auch Mrs. Thomas, deren Kinder sie gewartet und ausgefahren hatte, niemals vergessen und sich nicht geschämt, sie des öfteren zu besuchen.

Noch ein zweites Mal diente Amy als Kindermädchen in der Familie eines anderen Arztes. Dann aber lockte die Großstadt, lockte London. Amys Mutter hatte erfahren, dass in der Familie des Komponisten Linley ein Platz frei sei. Sie forderte ihre Tochter auf, nach London zu kommen und die Stelle anzunehmen. Mrs. Linley war Teilhaberin am Drury-Lane-Theater und hatte dort ihre Privatloge. Amy oder Emely, wie sie jetzt genannt wurde, musste sie zu den Vorstellungen begleiten und des öfteren von der nicht immer gutgelaunten Theaterdirektorin Aufträge für die Schauspieler und Schauspielerinnen hinter die Kulissen bringen. Das Kulissenleben machte Eindruck auf das junge Ding, das selbst in sich bereits ein mimisches Talent spürte. In dieser Schauspielerfamilie versuchte Emely zum erstenmal – vielleicht anfangs noch ganz heimlich in ihrer Kammer – die «Attitüden» oder, wie wir heute sagen, die lebenden Bilder zu stellen, die sie später so berühmt machten. Ihre Gestalt begann sich immer vorteilhafter zu entwickeln. In ihrer Haltung und ihrem Benehmen zeigte sich bereits jene Sicherheit, jenes kühne Selbstbewusstsein, die ihre vorwaltenden Charakterzüge blieben. Manche Familie der Aristokratie wäre froh gewesen, ein so reizendes Mädchen als Tochter zu haben. Ihre äussere Erscheinung war trotz der ärmlichen Kleidung vornehm. Ihre Gesichtszüge waren so fein und ihre Gliedmassen so edel und zierlich, dass man Amy den wunderbaren Schönheiten des englischen High-Life zur Seite stellen konnte. Als Kindermädchen bereits erregte sie im Hydepark Aufsehen. Die Spaziergänger blieben stehen und sahen ihr nach, bis sie ausser Sehweite war. Und mancher mochte denken, dass dieses schöne Mädchen eher zur Herzogin als zur Magd geschaffen wäre. Emely aber musste erst noch die harte Schule des Lebens durchmachen, ehe sie zu Glanz und Reichtum gelangte. Nachdem sie ihre Stelle bei der Schauspielerfamilie plötzlich verlassen hatte – angeblich, weil sie in dieser Umgebung den Tod des Sohnes des Hauses, den sie liebte, nicht verschmerzen konnte –, verdingte sie sich in St. James Market bei einem Weinhändler als Kellnerin. Zwar war und ist das zweifelhafte Genre der Kellnerin in England unbekannt, immerhin aber bedeutete es für Emely doch einen Schritt nach unten, da ihr jetzt nicht mehr der Schutz einer Familie zuteil wurde. Sie war jung, schön und unerfahren. Ihre seltene Schönheit gefiel auch bald einer sogenannten «Lady of Fashion». Sie engagierte Emely, die Vierzehnjährige, als «Gesellschaftsdame» für ihre «Salons». Hier sollte sie die eleganten Müssiggänger und Lebeleute unterhalten. Was diese «Lady» und ihre «Salons» waren, ist nicht schwer zu erraten. Sie besass eines jener Rendevouzhäuser, die es nicht nur in Paris, sondern auch in London in grosser Anzahl gab. Emely Lyon fiel es gewiss leicht, zu singen und zu tanzen und die Gäste im Hause der Mrs. Kelly zu unterhalten. Sie erlebte hier ihre ersten Triumphe als Schönheit und als Schauspielerin, denn sie spielte ihre Rollen in den zur Aufführung gebrachten Theaterstücken mit ausgesprochenem Talent. Noch ist die Kleine nicht ganz auf der Höhe ihrer berückenden Weiblichkeit, aber es ist bereits etwas in ihr, das jeden Mann bezaubert. Dem späteren Admiral John Willet Payne führt ein Zufall das junge reizende Mädchen in die Arme. Um für einen armen Vetter die Befreiung vom Kriegsmarinedienst zu erbitten, begibt sich Emely Lyon auf sein Schiff. Kapitän Payne ist ein junger schöner Mann. Das junge Mädchen übt einen unwiderstehlichen Zauber auf ihn aus. Als Preis für sein Entgegenkommen fordert er von ihr ihre Liebe. Vielleicht nicht nur aus Dankbarkeit, sondern weil auch ihr der hübsche Seeoffizier gefällt, schenkt sie sich ihm. Ein kurzes Glück. Als Kapitän Payne längst wieder auf See war, gab die Fünfzehnjährige einem Kinde das Leben. Noch einige Monate sorgte Payne für Mutter und Kind. Dann aber taucht ein wohlhabender Mann, Sir Henry Featherstonehaugh, in Emelys Leben auf. Er bringt sie auf seinen schönen Landsitz Up Park in der Grafschaft Surrey. Hier lernt das junge Mädchen zum erstenmal wirklichen Luxus und Wohlleben kennen. Featherstonehaugh ist freigebig. Er scheut keine Kosten, um die Schönheit Emelys ins rechte Licht zu setzen. Und das Proletarierkind passt sich mit verblüffender Leichtigkeit dem neuen Lebensstil an, als hätte es sein Leben lang nichts anderes gekannt. Aber dieses Glück währte nur einen Sommer. Featherstonehaugh kehrte nach London zurück. Er hatte mit seiner schönen Freundin ein Vermögen verbraucht. Nun musste sie sich mit einer kleinen bescheidenen Mietswohnung begnügen, und er konnte ihr nicht mehr bares Geld hinterlassen, als die Reisekosten für die Postkutsche ausmachten, mit der sie zu ihrer Grossmutter Kidd, einer armen Tagelöhnerin, reiste. Da die Grossmutter zu arm war, um für Emely zu sorgen, blieb das junge Mädchen nicht lange im Dorf. Sie kehrte nach London zurück, und aufs neue trat die Großstadt mit ihren Versuchungen an sie heran. Diesmal kreuzte ein Scharlatan Emelys Weg. Und sie verfiel auch ihm. Als «Vestina» oder «Göttin der Gesundheit» diente sie diesem Wunderdoktor Graham zur «Erläuterung seiner Lehre». Allabendlich stellte sie ihren Körper einer leichtgläubigen Zuschauermenge zur Schau, die in Scharen zu Grahams «Tempel der Gesundheit» gepilgert kam. Vielleicht hat Emely nie darüber nachgedacht, welchen Zwecken sie mit diesen Schaustellungen diente. In jenen Kreisen, in denen sie bisher gelebt hatte, wurde nie abgewogen, was man tun dürfe oder nicht. Emely Lyon diente Graham mit ihrer Schönheit ebenso wie sie anderen Männern gedient hatte. Vielleicht sah sie sogar bewundernd zu ihm auf. Man darf nicht vergessen: sie war ein Kind des Volkes. Ein Kind des an Scharlatanen und Quacksalbern so reichen 18. Jahrhunderts! Emely schien dieser Scharlatan ein hochgelehrter Mann. Liessen sich doch sogar Leute vom höchsten Rang von seinen Wunderkuren verblüffen.



Graham hatte es für besser gehalten, dass Emely Lyon ihren Namen änderte. Sie trat bei ihm als Emma Hart auf. Man nannte sie jedoch allgemein «die englische Venus», und ganz London schwärmte von ihrer Schönheit. Die Zahl ihrer Verehrer wuchs ständig. Viele Maler, darunter auch der exzentrische George Romney, begehrten sie zum Modell. Emma sass Romney unzählige Male zu den verschiedensten Gemälden. Sie berauschte den Maler jedesmal aufs neue durch ihre ideale Schönheit. Er nannte sie seine «göttliche Lady». Auch später, als Emma Hart längst die gefeierte Lady Hamilton war, gewährte sie ihm Sitzungen für Gemälde, die ihn unsterblich gemacht haben.



Als Emma Hart den Malern Modell stand, kannte sie einen jungen Weltmann, Sir Charles Greville, den Sohn des zweiten Earl of Warwick. Da er Emmas Talente sehr bald entdeckte, sorgte er nicht nur für ihren Unterhalt, sondern auch für ihre geistige und künstlerische Ausbildung. Er hielt ihr Musik- und Tanzlehrer und unterwies sie in allen Dingen eines guten Lebensstils. Er las mit ihr gute Bücher, liess sie in der französischen und italienischen Sprache unterrichten; kurz, er machte aus ihr eine Dame, mit der er sich in der besten und geistreichsten Gesellschaft hätte sehen lassen können, wenn er das gewünscht hätte. Dass Emma Hart nicht orthographisch schrieb, war keine Ausnahme in der damaligen Zeit. Die Damen der höchsten Kreise schrieben nicht besser.

Emma lebte einige Jahre sehr glücklich, wenn auch sehr zurückgezogen, mit Greville. Es war ihre erste echte Liebe, vielleicht die einzige und grösste in ihrem Leben, denn später liebte Nelson sie mehr als sie ihn. Greville riss sie aus dem Schmutz, bewahrte sie vor dem Abgrund, in den sie zu versinken drohte. Er war der erste Mann, der sie anständig behandelte. Sie liebte ihn und war ihm dankbar dafür. Sie war nicht nur eine sehr intelligente und gelehrige Schülerin, sondern auch eine entzückende Frau, eine Zauberin in jeder Beziehung. In ihr ist etwas Zartes, Feines, etwas unendlich Weibliches und Gütiges. Sie ist das Prototyp der englischen Schönheit. Ein echtes englisches Mädchen aus dem Volke: freimütig, wenig sentimental, gutmütig und äusserst dankbar gegen ihre alten und neuen Freunde. Lord Hamilton schrieb später von ihr: «Sie ist besser als sonst ein Wesen, das die Natur hervorgebracht hat. In ihrer Eigenart ist sie feiner als irgend etwas in der antiken Kunst.» Die Männer, die in ihren Bann geraten, kommen schwer von ihr los und sind ihr, wie Charles Greville, auch nach der Trennung noch Freunde. Selbst wenn sie sie betrügt, sind sie ihr noch zugetan.

Vielleicht hätte Greville sich nie von einer so schönen und reizenden Geliebten getrennt, wenn er nicht durch seine zerrütteten Vermögensverhältnisse dazu gezwungen gewesen wäre. Emma liebte ihn wirklich. Sie folgte stets ihrem Impuls. Sie nahm das Leben, wie es sich ihr bot. Sie war freigebig, aber nicht verschwenderisch im wahren Sinne des Wortes. Ihr Lebensstil war immer den Umständen angepasst. Reich, grosszügig, anspruchsvoll, wenn der Mann die Mittel dazu besass; bescheiden und einfach, wenn er nicht im Ueberfluss lebte. Dem Manne, der sie aus dem Sumpf gerettet hatte, war sie ewig dankbar, und nie hat sie ihre von so ausserordentlichem Glück und Reichtum begünstigte Karriere hochmütig gemacht. Immer gedachte sie ihrer armen Herkunft und schämte sich auch nicht später, als Freundin einer Königin, einzugestehen, woher sie gekommen war. Als sie längst die Gattin des englischen Gesandten in Neapel war und bereits viele Jahre am Hofe gelebt hatte, schrieb sie im Jahre 1799 von Nelsons Schiff «The Foudroyant» aus an ihren alten Freund Greville: «Meine Mutter ist in Palermo (bei der Königin) ... Sie können sich nicht vorstellen, wie sie von allen geliebt und geachtet wird. Sie hat sich eine Lebensart angeeignet, die entzückend ist. Sie hat eine schöne Wohnung in unserem Hause, lebt stets bei uns, isst mit uns, und so weiter. Nur wenn sie es selbst nicht mag (zum Beispiel zu grossen Diners), sagt sie ab und hat dann immer eine Freundin bei sich. Und «La Signora Madama dell' Ambasciatora» ist in ganz Palermo bekannt, geradeso, wie sie es in Neapel war. Die Königin ist in meiner Abwesenheit sehr freundlich zu ihr gewesen. Sie hat sie besucht und ihr gesagt, sie könne sehr stolz auf ihre berühmte Tochter sein, die in den letzten qualvollen Monaten soviel getan hätte. Ich sage Ihnen das, damit Sie sehen, dass ich nicht unwürdig bin, einst Ihre Schülerin gewesen zu sein. Gott segne Sie.»



Greville war, obwohl der Sohn eines Earls und Mitglied des Parlaments, kein sehr reicher Mann. Er konnte seiner Emma weder eine Equipage noch ein eigenes Palais halten. Auch konnte er ihr keine aussergewöhnlichen Toiletten, Brillanten und Schmucksachen kaufen, sie nicht mit Glanz und Luxus umgeben. Er wünschte nur, sie glücklich zu sehen und aus ihr einen guten, gebildeten Menschen zu machen. So lebte sie in seinem schönen, künstlerischen Hause in Edgware Row ebenso diskret vornehm und elegant wie eine andere Lady, die einen wohlhabenden, aber nicht reichen Aristokraten geheiratet hatte. Emmas Mutter lebte mit in Grevilles Haus und ersetzte ihr eine sehr wichtige Hausangestellte. Mrs. Cadogan – sie hatte inzwischen, ebenso wie ihre Tochter, mehrmals ihren Namen geändert – war eine vorzügliche Köchin und, wie es scheint, ein äusserst verträglicher und gutmütiger Mensch. Denn alle stellen dieser Mutter nur das beste Zeugnis aus. Sie war immer bei ihrer Tochter und stieg mit ihr von Stufe zu Stufe. Sowohl Greville als auch Sir William Hamilton und Lord Nelson achteten Mrs. Cadogan und behandelten sie so ehrfurchtsvoll, als wäre sie eine Dame aus ihren Kreisen.

Im Jahre 1786 trat ein Mann in Emmas Leben, der ihrem Schicksal die entscheidende Richtung gab. Sir William Hamilton, englischer Gesandter am Hofe von Neapel, ein noch gut aussehender Weltmann von 60 Jahren, kam in Privatangelegenheiten, vielleicht um sich eine zweite Frau zu suchen, auf einer Urlaubsreise nach London und besuchte bei dieser Gelegenheit seinen Neffen Sir Charles Greville. Er sah die schöne Freundin, «the pretty teamaker» des jungen Grandseigneurs und war sofort von ihren Reizen gefangen. Als er sie tanzen sah und singen hörte, war er vollends bezaubert. Und er beschloss, sie mit nach Neapel zu nehmen, unter dem Vorwand, ihre Talente noch weiter auszubilden, in Wahrheit aber, um diese göttliche Frau zu seiner Geliebten zu machen. Sir Charles Greville willigt ein. Er sieht darin den einzigen Ausweg, sich von Emma zu trennen, ohne sie einer ungewissen und für ihren leicht zu beeinflussenden Charakter gefährdeten Zukunft auszusetzen. Er selbst ist nicht mehr in der Lage, pekuniär für sie zu sorgen. Schliesslich wird alles zur gegenseitigen Zufriedenheit geregelt. Sir William Hamilton übernimmt das Mädchen, das bald darauf im März 1786 in Gesellschaft der Mutter und des Malers Gavin England verlässt und über Deutschland nach Neapel reist. Vorläufig weiss Emma nicht, welcher Pakt zwischen Neffen und Onkel geschlossen wurde. Noch sieht sie in dem alten Herrn einen Gönner. Zahllose ihrer Briefe an Greville beweisen es. Sie hängt an ihrem Freund; sie sehnt sich nach ihm, aber sie begreift schliesslich, dass der englische Gesandte nicht ganz uneigennützig gehandelt hat, als er sie zu sich nahm, und dass auch Greville mit dieser Handlungsweise einverstanden war. Sie ist enttäuscht über den einen und von Bewunderung und Dankbarkeit erfüllt für den andern, der sie mit galanter Aufmerksamkeit umgibt, und ihr mit seinem Herzen seinen Reichtum, sein Haus und seine Stellung in der Welt zu Füssen legt.

Ein neues Leben umgibt sie in Neapel. Sir Hamilton verwöhnt sie mit Luxus und Reichtum. Kein Land, keine Stadt war besser als Rahmen für Emmas Schönheit und reiche Gaben geeignet. Neben den grossen Vergnügungszentren Paris, London und Wien ist Neapel um diese Zeit die Stadt, die die meisten Zerstreuungen bietet und an Eleganz keiner der grösseren Städte Europas nachsteht. Sir Hamilton war einer «jener Epikuräer», die sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts im sonnigen Italien niedergelassen hatten, um hier in einer milden Natur und umgeben von den herrlichsten Kunstschätzen, im Verkehr mit Gelehrten und Künstlern, die Freuden des Lebens in reichstem Masse zu geniessen. In seinem Hause lernte Emma ein äusserst vielseitiges Leben kennen. Ihre Kunst wird durch die Bekanntschaft mit den berühmten griechischen Kunstwerken veredelt, die ihr Freund und Gönner als Archäologe sammelt. Sie beginnt in der neapolitanischen Gesellschaft, besonders in der englischen Kolonie in Neapel, eine Rolle zu spielen. Man scheut sich nicht, die schöne und liebenswürdige Mätresse Lord Hamiltons als gleichberechtigt anzuerkennen, und die in solchen Dingen sonst strengen Engländer, die nach Neapel kamen oder dort ansässig waren, suchten eifrig Emmas Bekanntschaft zu machen. Die Herzogin von Argyll, Lord und Lady Elcho und viele andere Mitglieder des hohen englischen Adels hatten dieses Mädchen aus dem Volke so ins Herz geschlossen, dass sie bald ihre engsten Freunde wurden. Emmas vertrauter Umgang mit der schönen und vornehmen Herzogin von Argyll und mit Lady Elcho wurde in der ganzen englischen Gesellschaft mit Staunen bemerkt. Allerdings sollen diese englischen Freunde sich selbst eingeredet haben, Emma sei längst Hamiltons heimliche Gattin. Damit beruhigten sie entweder ihr moralisches Empfinden oder sie wollten wenigstens nach aussen hin den Schein wahren. Denn ein Lord konnte, wie gesagt, im 18. Jahrhundert wohl eine Dirne zu seiner Gattin erheben, ohne Anstoss in der Gesellschaft zu erregen, aber die Gesellschaft konnte nicht im Hause einer Frau verkehren, die nur seine Mätresse war. So legten sich also auch die Gäste, die im Hause des Gesandten in Neapel aus- und eingingen, das Verhältnis Sir Williams zu Emma Hart zurecht, wie sie es wünschten. Hamilton widerlegte die Gerüchte über seine heimliche Ehe mit Emma nie, aber in Wahrheit heiratete er sie erst nach fünf Jahren. Und nicht nur die englischen durchreisenden Aristokraten und die vornehme neapolitanische Gesellschaft bemühten sich um das junge Mädchen. Die Befehlshaber der fremden Schiffe, die im Hafen von Neapel vor Anker lagen, luden sie mit dem Gesandten an Bord und veranstalteten zu Ehren der jungen Schönheit Bälle und Feste. Die eleganten Seeoffiziere waren ihre glühendsten Bewunderer. Als der Kommodore Melville von der holländischen Flotte mit zwei anderen holländischen Schiffen im Jahre 1787 vor Neapel lag, veranstaltete er ein Bankett, zu dem er ausser Sir William und dessen Freundin auch Emmas Mutter, Mrs. Cadogan, einlud. Der Kommodore, der Kapitän und vier andere Offiziere erwarteten die Gäste, als wären sie die allerhöchsten Persönlichkeiten, am Ufer und brachten sie in ihrer Pinasse zu dem Schiff. Emma trug bei solchen Gelegenheiten stets ihr Lieblingskostüm: ein weisses, duftiges Musselinkleid mit einer breiten blauen Seidenschärpe. Ihre goldbraunen Haare waren aufgelöst und fielen in langen Locken fast bis zu den Füssen hinab. Als sie die Pinasse bestieg, wurde sie mit den Salutschüssen von 20 Kanonen begrüsst, und während das Boot sich langsam dem Schiffe näherte, feuerte die Fregatte der holländischen Schiffe alle ihre Geschütze ab. Die Tafel an Bord des Kommodoreschiffes war für 30 Personen gedeckt, und Emma Hart hatte daran den Ehrensitz. In ganz Neapel hörte man die Ehrensalven, die um eines jungen, aus den untersten Schichten des Volkes hervorgegangenen Mädchens willen abgegeben wurden. Das Diner verlief glänzend. Abends war der Besuch der Oper vorgesehen. Emmas und Hamiltons Loge befanden sich ganz in der Nähe der Hofloge. Die Geliebte des englischen Gesandten gedachte an diesem Abend ganz besonders elegant zu sein, denn sie wusste, dass der ganze Hof erscheinen und sie neugierig betrachten werde. Noch war sie nicht offiziell von der Hofgesellschaft anerkannt.

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Bald erregten Emmas Schönheit, ihre «lebenden Bilder» und ihr verführerischer Schaltanz so grosses Aufsehen, dass sie in Frankreich sowohl wie in Deutschland Nachahmer fand. In Paris sind es die schöne Julie Récamier, die exzentrische Theresia Tallien und Josephine Beauharnais, die diesen berühmten Tanz in Mode bringen, in Deutschland die Schauspielerinnen Händel-Schütz und Sophie Schröder. Aber Emma Hart, die Geliebte des englischen Gesandten in Neapel, ist die Erfinderin. Ganz Europa ist begeistert von ihr. Selbst Goethe erwähnt in der «Italienischen Reise» ihre Kunst mit den Worten: «Sie ist sehr schön und wohlgebaut. Er (Sir Hamilton) hat ihr ein griechisch Gewand machen lassen, das sie trefflich kleidet. Dazu löst sie ihre Haare auf, nimmt ein paar Schals und macht eine Abwechslung von Stellungen, Gebärden, Mienen und so weiter, dass man zuletzt wirklich meint, man träume. Man schaut, was so viele Künstler gerne geleistet hätten, hier ganz fertig in Bewegung und überraschender Abwechslung: stehend, kniend, sitzend, liegend, ernst, traurig, neckisch, ausschweifend, bussfertig, lockend, drohend, ängstlich und so weiter, eins folgt aufs andere und aus dem andern. Sie weiss zu jedem Ausdruck die Falten des Schleiers zu wählen, zu wechseln und macht sich hundert Arten von Kopfputz mit denselben Tüchern. Der alte Ritter (Lord Hamilton) hält das Licht dazu, und hat mit ganzer Seele sich diesem Gegenstand ergeben. Er findet in ihr alle Antiken, alle schönen Profile der sizilianischen Münzen, ja den Belvederschen Apoll selbst.» – Der deutsche Maler Friedrich Rehberg hat die schönsten «Attitüden» Lady Hamiltons in einem Bande von 24 Kupferstichen der Nachwelt überliefert, und auch Tischbein liess sich von ihr zu einigen Bildern inspirieren. Barbey d'Aurevilly aber nennt Emma Hamilton den «besten Bildhauer», den dieses originelle und seltsame Land Italien besitze. Lady Hamilton sei würdig gewesen, Italienerin zu sein.

Merkwürdig ist es jedoch, dass diese schöne Frau in ihrem reiferen Leben nicht besonders graziös gewesen zu sein scheint; erst wenn sie diese lebenden Bilder stellte, kam Grazie in ihren Körper. Viele Zeitgenossen haben das festgestellt; auch dass ihre Füsse gross und unschön gestaltet waren. Aber die Gesamterscheinung war so ideal, dass man diese Mängel in Kauf nahm. Wenn sie früher, als Sechzehnjährige, mit Greville im Ranelagh erschien, erregten nach der Aussage eines anonymen Zeitgenossen ihre «Nymphengestalt», ihr entzückendes Gesicht, ihr goldbraunes Haar die allgemeine Aufmerksamkeit und solche Bewunderung, dass sie sich einmal in diesem Vergnügungslokal veranlasst sah, dem um sie versammelten Kreis mehrerer Freunde ihres Geliebten den Genuss «einiger höchst anziehenden Proben ihrer musikalischen und mimischen Talente zu geben». Greville scheint indes diese Art der Provokation nicht geschätzt zu haben, denn er machte ihr auf dem Nachhausewege Vorwürfe und nahm sie nie wieder in ein derartiges öffentliches Vergnügungslokal mit. Ebenso vermied er es, sie öfters ins Theater zu führen. Er hatte bemerkt, dass die Bühne eine zu grosse Anziehungskraft auf sie ausübte. Vielleicht wäre sie ihm eines Tages auf und davon gegangen, um als Girl eine Laufbahn zu beginnen, die für ein Mädchen wie Emma verderbenbringend gewesen wäre. Bei Sir William Hamilton war sie jedenfalls besser aufgehoben. Hier konnte sie, ohne die dornenvolle Künstlerlaufbahn durchmachen zu müssen, ihre mimischen Talente wie auf der Bühne ausbilden und verwenden. Und vielleicht hat sie sich als Dilettantin grösseren Ruhm erworben, als sie es je als Berufskünstlerin vermocht hätte.

Für ihre lebenden Bilder brauchte sie wenig Requisiten. Ein Stuhl, einige Schals, ein paar antike schöne Vasen, ein Blumengewinde, ein Tamburin, und für manche Posen ein oder zwei niedliche Kinder – das war ihr ganzer Apparat. Wenn sie mimte, waren alle Fenster verhangen. Ihre Gestalt wurde nur von einer einzigen Kerze beleuchtet. Sie verstand die türkischen oder indischen Schals so geschickt zu arrangieren, dass sie entweder ein griechisches oder ein orientalisches Gewand darstellten oder auch in den verschiedensten Formen als Turban um den Kopf geschlungen wurden. Diese Verwandlungen gingen dermassen schnell vor sich, dass keine Kostümveränderung länger als fünf Minuten dauerte. Archenholz ist ganz hingerissen von der Schnelligkeit der Verwandlung. Einmal stellte sie das lebende Bild einer Madonna des Guido. «In wenigen Augenblicken, infolge einer geringen Veränderung im Gewand und äusseren Schmuck, war die Madonna verschwunden und in eine vor Fröhlichkeit taumelnde Bacchantin, in eine jagende Diana und dann wieder in eine mediceische Venus verwandelt.»

Auch als Tänzerin leistet Emma Hervorragendes. Ihr Schaltanz ist, wie bereits erwähnt, wegen seiner überraschend graziösen Bewegungen berühmt. Sie hatte damit so grossen Erfolg, dass sie von mehreren grossen Bühnen Englands Engagementsanträge erhielt. In Madrid sollte sie an der Italienischen Oper als «erste Tänzerin» für eine Gage von 6000 Pfund Sterling für drei Jahre verpflichtet werden, und das Covent-Garden-Theater in London bot ihr 40 000 Schilling für eine Saison. Die ganze Skala der Empfindung wird bei ihrem Tanz zur Geste, zum getanzten Erlebnis. Jeder Schritt, jede Bewegung ihrer Arme und Hände ist eine tänzerische Offenbarung. Nationaltänze tanzt sie mit vollendeter Grazie und immer mit den ihnen zugehörigen volkstümlichen typischen Eigenarten und Temperamenten. Keine Italienerin tanzte eine so bacchantische, eine so wilde und leidenschaftliche Tarantella wie Lady Hamilton. Und der alte Lord ist zuweilen ihr Partner. Er, der für Sport, Jagd und alle Leibesübungen jederzeit Begeisterte, bleibt an der Seite dieses jungen, lebensprühenden Weibes jung und elastisch. Noch als naher Siebziger tanzt er mit Emma auf einem Fest in London diesen Nationaltanz so lebhaft und ausdauernd, dass er seine um vierzig Jahre jüngere Partnerin ziemlich erschöpft.

Mit solchen Tänzen, mit ihren verführerischen Reizen, ihrer Koketterie und Liebenswürdigkeit bezauberte diese englische Sirene auch den Sieger von Abukir und vom Nil, Lord Nelson. Er sah sie zum ersten Male im Jahre 1793. Schon damals schrieb er an seine Frau: «Ich hoffe, Dir eines Tages Lady Hamilton vorstellen zu können. Sie ist eine der ausserordentlichsten Frauen in dieser Welt, eine Ehre ihres Geschlechts. Ihre und Lord Hamiltons Liebenswürdigkeit mir gegenüber ist grösser, als ich in Worten auszudrücken vermag.» Aber erst fünf Jahre später, als Lady Hamilton immer noch schön und begehrenswert war, jedoch nicht mehr jene sylphenhafte Gestalt und Jugendfrische besass wie ehedem – sie wurde bereits anfangs Dreissig sehr stark –, verliebte Nelson sich wahnsinnig in sie. Sie war eine jener Frauenschönheiten, die jederzeit, ob alt oder jung, den Mann fesseln. Und viele fanden sie auch viel später noch ebenso reizvoll wie zu jener Zeit, da Romney sie seine «göttliche Lady» nannte.

Zu Ehren des Siegers veranstalteten Lord und Lady Hamilton ein grosses Fest. Mehr als 1800 Gäste, die schönsten und elegantesten Frauen Neapels und aus der Hofgesellschaft füllten die herrlich geschmückten Säle der englischen Gesandtschaft. Aber Nelson sah nur sie, die «Unvergleichliche», dieses «ausserordentliche Wesen», wie ein sonst kühl denkender Engländer, Sir Gilbert Elliot, sie nannte. Auf Nelson, den einfachen Pfarrerssohn, der trotz seiner Siege und Feldzüge die Welt wenig und noch weniger die Frauen kannte, wirkte die von allen umschwärmte Gattin des englischen Gesandten vollends wie ein Zauberwesen. Emma Hamilton besass von da an sein Herz, seine Sinne, aber auch sein ganzes Denken und Handeln. Er tat nur, was sie wollte. Er dachte nur durch sie und mit ihr, sah alles nur mit ihren Augen.

Seitdem Emma Lord Hamiltons rechtmässige Gattin geworden war, erlangte sie am neapolitanischen Hofe, vor allem durch die ausserordentliche Freundschaft, die ihr die Königin Carolina entgegenbrachte, bedeutenden Einfluss. Solange sie nur Hamiltons Geliebte war, konnte der Hof sie natürlich nicht offiziell anerkennen. Aber gleich nach der Rückkehr des Gesandten aus England, wo er Emma im Jahre 1791 geheiratet hatte, wünschte Königin Maria Carolina Lady Hamilton bei Hofe vorgestellt zu sehen. Ein Brief der überglücklichen Emma an ihren alten Freund Romney über diese grosse Auszeichnung zeigt uns ihren guten Charakter. Sie war dankbar für alles, womit das Schicksal sie verwöhnte und verbarg durchaus nicht ihre naive Freude über den ungeheuren Aufstieg, den sie, das kleine arme Modell und Kindermädchen, genommen hatte. «Mein lieber Freund», schreibt sie aus Caserta am 20. Dezember 1791, «ich habe das Vergnügen, Ihnen mitzuteilen, dass wir glücklich wieder in Neapel angekommen sind. Ich bin mit offenen Armen von allen Neapolitanern beiderlei Geschlechts, von allen vornehmen Ausländern empfangen worden. Auf ihren eigenen Wunsch bin ich der Königin vorgestellt worden. Sie bewies mir die grösste Liebenswürdigkeit und herzlichste Aufmerksamkeit. Kurz, ich bin die glücklichste Frau der Welt. Sir William liebt mich jeden Tag mehr, und ich hoffe, er wird nie Ursache haben, den Schritt zu bereuen, den er getan hat. Denn ich bin ihm so dankbar, dass ich glaube, niemals in der Lage zu sein, ihm seine Güte vergelten zu können. Aber warum sage ich Ihnen das? Sie kennen mich genug, Sie waren der erste Freund, dem ich mein Herz öffnete. Sie müssen mich kennen, denn Sie haben mich in meinen armen Tagen gekannt. Sie haben mich in meiner Armut und meinem Glück gesehen ... Oh, mein lieber Freund, ich gestehe, eine Zeitlang war meine Tugend durch Not und Elend besiegt, nicht aber mein Gefühl für das Gute. Wie dankbar bin ich meinem lieben Mann, der meinem Herzen den Frieden wiedergab, mir Ehren, Stellung und Rang verschaffte und, was mehr wert ist, Harmlosigkeit und Glück schenkte. Freuen Sie sich mit mir, mein lieber Freund; Sie sind mir mehr als ein Vater. Glauben Sie mir, ich bin immer noch die gleiche Emma, die Sie kennen. Könnte ich nur einen Augenblick vergessen, was ich war, ich würde es nicht ertragen. Befehlen Sie mir irgend etwas, was ich für Sie tun kann. Es wäre für mich die schönste Freude. Kommen Sie nach Neapel, und ich will Ihr Modell sein – oder etwas anderes, damit ich Gelegenheit habe, Ihnen meine Dankbarkeit zu zeigen ... Wir haben hier in Neapel viele Engländerinnen, wie Lady Malmsbury, Lady Malden, Lady Plymouth, Lady Carnegee, Lady Wrigth und so weiter. Sie sind alle sehr liebenswürdig und aufmerksam zu mir und setzen eine Ehre darein, ausgesucht höflich mir gegenüber zu sein. Das wird Sie besonders erfreuen, weil Sie wissen, wie prüde unsere Damen sonst sind. Sagen Sie bitte Hayly, dass ich immer sein Werk «Triumphs of temper» lese. Diesem Buch verdanke ich, dass ich Lady Hamilton bin. Denn, Gott ist mein Zeuge, vor fünf Jahren hatte ich genug, um meinen Charakter zu prüfen, und ich fürchtete, hätte ich nicht das gute Beispiel in seinem Werk gehabt, mein Temperament wäre mit mir durchgegangen. Und wäre das geschehen, so wäre ich verloren gewesen. Denn Sir William hält mehr vom Charakter als von der Schönheit. Er wünscht daher auch, Mr. Hayly möchte kommen, damit er ihm für seine gutgeartete Frau danken könne.»



Lady Hamiltons Landsitz in Caserta und ihr Haus in Neapel waren stets mit Gästen angefüllt. Manchmal hatte sie bis zu 50 Personen an ihrer Tafel. Und da sie als Frau des Gesandten die englischen Damen, die bei Hofe eingeführt werden sollten, der Königin vorstellen musste, lebte sie in beständiger Aufregung von Festen und Bällen. Der Hof hielt sich zwar ebenfalls einen grossen Teil des Jahres in Caserta auf, aber wenn er nicht da war, fand ein fortwährendes Hin und Her zwischen Neapel und Caserta statt. Es kam vor, dass Lady Hamilton in ihrem Hause in Neapel viele Gäste zu Tisch hatte, dann noch 300 Tanzteilnehmern auf ihren berühmten Bällen ein glänzendes Fest gab und erst sehr spät in der Nacht, meist erst gegen Morgen, nach Caserta zurückfuhr. Am Hofe wurde nichts unternommen, nichts beschlossen, kein Fest arrangiert, ohne Lady Hamiltons Beihilfe. Beide Frauen, sie und die geniesserische Königin, der man den Beinamen einer neapolitanischen Messalina gegeben hatte, wetteiferten im Erfinden immer neuer Ueberraschungen bei den üppigen Gelagen. Emma Hamilton verdankte es der neapolitanische Hof, dass dieses schwelgerische Genussleben nicht nur im Essen, Trinken und Ausschweifungen bestand, sondern eine verfeinerte künstlerische Note erhielt. Sie war die beste Tänzerin unter all den schönen und graziösen Frauen, die Maria Carolina umgaben. Auch in politischen Angelegenheiten besass sie unumschränkten Einfluss. Es ist indes schwer zu sagen, ob vieles in dieser Beziehung mehr dem Gesandten selbst oder seiner Gattin zugeschrieben werden muss. Auf die Königin übte jedenfalls Lady Hamilton unbegrenzte Macht aus. Sie, die in London am Hofe der Königin Charlotte niemals empfangen wurde, hatte die Tochter der Kaiserin Maria Theresia vom ersten Tage ihrer Bekanntschaft an völlig in ihrer Gewalt. Vielleicht, weil es in ihrer beider Leben soviele Punkte gab, die sich berührten oder wenigstens scheinbar berührten. Die ausschweifende Lebensweise der Königin Carolina gab ihr nicht das Recht, über Lady Hamiltons stürmische Vergangenheit zu richten. Beide Frauen verband ihre grosse Eleganz und Koketterie und das vollkommene Hinwegsetzen über alle gesellschaftliche und bürgerliche Moral. Diese letzte Eigenschaft besass vor allem die Königin in hohem Masse. Man sagt, nicht nur Diplomatie und kluge Berechnung seien die Triebfedern gewesen, die sie zu Lady Hamilton so unwiderstehlich hingezogen habe, sondern auch ihre eigene geniesserische Veranlagung. Sie habe in Emma nicht nur ein williges Geschöpf für ihre Feste und Gelage, sondern auch für ihre tribadischen Neigungen gefunden. Carolina belohnte diese Freundschaft mit reichen Geschenken. Als der «Foudroyant» nach der Wiedereroberung von Neapel im August 1799 vor Palermo mit Nelson und Lady Hamilton anlangte, eilte die Königin sofort zu ihrer Freundin und beschenkte sie mit einer goldenen Kette, an der das reich mit Diamanten besetzte Bildnis des Königs hing. Fünf Tage später sandte sie ihr zwei Wagen voll kostbarer Kleider und ein Juwelengeschmeide im Werte von 25 000 Franken. Im ganzen sollen sich die Geschenke, die Lady Hamilton um diese Zeit von der Königin erhielt, auf 150 000 Franken belaufen haben.

Die Wiedereinnahme Neapels gab Lady Hamilton Gelegenheit, ihre grossen gesellschaftlichen Fähigkeiten zu zeigen, ihrer Vorliebe für Feste, Bälle und Theatervorführungen Genüge zu leisten. Und während Tausende in Neapel und Malta Hungers starben, herrschte in Palermo am Hofe Ueppigkeit und Verschwendung. Galadiners und Bälle an Bord der englischen Kriegsschiffe im Hafen hörten nicht auf. Sie wurden von Lady Hamilton veranstaltet, und Nelson hiess alles gut was sie tat. Sie erschien auf dem Admiralsschiff wie eine zweite Kleopatra. Wenn sie mit allen ihren Freunden, wie mit einem Hofstaat umgeben, ankam, wurde sie, als wäre sie die Königin selbst, mit Salven von der ganzen Flotte begrüsst. Einmal hatte sie, auf dem von Sir Thomas Lous befehligten «Minotaurus» ein Diner bestellt. Es wurden grosse Tafeln für das Gastmahl auf Deck gebracht, die Kanonen beiseite geschoben, um den mit den köstlichsten Speisen, Früchten und Weinen besetzten Tischen Platz zu machen. Das schien selbst Nelson zu weit zu gehen. Als er sah, was aus seinem Kriegsschiff gemacht worden war, sagte er ärgerlich zu einem der Offiziere: «Verflucht, ich wollte, dieses Treiben hätte ein Ende. Mein Schiff sieht ja aus wie ein Gasthaus.» Als er aber Lady Hamiltons strahlendes Gesicht, ihr glückliches Lächeln sah, als sie ihn mit ihrer einschmeichelnden Stimme beruhigte, war sein Unmut sofort verzogen, und man sass noch bis spät abends beim fröhlichen Mahle. Auf Wunsch der Geliebten liess Nelson bei Einbruch der Dunkelheit das Schiff illuminieren, und bei jedem ausgebrachten Toast wurden an Bord Salven abgegeben, die die Forts am Festland beantworteten.

Es war dem Admiral ganz unmöglich, dieser schönen Verführerin etwas abzuschlagen. Sie war auch seine Begleiterin und Führerin durch die Schlupfwinkel und Spelunken Neapels. Der abenteuerliche Sinn, die Neigung zum Vagabundentum erwachten in ihr bisweilen von neuem. Dann packte sie die tolle Lust, mit dem Admiral in Verkleidung durch die berüchtigtsten Strassen und Hafenviertel zu streifen. Die Maske und der Domino oder auch ein Männerkostüm schützten sie bei derartigen Streifzügen. Gemeinsam mit dem Admiral besuchte sie die öffentlichen Dirnenlokale und verbrachte die Abende in Gesellschaft von käuflichen Mädchen. Emmas mimischer Veranlagung gelang es hervorragend gut, sich jenen Frauen gegenüber als jungen Mann auszugeben. Lord Nelson sah in diesen zweifelhaften Vergnügungen und Tollheiten nur einen neuen Reiz im Charakter seiner Freundin. Sie war die Frau, die er liebte, die er begehrte, die ihm wie keine andere ein nie gekanntes Liebesglück schenkte. «Du brauchst kein Weib in der Welt zu fürchten», schrieb er ihr einmal, «alle ausser Dir sind mir nichts. Ich kenne nur eine, denn wer kann wie meine Emma sein? ... Du bist unvergleichlich. Keine ist wert, Dir die Schuhe zu putzen.»



Er war an sie für immer verloren. Im Jahre 1800 nahm er sie und ihren Gatten mit nach England. Da er nicht mehr im Hause seiner Frau wohnen wollte, mit der er viele Jahre in ungetrübter Ehe gelebt hatte, zog er zu den Hamiltons nach Piccadilly. Obwohl derartige dreieckige Verhältnisse im 18. Jahrhundert durchaus nichts Seltenes waren, und man annehmen konnte, Lord Hamilton habe die Beziehungen seiner Gattin zu Nelson genau gekannt, so scheint er sie doch bis zuletzt für rein platonisch gehalten zu haben, denn als er zwei Jahre später starb, sagte er in seinen letzten Augenblicken zu dem Freund: «Mein tapferer und grosser Nelson, unsere Freundschaft hat lange gewährt, und ich bin stolz auf meinen Freund. Ich hoffe, Sie werden Emma Gerechtigkeit von den Ministern widerfahren sehen. Sie wissen, wie grosse Dienste sie ihrem Vaterland geleistet hat. Schützen Sie mein teures Weib.» Dann wandte er sich an Emma und sprach: «Meine unvergleichliche Emma, du hast mich nie, weder in Gedanken noch mit Worten, noch mit Taten beleidigt. Lass mich dir nochmals für deine herzliche Zuneigung in unserer ganzen zehnjährigen glücklichen Verbindung danken.» – Welche Macht, welche Geheimnisse besass diese Frau, die selbst als heimliche Geliebte eines anderen noch die Achtung und Liebe ihres Gatten genoss! Sie hatte Nelson im Jahre 1801 eine Tochter geboren, die als Horatia Thompson Nelson eingetragen und von dem Admiral adoptiert wurde. Obwohl Lady Hamilton dieses Kind im Hause ihres Gatten zur Welt brachte, hatte Hamilton keine Ahnung davon. Ihren Zustand wusste sie geschickt vor ihm zu verbergen, wobei ihr die weiten faltigen Gewänder behilflich waren. Hamilton war wohl auch zu alt und bereits zwei Jahre vor seinem Tode oft kränklich und bettlägerig, so dass er kaum das Schlafzimmer seiner Frau betrat. Als sie niederkam, sagte man ihm, sie sei krank, aber die Wahrheit verschwieg man. Am 20. Februar schrieb er noch an Nelson, Emma sei nicht wohl, sie habe Magenkrämpfe und Erbrechen und müsse Brechweinstein einnehmen. Der gute Alte wurde auch fernerhin getäuscht. Als die kleine Horatia geboren war, brachte man sie heimlich aus dem Hause zu einer Amme. Lord Nelson und Lady Hamilton sprachen in ihren Briefen, so lange der alte Hamilton lebte, von diesem Kinde nur als der Tochter einer Mrs. Thompson, so dass Hamilton, als die Amme das Kind eines Tages in das Haus brachte, um es dem glücklichen Vater, Lord Nelson, zu zeigen, keinen Verdacht schöpfte, als man ihm sagte, es sei Mrs. Thompsons Kind, sie wolle sich der Gunst des Admirals empfehlen.



In demselben Jahre kaufte Lady Hamilton im Auftrage Nelsons für ihn den schönen Landsitz Mertonplace in Surrey. Er sollte hauptsächlich in späteren Jahren als Wohnsitz für Emma und ihre Tochter Horatia bestimmt sein. Lady Hamilton richtete das Schloss ganz nach ihrem Geschmack ein und machte es, wie Nelson schrieb, «zum schönsten Ort der Welt». Man verlebte dort und in Hamiltons Haus in Piccadilly einen sehr vergnügungsreichen, heiteren Winter unter fortwährenden Gesellschaften. Lady Hamilton dachte hier oft an jene Zeit zurück, als sie vor 20 Jahren in Edgware Road als Romneys Modell und Grevilles Geliebte lebte. Jetzt besass sie alles, was sie sich wünschen konnte; sie verbrachte die «Season» der Jahre 1801 bis 1803 in London im grossen Stil, in Luxus und Verschwendung. In ihrem Hause verkehrte die fashionabelste Gesellschaft, ungeachtet dessen, was man sich in London über sie zuflüsterte. Die englische Gesellschaft des 18. Jahrhunderts war toleranter als heute. Man sprach ganz offen über Lady Hamiltons Verhältnis zu Nelson, und niemand glaubte an eine platonische Liebe der beiden, ausser Sir William Hamilton. Niemand nahm jedoch Anstoss daran, dass alle drei einträchtig in einem Hause wohnten. Man brachte Lady Hamilton die grösste Achtung entgegen, und sogar die nächsten Verwandten Nelsons, die seine rechtmässige Frau sehr schätzten, verkehrten wie Freunde im Hause seiner Geliebten und verehrten sie. Und dennoch war in Emmas Charakter eine grosse Veränderung vor sich gegangen. Aus der kleinen bescheidenen Freundin Lord Grevilles, die «absolut indifferent gegen materielle Interessen» schien, war eine sehr anspruchsvolle, geldgierige und vergnügungssüchtige Frau geworden, die weder an Festen noch an Toiletten und Tand genug bekommen konnte. Der neapolitanische Hof hatte sie verdorben. Sie machte Schulden über Schulden, ohne zu wissen, ob sie sie je würde bezahlen können. Der alte Sir William Hamilton war diesem Leben nicht mehr gewachsen. Bisweilen fühlte er sich auch von seiner Frau zurückgesetzt. Sie hatte nur Auge und Ohr für Nelson, für ihre Vergnügungen, lebende Bilder und die zahlreichen Gäste. Hamilton, der vierzig Jahre seines Lebens an einem so unruhigen und geräuschvollen Hofe wie dem neapolitanischen zugebracht hatte, sehnte sich in seinen letzten Lebensjahren nach Ruhe. Mit 80 Jahren konnte er sie ja auch beanspruchen. Aber Emma war nicht dieser Meinung. Sie brauchte, je reifer sie wurde, den Weihrauch der Vergötterung ihrer Person und stürzte sich immer mehr in den Strudel von Vergnügungen. In solchen Augenblicken gingen manchmal dem alten Sir William die Augen auf. Einmal brachte er sogar seinen Unmut zu Papier und schrieb: «Ich habe die letzten 40 Jahre meines Lebens in Unruhe und im Wirrwarr der Geschäfte verbracht, die mit einer offiziellen Stellung notwendigerweise verbunden sind. Nun bin ich in dem Alter, wo etwas Ruhe wirklich nötig ist; ich hoffte auf ein stilles Heim, obwohl ich, als ich heiratete, überzeugt war, dass ich alt und verbraucht wäre, wenn meine Frau in ihrer ganzen Schönheit und Jugendkraft stände. Die Zeit ist nun gekommen, und wir müssen das Beste zu unserer beider Behaglichkeit tun. Unglücklicherweise ist unser Geschmack in bezug auf die Lebensweise sehr verschieden. Ich wünsche vor allem in stiller Zurückgezogenheit zu leben. Aber selten weniger als 12 bis 14 Gäste zu Tisch zu haben und jeden Tag andere, ist für mich genau so ermüdend, wie das Leben in den letzten Jahren in Italien. Ich pflege keinerlei Beziehungen ausser zu meiner eigenen Familie. Ich kann mich auch nicht weiter beklagen, aber ich fühle, dass meine Frau ihre ganze Aufmerksamkeit Lord Nelson und seinen Interessen in Merton schenkt. Ich kenne wohl die Reinheit der Freundschaft Nelsons zu Emma und mir. Und ich weiss auch, wie untröstlich seine Lordschaft, unser bester Freund, sein würde, wenn eine Trennung zwischen uns dreien stattfände. Daher bin ich entschlossen, alles, was in meiner Macht steht, zu tun, sie zu vermeiden. Es würde für alle Teile sehr nachteilig sein, vor allem würde sie für unseren lieben Freund äusserst fühlbar sein. Vorausgesetzt, dass unser Aufwand und unsere Haushaltkosten nicht ins Masslose anwachsen – und darin sehe ich offengestanden eine grosse Gefahr –, bin ich bereit, auf dem gleichen Fusse weiter zu leben. Da ich jedoch nicht mehr hoffen kann, noch viele Jahre zu leben, ist jeder Augenblick für mich kostbar. Und darum hoffe ich, manchmal mein eigener Herr zu sein und meine Zeit nach meinen eigenen Neigungen verbringen zu dürfen. Entweder mit Angeln und Fischen auf der Themse oder indem ich öfter die Museen, Bilderauktionen, die Royal-Society und den Tuesday-Club besuche ...»

Er erkrankte indes und starb bald darauf im Jahre 1803 in Piccadilly. Seine Witwe musste das Haus verlassen und zog nach Clargestreet. Teils hier, teils in Mertonplace verbrachte sie von nun an ihr Leben. Nelson betrachtete sie nach der Geburt Horatias, die er über alle Massen liebte, und besonders nach dem Tode des Gatten völlig als seine rechtmässige Gemahlin. Dass sie eine natürliche Tochter, vielleicht sogar zwei Kinder als Mädchen gehabt hatte, wusste er nicht; er scheint nicht daran gezweifelt zu haben, dass Horatia Emmas erstgeborenes Kind war. Jedenfalls verstand sie es, auch Nelson eine Sache glaubhaft zu machen, die jeder andere Mann ihr widerlegt haben würde. Aber wie sie Sir William Hamilton die Geburt Horatias verschwiegen hatte, so verschwieg sie auch Nelson ihre frühere Tochter. Und er glaubte an sie. Im März 1801 schrieb er ihr: «Jetzt, mein einzig geliebtes Weib, das Du in meinen Augen und im Angesicht des Himmels bist, kann ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen, denn ich glaube wohl, dass Oliver diesen Brief getreulich abliefern wird. Du weisst, meine geliebte Emma, es gibt in der Welt nichts, was ich nicht täte, um mit Dir zusammenzuleben und unser liebes kleines Kind bei uns zu haben ... Ich liebe Dich, wie keine andere. Niemals hatte ich ein süsses Pfand der Liebe, bis Du es mir schenktest, und Gott sei Dank gabst Du ein solches niemals einem anderen! ... Ich verbrenne alle Deine lieben Briefe; es geschieht Deiner Sicherheit wegen. Verbrenne auch die meinigen, denn sie könnten Böses anrichten und uns beiden nur schaden, im Falle man sie fände. Ein Tüpfelchen von ihnen würde die Münder der «Welt mehr füllen, als wir wünschten ...» – Und ein andermal: «Ich hoffe, Du sollst in kurzer Zeit meine Herzogin von Bronte werden, und dann schlagen wir ihnen allen ein Schnippchen.»

Dieses grosse Liebesglück fand einen jähen Abbruch durch die Abberufung Nelsons zur Mittelmeerflotte im Jahre 1803. Emma hatte zwar die abenteuerliche Idee, sich mit Horatia und Nelsons Nichte, die in ihrem Hause lebte, auf der «Victory» einschiffen zu lassen und den Geliebten auf seinem Feldzug zu begleiten; aber es gelang dem Admiral diesmal doch, ihr diesen tollen Gedanken auszutreiben. Sie blieb in London. Der Schmerz über die Trennung war bald vergessen. Sie führte in Mertonplace und in ihrem Hause ein sehr ausgelassenes Leben, so dass sie mit der Rente, die Sir William Hamilton für sie ausgesetzt hatte, und mit den 1200 Pfund, die sie von Nelson für ihren Unterhalt bekam, nicht ausreichte. Umringt von einem Schwarm von Schmarotzern lebte sie in Saus und Braus. Sie umgab sich mit schönen leichtlebigen Frauen, die wie sie selbst auf ein Abenteuerleben zurückblickten. Ihre intimste Freundin war die berühmte und äusserst begabte Sängerin am Drury-Lane- und Covent- Gardentheater, Mrs. Billington, eine Sächsin von Geburt. Sie führte in London und in allen Städten der Welt, wo sie auftrat, das zügellose Leben einer Hetäre. Königliche Prinzen, Herzöge, Lords waren ihre jeweiligen Liebhaber. Eine Zeitlang auch der Herzog von Rutland, Vizekönig von Irland. Wie Lady Hamilton verfügte Miss Billington über vielseitige Talente und über eine Schönheit, die, wie ein Zeitgenosse sagt, «den Dämon der Sinnlichkeit in sich hatte».



Lady Hamiltons Freunde waren nicht alle selbstlos. Die meisten nützten ihre Gutmütigkeit aus, liehen von ihr Geld, das sie nie wiedergaben, prassten an ihrer Tafel, machten ihr den Hof und schmeichelten ihrer Eitelkeit, um desto mehr Vorteile von ihr zu haben. Oft ermahnte Nelson sie in seinen Briefen zur Sparsamkeit und warnte sie vor dem «Gezücht, das bei voller Tafel sass und sich sonst nicht um sie kümmerte». Als er nach zweijähriger Abwesenheit im August 1805 für kurze Zeit nach Mertonplace zurückkehrte, missfiel es ihm sehr, dass sein schöner Landsitz auffallend dem Hofe von Neapel hinsichtlich des leichten Lebens, das man dort geführt hatte, glich. Neben berühmten englischen Schauspielerinnen, Musikern, Balladendichtern, Opernsängern bildeten leichtlebige Klubmänner und Spieler, abenteuerliche Rakes, darunter auch Mitglieder des Adels und viele, deren Stand und Gewerbe höchst fraglich waren, den Gesellschaftskreis seiner unvergleichlichen Emma. Aber er war doch viel zu glücklich, die geliebte Frau und sein Kind wiederzusehen, als dass er ihr wegen ihres leichtlebigen Lebenswandels Vorwürfe hätte machen können. Solange sie sich amüsierte und wohlfühlte, solange sie als schöne Frau verehrt und umschmeichelt wurde, verzieh er und gestattete er ihr alles. In Merton ging daher das Leben auch während seiner Anwesenheit herrlich und in Freuden weiter. Von nah und fern strömten die Besucher herbei, um den gefeierten Helden zu sehen und ihm und seiner Freundin Beweise ihrer Verehrung zu geben. Sein Verhältnis zu Lady Hamilton wurde in der Gesellschaft mit wenigen Ausnahmen so anerkannt, dass er sie stets bei Empfängen als seine Frau vorstellte und immer nur bedauernd hinzufügte, «unglücklicherweise sei sie noch nicht Lady Nelson».

Sehr bald musste er von neuem von der heissgeliebten Frau scheiden. Im September 1805 verliess er England auf seinem Schlachtschiff «Victory». Im Oktober fiel er in der Schlacht von Trafalgar. Er wurde von einer Musketenkugel tödlich getroffen. Das Rückgrat war ihm zerschossen. Seine letzten Gedanken galten seiner grossen unauslöschlichen Liebe. Sein Fregattenkapitän Hardy, der um ihn war, empfing den letzten Gruss des Admirals an die geliebte Frau. «Ich scheide», sagte er, «es wird bald mit mir vorbei sein. Hardy, geben Sie bitte meiner lieben Lady Hamilton meine Haare und alles, was mir sonst gehört ... Ach, wie würde sie sich grämen, wenn sie wüsste, wie es mir geht! ... Hardy, sorgen Sie für meine liebe Lady Hamilton! Sorgen Sie für die arme Lady Hamilton!» Und dann immer wieder, zum Arzt gewendet: «Doktor, grüssen Sie mir Lady Hamilton und meine Horatia! Sagen Sie ihr, dass ich ein Testament gemacht und sie meinem Vaterland als Vermächtnis hinterlassen habe.» So treu schied Nelson von der fernen, über alles geliebten Frau.

Nach seinem Tode ging es mit ihr sehr schnell abwärts. Sie ergab sich immer mehr ihrem ausschweifenden Leben und stürzte sich in ungeheure Schulden. Als sie nichts mehr zu verschenken hatte, wandten ihr die meisten, die in ihrem Hause gelebt und an ihrer Tafel geschwelgt hatten, den Rücken. Schon drei Jahre nach dem Tode Nelsons hatte Lady Hamilton ihr ganzes Vermögen und das ihrer Tochter verschwendet. Mertonplace musste veräussert werden, und auch über ihren eigenen Besitz in London wurde verfügt. Schliesslich kam sie 1813 ins Schuldgefängnis. Aus der schönen berühmten Frau war ein armes Weib geworden, das von der Gnade der wenigen Freunde lebte, die ihr noch blieben. Mit deren Hilfe entfloh sie auch aus dem Gefängnis nach Calais, in der Hoffnung, bis nach Italien zu kommen, wo sie auf die Hilfe ihrer früheren reichen Freunde hoffte. Aber schon ein halbes Jahr später, im Jahre 1815, starb sie in Calais an einem Leberleiden. Das üppige Leben und die Freuden der Tafel hatten ihrer Gesundheit und besonders ihrer Gestalt furchtbar geschadet. Sie war sehr dick und unförmig geworden, und von der einstigen Schönheit war nichts geblieben als ihre schöne melodische Stimme und ihre hellen blauen Augen.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Berühmte Frauen der Weltgeschichte